Bischöfliche Erklärung zur Schwangerschaftsunterbrechung
11. November 1965
Einzelinformation Nr. 1004/65 über die Verlesung einer Erklärung der katholischen Bischöfe und bischöflichen Kommissare der DDR am 7. November 1965
Am 7. November 1965 wurde in allen Bistümern der Katholischen Kirche der DDR eine Erklärung der katholischen Bischöfe und bischöflichen Kommissare der DDR zu der »Instruktion des Ministeriums für Gesundheitswesen der DDR über die Unterbrechung der Schwangerschaft«1 verlesen.
Wie dazu dem MfS bekannt wurde, ist diese Erklärung von den DDR-Bischöfen Bengsch,2 Berlin, Spülbeck,3 Meißen, Schaffran,4 Görlitz, Rintelen,5 Magdeburg, Schräder,6 Schwerin, Aufderbeck,7 Erfurt und Generalvikar Schönauer,8 Meiningen, während des Konzils in Rom erarbeitet und unterschrieben, und von Erzbischof Bengsch, der vom 5. bis 8.11.1965 seinen Aufenthalt im Vatikanischen Konzil unterbrach und in der DDR weilte, von Rom mitgebracht worden.
Die Erklärung hat folgenden Wortlaut:
»Seit einigen Monaten wird aufgrund neuer Weisungen bei den Einrichtungen des Gesundheitswesens die Unterbrechung der Schwangerschaft in vielen Fällen genehmigt und durchgeführt.
Es besteht die dringende Sorge, dass damit eine unheilvolle Entwicklung für das ganze Volk beginnt: Die Ehrfurcht vor dem werdenden Leben geht verloren; die illegalen Abtreibungen werden nach allen bisherigen Erfahrungen trotzdem nicht aufhören; Ärzte, Hebammen und Krankenschwestern, die aus christlichem Gewissen und Berufsethos dabei nicht mitwirken können, werden mit beruflichen und persönlichen Nachteilen rechnen müssen.
Die Kirche darf dazu nicht schweigen.
Sie kennt und würdigt die Schwierigkeiten der Eheleute und der Gesundheitsbehörden. Sie ist bereit, zu Lösungen, die der Würde der Ehe und des menschlichen Lebens entsprechen, beizutragen.
Sie kann aber niemals der Tötung unschuldigen Menschenlebens zustimmen, weil dies niemals eine Lösung ist, weder für einen Christen noch überhaupt für die menschliche Gesellschaft. Sie muss fordern, dass Ärzte, Hebammen und Krankenschwestern nach ihrem Gewissen handeln können.
Wir katholischen Bischöfe und Bischöflichen Kommissare in der Deutschen Demokratischen Republik sind verpflichtet, die unveränderte kirchliche Lehre von der Unantastbarkeit des werdenden Menschenlebens zu verkünden, die gerade jetzt auf dem Konzil von allen katholischen Bischöfen der ganzen Welt neu bestätigt wurde.«
Der in der Diskussion angenommene Text lautet:
»die Heilige Synode weiß um die oft zahlreichen und ernsten … Schwierigkeiten der Eheleute …
Manche scheuen sich nicht, für diese Schwierigkeiten allzu billige Lösungen anzubieten, ja sie schrecken selbst vor Tötung nicht zurück.
Gott aber, der Herr des Lebens, hat den Menschen Pflicht und Auftrag gegeben, das Leben zu erhalten, sowie den erhabenen Dienst, beizutragen zu seinem Wachstum und zur Entfaltung seines Reichtums. Das Leben also, das empfangen im Mutterschoß lebt, ist mit großer Sorge zu schützen, die Abtreibung aber, die wider alles Recht unschuldiges Leben vernichtet, und die Kindestötung sind abscheuliche Verbrechen.
Als Diener am Leben und Mitarbeiter Gottes sollen die Gatten … ohne Scheu vor Opfern in der Erfüllung ihres Berufes die Gesetze des ehelichen Lebens heilighalten.« (Schema 13, Nr. 64).
Mit diesen Worten des Konzils ermahnen wir alle Gläubigen, besonders die Eheleute und die Eltern der heranwachsenden Jugend, der katholischen Lehre von der Unantastbarkeit des menschlichen Lebens im Mutterschoß treu zu bleiben und niemals das fünfte Gebot Gottes zu verletzen: »Du sollst nicht töten!«.
Über die Beweggründe, die zur Ausarbeitung und Verlesung dieser Erklärung mit beigetragen haben sollen, wurde Folgendes bekannt:
Erzbischof Bengsch sei darüber verärgert, dass auf seinen Brief an den Minister für Gesundheitswesen, Sefrin9 (vom 24.7.1965), in dem er die Haltung der katholischen Kirche zur Instruktion des Ministeriums für Gesundheitswesen über Schwangerschaftsunterbrechungen dargelegt hat, noch keine Antwort eingegangen ist.
Zwischenzeitlich soll von dem Stellvertreter des Ministers für Gesundheitswesen, Prof. Mecklinger,10 zu einem von Erzbischof Bengsch aufgeworfenem Problem erklärt worden sein, dass niemand gezwungen sei, die staatlichen Anordnungen durchzuführen, wenn er es aus Gewissensgründen nicht tun kann, dass er dann aber auch nicht in seiner Funktion bleiben könne. Erzbischof Bengsch sei außerdem von vielen katholischen Ärzten und Krankenschwestern berichtet worden, dass nach Inkrafttreten der Instruktion des Ministeriums für Gesundheitswesen vom März 1965 die Anzahl der auf dieser Grundlage erfolgten Schwangerschaftsunterbrechungen um das Dreifache angestiegen sei.