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Ansichten von Leistungssportlern zur Sportpolitik

9. Juli 1965
Einzelinformation Nr. 629/65 über Ansichten einiger Leistungssportler zu aktuellen Fragen des Sports, zu gewonnenen Reiseeindrücken bei Auslandsstarts und zur Arbeit in den Verbänden und Sektionen

Bei den in letzter Zeit mit bekannten Leistungssportlern geführten Aussprachen äußerten sie sich zu einigen aktuellen Fragen des Sports, über gewonnene Eindrücke bei Auslandsstarts und zu der Trainingsarbeit in einigen Verbänden.

Einige Fußballer schilderten nach der Heimkehr ihre Eindrücke aus Österreich und Ungarn. Aus den diesbezüglichen Gesprächen war zu erkennen, dass die Vorkommnisse in Wien von den Fußballern als eine organisierte Provokation rechtsgerichteter Kräfte eingeschätzt werden.1

Auswahlspieler der B-Nationalmannschaft und der Junioren-Auswahl brachten übereinstimmend ihre Enttäuschung über ihre Eindrücke während der Ländervergleiche in Ungarn zum Ausdruck. Die Atmosphäre der Spiele und die Betreuung während des gesamten Aufenthaltes hätten nicht ihren Erwartungen entsprochen. Bei der Ankunft auf dem Bahnhof in Tata bei Tatabánya mussten zum Beispiel die Junioren ca. zwei Stunden warten, ehe sie in ihr Quartier gebracht wurden. Während des Spieles hätten sich die ungarischen Spieler unsportlich benommen. Die Geschenke der ungarischen Seite wurden allgemein als primitiv bezeichnet und mit Nippsachen verglichen.

Manfred Kaiser2BSG Wismut Aue – berichtete über die Rumänienreise seiner Clubmannschaft, dass sie im Verhältnis zu einer gleichzeitig in Rumänien gewesenen westdeutschen Mannschaft primitiver untergebracht worden seien.

Die Abfertigung unserer Ringer-Delegation zur Weltmeisterschaft in Manchester/England durch das Travel-Board-Büro3 bezeichnete der Teilnehmer Christian Luschnig4SC Motor Jena – als zügig und unbürokratisch. Besonders beeindruckt äußerte sich Luschnig zu den Solidaritätsbeweisen sowjetischer, polnischer und tschechischer Ringer, die die DDR-Sportler zur Vereitelung der Flaggenprovokation und zur Hissung der Staatsflagge beglückwünscht hätten. Luschnig berichtete weiter, eine kurze Begegnung mit dem westdeutschen Delegationsleiter [Name 1] (o. Ä.) gehabt zu haben, der unsere Sportler aufgefordert hätte, die mitgebrachte DDR-Fahne nicht an den Veranstalter zu übergeben, »um die Veranstaltung nicht zu stören«. Nach seinen Darstellungen haben sich die DDR-Vertreter an die Hinweise des Genossen Rudi Reichert5 gehalten, keine freundschaftlichen Kontakte mit westdeutschen Sportlern aufzunehmen.

Maria Lichtenstein6SC Leipzig/Turnen – und Erwin Koppe7SC DHfK/Turnen – berichteten über ihre Eindrücke bei den europäischen Pokalkämpfen in Bukarest/Rumänien und Antwerpen/Holland.

Maria Lichtenstein beschwerte sich über »unmögliche Schiedsrichterleistungen in der Bewertung«. Obwohl nach ihrer Meinung bei unseren Turnerinnen bei bestimmten Übungen im Ausdruck noch Mängel feststellbar waren, wären jedoch die größten Schwierigkeitsgrade geturnt worden. Besonders Birgit Radochla8 wäre aufgrund der unbefriedigenden Schiedsrichterleistungen, vornehmlich der Kampfrichter aus Ungarn, Rumänien und Westdeutschland, sehr deprimiert gewesen.

Erwin Koppe berichtete von dem Verhalten des westdeutschen Vertreters [Name 2], der verlangt haben soll, bei der Ansage der Teilnehmer nicht die Bezeichnungen »DDR« oder »DBR«9 zu verwenden, sondern nur »Deutscher Turnbund« und »Deutscher Turnverband«.

Bei der Namensnennung von Koppe hatte der Sprecher dann doch »DDR« hinzugefügt, worauf [Name 2] den Sprecher nochmals aufgefordert habe, die Bezeichnung »DDR« zu unterlassen, andernfalls er mit Polizeigewalt dagegen einschreiten würde.

Dieter Neuendorf10ASK Vorwärts Brotterode – äußerte sich über seine Auslandsstarts positiv. Zur derzeitigen »Lockerung« der Visablockade durch das Travel-Board-Büro in Westberlin erklärte er, es wäre nur ein taktisches Manöver von westdeutscher Seite, um für den Madrider IOC-Kongress ein günstiges Klima für das Weiterbestehen einer »gesamtdeutschen Mannschaft« zu schaffen. Eine gewisse Bedeutung hätte bei den Visaerleichterungen allerdings auch, dass sich innerhalb der westlichen Verbände ein etwas vernünftigerer Standpunkt durchzusetzen beginnt.

Die Skilangläuferin Christine Nestler11SC Traktor Oberwiesenthal – vertrat die Auffassung, dass die Visabeschränkungen in Zukunft ganz wegfallen werden, da sich die Vernunft durchsetzen werde.

Die Hockey-Spieler Freiberger,12 Westphal,13 Ehrlich14 und Wowra15– alle SC Motor Jena – berichteten übereinstimmend mit Begeisterung von der Teilnahme am Hockey-Turnier in Folkestone/England.16 Sie wurden wie alte Freunde empfangen. Aufgrund ihres disziplinierten Auftretens in England hätten sie sich auch große Sympathien erworben. Sie haben den Eindruck gewonnen, dass vonseiten des englischen Gastgebers großes Interesse an der Vertiefung der sportlichen Verbindungen bestehe.

Aus der Arbeit der Verbände und Sektionen

Fußball

Die Fußball-Spieler Heinsch,17 Weigang,18 Nachtigall,19 Kaiser20und Wolf21 brachten ihre Zustimmung zur Sperre von Peter Ducke22 zum Ausdruck. Peter Ducke wird von ihnen als ein charakterlich unausgeglichener Mensch bezeichnet, der sich im Kollektiv querulant benimmt. Kritiken würde er grundsätzlich nicht anerkennen.

In diesem Zusammenhang bezeichnen diese Fußballspieler und einige andere Aktive die Entscheidung des Deutschen Fußballverbandes, das Endspiel um den FDGB-Pokal 1965 in Berlin durchzuführen, als Fehler. Besonders die Friedensfahrtatmosphäre hätte den normalen Ablauf des Spieles entscheidend gestört.

In der Fußballmannschaft des SC Empor Rostock wäre nach dem Weggang von Trainer Fritzsch23 eine gewisse Beruhigung eingetreten. Diese Auffassung wird – nach Ansicht von Madeja24 und Heinsch – von fast allen Spielern der Mannschaft vertreten. Madeja und Heinsch erklärten weiter, die Ursachen für den Leistungsabfall der Mannschaft hätten vornehmlich in Differenzen zwischen einem Teil der Mannschaft und dem Trainer Fritzsch gelegen. Nach dem Weggang von Fritzsch hätten Sackritz,25 Heinsch und Kleiminger26 auch die Absicht aufgegeben, den Club zu verlassen.

Die Spieler Weigang, Geisler27 und Trölitzsch28SC Leipzig – wiesen nochmals auf nichteingehaltene Versprechungen seitens des Generalsekretärs des DFV Michalski29 hin. Ihnen sei für das Intercupspiel gegen Hertha BSC Westberlin eine Prämie in Höhe von 1 000 MDN versprochen worden, die dann jedoch nicht in dieser Höhe gezahlt worden sei, was zu einer bestimmten Verärgerung geführt hätte.

Manfred Kaiser war sehr verärgert und enttäuscht darüber, nicht zu den Vorbereitungen für das WM-Qualifikationsspiel gegen Ungarn eingeladen worden zu sein. Nach seiner Meinung wären vom Verbandstrainer Soos30 seine individuellen Vorbereitungen in der BSG nicht gewürdigt worden. Außerdem wären ohne eine Aussprache seine monatlichen Zuwendungen für die Nationalmannschaft gestrichen worden. Manfred Kaiser deutete unter Bezugnahme auf diese Vorgänge an, dass er sich wahrscheinlich vom aktiven Sport zurückziehen will.

In einer Aussprache mit Rainer Nachtigall – ASK Vorwärts Berlin – war zu erkennen, dass er mutlos geworden ist und kaum noch mit einer Rückkehr zum Fußball rechnet. Nach seiner Einschätzung seien die drei Operationen wenig erfolgreich verlaufen.

Radsport

Der Radsportler Siegfried Kettmann31SC DHfK Leipzig – ist der Meinung, die Ursache für das relativ schwache Abschneiden der diesjährigen Friedensfahrtmannschaft der DDR würde in Differenzen zwischen Mannschaft und Trainer in taktischen Fragen liegen. Nach seiner Auffassung hätte Verbandstrainer Elste32 wohl das Training eingeteilt, dabei jedoch versäumt, die Friedensfahrtkandidaten auf der Strecke zu beobachten. Diesbezügliche Hinweise des ehemaligen Verbandstrainers Weisbrod33 wären unbeachtet geblieben.

Siegfried Köhler34TSC Berlin – äußerte zum gleichen Thema, dass es Trainer Elste in erster Linie verstanden habe, bei der Auswahl der Kandidaten seine Schützlinge unterzubringen. Er und auch andere Radsportler sind der Meinung, man hätte in diesem Jahr nicht die besten Fahrer berücksichtigt.

Skisport

Renate Dannhauer35 äußerte sich während einer Unterredung u. a. auch zum Verjüngungsprozess, wobei sie sich sehr skeptisch über die Zukunft aussprach, da keine geeigneten Läuferinnen vorhanden wären. In diesem Zusammenhang kam sie auf Elfriede Spiegelhauer36 vom SC Dynamo Klingenthal zu sprechen, der nahegelegt worden wäre, in der kommenden Saison abzutrainieren. Selbst [Vorname Name 3] vom Skiläuferverband soll sein Unverständnis zu dieser Frage geäußert haben.

Eiskunstlauf

Von Trainern der Arbeitsgruppe Eiskunstlauf wurde die ohne Anhören der Trainer zustande gekommene Entscheidung des DELV angegriffen, die Eiskunstläuferin Gabriele Seyfert37 zum Training nach Wien zu schicken, während alle anderen Leistungssportler zum Training in die ČSSR fahren mussten. Beanstandet wird vor allem die geheimnisvolle Art und Weise der Entscheidung. Da sie sich als Mitglieder der Arbeitsgruppe Eiskunstlauf für eine solche Delegierung verantwortlich fühlen, wäre ihre Stellungnahme erforderlich gewesen.

Peter Göbel38 und Renate Rößler39TSC Berlin – äußerten sich zu ihren zukünftigen Plänen und Aussichten positiv, besonders zu ihren beiden Partnern Marianne Mirmseker40 und Klaus Wasserfuhr. Außerdem bezeichneten sie die Perspektiven von Gabriele Seyfert als ausgezeichnet, erhoben jedoch Bedenken, dass der persönliche Ehrgeiz ihrer Trainerin und Mutter41 möglicherweise zu negativen Folgen führen könnte.42

Leichtathletik

Manfred Matuschewski43 begrüßte in einem Gespräch die Entscheidung des DVfL, Siegfried Hermann44 nicht als Trainer im SC Turbine Erfurt einzusetzen. Das Verhalten von Siegfried Hermann in Tokio [Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben] rechtfertigten den Beschluss des Leichtathletikverbandes.45

Heiner Malo46SC Chemie Halle/Sprint – äußerte sich befriedigt über seine Delegierung zum Club, insbesondere wegen der besseren Trainingsmöglichkeiten. Allerdings wäre die finanzielle Situation im Club schlechter als in seiner früheren Gemeinschaft, der BSG Motor Dessau.

Wasserspringen

Der Wasserspringer Rolf Sperling47SC Chemie Halle – äußerte sich in einem Gespräch u. a. auch zu einigen Problemen der Nachwuchsarbeit im Deutschen Schwimmsportverband. Nach seiner Meinung wäre durch Versäumnisse des Verbandstrainers Kuhnert in der Vergangenheit nur eine relativ kleine Spitze entstanden, während der Nachwuchs nur in Dresden trainiert wurde.

Ingrid Krämer-Gulbin48 bemerkte zu ihrem Trainer [Name 4], er würde sich zu dogmatisch an die festgelegten Trainingspläne halten und zu wenig die Mentalität der einzelnen Sportler und den jeweiligen Trainingszustand berücksichtigen. So würde es auch bei der Wasserspringerin [Vorname Name 5] sein, die wohl ein großes Talent, aber in der Schule sehr faul sei, was von ihm kaum beachtet werde. Bei der Aussprache berichtete sie weiter, ihre Schwester in Dresden trainiere ebenfalls in dieser Sportart, sei aber gegenwärtig sehr deprimiert, da der Trainer [Name 5] vor allem versuche, seine eigene Tochter zu fördern und dabei die anderen Springerinnen vernachlässige. Sie persönlich wäre dafür, ihre Schwester nach Rostock zu holen, aber ihre Eltern wären dagegen. Zu persönlichen Problemen befragt, äußerte sie die Bitte um Unterstützung für die Versetzung ihres Ehemannes von Peenemünde nach Warnemünde. Außerdem berührte sie die Frage ihrer Urlaubsreise nach Rumänien, die ihr als Anerkennung für ihre Leistungen in Tokio vom Genossen Hellmann49 versprochen worden sei, die sie nunmehr aber wahrscheinlich selbst bezahlen soll.

  1. Zum nächsten Dokument Einflug von Hetzballons

    12. Juli 1965
    Einzelinformation Nr. 633/65 über den Einflug von Hetzballons in die Kreise Klötze und Kalbe/Milde im Bezirk Magdeburg am 8. Juli 1965

  2. Zum vorherigen Dokument Bahnbetriebsunfall auf dem Grenzbahnhof Gerstungen

    8. Juli 1965
    Einzelinformation Nr. 621/65 über einen Bahnbetriebsunfall auf dem Grenzbahnhof Gerstungen am 5. Juli 1965