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2. Bericht über die 2. Besuchsperiode des Passierscheinabkommens

14. Juni 1965
2. Bericht Nr. 537/65 über den Verlauf der Besuchsperiode vom 31. Mai bis 13. Juni 1965 des laufenden Passierscheinabkommens (Pfingsten)

Für die Zeit vom 31.5. bis 13.6.1965, in der 2. Besuchsperiode des laufenden Passierscheinabkommens, wurden insgesamt 639 259 Personen mit 59 217 Kfz erwartet. Eingereist sind im angegebenen Zeitraum insgesamt 501 515 Personen mit 48 212 Kfz. Damit haben 78,5 % der im Besitz von Passierscheinen befindlichen Westberliner Bürger die Hauptstadt der DDR besucht.1

Vergleichsweise reisten während der vorherigen Besuchsperioden

  • Okt./Nov. 1964: 571 145 (93,7 %),

  • Weihnachten 1964: 825 188 (75 %),

  • Ostern 1965: 581 470 (88,74 %)

der im Besitz von Passierscheinen befindlichen Westberliner in die Hauptstadt der DDR ein.

Insgesamt haben in den vier Besuchsperioden 2 479 318 Westberliner die Hauptstadt der DDR aufgesucht. In den Schwerpunkttagen dieser Besuchsperiode (Pfingsten und 12./13.6.) reisten 78,1 % aller Westberliner Besucher in die Hauptstadt der DDR.

Die Belastung der Grenzübergangsstellen an den Schwerpunkttagen der Einreise erreichten am 6.6. einen neuen Höhepunkt, wobei die GÜST Bahnhof Friedrichstraße ca. 50 000 Besucher abzufertigen hatte (Ostern 45 000).

An den Schwerpunkttagen der Einreise gab es geringfügige Wartezeiten bis zu 30 Minuten während der Haupteinreisezeit (9.00–11.00 Uhr) und während der Ausreisezeit (ab 23.00 Uhr). Die Ein- und Ausreise verlief, bis auf diese geringfügigen Wartezeiten, im Allgemeinen ohne Schwierigkeiten. Die Westberliner Bürger verhielten sich bei den erforderlichen Kontrollmaßnahmen ruhig und diszipliniert. Einzelne Ausnahmen hatten keine negativen Auswirkungen auf den Ablauf der Kontrolle bei der Ein- und Ausreise.

Außer den bereits im 1. Bericht genannten drei Zurückweisungen (nicht im Besitz ordnungsgemäßer Einreisedokumente bzw. Verweigerung des Mindestumtausches) wurde am 13.6.1965 einem Westberliner Bürger die Einreise nicht gestattet, weil er sich weigerte, ein an seinem Pkw sichtbar angebrachtes Abzeichen »Freies Europa« abzunehmen.

Wie bereits zu den Osterbesuchstagen reiste jedoch erneut eine große Anzahl Westberliner Bürger mit der U-Bahn in die Hauptstadt ein, obwohl lt. Passierschein die Einreise mit der S-Bahn erfolgen sollte (ca. 75 % der über die GÜST U-Bahnhof Friedrichstraße einreisenden Westberliner).2

Direkte Provokationen oder feindliche Handlungen wurden an den GÜST nicht festgestellt. Von den Westberliner Kontrollkräften erfolgten ebenfalls keine Provokationen. Es wurde lediglich festgestellt, dass die Westberliner Zollkräfte an den Straßenübergängen wieder den Besucherstrom in die Hauptstadt der DDR zählten.

Die relativ geringe Inanspruchnahme der Passierscheine während der 2. Besuchsperiode (31.5.–13.6.) führen die Westberliner vor allem auf die große Zeitdifferenz zwischen Antragstellung, Passierscheinausgabe und Besuchstag zurück. Zwischenzeitlich hätten sich bei einem großen Teil der Westberliner persönliche, geschäftliche, gesundheitliche und andere Veränderungen ergeben, sodass die beabsichtigten Besuche in der Hauptstadt der DDR aufgegeben bzw. die vorsorglich beantragten Passierscheine nicht ausgenutzt wurden. So hätte auch die bereits begonnene Urlaubsperiode im bestimmten Umfange zu Umdispositionen geführt. Weiterhin wird von Westberlinern zum Ausdruck gebracht, dass eine gewisse Einengung des Personenkreises eingetreten sei, der an der vollen Ausnutzung der Passierscheine aufgrund enger verwandtschaftlicher bzw. bekanntschaftlicher Verbindungen interessiert sei. Ein nicht unbedeutender Teil der Westberliner vertritt die Auffassung, die größten Besuchsbedürfnisse seien, da man sich ausführlich über die beiderseitige Familienentwicklung informiert habe, vorerst befriedigt. Vor dem 13.8.1961 hätte man sich auch nicht so oft besucht.

Zunehmend werden auch finanzielle Erwägungen (Kauf von Geschenken, Wünsche der Verwandten) als Begründung angeführt.

Die scharfmacherischen Veröffentlichungen der Westpresse über »Festnahmen von Westberlinern«, »schikanösen Kontrollen« usw. haben, nach übereinstimmenden Hinweisen, nur in Einzelfällen dazu geführt, die Passierscheine zum Besuch der Hauptstadt der DDR nicht auszunutzen.

Von den Westberliner Besuchern in der Hauptstadt der DDR wird im Allgemeinen zunächst eine längerfristige Unterbrechung in der Ausgabe von Passierscheinen erwartet, da sie dem Senat von Westberlin unterstellen, nicht auf die prinzipiellen Forderungen der Regierung der DDR einzugehen. Dabei ist zu erkennen, dass hinsichtlich der Ursachen für diese Situation große Unklarheiten bestehen und zumeist von einer gewissen Verschärfung seitens der DDR gesprochen wird. Die Mitwirkung des Westberliner Senats an den Provokationen gegen die DDR wird häufig zu bagatellisieren versucht. Für eine Weiterführung des Passierscheinabkommens würde nach Meinung Westberliner Besucher nur das »Interesse« der DDR an dem Mindestumtausch sprechen. Vereinzelt wurde die Befürchtung geäußert, dass mit der Annahme der Notstandsgesetze in Westdeutschland alle Einreisen von Westdeutschen und Westberlinern in die DDR gesperrt würden.

Während der 2. Besuchsperiode erfolgten bei den Kontrollen durch die Angehörigen der Zollverwaltung insgesamt 192 Einziehungen, wobei Waren und Zahlungsmittel im Wert von 18 435,88 MDN eingezogen wurden. Weiterhin erfolgten 5 537 Zurückweisungen, davon bei der Einreise 986 und bei der Ausreise 4 551. Bei der Einreise führten 90–95 % der Westberliner Bürger Geschenke mit sich, vor allem Genussmittel (Schokolade, Spirituosen, Kaffee, Tabakwaren, Südfrüchte) Textilien, (Damenstrümpfe, Nylonhemden usw.) und Waschmittel. Bei der Einreise wurden vor allem luftdicht verschlossene Behältnisse, gebrauchte Textilien, Medikamente usw. (ähnlich wie in vorhergegangenen Besuchsperioden) zurückgewiesen. Bei der Ausreise führten 60–65 % der Westberliner Bürger Geschenke mit sich. Zurückweisungen bei der Ausreise wurden deshalb ausgesprochen, weil (ebenso wie in vorhergehenden Besuchsperioden) Lebensmittel, Textilien, Keramikerzeugnisse und Spielwaren mitgeführt wurden, die den zollpflichtigen Ausfuhrbestimmungen unterliegen. In 2 846 Fällen (Ostern 1965: 2 276 Fälle) erfolgten formlose Einziehungen von Schund- und Schmutzliteratur, Zeitungen usw., die versucht wurden, einzuführen.

63 Westberliner Bürger wurden an der Staatsgrenze zurückgewiesen, weil sie unberechtigt in die Bezirke der DDR einzureisen versuchten.3

In der Berichtszeit waren 25 Westberliner Bürger an Verkehrsunfällen in der Hauptstadt der DDR beteiligt, davon verursachten sie 15 Unfälle schuldhaft. Insgesamt wurden fünf Personen leicht und zwei Personen schwer verletzt. Bei einem schuldhaft verursachten Verkehrsunfall entstand an einem West-Pkw Totalschaden.

Ergänzend zu den im 1. Bericht über den Ablauf der 2. Besuchsperiode des laufenden Passierscheinabkommens (31.5.–13.6.1965) genannten Festnahmen ist Folgendes zu berichten:

Außer den bereits im 1. Bericht genannten vorläufigen Festnahmen von 16 Westberliner Bürgern, wurden in der Zeit vom 8.6. bis 13.6.1965 weitere zehn Westberliner Bürger vorläufig festgenommen, davon sieben wegen erheblicher Zeitüberschreitung, zwei wegen provokatorischen Verhaltens bei der Ausreise an der GÜST Oberbaumbrücke und eine wegen provokatorischen Verhaltens gegenüber den Kontrollkräften am Bahnhof Friedrichstraße. Bei der letztgenannten Person handelt es sich um eine geistig vermindert Zurechnungsfähige, die wegen ihres Verhaltens bereits mehrmals bei den Kontrollkräften der DDR aufgefallen ist. Alle Personen wurden nach entsprechender Belehrung bzw. Verwarnung nach Westberlin zurückgeschleust.

Seit dem 8.6. wurden an den GÜST weiter zwei DDR-Bürger festgenommen, bei denen der Verdacht des illegalen Grenzdurchbruches bestand.

Geldumtausch:

Die in der 2. Besuchsperiode auf Passierschein eingereisten Westberliner Bürger tauschten im verbindlichen Mindestumtausch 994 848 DM/DBB und im zusätzlichen Umtausch 118 440 DM/DBB, sodass insgesamt 1 113 288 DM/DBB eingenommen wurden.

66 % der eingereisten Westberliner waren vom Mindestumtausch betroffen, der im Allgemeinen ohne besondere Vorkommnisse vorgenommen wurde. Lediglich in einem Fall musste eine Zurückweisung nach Westberlin wegen Verweigerung des Mindestumtausches erfolgen.

  1. Zum nächsten Dokument Demonstration am Grenzübergang Heinrich-Heine-Straße

    17. Juni 1965
    Einzelinformation Nr. 553/65 über Provokationen von Jugendlichen an den Grenzübergangsstellen Heinrich-Heine-Straße und Friedrich-/Zimmerstraße am 17. Juni 1965

  2. Zum vorherigen Dokument Zugauffahrt im Leipziger Hauptbahnhof

    14. Juni 1965
    Einzelinformation Nr. 536/65 über eine Auffahrt auf den D 1100 im Hautbahnhof Leipzig am 13. Juni 1965