Ausschreitungen jugendlicher Rowdys beim Pressefest in Magdeburg
[Ohne Datum]
Einzelinformation Nr. 684/65 über Ausschreitungen durch jugendliche Rowdys auf dem Pressefest der »Volksstimme« in Magdeburg am 13. Juni 1965
Am 13.6.1965 kam es auf dem Pressefestgelände in Magdeburg, gegen 18.15 Uhr und 22.15 Uhr, zu provokatorischen Ausschreitungen durch jugendliche Rowdys.
Gegen 18.15 Uhr entwickelte sich auf der Tanzfläche an der Seeterrasse eine Schlägerei zwischen mehreren Jugendlichen. Durch die einschreitende VP-Streife wurde eine Ausweitung der Schlägerei unterbunden und der an der Auseinandersetzung beteiligte [Name 1, Vorname], 18 Jahre, wohnhaft Magdeburg, [Straße Nr.], zur Klärung des Sachverhalts aus der Gruppe herausgelöst. Bei der Zuführung des [Name 1] rotteten sich ca. 250 Jugendliche zusammen, die gegen die VP-Angehörigen mit Faustschlägen und Fußtritten tätlich vorgingen und in Sprechchören die Freilassung des [Name 1] forderten.
Außerdem wurde gegen die VP-Angehörigen mit Rufen wie »Schweine«, »SS« gehetzt.
Aufgrund der Haltung der Jugendlichen wurde von der Zuführung des [Name 1] abgesehen. [Name 1] sprang daraufhin in einen in der Nähe gelegenen See und beleidigte und verleumdete in ähnlicher Form die VP-Angehörigen.
Anschließend gelang es ihm, das Pressefestgelände zu verlassen.
Gegen 22.15 Uhr kam es auf der Tanzfläche am Aussichtsturm – ca. 300 m von der Seeterrasse entfernt – zu einer Schlägerei, bei der der stark angetrunkene Jugendliche [Name 2] von zwei anderen Personen wegen seines flegelhaften Benehmens mehrmals geschlagen und anschließend an den Rand der Tanzfläche gestoßen wurde. Dabei traf er auf einen Sowjetbürger, der [Name 2] ebenfalls wegstieß und sich von der Tanzfläche entfernte, um nicht in den entstandenen Tumult mit einbezogen zu werden.
Unmittelbar danach entstand jedoch das Gerücht, [Name 2] sei von dem Sowjetbürger mittels einer Flasche niedergeschlagen worden. ([Name 2] lag bewusstlos am Boden und blutete an der Oberlippe stark).
Besonders der [Name 3, Vorname], 24 Jahre, wohnhaft Barleben, [Straße Nr.], versuchte durch die bewusste Verbreitung dieses Gerüchtes die anwesenden Jugendlichen zu Tätlichkeiten gegen den Sowjetbürger aufzuputschen.
Durch [Name 3] aufgehetzt, hinderte eine Gruppe von ca. 50 bis 80 Jugendlichen den sowjetischen Staatsbürger am Weitergehen, nahm eine drohende Haltung gegen diesen ein und forderte die Übergabe des Sowjetbürgers an die VP bzw. an die sowjetische Kommandantur. Durch eine hinzukommende Streife der Sowjetarmee wurde der sowjetische Staatsbürger zur Klärung des Sachverhalts zu einem ca. 400 m entfernt parkenden Omnibus gebracht. Dabei folgten die Jugendlichen der sowjetischen Streife zum Autobus, sie begannen zu randalieren, forderten die Herausgabe des Sowjetbürgers und riefen z. T. im Sprechchor »Lynchen, aufhängen, schlagt sie zusammen, Russen raus«.
Außerdem behinderten sie die Abfahrt des Busses und versuchten das Fahrzeug umzuwerfen.
Erst durch den Einsatz eines VP-Kommandos gelang es, die Gruppe zu zerstreuen. Bei der Abfahrt des Busses wurden von mehreren Rowdys Flaschen und Steine nach dem Fahrzeug geworfen und eine Fensterscheibe beschädigt. Die Angehörigen der VP-Einheiten wurden beim Abmarsch von den Provokateuren ebenfalls mit Steinen beworfen und gröblichst beschimpft.
Nachdem sich die Einsatzkräfte der VP zurückgezogen hatten, kam es gegen 23.20 Uhr erneut zur Bildung einer Gruppe von ca. 30 Jugendlichen, die sich in Richtung Seeterrasse bewegte und im Sprechchor hetzerische Äußerungen gegen sowjetische Staatsbürger ausrief.
Unmittelbar an der Seeterrasse bemerkte die Gruppe zwei Sowjetbürger, umringte diese und wiederholte in Sprechchören die hetzerischen Äußerungen.
Durch den erneuten Einsatz von VP-Sicherungskräften konnte die inzwischen auf ca. 150 Personen angewachsene Gruppe zerstreut werden, ohne dass es zu tätlichen Auseinandersetzungen kam.
Kurze Zeit danach kam es wiederum zu einer Zusammenrottung von Jugendlichen, die den VP-Angehörigen u. a. solche hetzerischen Äußerungen wie »SS-Schweine«, »Nazimethoden« und »Ihr habt wohl den 17. Juni vergessen« ausriefen, und die die Einsatzkräfte der VP mit Steinen und Biergläsern bewarfen. Außerdem errichteten die Rowdys aus Tischen und Stühlen eine Barriere, um die VP-Kräfte am Vorrücken gegen sie zu hindern.
Insgesamt wurden im Zusammenhang mit den Vorkommnissen auf dem Pressefest in Magdeburg zwölf Jugendliche im Alter von 16 bis 24 Jahren festgenommen und Ermittlungsverfahren gegen sie eingeleitet.
Mehrere der Festgenommenen sind bereits wegen verschiedener Delikte vorbestraft. In der bisherigen Untersuchung durch das MfS führen die Rädelsführer als Motiv ihrer Handlungsweise eine negative und feindliche Einstellung gegenüber den Angehörigen der Sowjetarmee und der VP an. Der Ursprung der negativen bzw. feindlichen Einstellung liegt vorwiegend im Empfang von Hetzsendungen westlicher Rundfunk- und Fernsehprogramme. Die übrigen Festgenommenen stellen als Ursache für ihre Beteiligung ein bestimmtes Geltungsbedürfnis bzw. Interesse an Krawallen und derartigen Ausschreitungen in den Vordergrund.
Außer dem Festgenommenen [Name 4, Vorname], 18 Jahre, Schüler der 11. Klasse der Erweiterten Humboldt-Oberschule Magdeburg, besuchten die übrigen Beschuldigten größtenteils Hilfsschulen bzw. erreichten nicht das Ziel der 8. Klasse der Grundschule und besitzen keine Berufsausbildung. Es handelt sich fast ausschließlich um Arbeiter aus Magdeburger Betrieben.
Die bisherigen Untersuchungen durch das MfS ergaben, dass es sich bei diesen Vorkommnissen, die unabhängig voneinander entstanden, nicht um planmäßige, vom Gegner vorbereitete Aktionen handelte, sondern, dass einige feindlich eingestellte Elemente die Situation bewusst ausnutzten, um die anwesenden Jugendlichen gegen die Sowjetbürger und die Angehörigen der VP aufzuputschen.
Begünstigend auf die Ausdehnung der Provokationen wirkte vor allem die passive Haltung des Organisationskomitees. Von diesem Komitee wurde nichts unternommen, um das gegen den sowjetischen Staatsbürger in Umlauf gebrachte Gerücht zu zerschlagen und den aufgeputschten Jugendlichen entgegenzuwirken.
Durch die VP wurde die Absicherung der Großveranstaltung ebenfalls unterschätzt. Der taktische Einsatz der VP-Kräfte entsprach nicht den Erfordernissen, sodass die Rädelsführer bei den Provokationen wiederholt entkamen und mehrfach Gruppen um sich scharen konnten.
Weiter ergab die Untersuchung, dass auch die an der Veranstaltung teilnehmenden gesellschaftlichen Organisationen ungenügend auf die Möglichkeit der Entstehung derartiger Provokationen orientiert worden waren und selbst die anwesenden fortschrittlichen Pressefestbesucher1 sich passiv verhielten und die Maßnahmen der Volkspolizei nicht unterstützten.