6. Bericht über das Manöver Oktobersturm
21. Oktober 1965
6. Bericht Nr. 907/65 über die Aktion »Oktobersturm« (Berichtszeitraum bis 20. Oktober 1965, 24.00 Uhr)
Aus dem westzonalen Vorfeld und im rückwärtigen Grenzgebiet wurden keine Maßnahmen bekannt, die von den Planungen der Bundeswehr bzw. der NATO-Streitkräfte abweichen. Außergewöhnliche Handlungen, die auf Alarmbereitschaft oder Herstellung einer höheren Gefechtsbereitschaft hindeuten, waren bisher nicht festzustellen. Neben der geringfügig erhöhten Streifentätigkeit des BGS traten bei Streifengängen an der Staatsgrenze vor allem der Zollgrenzdienst und die bayerische Grenzpolizei in Erscheinung. Verstärkte Kontrollen westdeutscher Bürger, die in die DDR einreisten, führten der Zollgrenzdienst, der BGS und die bayerische Grenzpolizei durch.1
Die bisherigen Feststellungen über die Verstärkung der gegnerischen Aufklärungstätigkeit wurden weiter bestätigt. Z. B. wurden im Grenzbereich gegenüber dem Raum Hildburghausen im verstärkten Umfange fahrbare Funkstationen bzw. Kraftfahrzeuge mit aufmontierten Antennen-Anlagen und Radarschirmen beobachtet. Als Bedienungspersonal fungierten Angehörige des BGS. Aufgrund von Beobachtungen, wonach sich am 20.10., gegen 17.00 Uhr, im Raum Neustadt/WD mehrere Angehörige der westzonalen Polizei des BGS, des Zolls und eine Anzahl von Fotoreportern aufhielten, wurden entsprechende Sicherungsmaßnahmen getroffen.
Die am ersten Übungstag gestellten Gefechtsaufgaben wurden von den beteiligten NVA-Kräften mit der Bewertungsnote »gut« erfüllt. Alle beteiligten Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere stellten dabei ihren hohen Stand der Ausbildung und Gefechtsbereitschaft unter Beweis. Der politisch-moralische Zustand und die Einsatzbereitschaft sind weiterhin gut. Besonders positiv wirkten sich die in den letzten Tagen durchgeführten Freundschaftstreffen und Meetings aus. Die vereinzelt im Bereich der 7. PD aufgetretenen negativen Diskussionen über Versorgungsfragen wurden durch gemeinsame Maßnahmen der Einheitsleitungen und Politorgane weiter zurückgedrängt.
Vereinzelt erkannten VP-Angehörige noch nicht die Notwendigkeit der eingeleiteten zusätzlichen Sicherungsmaßnahmen. U. a. äußerten sich Wachtmeister des Streifendienstes des VPKA Schmalkalden sowie des Schnellkommandos des VPKA Meiningen gegen die erhöhte Einsatzbereitschaft und verstärkte Dienstdurchführung.
Zu einer groben Verletzung der Wachsamkeit kam es in der FA 7. Bei der Kontrolle in der Nacht zum 20.10. wurde die gesamte Wachmannschaft – bis auf einen Posten – schlafend angetroffen.
Weiter wurde in der Berichtszeit eine Befehlsverweigerung bekannt. Im JG 7 wurde von den Piloten vereinzelt zum Ausdruck gebracht, dass nach ihrer Ansicht die Flugsicherheitsbestimmungen verletzt werden. In diesem Zusammenhang verweigerte der Stellvertreter für fliegerische Ausbildung im JG 7 Hauptmann [Name 1] den Befehl, die Bereitschaftsstufe I herzustellen. Er äußerte dazu, dass er in diesem Falle überfordert sei und dass bei einem Start bei Nebel die Flugsicherheitsbestimmungen verletzt würden. (Im vorliegenden Falle wurde jedoch nur die Einsatzstufe I (ohne Start) geprobt, wobei sich die Piloten in die Maschinen zu begeben haben.)
In der Berichtszeit kam es vereinzelt wieder zu Störungen der Nachrichtenverbindungen, die jeweils nach kurzer Zeit behoben werden konnten. (Soweit ein Verdacht auf feindliche Handlungen besteht, wurden entsprechende Untersuchungen eingeleitet.)
Am 19. bzw. 20.10. wurden südlich Mühlberg, im Raum Kupferstraße-Heiligenkreuzgraben, ca. 2 000 Hetzschriften und im Krs. Pösneck etwa 600 Hetzschriften sichergestellt. Es handelt sich im Wesentlichen um die gleichen Schriften, wie sie bereits von der Ballonaktion am 16./17.10. bekannt sind. (CDU-Wahlpropaganda)
Einige Fälle von Hetzschmierereien, Fahnen- und Plakatabrissen konnten im Bezirk Erfurt schnell aufgeklärt werden. Die Täter wurden zur Rechenschaft gezogen.
Bei einer Kontrolle der Durchführung festgelegter Sicherungsmaßnahmen im zivilen Sektor wurden grobe Verletzungen der Sicherheitsbestimmungen im Kali-Objekt »Ernst Thälmann«, Merkers und im VEB Energieversorgung Suhl, Sitz Meiningen, festgestellt. (Entsprechende Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit wurden durchgeführt.)
Die Stimmung der Bevölkerung zur Durchführung des Manövers ist weiter größtenteils positiv. Am ersten eigentlichen Manövertag war eine große Anteilnahme und Aufgeschlossenheit beim überwiegenden Teil der Bevölkerung (in den vom Manöver berührten Gebieten) festzustellen.
Es kann eingeschätzt werden, dass die Kampfhandlungen am Nachmittag des 20.10. von zahlreichen Bürgern, die die Möglichkeit dazu hatten, interessiert und aufmerksam verfolgt wurden. Viele Jugendliche aus Kreisen des Bezirkes Erfurt, die nicht zum Manövergebiet gehören, äußerten ihr Bedauern darüber, dass sie keine Möglichkeit haben, den Verlauf des Manövers zu verfolgen.
Bezeichnend für die Stimmung der Bevölkerung ist außerdem die Tatsache, dass Bürger aus dem Bezirk Erfurt bei Aufenthalten in anderen Bezirken begeistert über die Manöver sprachen. Besonders hervorgehoben wurde dabei, dass die befreundeten Truppen begeistert empfangen wurden. Ferner wurden solche Meinungen geäußert, dass so viel wie möglich moderne Waffen und technische Ausrüstungen demonstrativ gezeigt werden sollten, um die Stärken der Warschauer Paktstaaten zum Ausdruck zu bringen.
Vereinzelte negative Reaktionen wurden in den letzten Tagen weiter zurückgedrängt.
Unterschiedliche Reaktionen wurden aus kirchlichen Kreisen bekannt. Ein bedeutender Teil, insbesondere ev. Pfarrer im Bezirk Erfurt, brachte eine aufgeschlossene Haltung zum Manöver zum Ausdruck. Eine Reihe von Pfarrern äußerte, dass das Manöver nicht so schlimm sei, wie sich das manche Leute denken. Bei anderen kirchlichen Kreisen war große Zurückhaltung sowie das Bemühen zu verzeichnen, der Abgabe von Stellungnahmen aus dem Wege zu gehen. Dabei wurde Desinteresse am Manöver vorgetäuscht.
Weitere, die beteiligten Armee-Einheiten betreffende Vorkommnisse
Am 20.10.1965, gegen 14.45 Uhr, stürzte beim Landeanflug auf den Flugplatz Leipzig-Schkeuditz, ca. 1 km von der Landebahn eine Düsenmaschine des JG 7 der NVA/Luft (Mig 17) ab. Der Pilot, Leutnant [Name 2], NVA seit Okt. 1960, verunglückte dabei tödlich. Die Maschine hatte am Manöver teilgenommen und befand sich auf dem Rückflug.
Ursache: Vermutliches fliegerisches Versagen des Piloten – die Maschine hatte eine zu geringe Geschwindigkeit, kam ins Trudeln und stürzte ab.
Am 19.10. fuhr beim Marsch vom Konzentrierungsraum in den Bereitstellungsraum auf der Ohrdrufer Straße in Gotha ein Panzer vom Typ T 34 auf einen anderen Panzer auf. An beiden Panzern (PR 4) entstand mittlerer Sachschaden.
Ursache: Mangelhafte Kolonnenführung, überhöhte Geschwindigkeit und Nichteinhaltung der befohlenen Abstände. Die Panzer wurden mit eigenen Mitteln wieder einsatzfähig gemacht.
Am 20.10. ereignete sich in Erfurt ein Verkehrsunfall mit Beteiligung eines Lkw des Nachr.-Rgt. des MfNV. Es entstand geringer Sachschaden.
Am 19.10. kam es in einem G 5-Werkstattwagen des Instandsetzungsbtl. 4 (PR 4) zu einer Explosion durch Azetylengasentwicklung, wodurch der Kofferaufbau total zerstört wurde, Personen wurden nicht verletzt.
Übernahme von verdorbenen Lebensmitteln. Am 19.10. wurde durch die rückwärtige Führungsgruppe des 4. MSD von der PGH Fleischerei, Mühlhausen eine größere Menge Wurst übernommen, wovon 200 kg Dauerwurst verdorben und ungenießbar waren. (Untersuchungen wurden eingeleitet.)
Fahnenflucht
Am 20.10.1965 wurde der Gefr. [Name 3], Kraftfahrer in der Pionierkompanie des Stabes der 11. Grenzbrigade, im Bereich der 1. Kompanie des GR Dermbach nach Westdeutschland fahnenflüchtig. [Name 3] befand sich mit seiner Einheit im genannten Abschnitt zur Durchführung von Grenzsicherungsarbeiten.
Verhinderte Fahnenflucht
In der Nacht zum 21.10. wurde der in letztem Bericht als überfällig gemeldete Uffz. [Name 4, Vorname] im Bereich der 13. Grenzbrigade beim versuchten Grenzdurchbruch nach Westdeutschland von Angehörigen der NVA/Grenze gestellt und festgenommen.