Diskussion lohnpolitischer Maßnahmen für Westberliner Reichsbahner
2. September 1965
Einzelinformation Nr. 776/65 über Diskussionen zu den lohnpolitischen Maßnahmen vom 1. Januar 1964 für die in Westberlin wohnhaften Beschäftigten der Deutschen Reichsbahn
Mit Wirkung vom 1.1.1964 traten lohnpolitische Maßnahmen für die Beschäftigten der DR, die in Westberlin wohnhaft sind, in Kraft.
In Auswirkung dieser Maßnahmen konnte der Einfluss des Gegners (besonders auf politisch-ideologischem Gebiet und in Fragen der Abwerbung aus Reichsbahndienststellen) wesentlich zurückgedrängt werden.
Es liegen jedoch eine Reihe Hinweise auf Diskussionen vor, dass sich in Westberlin beschäftigte Angehörige der DR, die in der DDR wohnhaft sind, gegen die durch die lohnpolitischen Maßnahmen entstandene Lohndifferenz zwischen den Westberliner Reichsbahnern und den Beschäftigten aus der DDR wenden.
Diese Lohndifferenz liegt gestaffelt nach Berufsgruppen und Dienstalter zwischen 80 bis 130 MDN.
So liegt z. B. der Nettolohn eines Westberliner Triebwagenschaffners um ca. 86 MDN höher als der eines S-Bahntriebwagenführers aus der DDR, der zudem noch eine weitaus verantwortungsvollere Tätigkeit ausübt.
In diesem Zusammenhang ist auch prinzipiell zu sehen, dass in Westberlin besonders solche Beschäftigte der Deutschen Reichsbahn aus der DDR eingesetzt werden, an denen aufgrund der geforderten Qualifikation ein bestimmter Mangel vorherrscht. Dies sind besonders Triebwagenpersonal der S-Bahn und spezialisierte Arbeiter, Angestellte und Meister der DR.
Die genannten Lohndifferenzen führen immer wieder zu negativen Diskussionen, insbesondere an solchen Arbeitsplätzen, wo Westberliner und DDR-Eisenbahner zusammenarbeiten.
Unter den DDR-Eisenbahnern führt weiterhin immer wieder die Tatsache zu Diskussionen, dass sie in Westberlin keine Nahrungsmittel und Getränke kaufen können, da sie über kein Westgeld verfügen. Dies wirke sich besonders dann aus, wenn sie Überstunden leisten müssten bzw. wenn eine Verlängerung der Schicht notwendig geworden war.
Von DDR-Eisenbahnern wird darauf hingewiesen, dass unter den gegenwärtigen Bedingungen kein materieller Anreiz vorhanden wäre, in Westberlin zu arbeiten. Dabei weisen sie außerdem auf den weitaus längeren Anmarschweg zur Arbeitsstelle unter besonderer Berücksichtigung der täglichen Grenzkontrolle hin.
Es liegen bereits Hinweise vor, wonach einige Beschäftigte der DDR es ablehnen, weiterhin in Westberlin zu arbeiten.
Auch bei den Beschäftigten des Wasserstraßenhauptamtes1 in Westberlin, die in der DDR wohnhaft sind, ergaben sich ähnliche Unterschiede in der Entlohnung nach Einführung der lohnpolitischen Maßnahmen.
Nach den vorliegenden Hinweisen erhalten Westberliner Beschäftigte einen um 80 Pfg. höher liegenden Stundenlohn als DDR-Bürger. Trotzdem gibt es unter diesen Kreisen nach wie vor Auffassungen, dass der gegenwärtig gezahlte Stundenlohn von 2,40 DM-West für Westberliner Verhältnisse noch zu gering wäre, Westberliner Betriebe mit etwa gleichgelagerter Arbeit würden etwa um 40 % höhere Löhne zahlen.
Von den Westberliner Beschäftigten des Wasserstraßenhauptamtes wird in diesem Zusammenhang vorgeschlagen:
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Angleichung der Löhne und Renten an das Niveau der DR/Westberlin
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Gewährung der freien Fahrt auf der S-Bahn und jährlich Ausgabe eines Freifahrtscheines
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Zahlung einer VVN-Rente für Mitglieder (analog wie bei der DR/Westberlin)
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Unterstellung unter die Kleiderkasse der DR, entsprechend der Uniformierung der Wasserstraßenbeschäftigten.