2. Bericht über die 2. Periode des Passierscheinabkommens
15. März 1965
2. Bericht Nr. 223/65 über die 2. Periode der Beantragung und Ausgabe von Passierscheinen des laufenden Passierscheinabkommens
Im Zeitraum vom 9.3.1965 bis 13.3.1965 wurden in den 16 Passierscheinstellen in Westberlin insgesamt 252 150 Passierscheinanträge gestellt, davon am
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9.3.: 67 124 Anträge,
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10.3.: 73 527 Anträge,
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11.3.: 66 016 Anträge,
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12.3.: 26 962 Anträge,
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13.3.: 18 521 Anträge.
Mit diesen Anträgen ersuchen für die 1. Besuchsperiode – Ostern 1965 – insgesamt 393 229 Personen mit 37 355 Kfz und für die 2. Besuchsperiode – Pfingsten 1965 – insgesamt 378 653 Personen mit 35 123 Kfz um Genehmigung zum Besuch der Hauptstadt der DDR.1
Damit erhöht sich die Anzahl der beantragten Einreisen seit Eröffnung der Passierscheinstellen in Westberlin auf 311 200 mit denen insgesamt 957 101 Personen mit 89 975 Kfz erfasst sind, davon in der 1. Besuchsperiode 487 242 Personen mit 46 268 Kfz und in der 2. Besuchsperiode 469 859 Personen mit 43 707 Kfz.
Schwerpunkttage der Einreise in beiden Besuchszeiträumen bilden nach den bisher vorliegenden Anträgen in der 1. Besuchsperiode – Ostern 1965 – folgende Feier- oder Sonntage:
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16.4.: 94 729 Personen mit 9 010 Kfz,
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18.4.: 94 616 Personen mit 7 334 Kfz,
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24.4.: 64 195 Personen mit 7 833 Kfz,
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17.4.: 60 983 Personen mit 5 605 Kfz,
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19.4.: 44 230 Personen mit 3 804 Kfz,
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25.4.: 43 941 Personen mit 5 454 Kfz
und in der 2. Besuchsperiode – Pfingsten 1965 – folgende Feier- und Sonntage:
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6.6.: 114 827 Personen mit 8 732 Kfz,
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12.6.: 74 798 Personen mit 8 310 Kfz,
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5.6.: 71 136 Personen mit 6 726 Kfz,
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7.6.: 62 614 Personen mit 5 456 Kfz,
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13.6.: 50 758 Personen mit 6 012 Kfz.
In der Zeit vom 9. bis 13.3.1965 erfolgte der Übergang an den KPP sowie die Abfertigung in den Passierscheinstellen reibungslos und ohne wesentliche Zwischenfälle.
In fast allen Passierscheinstellen herrschte vorwiegend in den Morgenstunden ein starker Andrang. Spitzenbelastungen traten vor allem bei Eröffnung der Passierscheinstellen und in den Mittagstunden auf.
Der stärkste Besucherstrom war am 10.3.1965 zu verzeichnen, wo die Wartezeit während der Hauptbelastung 1½ bis 2 Stunden betrug. In den folgenden Tagen waren die Wartezeiten in den einzelnen Passierscheinstellen unterschiedlich, konnten aber im Wesentlichen auf ca. 30 Minuten und weniger verringert werden. Dabei war es in den Nachmittagsstunden in mehreren Passierscheinstellen möglich, einige Schalter zeitweilig zu schließen. Durch die gute Arbeitsintensität und Disziplin unserer Angestellten konnten seit 10.3.1965 täglich alle Antragsteller abgefertigt werden. Seit 12.3.1965 traten auch tagsüber größere Pausen ein, sodass unsere Angestellten z. T. nicht voll ausgelastet waren und nur noch in den Morgenstunden kurze Wartezeiten entstanden.
Die Zusammenarbeit mit den eingesetzten Westberliner Kräften hat sich im Vergleich zur letzten Beantragungsperiode verbessert. Die anfänglich noch festgestellten Mängel in organisatorischen Fragen und in der Arbeit der Westkräfte zur Unterstützung der Antragsteller wurden – oftmals auf entsprechende Hinweise unserer Gruppenleiter – beseitigt. In Einzelfällen kam es jedoch durch unkorrekte Handlungen der Westberliner Einsatzkräfte zur Behinderung einer reibungslosen Abfertigung, ohne dass größere Auswirkungen zu verzeichnen waren. In mehreren Passierscheinstellen (Schöneberg, Tempelhof, Tiergarten, Kreuzberg/Lobeckstraße, Reinickendorf/Scharnweberstraße und Wedding/Müllerstraße) bestanden in den ersten Tagen die hauptsächlichsten Mängel darin, dass die Westberliner Einsatz- und Hilfskräfte die Anträge unleserlich oder fehlerhaft ausfüllten.
In der Passierscheinstelle Tiergarten musste allein am 10.3. ca. ein Drittel aller Anträge wegen Schreibfehler zurückgewiesen werden. In der Passierscheinstelle Neukölln/Karl-Marx-Straße veranlassten vier Westberliner Postangestellte mehrere Antragsteller bereits eingetragene Verwandtschaftsgrade zu ändern und falsche Angaben zu machen. Auch in anderen Passierscheinstellen wurden die Eintragungen über nicht dem Protokoll entsprechende Verwandtschaftsverhältnisse (Cousin und Cousine) bei der Vorkontrolle zum Teil nicht beanstandet bzw. die Antragsteller durch die Westkräfte zu falschen Angaben ermuntert. In den Passierscheinstellen Schöneberg, Steglitz und Zehlendorf wurden Antragsteller, die nicht dem Protokoll entsprechende Verwandtschaftsverhältnisse angegeben hatten, von den Westkräften so instruiert, dass sie nach der Zurückweisung durch die DDR-Angestellten einen neuen Antrag mit einem entsprechend dem Protokoll gültigen Verwandtschaftsverhältnis an einem anderen Schalter abgeben sollen.2
In diesem Zusammenhang wurde in der Passierscheinstelle Steglitz beobachtet, dass Antragsteller nach ihrer Zurückweisung von den West-Angestellten in ein Nebenzimmer geführt wurden, kurze Zeit später zurückkamen und einen neuen Antrag stellten.
In den letzten Tagen traten in allen Passierscheinstellen Antragsteller in Erscheinung, die Anträge mit Serienbuchstaben anderer Passierscheinstellen vorwiesen, ohne dass die Senatsordner dagegen einschritten.
Die vom Westberliner Senat festgelegte Buchstabenordnung wurde in den letzten Tagen in den meisten Passierscheinstellen nicht mehr konsequent eingehalten und es wurden Antragsteller abgefertigt, deren Anfangsbuchstaben noch nicht aufgerufen waren. Arbeitsüberlastungen traten dadurch nicht ein.
In den meisten Passierscheinstellen wurden auch in den letzten Tagen Sammelbestellungen von Betriebsräten entgegengenommen. Obwohl seitens des Westberliner Senats Sammelbestellungen durch Betriebsräte nicht gestattet sind, halten sich die verantwortlichen Westkräfte nicht in allen Passierscheinstellen an diese Orientierung des Senats.
Der Leiter der in der Passierscheinstelle Wedding/Müllerstraße eingesetzten Westberliner Postangestellten sagte in diesem Zusammenhang, dass er zwar offiziell protestieren würde – dies wäre empfohlen worden – er setze seine Kräfte jedoch mit zur Abfertigung von Sammelbestellungen ein, weil er die Weisung des Senats als unlogisch ansehe. Am 12.3.1965 musste er seine Einsatzkräfte jedoch zurückziehen. Er erklärte aber, dass er es bedauere und dass er nichts gegen die Annahme von Sammelbestellungen durch die DDR-Angestellten einwenden könne.
In einigen Passierscheinstellen (Reinickendorf/Thurgauer Straße, Charlottenburg, Neukölln/Karl-Marx-Straße) wurden die Betriebsräte, die Sammelanträge abgeben wollten, von den Senatshilfskräften bereits beim Betreten der Passierscheinstelle abgefangen und zurückgewiesen.
Im Zusammenhang mit der Bekanntgabe der bereits ausgelasteten Besuchstage gingen die westlichen Einsatzkräfte auf Weisung des Westberliner Senats am 12.3.1965 in einigen Passierscheinstellen dazu über, Strichlisten zu führen, um die Zahl der wegen Überfüllung zurückgezogenen Anträge und die wegen Überfüllung geänderten Besuchstage festzustellen. Das Führen der Strichlisten erfolgte jedoch in den einzelnen Passierscheinstellen mit sehr unterschiedlicher Intensität. Während in der Passierscheinstelle Tempelhof die Antragsteller nach Verlassen des Abfertigungsraumes entsprechend befragt wurden, beauftragte der Leiter der Westberliner Einsatzkräfte in der Passierscheinstelle Wilmersdorf lediglich zwei Ordner mit der Führung der Strichlisten. Zehn Minuten nach dieser Weisung ließ er jedoch die Registrierung wieder einstellen und die Listen offiziell vernichten. Auch in anderen Passierscheinstellen erhielten die Westkräfte aufgrund der mangelhaften Führung dieser Listen keinen Überblick.
Bis auf Einzelfälle wurden die Lenkungsmaßnahmen von den Westberliner Einsatzkräften mit unterstützt. Lediglich in der Passierscheinstelle Wedding erklärte der Verantwortliche der Westberliner Postangestellten, dass er keine Antragsteller zurückweisen wird, die für den 16. und 18.4.1965 Besuchsanträge stellen wollen.
In der Passierscheinstelle Charlottenburg ließen die Westkräfte ebenfalls noch eine große Anzahl von Antragstellern an die Abfertigungsschalter, um für die bereits voll ausgelasteten Tage noch eine Einreisegenehmigung zu erhalten. Diese in den einzelnen Passierscheinstellen unterschiedliche Arbeitsweise der Westkräfte hatte sich auch bis zum 13.3.1965 nicht geändert.
Während der größte Teil der Antragsteller für die Lenkungsmaßnahmen Verständnis zeigte, verzichteten aufgrund dieser Maßnahmen am 12.3. insgesamt 104 Personen auf eine Einreise in die Hauptstadt der DDR. Ähnliche Fälle gab es auch in der Folgezeit.
Seit dem Nachlassen des Besucherstroms sind seit Donnerstag, den 11.3.1965, unter den Westberliner Einsatzkräften einer Reihe von Passierscheinstellen Erscheinungen sinkender Arbeitsmoral und Disziplinlosigkeit festzustellen.
In der Passierscheinstelle Wedding/Gotenburger Straße zeigten die Westkräfte bereits am 11.3.1965 Interessenlosigkeit und Gleichgültigkeit in ihrer Arbeit. Der überwiegende Teil hält sich im Aufenthaltsraum auf, wobei die Westangestellten die Meinung vertreten, dass sie ja keine Verantwortung zu tragen hätten. Der Verantwortliche des Senats putzte während der Arbeitszeit seinen Privat-Pkw. Die in der Passierscheinstelle Reinickendorf/Thurgauer Straße eingesetzten Westkräfte verbrachten die Zeit z. T. mit Skatspielen im Aufenthaltsraum. In der Passierscheinstelle Tiergarten sind die West-Angestellten der Auffassung, dass sie nur deshalb in der Passierscheinstelle umhersitzen müssten, damit die Zahl ihrer Einsatzkräfte zahlenmäßig der Stärke der DDR-Angestellten entspreche. Weiter beklagen sich die Westkräfte z. T. untereinander über ihre lange Arbeitszeit und schlechte Betreuung.
In fast allen Passierscheinstellen wurden unseren Angestellten von den Westkräften und von Antragstellern wiederum Zigaretten, Konfekt usw. angeboten. Alle Angebote wurden korrekt und höflich zurückgewiesen.
Die Disziplin und Stimmung der Antragsteller ist im Allgemeinen gut. Bis auf Einzelerscheinungen kam es zu keinen negativen Diskussionen oder Provokationen. Lediglich in der Passierscheinstelle Wilmersdorf verhielt sich der [Name 1, Vorname], wohnhaft Berlin-W., [Straße Nr.], bei dem Vorschlag, einen weniger ausgelasteten Besuchstag auszuwählen, äußerst renitent und provokatorisch, sodass er auf Weisung des Westberliner Verantwortlichen von der Polizei mit Gewalt aus der Passierscheinstelle entfernt werden musste.
Wie bei der Eröffnung der Passierscheinstellen erschienen auch in den folgenden Tagen in fast allen Passierscheinstellen Presse- und Bildreporter. Eine wesentliche Behinderung der Arbeit unserer Angestellten trat dadurch nicht ein.
Mehrere Passierscheinstellen wurden auch in den letzten Tagen (außer 13.3.1965) von dem jeweiligen Bezirksbürgermeister bzw. vom Senats-Vertreter aufgesucht. Zu besonderen Vorkommnissen kam es dabei nicht.