3. Bericht über den Verlauf der Leipziger Herbstmesse
10. September 1965
Einzelinformation Nr. 804/65 über den Verlauf der Leipziger Herbstmesse (3. Bericht)
Nach Angaben der Volkspolizei wurden bis zur Schließung der Meldestellen am 9.9.1965 folgende Messegäste registriert:
[Herkunftsgebiet] | 1965 | 1964 | Veränderung |
---|---|---|---|
Soz. Staaten | 11 715 | 8 780 | + 2 935 |
Nichtsoz. Staaten | 4 994 | 4 159 | + 835 |
Westberlin | 3 835 | 4 002 | – 168 |
Westdeutschland | 11 447 | 9 399 | + 2 048 |
Die Verhandlungstätigkeit mit den westdeutschen Konzernen wurde in den letzten Tagen fortgesetzt. Eine große Rolle spielte dabei nach wie vor die Frage der Kooperation zwischen Betrieben der DDR und westdeutschen Konzernen. Von Hoesch, Phoenix-Rheinrohr,1 Krupp u. a. großen Konzernen wurden der DDR Vorschläge unterbreitet. Insbesondere Krupp unternahm auf der Messe Anstrengungen, um den Handel mit der DDR zu erweitern. Er bot die Lieferung von Stahl- und Eisenerzeugnissen im Werte von 50 Millionen VE an die DDR an, wofür die Bezahlung erst im 2. Halbjahr 1966 notwendig wäre. Dieser Vorschlag wurde damit motiviert, dass Krupp zu großen Anstrengungen bereit ist, um auch im Gegensatz zu anderen politischen Auffassungen im Alleingang bestimmte Regelungen durchzusetzen.
Die Krupp-Vertreter verwiesen auf die Möglichkeit von Gesprächen auf hohem Niveau anlässlich der Chemieausstellung in Moskau.2 Von uns wurde darauf hingewiesen, dass der verstärkte Bezug von Eisen und Stahl für uns nicht so interessant sei wie der Bezug von Anlagen nach Regelung der wichtigsten Handelsfragen.
Es zeigt sich, dass auf der Messe zielstrebig an der Export-Importkoordinierung mit Westdeutschland gearbeitet wird. Es fanden Verhandlungen mit Phoenix-Rheinrohr über den Export von zehn Baggern, mit Hoesch über die Lieferung von zwei Eisenbahndrehkränen, mit Unilever und vor allem mit dem Kruppkonzern statt.
Auf dem Textilsektor wurden insbesondere mit westdeutschen Kunden harte Preisverhandlungen geführt, um Preisverbesserungen bis zu 5 % durchzusetzen. Trotzdem beklagen sich insbesondere die westdeutschen Versandhäuser und Kaufhauskonzerne über die nichtkontinuierliche Belieferung mit Textilien.
Aus den vorliegenden Berichten geht hervor, dass im Handel mit den sozialistischen Ländern eine Reihe neuer Schwierigkeiten aufgetaucht sind. Das Messegeschäft wird insbesondere dadurch beeinträchtigt, dass die Teilnahme vielfach nur durch untergeordnete Vertreter erfolgt. So stellte das AHU Chemie fest, dass lediglich Bulgarien und die ČSSR die stellvertretenden Generaldirektoren entsandt haben. Aus allen übrigen sozialistischen Ländern reisten lediglich untergeordnete Mitarbeiter ohne ausreichende Handelsvollmachten an. Das AHU Kameraexport hatte Vertreter des polnischen Binnenhandels eingeladen, die auch zugesagt hatten. Die eingeladenen Genossen erhielten jedoch keine Ausreisegenehmigung wegen angeblicher Überschreitung des Ausreiselimits.
Vonseiten einiger sozialistischer Länder werden harte Preisforderungen gestellt. So forderte die Sowjetunion Preissenkungen für Möbel um 17 %, Polen und Rumänien die Beibehaltung des alten Preises für die neue Wartburgausführung u. a. Die Preisarbeit der Außenhandelsunternehmen wird zum Teil dadurch erschwert, dass andere sozialistische Länder gleiche Waren wie die DDR weit billiger anbieten, so Rumänien Zellwolle und die ČSSR Holzspielwaren.
In einer Reihe von Erzeugnissen kann die DDR die Nachfragen der sozialistischen Länder nicht befriedigen, wobei dies teilweise durch eine bestimmte Unbeweglichkeit des Handels und der Industrie der DDR bedingt ist. Das betrifft u. a. die Lieferungen von Schreibmaschinen nach Polen, von landwirtschaftlichen Maschinen nach Ungarn und Bulgarien und andere Erzeugnisse. Der Handelsrat der Volksrepublik Rumänien schätzte ein, dass auf der Grundlage des Warenangebotes der DDR zur Herbstmesse kaum Abschlüsse getätigt werden könnten. Von Bulgarien werden Preisklauseln verlangt, die unseren Handelsprinzipien widersprechen. Der Absatz von Kosmetika, insbesondere von Erzeugnissen des VEB »Elbechemie« und des VEB »Steckenpferd« nach den sozialistischen Ländern ist rückläufig, da dort im zunehmendem Maße eigene Kapazitäten entwickelt werden.
Die ČSSR beabsichtigt laut Perspektivplan bis 1970 den Anteil der aus der DDR importierten Konsumgüter von 11 auf 25 % zu steigen. Nach unserer Konzeption sind die notwendigen Strukturveränderungen bei der geplanten Steigerung über die metallverarbeitende Industrie auszugleichen. In diesem Zusammenhang wurden Äußerungen des tschechoslowakischen Handelsrates, Genossen Storkan, bekannt, der die seinerzeit abgegebene Stellungnahme zur politischen Entwicklung der ČSSR im Zusammenhang der mit der Kafka-Diskussion3 als Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Landes ansehe. Er bemerkte weiter, dass damit die Stagnation des Handels zwischen der DDR und der ČSSR in den Jahren 1962/63 zusammenhänge, da die Politik nicht von der Ökonomie zu trennen sei.
Schwierigkeiten gibt es beim Export von Dieselmotoren für Schiffe nach Finnland, da die Sowjetunion den Einbau von westdeutschen Dieselmotoren in die von ihr bezogenen Schiffe fordert. Der Ausfall der Exporte von Schiffsdiesel nach Finnland würde die Zahlungsbilanz DDR–Finnland ernsthaft belasten.
Der albanische Delegierte kritisierte in Leipzig, dass die albanische Flagge nach seiner Auffassung zu selten im Stadtbild zu sehen sei und äußerte die Absicht, aus Protest abzureisen. Die Unstimmigkeiten konnten geklärt werden.
Für den Bereich kapitalistische Länder/Westeuropa gibt es eine Reihe handelspolitischer Probleme, deren Schwerpunkt vor allem in den Lizenzpraktiken der Abkommenspartner zu sehen sind. Die Auswirkungen zeigen sich vor allem in einer gewissen Vorsicht bei den Dispositionen der Geschäftspartner.
Italien verweigerte Lizenzen in Höhe von 30 bis 50 Millionen MDN, da es sich um Waren handelt, die nicht im Abkommen enthalten sind. Nach Großbritannien werden durch die Lizenzpraktiken Exporte der Leichtindustrie der DDR behindert. Frankreich hat trotz vorheriger Zusicherung bestimmte Kontingente nicht freigegeben. In Belgien wirken sich Lizenzpraktiken besonders auf dem Gebiet der Leichtindustrie, wie Erzeugnisse der DIA Textil, Wiratex und Kulturwaren aus. Lizenzen werden zurückgehalten, in der Laufzeit beschränkt bzw. kontingentiert. Nach Einschätzung des MAI werden diese Schwierigkeiten auch im Jahre 1966 auftreten. In einer Reihe von Ländern treten diese Schwierigkeiten infolge der unkontinuierlichen Auslastung der Importkontingente der DDR auf. Das betrifft insbesondere Schweden, Österreich, Griechenland und andere Länder.
Die in Leipzig anwesenden Vertreter der USA entfalten eine rege Tätigkeit. Der Generalvertreter der DDR für Büromaschinen reiste mit einer größeren Kundendelegation in Leipzig an. Die amerikanischen Vertreter waren von der Entwicklung der DDR sehr beeindruckt. Es wird bekannt, dass die Europa-Ausgabe der »New York Times« in Kürze eine vierseitige Beilage über die DDR veröffentlichen wird.4 Die Verantwortlichen der Zeitung seien sich darüber im Klaren, dass sie mit zahlreichen Protesten Westdeutschlands zu rechnen hätten. Amerikanische Vertreter, so die Firma Burke, versuchen nach wie vor diskriminierende Kennzeichnungen der Waren der DDR (Made in Germany – U.S.S.R. u. a.) durchzusetzen.
Von belgischen Vertretern wurde zum Ausdruck gebracht, dass in den USA Bestrebungen vorhanden seien, die Zollsätze für DDR-Waren denen der sozialistischen Länder anzupassen. Weiterhin wurde eingeschätzt, dass sich die Handelsbeziehungen DDR–USA in naher Zukunft normalisieren könnten.
Vor Beginn der Herbstmesse fand die übliche Messestandsbegehung durch den Vorsitzenden des Volkswirtschaftsrates, Genossen Neumann,5 statt. In der zusammenfassenden Auswertung warf Genosse Neumann einige Fragen der Leitungstätigkeit und der Entwicklung der Industrie auf. Er hob insbesondere hervor, dass sich die Leitungstätigkeit auf das Erzeugnis konzentrieren müsse, damit Disproportionen in der Entwicklung der Industrie, wie sie in der Kamera-Industrie und anderswo aufgetreten sind, vermieden werden können. Er betonte, dass die DDR-Erzeugnisse Symbol für Qualität und Zuverlässigkeit sein müssen. Dabei hob er insbesondere die guten Fortschritte der Textilindustrie hervor und kritisierte die langsamen Fortschritte in anderen Industriezweigen. Er erklärte, dass die Spitzenerzeugnisse der DDR noch nicht das notwendige Entwicklungsniveau haben. Genosse Neumann forderte die Sicherung des Vertragsvorlaufes und die Beseitigung der Exportrückstände. In diesem Zusammenhang erklärte er, dass es zur Durchsetzung des Gehaltes des neuen ökonomischen Systems notwendig ist, im Volkswirtschaftsrat politische, theoretische und ökonomische Auseinandersetzungen zu führen. Genosse Neumann forderte eine wissenschaftliche Untersuchung der Ursachen dafür, dass trotz großer Serien in der Produktion der DDR die Kosten noch höher liegen, als in den kapitalistischen Konzernen. Er trat für eine straffe Rationalisierung der Produktion und für eine bewegliche Preispolitik auf den Außenmärkten ein. Insbesondere wandte er sich gegen eine unwissenschaftliche Organisierung der Kooperation.
Auf dem Gebiet der Massenbedarfsgüterproduktion forderte Genosse Neumann eine Orientierung auf den Bedarf. Hier dürfe sich nicht der Standpunkt der Planungsbürokratie durchsetzen.
Genosse Neumann forderte eine Untersuchung und eine bewegliche Anwendung der Methoden zur Bestimmung der Devisenrentabilität der Erzeugnisse. Für die nächsten Messen sollte eine exakte Konzeption ausgearbeitet werden, damit die ökonomischen Ergebnisse der Messen verbessert werden.
Während des Messerundganges forderte Genosse Ulbricht eine Verstärkung der Kooperation mit den sozialistischen Ländern. Er erklärte, dass die Behörden des RGW dazu zu schwerfällig seien und deshalb die Generaldirektoren selbst in die sozialistischen Länder reisen sollten.
Positiv wird die Tätigkeit der Exportbüros der Industrie eingeschätzt. Dadurch sei gesichert, dass qualifizierte Vertreter der Industrie in Leipzig anwesend seien. Gleichzeitig könnten kurzfristige Entscheidungen durch die Industrie getroffen werden. Vom Ministerium für Handel und Versorgung wurde eine Liste für versorgungswichtige Waren verabschiedet. Diese Liste wurde in Zusammenarbeit mit dem Volkswirtschaftsrat eingeschränkt und präzisiert. Diese Waren sind vorwiegend für den Binnenbedarf gedacht.
Das Ministerium für Handel und Versorgung hat im Zusammenhang mit dem witterungsbedingten Ausfall bei Obst und Gemüse in Höhe von ca. 70 Millionen Valuta-Mark eine Vorlage über den Zusatzimport von Obst und Gemüse im Werte von 30,8 Millionen Valuta-Mark bei Bereitstellung von Exporten in gleicher Höhe unterbreitet.
Das MAI hat dieser Vorlage zugestimmt und empfohlen, sie dem Präsidium des Ministerrates zu unterbreiten.
Vonseiten der Außenhandelsunternehmen wird die Leitung des MAI kritisiert, dass sie den Generaldirektoren nicht rechtzeitig ausreichende Informationen für die Export-Importkoordinierung gibt. So erfahre die Leitung der Unternehmen erst durch die Presse von wichtigen Importvorhaben. Auch die Zuführung offizieller Delegationen, die durch das MAI betreut werden, zu den AHU wird als unbefriedigend eingeschätzt.
Die Lage in Leipzig ist weiterhin normal. Nach Angaben des Messeamtes sind gute Privatquartiere und Hotelzimmer für Ausländer weiterhin verfügbar. Nach den uns vorliegenden Mitteilungen treten Kritiken an Hotel- und Gaststättenpreisen nunmehr vereinzelt auf. Sie beziehen sich diesmal weniger auf das Hotel »Deutschland«, sondern stärker auf das Hotel »Zum Löwen« und das Studenteninternat »Jenny6 Marx«.
Der Pkw-Verkehr in der Leipziger Innenstadt wird durch die unzureichenden Parkflächen wesentlich behindert. Messebesucher parken ohne Rücksicht auf Verbotsschilder und verstopfen dadurch teilweise wichtige Zufahrtsstraßen.
Die Information darf publizistisch nicht ausgewertet werden.