Äußerungen führender CDU-Kreise zum Ägyptenbesuch Ulbrichts
18. Februar 1965
Einzelinformation Nr. 142/65 über Äußerungen führender CDU-Kreise zur Bonner Politik in der Frage des Besuchs von Walter Ulbricht in der VAR
Zuverlässig wurden Äußerungen führender CDU-Kreise zur Bonner Politik in der Frage des Besuchs von Walter Ulbricht in der VAR bekannt.1 Sie beziehen sich auf Einschätzungen, die im außenpolitischen Arbeitskreis der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gegeben wurden. Nach diesen Einschätzungen sei das Zustandekommen des Besuchs von Walter Ulbricht in der VAR in erster Linie auf den Einfluss der Sowjetunion zurückzuführen. Es werde fest angenommen, dass Nasser2 sowjetische Garantien dafür besitze, seine mit der Einladung an Walter Ulbricht eingeschlagene politische Linie beibehalten zu können. Deshalb werde auch das sozialistische Lager für die »wirtschaftspolitischen Folgen« der »Bonner Gegenmaßnahmen« aufkommen.
Nach Meinung der genannten CDU-Kreise müsse eingeschätzt werden, dass der sowjetische Einfluss in der Frage des Besuchs von Walter Ulbricht in der VAR nicht nur die sowjetische Deutschlandpolitik in den arabischen Ländern fördern solle, sondern Teil der sowjetischen Gesamtkonzeption sei, Nasser als Führer eines einflussreichen Blocks arabischer Staaten weltpolitisch stärker an die Sowjetunion zu binden. Die Sowjetunion verfolge damit das Ziel, nicht nur den westlichen, sondern auch den chinesischen Einfluss in ganz Afrika zurückzudrängen.
Zur »Vermittlungsmission« des spanischen Botschafters Nerva3 erklärten die genannten CDU-Kreise, er habe den »Trumpf« der Einstellung der sog. Bonner Waffenhilfe an Israel zu früh ausgespielt und sei deshalb nicht zum Zuge gekommen.4 Im Zusammenhang mit dieser Mission habe Schröder5 in der Fraktion einen erheblichen Prestigeverlust erlitten, der bei der künftigen Regierungsbildung schwerwiegende Folgen haben könne. Sowohl Schröder als auch Erhard6 selbst gegenüber habe Strauß7 durch seine Argumentation in der Fraktion an Ansehen gewonnen und eine »große Stunde gehabt«. Strauß habe sich entschieden für eine konsequente Linie und auch für die ordnungsgemäße Abwicklung des Militärhilfeabkommens mit Israel ausgesprochen.
Im außenpolitischen Arbeitskreis und in der gesamten Fraktion sei jedoch Einigkeit darüber erzielt worden, nach außen volle Geschlossenheit zu wahren und auch die Abstimmung einer gemeinsamen Haltung aller Bundestagsparteien zu erreichen.
Es müsse jetzt abgewartet werden, welche Wirkung die sog. Bonner Gegenmaßnahmen auf dem Gebiet der »Wirtschaftshilfe« haben. Die CDU/CSU rechne mit Uneinigkeit der arabischen Staaten und hoffe, einen Keil zwischen Nasser und die anderen arabischen Länder treiben und eine »Anti-Nasser-Front« schaffen zu können. Dabei solle besonders mit dem angeblichen sowjetischen Druck auf Nasser operiert werden. Die genannten CDU-Kreise bezeichneten allerdings selbst dieses Vorhaben als einen »etwas wagehalsigen Versuch«.
Zu den sog. Bonner Gegenmaßnahmen im Einzelnen äußerten sie, dass die im Aufbau befindliche westdeutsche Ingenieurschule in Kairo nicht aus der Hand gegeben und der DDR hier nicht das Feld überlassen werden solle. Der Rechtsschutz der an dieser Schule tätigen westdeutschen Lehrkräfte müsse dabei gewahrt werden.
Wahrscheinlich würden auch die z. T. schon verbrauchte »Kapitalhilfe« von 230 Mio. DM, die technische »Hilfe« von 70 Mio. DM und die kurzfristigen Kredite der westdeutschen Girozentrale von 80 Mio. DM praktisch weiterlaufen. Die in der VAR engagierten westdeutschen Unternehmen hätten auf die langfristigen Hermes-Kredite schon zurückgegriffen und könnten sie nicht aus ihren ägyptischen Projekten zurückziehen. Eine Verärgerung dieser Unternehmen gerade im Wahljahr wolle die Bonner Regierung vermeiden. Außerdem wolle sie durch diese »Zugeständnisse« Nasser »noch eine Chance geben«, wieder mit Bonn ins Gespräch zu kommen.
Der in Aussicht gestellte Bonner Kredit für den künftigen 5-Jahrplan der VAR in Höhe von 400 bis 500 Mio. DM werde allerdings nicht gewährt werden. Es würden auch keine neuen Zusagen gemacht oder weitere Vereinbarungen getroffen.
Der Bonner Botschafter in der VAR werde vorläufig nicht nach Kairo zurückkehren. Die weitere Entwicklung des Verhältnisses zur VAR müsse erst abgewartet werden. Insgesamt wolle die Bonner Regierung jetzt die Hallstein-Doktrin8 überprüfen, um sie künftig flexibler, gestaffelt und differenziert anwenden zu können. Damit hänge auch eine generelle Überprüfung der Entwicklungshilfe zusammen. Sie sei bisher zu starr mit der Forderung nach Nichtanerkennung der DDR verbunden worden. Deshalb habe sie die latente Gefahr hervorgerufen, dass Bonn stets »erpresst« werden könne, wenn keine »Hilfe« mehr gewährt werde.9
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