12. Deutscher Evangelischer Kirchentag in Köln
12. August 1965
Einzelinformation Nr. 741/65 über den 12. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Köln 1965
Im Ergebnis der Auswertung der dem MfS vorliegenden inoffiziellen und offiziellen Materialien über den Verlauf des vom 28.7. bis 1.8.1965 in Köln stattgefundenen 12. Deutschen Evangelischen Kirchentages kann zusammenfassend eingeschätzt werden:1
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Der Deutsche Evangelische Kirchentag hat sich aufgrund seiner eindeutigen Parteinahme für die Bonner Politik allmählich von einer sogenannten gesamtdeutschen Massenveranstaltung zu einem kirchlichen Lokalereignis entwickelt, das besonders der Unterstützung der Erhard-Regierung dient.
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Der verstärkte Einfluss der klerikal-revanchistischen Kreise auf die Evangelische Kirche in Westdeutschland hat dazu geführt, dass die sogenannten Vertriebenenfragen und deren Vertreter in das Kirchentagsprogramm stärker eingegliedert wurden und dessen Profil wesentlich mitbestimmten.
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Eindeutiges Bemühen des Kirchentages war es, die lebenswichtigen politischen Fragen in Westdeutschland, wie die Abwehr der Notstandsgesetze, zu umgehen oder abzuwerten.
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Dieser Kirchentag stellte einen Höhepunkt in der allmählichen Annäherung der politisch-klerikalen Kreise der evangelischen und der katholischen Kirche in Westdeutschland dar.
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Die seit dem letzten Kirchentag im Jahre 1963 in Dortmund2 in der Leitung des Kirchentages vorgenommenen personellen Veränderungen haben zu keiner grundlegenden Veränderung in der Grundkonzeption des Kirchentages geführt.
Bei der Vorbereitung des 12. Deutschen Evangelischen Kirchentages war bereits zu erkennen, dass die Erfahrungen des letzten Kirchentages 1963 in Dortmund das leitende Gremium dazu veranlasst hatten, einem allgemeinen Zusammenbruch des Kirchentages mit einer grundsätzlichen Schwenkung von einer »aktiven gesamtdeutschen in eine spezielle innenpolitische Konzeption« (Klaus von Bismarck3) entgegenzuwirken.
In diesem Sinne erklärte auch der jetzige Kirchentagspräsident von Weizsäcker,4 »dass die Begegnung der Evangelischen aus Mitteldeutschland und Westdeutschland lange Zeit ein besonderes Merkmal der Kirchentage gewesen ist. Diese Funktion kann der Kirchentag seit dem 13.8.1961 nicht mehr ausüben.«
In seiner Rede zur Eröffnung des 12. Deutschen Evangelischen Kirchentages am 28.7.1965 gestand Klaus von Bismarck deshalb auch ein: »Die Zeiten, in denen er (der Kirchentag) wie 1954 in Leipzig5 oder 1961 in Berlin6 durch die Möglichkeit einer im politischen Bereich schon verschlossenen Ost-West-Begegnung der evangelischen Christen belebt wurde, sind vorbei.«
Aufgrund dieser Entwicklung erfolge die Umorientierung des Kirchentages auf fast ausschließlich innere Fragen Westdeutschlands. Gleichzeitig wurde versucht, das theoretische Niveau der Kirchentagsveranstaltungen durch eine entsprechende Auswahl der Themen und Referenten zu heben. Das zeigt sich u. a. auch in der zentralen Themenstellung der Kirchentage. (1963 in Dortmund: »In Konflikten leben«7; 1965 in Köln: »In der Freiheit bestehen«.)
Unter den 45 Hauptrednern des Kirchentages befanden sich neben den Ministern Lücke,8 Mikat9 und Hasselmann10 18 Professoren, 18 Doktoren, zwei Bischöfe und ein Diplomingenieur.
Als Ehrengäste des Kirchentages waren erschienen, Lübke,11 Adenauer,12 Mende,13 Wehner,14 der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen Meyers,15 Innenminister Weyer,16 Landtagspräsident Johnen,17 Staatssekretär Bornemann,18 Gustav Heinemann,19 Adolf Arndt,20 Oberstadtdirektor Max Adenauer.21
Vom Parteivorstand der SPD sandten Willy Brandt,22 Fritz Erler23 und Herbert Wehner ein Grußtelegramm an den Kirchentag, in dem es u. a. heißt: »Mit Ihnen betrauern wir, dass der Deutsche Evangelische Kirchentag nicht mehr die große gesamtdeutsche Begegnung sein kann, wie er es früher war.«
Im Gegensatz zu der starken Beteiligung prominenter Politiker steht die niedrigste Besucherquote aller bisherigen Kirchentage. Während in München 1959 noch 40 000 Dauerteilnehmer gezählt wurden, waren es in Köln nur 12 000; davon etwa 1 500 Jugendliche. In Dortmund gab es 1963 noch 800 Veranstaltungen, in Köln nur noch 370. Während bei den bisherigen Kirchentagen zu den Eröffnungs- und Abschlussveranstaltungen bis zu 100 000 Besucher erschienen, waren es in Köln nur etwa 25 000.24
Zu den Dauerteilnehmern des Kirchentages gehörten 1 208 ausländische Gäste aus 36 Ländern, darunter allein 280 Holländer. Außerdem nahmen 300 Pressevertreter teil.
Das Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentages hatte acht Einladungen in sozialistische Staaten gesandt. Aus Jugoslawien war eine Delegation von sechs Bischöfen, unter ihnen der evangelisch-lutherische Bischof Strugarik in Köln anwesend.
Nach vorliegenden Informationen haben aus der DDR 453 Rentner als Dauerteilnehmer am Kirchentag teilgenommen. Für die Rentner aus der DDR war am Bahnhof in Köln ein Schild angebracht worden, auf dem darauf hingewiesen wurde, dass »Besucher aus Mitteldeutschland« im Verwaltungsgebäude Salierring 61/65 Rat und Auskunft erhalten. Besonders in Erscheinung getreten sind zwei Rentner aus der DDR, die während einer Sonderveranstaltung des »Christlichen Blindendienstes« Grußworte sprachen.
Zur Eröffnung des Kirchentages wurde durch von Weizsäcker ein von Bischof Krummacher25, Greifswald, und Präses Mager26, Dresden, an den Kirchentag gerichtetes Grußtelegramm verlesen. In diesem Grußwort heißt es:
»Im Namen der Evangelischen Landeskirchen, der Kirchengemeinden und vieler alter und junger Christen in der DDR grüßen wir die zum 12. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Köln versammelten Glaubensbrüder und Schwestern.
Wir denken dankbar an die großen Kirchentage zurück, die wir in vergangenen Jahren mit Euch gemeinsam begehen durften. Der Kirchentag ist ein großes Geschenk Gottes an unsere Kirche. Auch wir halten in unseren Landeskirchen Kirchentage, die von der Liebe unserer Gemeinde getragen wird.
Die Gemeinschaft in unserem Herrn Jesus Christus, die uns auf vergangenen Kirchentagen in persönlichen Begegnungen so unvergesslich geschenkt wurde, hält uns auch jetzt unverbrüchlich zusammen. Über alle Grenzen hinweg bleibt uns der gemeinsame Glaube und die uns stärkende gegenseitige Fürbitte.
Während des 12. Deutschen Evangelischen Kirchentages werden wir auch in unseren Gemeinden dasselbe Lied wie Ihr singen …
Am Kirchentagssonntag werden wir … in der Fürbitte mit Euch verbunden sein: So bestehet nun in der Freiheit, zu der uns Christus befreit hat, das gilt Euch ebenso wie uns!«
Auf dem Kirchentag arbeiteten zwei große Arbeitsgruppen, und zwar die Arbeitsgruppe 1 zur Thematik »Bibel und Gemeinde« mit ca. 1 000 bis 1 800 Teilnehmern und die Arbeitsgruppe 2 zum Thema »Kirchenreform« mit ca. 3 000 bis 3 600 Teilnehmern. Von den fünf Forumveranstaltungen des Kirchentages war das Forum 2 unter dem Thema »Mann und Frau« mit 2 500 bis 3 500 Teilnehmern am stärksten besucht, während das Forum 1 mit dem Thema »Arbeit, Wirtschaft und Gesellschaft« lediglich 450 bis 800 Besucher zählte. Am Forum 3 »Juden und Christen« nahmen 1 500 bis 3 000, am Forum 4 »Vorfragen der Politik« 1 200 bis 2 600 und am Forum 5 »Freiheit« ca. 1 200 bis 3 000 Personen teil.
Die Mehrzahl der Referenten vertrat eine politische Position, die sich entweder in völliger Übereinstimmung mit der Linie der CDU/CSU befand oder eine an ihr geübte schwache Kritik mit antikommunistischen Ausfällen sofort wieder ausglich.
Angriffe gegen die DDR richtete u. a. Pastor [Vorname Name 1], Fulda, auf der Hauptversammlung am 1.8.1965, wo er u. a. erklärte: »Bauherren von Mauern und Zäunen haben Angst vor Grenzgängern, ja, vor dem Wind, der die ›falschen‹ Gedanken herüberträgt und die Selbstbespiegelung entlarven könnte.«
Auf dem Forum 3 »Juden und Christen« äußerte Prof. Gollwitzer27, Westberlin, dass er es als Schande empfinde, dass die DDR ihre Verantwortung für Israel nicht anerkennt. Von Gustav Heinemann wurde auf dieser Veranstaltung erklärt, dass auch »Pankow« noch erfahren werde, was es heißt, sich gegen die Juden zu wenden und Gott zu lästern.
Das Forum 4 »Vorfragen der Politik – Vertriebene, Flüchtlinge, Einheimische – gelöste und ungelöste Fragen in Gesellschaft, Politik und Kirche« wurde geleitet von Philipp von Bismarck28 (Bruder des Klaus von Bismarck), Oberkirchenrat Wilkens29, Hannover, Ministerialdirigent Dr. Landsberg30, Düsseldorf (Schwager von Außenminister Schröder31) und Prof. Schramm32 (ehem. Historiker des OKW).
Im zweiten Teil dieses Forums am 31.7.1965 verwies Dr. Landsberg darauf, dass man bei der Diskussion über die Schuldfrage, die Frage nach der Wiedervereinigung und das Verhältnis zu den Ostvölkern auch an die »Mitteldeutschen und die vielen Deutschen jenseits von Oder und Neiße« denken müsse.
Prof. Schramm sagte hinsichtlich des Verhältnisses von Westdeutschland und Polen, dass der Wille, Brücken herüber und hinüber zu schlagen, auf beiden Seiten vorhanden sei. Philipp von Bismarck erklärte sich mit Schramm einig, wollte aber einen solchen »Brückenschlag« nicht nur auf Polen beschränkt wissen. Er wies auf die ČSSR und die anderen sozialistischen Länder hin, wobei er die Schwierigkeiten betonte, die seiner Meinung nach darin bestehen, dass diese Länder an die Sowjetunion gebunden sind, die nicht mit sich reden lasse und einst »Europa fressen wollte«.
Prof. Gollwitzer und Prof. v. Weizsäcker erklärten:
Wenn sich die Kirche bei uns für die eingesperrten Kommunisten einsetzt und im Osten für die eingesperrten Nichtkommunisten, in Südamerika für die Castro-Anhänger und in Kuba für die Castro-Gegner, in Südafrika für die getretenen Farbigen und in Zypern für die türkische Minderheit, dann ist sie eine freie Kirche.
Eine im Rahmen des Kirchentages durchgeführte Ausstellung zum Thema »Die Abschaffung Gottes« enthielt eine Abteilung, die sich ausschließlich mit DDR-Veröffentlichungen zur atheistischen Propaganda befasste.
In der Annäherung zwischen den evangelischen und katholischen Kreisen Westdeutschlands verbunden mit einer Hervorhebung ihrer gemeinsamen innenpolitischen Interessen stellte der Kirchentag in Köln einen gewissen Höhepunkt dar. Gemeinsames Auftreten und Handeln wurde dabei in den verschiedensten Formen demonstriert. So referierten auf dem Kirchentag die katholischen Minister Lücke und Mikat und der Jesuit Prof. Rahner33 aus Innsbruck. Es fanden acht gemeinsame Gebetsandachten statt, und evangelische und katholische Organisationen, wie die Blindenorganisation und die Frauenorganisation, führten gemeinsame Veranstaltungen durch.
Der Kölner Kardinal Frings34 hatte zwei evangelische Bischöfe zu sich eingeladen und am 30.7.1965 einen Empfang für die Verantwortlichen des Deutschen Evangelischen Kirchentages gegeben.
Der Präsident des Katholikentages, Dr. Anton Roesen,35 sprach ein Grußwort an den Kirchentag, und zwischen evangelischen und katholischen Organisationen wurden Grußtelegramme gewechselt.
Von den katholischen Gemeinden in Köln wurde für die Kirchentagsteilnehmer eine große Anzahl von Quartieren zur Verfügung gestellt.
Am bedeutendsten war die öffentliche Podiumsdiskussion zwischen Kardinal Lorenz Jaeger36, Paderborn, und Präses Beckmann37 von der evangelischen Kirche im Rheinland, die vor 2 600 Besuchern am 30.7.1965 stattfand. Nach vorliegenden Informationen wurde mit dieser »Annäherung« zwischen Katholiken und Evangelischen u. a. die Absicht verfolgt, der deutschen Gruppe im II. Vatikanischen Konzil in Rom in der Judenfrage die Unterstützung der protestantischen Kirche Westdeutschlands für die nächste Konzilsperiode zu sichern.
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