1. Bericht über die 2. Periode des Passierscheinabkommens
9. März 1965
1. Bericht Nr. 209/65 über die 2. Periode der Beantragung und Ausgabe von Passierscheinen des laufenden Passierscheinabkommens
Am 8.3.1965 wurden in den 16 Passierscheinstellen in Westberlin 59 050 Anträge gestellt.1 In den Anträgen sind erfasst:
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94 324 Personen mit 9 899 Kfz für den 1. Besuchszeitraum (Ostern)
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91 814 Personen mit 8 645 Kfz für den 2. Besuchszeitraum (Pfingsten).
Als Schwerpunkttage der beiden Besuchsperioden lassen sich bereits jetzt erkennen:
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16.4. mit 21 006 Personen (1 972 Kfz)
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18.4. mit 23 333 Personen (1 931 Kfz)
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6.6. mit 28 206 Personen (2 250 Kfz).
Bevorzugt als beantragter KPP angegeben wurde Bahnhof Friedrichstraße. Dann folgen Chausseestraße, Sonnenallee und (mit fast gleichen Personenzahlen) Oberbaumbrücke.
Der erste Tag der neuen Beantragungsperiode des laufenden Passierscheinabkommens verlief reibungslos und ohne Zwischenfälle. Es erfolgte eine zügige Abfertigung der Antragsteller.
Von unseren Postangestellten wurden im Wesentlichen einwandfreie arbeitsmäßige Bedingungen vorgefunden. In Kreuzberg/Lobeckstraße musste allerdings erst auf Hinweis unserer Angestellten mehr Raum für die Antragsteller geschaffen werden.
Der Andrang der Antragsteller war besonders kurz nach Öffnung der Passierscheinstellen sehr stark. In Wilmersdorf beispielsweise wurden etwa 2 000 bis 3 000 Wartende festgestellt.
Während der Abfertigung traten Wartezeiten von 30 bis 40 Minuten in Reinickendorf und bis zu 1½ Stunden in Spandau auf. Infolge eines am Nachmittag noch einmal angestiegenen Andrangs konnten in Wedding rd. 250 bis 300 Personen, in Spandau rd. 150 Personen und in Wilmersdorf rd. 350 Personen nicht mehr abgefertigt werden.
Die Postangestellten der DDR zeigten eine gute Arbeitsmoral und Arbeitsintensivität. Bis 13.00 Uhr wurden beispielsweise allein in der Passierscheinstelle Reinickendorf/Scharnweberstraße 1 588 Anträge entgegengenommen.
Die Stimmung unter den Antragstellern wurde allgemein als gut eingeschätzt. Besonders wurde von ihnen die Möglichkeit der Angabe des gewünschten Grenzübergangs begrüßt.
Vereinzelt zeigten sich Befürchtungen hinsichtlich einer Überfüllung verschiedener Besuchstage. In einigen Fällen trat Verärgerung darüber auf, dass Kinder über 16 Jahre, nachdem sie diese Altersgrenze erreicht haben und einen eigenen Passierschein beantragen müssen, aufgrund ihres Verwandtschaftsverhältnisses mit den zu besuchenden DDR-Bürgern (Cousin oder Cousine) keine Besuchsmöglichkeit mehr haben.
Einige Schwierigkeiten traten bei der Abfertigung von Sammelbestellungen auf. In Reinickendorf/Scharnweberstraße »protestierte« der Gruppenleiter der Westberliner Angestellten gegen die Anmeldung derartiger Bestellungen. Es wurde ihm erklärt, dass die gesammelte Abholung von Anträgen durch Betriebsräte eine normale Praxis ist und dass bei der Abgabe der Anträge ohnehin jeder Antragsteller persönlich erscheinen muss.
Der Leiter der Westberliner Kräfte in der Passierscheinstelle Wedding/Müllerstraße äußerte dem Leiter unserer Angestellten gegenüber, dass der Senat eine Sammelabholung von Anträgen nicht wünsche, sprach sich persönlich jedoch dafür aus. Der Personalvertreter des Bezirksamtes Wedding wurde von ihm zurückgewiesen. Der Leiter der Westberliner Kräfte in Neukölln/Karl-Marx-Straße lehnte die gesammelte Abholung von Anträgen mit der Begründung ab, dass andere Westberliner Bürger dadurch benachteiligt würden.
Auch in der Passierscheinstelle Wedding/Gotenburger Straße wies der Beauftragte des Senats die Sammelabholung von Anträgen anfangs zurück, änderte aber sein Verhalten nach einem kurzen Besuch von Bezirksbürgermeister Mattis.2 Mattis bedeutete ihn, in dieser Frage tolerant zu sein. In mehreren Passierscheinstellen wurden bereits Sammelbesteller abgefertigt.
Die Zusammenarbeit mit den Westberliner Angestellten und besonders den Beauftragten des Senats für die einzelnen Passierscheinstellen war sachlich und korrekt. Zum Teil wurden bereits bekannte Kräfte eingesetzt. Bei neueingesetzten Kräften zeigten sich einige Anfangsschwierigkeiten in der exakten Überprüfung der Anträge. Sie wurden mithilfe unserer Angestellten überwunden.
Die überwiegende Anzahl der Westberliner Angestellten führte ihre Arbeit gewissenhaft durch. Im Allgemeinen zeigten sie sich besser vorbereitet als im Oktober vergangenen Jahres. Eine Ausnahme machte die Passierscheinstelle Kreuzberg/Lobeckstraße, in der sich die Westberliner Kräfte schlecht informiert zeigten und sich sehr häufig mit Anfragen an unsere Angestellten wandten.
Dennoch gab es in einigen Passierscheinstellen Mängel in der Vorkontrolle der Anträge (Angabe von nicht im Protokoll vorgesehenen Besuchstagen, Eintragung der Ehefrau als Antragsteller bei Ehepaaren). Eine schlechte Vorkontrolle zeigte sich besonders in Schöneberg. Dadurch musste eine ganze Anzahl verschriebener Anträge zurückgegeben werden. Den Westberliner Angestellten in Reinickendorf/Scharnweberstraße und Wedding/Müllerstraße war nicht bekannt, dass Kinder über 16 Jahre einen eigenen Antrag stellen müssen. Nach Hinweis des Gruppenleiters unserer Angestellten auf das Protokoll wurden die Bestimmungen eingehalten.
Es gab keine provokatorischen Störmaßnahmen der Westberliner Kräfte. Nur in einem Falle versuchte in Kreuzberg/Urbanstraße ein Westberliner Postangestellter Antragsteller, deren Anträge nicht das festgelegte Verwandtschaftsverhältnis aufwiesen, gegen unsere Angestellten zu beeinflussen.
Größere Schwierigkeiten gab es mit den vom Senat für das Ausfüllen der Anträge eingesetzten Hilfskräften. Sie waren z. T. schlecht informiert und füllten die Anträge in nicht genügend deutlicher Schrift aus. In Steglitz beispielsweise musste jeder 3. bis 4. Antrag wegen Unleserlichkeit und Ungenauigkeit zurückgewiesen werden. Nach Mitteilung einer Antragstellerin hätten die in Spandau eingesetzten Lehrlinge des Bezirksamtes teilweise 1,00 DM für das Ausfüllen eines Antrags genommen.
In einigen Passierscheinstellen standen zu wenige Hilfskräfte für die Antragsausfüllung zur Verfügung, in anderen zu wenig Ordnungskräfte, um den Besucherstrom zu leiten. Dadurch kam es beispielsweise in Schöneberg zur Verärgerung unter den Antragstellern. In Kreuzberg/Lobeckstraße war die Ausgabe der Anträge ungenügend organisiert und die Westberliner Bürger mussten teilweise bis zu zwei Stunden nach Anträgen anstehen. Durch Aufforderung von einem fahrbaren Postamt aus, die Anträge in Ruhe zu Hause auszufüllen, trat in Charlottenburg zeitweise eine Verknappung der Anträge auf. Auf Hinweis unseres Gruppenleiters wurden diese Aufrufe eingestellt.
In allen Passierscheinstellen, in denen die Westberliner Kräfte ungenügend arbeiteten oder vorbereitet waren, wurde von unseren Gruppenleitern Abhilfe verlangt und auch zugesagt.
In fast allen Passierscheinstellen waren westliche Journalisten und Bildreporter tätig, die besonders unsere Postangestellten fotografierten. Eine wesentliche Behinderung der Arbeit trat jedoch durch ihre Tätigkeit nicht auf.
Kurze Besuche in den Passierscheinstellen ihrer Bezirke statteten die Bezirksbürgermeister von Wedding und Spandau ab.
In einigen Passierscheinstellen, Reinickendorf/Thurgauer Straße und Spandau, wurden von den Westberliner Kräften Merkblätter verteilt, die mit der vonseiten der DDR beanstandeten Bekanntmachung des Senats identisch sind. In anderen Bezirken wurden diese Merkblätter vor den Passierscheinstellen ausgegeben. Die Westberliner Kräfte befinden sich ebenfalls im Besitz der Merkblätter und eines Übersichtsplans über die Stadtbezirke der Hauptstadt der DDR. Vor einigen Passierscheinstellen wurden große Merktafeln festgestellt, deren Angaben über die Ausfüllung der Anträge dem Protokoll entsprechen, die aber keine klaren Angaben über die Vermerke für hilfebedürftige Personen auf den Anträgen enthalten.