Ablehnende Diskussionen zu Wolf Biermann
29. Dezember 1965
Einzelinformation Nr. 1154/65 über ablehnende Diskussionen von Literaturwissenschaftlern der Friedrich-Schiller-Universität Jena zu den Auseinandersetzungen um Wolf Biermann
Nach den dem MfS vorliegenden Informationen haben die öffentlichen Auseinandersetzungen um das Auftreten von Wolf Biermann1 am Germanistischen Institut der Friedrich-Schiller-Universität Jena zu umfangreichen Diskussionen geführt, in deren Verlauf insbesondere von Literaturwissenschaftlern wiederholt gegen die gegen Biermann erhobenen Vorwürfe Stellung genommen wurde.
In diesem Zusammenhang sind die nachfolgenden Vorgänge beachtenswert:
Da Biermann aufgrund seines früheren Auftretens in Jena2 unter Mitarbeitern und Studenten der Friedrich-Schiller-Universität Jena einen gewissen Anhang besitzt, war von der Universitäts-Parteileitung beschlossen worden, in der Zeitschrift »Sozialistische Universität«3 einen Artikel gegen Biermann zu veröffentlichen.
Mit der Vorbereitung dieses Artikels wurde die Parteigruppe Literaturwissenschaftler des Germanistischen Instituts beauftragt.
Auf einer entsprechenden Zusammenkunft dieser Parteigruppe begründete der Sekretär der Universitätsparteileitung Dr. Geißler4 diesen Beschluss und erläuterte auch die Notwendigkeit, mit noch anderen Mitteln und Methoden diese offensive Auseinandersetzung mit Biermann und seinen Anhängern zu führen.
Der Beschluss der Universitäts-Parteileitung zur Vorbereitung und Veröffentlichung des Artikels gegen Biermann in der »Sozialistischen Universität« wurde dabei von den anwesenden Literaturwissenschaftlern, u. a. Prof. Dr. Kaufmann,5 Dr. Richter,6 Dr. Brandt,7 Wertheim,8 abgelehnt.
Als Begründung wurden folgende Argumente angeführt:
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Sie fühlen sich nicht bemüßigt, den Artikel gegen Biermann im »ND« nochmals zu bestätigen,9 da sie mit dem Inhalt dieser Veröffentlichung nicht einverstanden sind.
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Biermann habe – im Gegensatz zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen – bei seinem Auftreten in Jena eine positive Grundhaltung gezeigt.
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Gegen Biermann sei kein konkretes Material vorhanden – ein Literaturwissenschaftler könne sich aber nur äußern, wenn glaubhafte Quellen vorhanden seien.10
In diesem Zusammenhang wurde von den anwesenden Genossen der Parteigruppe Literaturwissenschaftler der Plan erwogen, im Januar 1966 am Germanistischen Institut ein »Biermann-Seminar« durchzuführen, auf dem seine »positiven Seiten« in den Vordergrund gestellt werden sollten (dieses Vorhaben wurde von der Universitäts-Parteileitung untersagt).
Begünstigt durch ein derartiges Auftreten von Genossen Literaturwissenschaftlern haben auch die ablehnenden Diskussionen insbesondere unter Studenten des Germanistischen Instituts erheblich zugenommen.
Ausgehend von der Ablehnung der Veröffentlichung des »ND« zu Biermann wird weiter zum Ausdruck gebracht, die Angriffe gegen Biermann seien dogmatisch und unzeitgemäß und ein Ausdruck einer »harten Welle« der Partei gegenüber den Kulturschaffenden.