4. Bericht über das Manöver Oktobersturm
19. Oktober 1965
4. Bericht Nr. 904a/65 über die Aktion »Oktobersturm« (Berichtszeitraum bis 18. Oktober 1965, 24.00 Uhr)
Auch am 18.10. wurden im westzonalen Vorfeld und im rückwärtigen Grenzgebiet keine militärischen Maßnahmen bekannt, die über das normale Maß hinausgehen. Der Dienstbetrieb in den Truppenteilen der Bundeswehr und der anderen NATO-Streitkräfte in Westdeutschland verläuft normal.1
Die bisherigen Hinweise über die Zunahme der Streifen- und Postentätigkeit durch Angehörige der US-Armee, des BGS und des westdeutschen Zollgrenzdienstes wurden durch weitere Beobachtungen bestätigt. Eine Verstärkung der gegnerischen Luftaufklärung wurde im gesamten Grenzgebiet der 11. Grenzbrigade festgestellt. Maßnahmen zur verstärkten Sicherung und Kontrolle wurden durch Kräfte des BGS seit den frühen Morgenstunden des 18.10. am Autobahnübergang bei Hof getroffen. Im westlichen Vorfeld gegenüber dem Raum Hildburghausen wurden am 18.10. zwei Spezial-Kfz mit angehangenem Aggregat und aufmontierten Radarschirmen beobachtet.
Neben den Befragungen von nach Westdeutschland reisenden DDR-Bürgern an den westdeutschen Grenzübergängen wurden in den letzten Tagen auch mehrere Fälle bekannt, wo in die DDR einreisende westdeutsche Bürger versuchten, durch gezielte Fragen Informationen über das Manöver zu bekommen.
In der Tätigkeit der westlichen Militärverbindungsmissionen gab es keine neuen Schwerpunkte.
Die Stimmung und Einsatzbereitschaft in den am Manöver beteiligten Einheiten ist weiterhin gut. Unter Angehörigen der Einheiten der NVA/Grenze (u. a. 11. GB) gibt es wiederum vereinzelt Unklarheiten und negative Meinungsäußerungen, in der Hauptsache gegen die erhöhte Einsatzbereitschaft gerichtet. Vereinzelt wurde geäußert, dass der Zustand der erhöhten Einsatzbereitschaft faktisch schon mit dem 16. Jahrestag der Gründung der DDR begonnen habe.
Unter Funkern der BdVP Suhl kam es nach der Weisung des MdI, die Funkstellen ab sofort ganztägig zu besetzen, zu Diskussionen. Dabei kam zum Ausdruck, dass die Funker von der Notwendigkeit dieser Maßnahme nicht überzeugt sind und persönliche Belange in den Vordergrund rücken, um nach Möglichkeit nicht eingesetzt zu werden.
Wie in den Vortagen gab es auch am 18.10. eine größere Anzahl unerlaubter Entfernungen von Armeeangehörigen aus den Konzentrierungsräumen, besonders im Bereich der 4. MSD. Schwerpunkt bildet das MSR 24. In der Regel suchten die Armeeangehörigen Gaststätten auf, von wo aus sie zumeist stark unter Alkoholeinfluss stehend gewaltsam zu ihren Einheiten zurückgebracht werden mussten. Mitunter kommt es bei diesen Trinkgelagen zu Kontakten mit Zivilpersonen und zu Gesprächen mit negativen Personenkreisen.
Dies trifft auch auf Angehörige der Sowjetarmee zu. Aus einigen Ortschaften der Bereitstellungsräume im Kreis Jena wurde bekannt, dass Angehörige der Sowjetarmee Armbanduhren zum Verkauf anbieten, um in den Besitz von MDN zu kommen und dafür alkoholische Getränke zu kaufen.
In den Einheiten der 7. PD gibt es vereinzelt negative Stellungnahmen zur Unterbringung und Verpflegung. Schwerpunkt ist dabei das Nachr.-Btl. 7. Da lt. Struktur den Mannschaften keine größeren Zelte zur Verfügung stehen und die vorhandenen Altbestände nicht ausreichen, schlafen die Soldaten in Einmannzelten auf der Erde.
Missstimmung gab es auch unter den Paradeteilnehmern der Fußtruppen in Erfurt, deren Ursache hauptsächlich in der ungenügenden Koordinierung der an der Parade beteiligten Einheiten zu sehen ist. Z. B. wurden die Marschblöcke, Antreteordnung und Kommandos ständig verändert. Den mot. Truppen im MSR 7 wurden sieben Lkw LO 18002 zukommandiert, die aus der Null-Serie stammen und technische Mängel aufweisen.
Weitere organisatorische Mängel wurden im Stab des MB III und der Kommandantenkompanie (Gefechtsstand der 3. Armee) festgestellt, wo noch keine namentliche und zahlenmäßige Übersicht über die Zukommandierungen aus der 11. MSD bestand. Ebenso besteht keine Übersicht darüber, ob die NVA-Angehörigen mit oder ohne Waffe kommandiert wurden und wo sich die Waffen befinden. Die Zukommandierungsmeldungen stimmen weder namentlich noch zahlenmäßig.
In Einzelfällen (NB 7 und PR 14) wurden wiederum Verstöße gegen die Wachsamkeit bekannt. Z. B. ließ der Offizier für Verpflegung (PR 14) am 17.10. in einer öffentlichen Institution in Blankenburg seine VS-Tasche mit Arbeitsunterlagen liegen.
Die bisher bekannt gewordenen Handlungen zur Störung der militärischen Führungstätigkeit und des Ablaufs der Übungen beziehen sich fast ausschließlich auf das Nachrichtenwesen.
In allen Fällen der Unterbrechung der Nachrichtenverbindung handelt es sich um Störungen, die im Konzentrierungsraum der 4. MSD Thal–Winterstein–Tabarz verursacht wurden.
Im Einzelnen handelt es sich dabei um folgende Vorkommnisse: Am 17.10. wurde das Fernsprechkabel, welches den Gefechtsstand des MSR 7 mit der rückwärtigen Führungsgruppe verbindet, von NVA-Angehörigen zerschnitten aufgefunden. Die Schadenstelle befand sich in Höhe des Heinberges, südostwärts Buchfahrt, wo ständig Zivilpersonen verkehren.
Am 17.10. wurde das Fernsprechkabel vom Stab des MSR 23 zur rückwärtigen Führungsgruppe von unbekannten Tätern zerstört und dadurch die Verbindung unterbrochen.
Am 18.10. wurde die Telefonleitung vom Konzentrierungsraum der 4. MSD zum AR 3 ca. 1 km südöstlich von Tabarz auf einer Strecke von 20 m an vier Stellen durchgeschnitten. Alle Störungen wurden schnellstens beseitigt und Maßnahmen zum Ergreifen der Täter eingeleitet.
Am 18.10., gegen 7.30 Uhr, fiel das Stromaggregat im Stab des MSR 23 aus. Bei der Überprüfung wurden zwei Stück Würfelzucker im Tank gefunden.
(Die Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen.)
In der Berichtszeit ereigneten sich folgende Unfälle mit Beteiligung von an der Manöverübung eingesetzten Kräften:
Am 18.10., gegen 12.15 Uhr, kam es in Gotha an der Kreuzung Heeresstraße/Eisenacher Straße zu einem Verkehrsunfall zwischen einem Lkw der Sowjetarmee und einem Pkw des VEB Klema, Gotha. Der Pkw-Fahrer hatte die Zeichengebung des Regulierungspostens nicht beachtet. Zwei Personen erlitten mittlere Verletzungen. Der entstandene Sachschaden ist nur gering.
Kurze Stromausfälle entstanden im Ortsnetz Bittstädt, Krs. Arnstadt, und in Meckfeld, Krs. Weimar, infolge des Umfahrens von Leitungsmasten durch Panzer.
Die Stimmung der Bevölkerung zur Durchführung der Manöver ist weiterhin größtenteils positiv. Im größeren Umfange wurde das konkrete Verhalten der befreundeten Armeen lobend hervorgehoben. In vielen anderen Diskussionen wird auf die Bemühungen der Manövertruppen, Schäden möglichst zu vermeiden, hingewiesen. Die wenigen negativen Äußerungen können das positive Gesamtbild nicht beeinträchtigen.
In einigen Betrieben im Kreis Arnstadt vertraten viele der dort Beschäftigten die Meinung, dass am 20.10. nicht gearbeitet werden soll. Man wolle sich die Manöver ansehen und dafür am Bußtag arbeiten.
Eine Reihe von Genossenschaftsbauern in einigen Gemeinden im Krs. Arnstadt äußerten Befürchtungen dahingehend, dass der Landwirtschaftsrat des Bez. Erfurt den Genossenschaften bei der Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen nicht genügend Unterstützung gewähren könnte.
Die auf Diskussionen (u. a. unter Angehörigen des Grenzzollamtes Gerstungen), wonach das Manöver schon vor seinem eigentlichen Beginn Tote gefordert habe (Fallschirmspringer), traten bei Gerüchten und Spekulationen keine wesentlich neuen Gesichtspunkte in Erscheinung. Neue Stimmungen unter der westdeutschen Bevölkerung zum Manöver in der DDR (normale Erscheinung) wurden nicht bekannt.
Fahnenflucht
Am 18.10.1965 wurde der Ufw. [Name 1, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1944, NVA 4.4.1962, wohnhaft Rudolstadt, [Straße, Nr.], Angehöriger der Kp Lichtenhain, GR Zschachenmühle, nach Westdeutschland fahnenflüchtig.
[Name 1] meldete sich gegen 14.50 Uhr bei der Kompanieleitung ab, um Einkäufe im Standortbereich zu erledigen. Da [Name 1] bis 17.00 Uhr nicht zurückgekehrt war, wurden Suchmaßnahmen eingeleitet, in deren Ergebnis die Spuren des Obengenannten im Kp-Abschnitt in Richtung Westdeutschland festgestellt wurden.
Unerlaubte Entfernung
Seit den Morgenstunden des 18.10.1965 ist der Soldat [Name 2, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1940, wohnhaft Gablenz/Stollberg, überfällig. [Name 2] entfernte sich unerlaubt aus dem Konzentrierungsraum des PR 16 und kehrte bisher nicht zurück. Such- und Fahndungsmaßnahmen wurden eingeleitet. [Name 2] ist schwermütig veranlagt. Gegenüber Offizieren seiner Einheit erklärte er, dass er die Kälte im Zelt nicht mehr aushalten könne.
Mängel auf dem Gebiet des Gesundheitswesens im Manöverraum
Die bisher durchgeführten Hygienekontrollen in den Kreisen ergaben, dass die Bedeutung der Gruppenübung bisher unterschätzt wurde und die Seuchenbekämpfungspläne und Führungsdokumente des medizinischen Schutzes erhebliche Mängel aufwiesen. Z. B. wurde in Arnstadt erst nach einstündigem Suchen des Seuchenbekämpfungsplanes festgestellt, dass dieser Plan noch gar nicht ausgearbeitet ist.
In den Seuchentrupps des medizinischen Schutzes sind vorwiegend Rentner (bis 73 Jahre) vom DRK nominiert. In der Beratung mit den stellv. Abteilungsleitern der Abt. Gesundheitswesen der Kreise des Bezirkes Erfurt am 16.10.1965 berichteten mehrere Vertreter, dass sie keine Vorbereitungen zur Erhöhung der Einsatzbereitschaft getroffen hätten, da ihnen keine Aufgaben bekannt gegeben wurden. Auch von der Leitung der Fachabteilung des Rates des Bezirkes Erfurt wurden die Einsatzbereitschaft und die Bedeutung der Aufgaben bisher unterschätzt. Z. B. hielten sich die Bezirksärztin und der Stellvertreter des Abteilungsleiters in der Zeit der unmittelbaren Vorbereitung der Übung nicht im Einsatzraum auf, sondern nahmen an einer Beratung in Eisenhüttenstadt teil.
Im Kreiskrankenhaus Rudolstadt, [Bezirk] Gera, war die chirurgische Unfallbereitschaft ebenfalls nicht erhöht. Eine Konsultation mit dem Kreisarzt ergab, dass der Vorsitzende des Rates des Kreises erklärte, dass er allein über die notwendigen Maßnahmen im Kreis verfüge und zu viele übergeordnete Stellen Maßnahmen festlegen würden.
(Maßnahmen zur Erhöhung der Einsatzbereitschaft wurden eingeleitet.)
Anhang
Politisch-operative Vorkommnisse aus den an das Manövergebiet angrenzenden Bezirken – Vorkommnisse, die im Interesse der Sicherung des Manövers Beachtung finden müssen
Ausbruch von Häftlingen
Am 17.10.1965 brachen gegen 22.00 Uhr aus dem Haftkrankenhaus Leipzig fünf Strafgefangene aus. Zwei der Häftlinge wurden am 18.10., gegen 2.50 Uhr, an einer Bahnunterführung bei Dabendorf, [Kreis] Zossen, festgenommen.
Darmerkrankungen in Eisenach
Zu Darmerkrankungen, bei denen es sich vermutlich um Salmonellen-Infizierung handelt (das Ergebnis der bakteriologischen Untersuchung steht noch aus), kam es im VEB Fahrzeug-Elektrik Ruhla, Werk II, [Kreis] Eisenach, und in einem anderen Betrieb. Die Krankheitsfälle traten nach Einnahme eines Mittagessens aus der Werkküche des VEB Fahrzeug-Elektrik auf.