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Einleitung 1965

Einleitung 1965
Bernd Florath

Nachdem die ostdeutsche Republik ihre Einwohner mit dem Bau der Mauer unzweideutig ab- und eingeschlossen hatte, war es ausgerechnet der radikale Scharfmacher Walter Ulbricht, der eine Rationalisierung des Systems einleitete. Es steht außer Zweifel, dass er diesen Weg nicht einschlug, um das kommunistische System zu liberalisieren oder gar aufzuweichen. Doch um ökonomischen und administrativen Sachverstand und Kreativität zu mobilisieren, musste er sowohl Freiräume zu deren Entfaltung erweitern als auch die Verlässlichkeit der Handlungsbedingungen verstärken. Beides harmonierte kaum mit ideologischer und geheimpolizeilicher Einschnürung und jeweils tagesabhängiger Willkür.

Die ersten Jahre seit dem Bau der Mauer waren vorüber, das System der Abtrennung und der Grenzüberwachung wuchs aus den Ad-hoc-Provisorien heraus. Deutlich zeigte sich das am starken Rückgang der Fluchtzahlen. Deren Sinken deutete indes keineswegs darauf hin, dass sich die DDR-Einwohner mit dem vermauerten Ausgang abgefunden hatten. Doch der Weg in den Westen war nunmehr so dicht geschlossen, dass jeder Fluchtversuch nur noch unter höchstem persönlichen Risiko zu bewerkstelligen war. Vor die Wahl zwischen einem beschränkten, reglementierten, hinter dem Wohlstand der westdeutschen Landsleute hinterherhinkenden Leben und dem lebensgefährlichen Versuch, dieser Misere zu entfliehen, beschied sich die Mehrheit mit den Bedingungen, wie sie waren. Sie richtete sich ein, versuchte ein Leben zu führen, das sich, wo immer es ging, den politischen Zumutungen des Regimes entzog und das sich außerhalb der Aufstiegspfade bewegte, die sie dem Staat mehr als unvermeidlich verpflichtete. Diese Kultur des Nischendaseins, in dem die kleinen Freiheiten, das kleine Glück zu blühen schien – »Freiräume von der herrschenden Lehre«1 –, widerlegt nicht den repressiven Charakter des politischen Systems, sie ist ihr ureigenes Produkt.

Es lässt sich eine Reihe von politischen, ökonomischen und sozialen Fragen benennen, die das Jahr 1965 maßgeblich prägten. Dass sie sich in diesem Jahr nicht unbedingt adäquat in der Berichterstattung des MfS widerspiegeln, wirft ein bezeichnendes Licht sowohl auf die Funktion, die der Geheimpolizei in diesem Zeitraum im politischen System des ostdeutschen Kommunismus zugewiesen wurde, wie auch auf deren politischen Horizont, ihr Vermögen, die Kernprobleme eines Landes, für dessen innere Sicherheit es verantwortlich gemacht wurde, zu erkennen. 1965 scheint für das MfS – soweit der Vergleich mit bisher erschlossenen Jahrgängen der Informationen der Zentralen Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG) reicht – kein normales Jahr gewesen zu sein. Der zumindest ansatzweise postulierte Primat der Ökonomie2 verwies es in die Enge seines ureigensten Raumes der Sicherheitspolitik, ihre Analysen hatten weniger als üblich hinter jedem berichtenswerten Ereignis die Machinationen des politischen Feindes zu wittern, sondern jedes auf das Wirken gewöhnlicher, ganz irdischer Ursachen abzufragen.

Innenpolitisch haben offenbar die Wirtschaftsreformen den gewachsenen Machtapparat wenn nicht erschüttert, so zumindest insofern verunsichert, als dieser selbst sanfteste Bewegungen seines machtpolitischen Fundaments fürchtete. Eng mit den Folgen der Reformen verbunden, zugleich aber immer wieder ihre Voraussetzungen infrage stellend, standen außenpolitische Entwicklungen, die in ihrer Spannweite vom Ergebnis der Getreideernten in der UdSSR bis zu den Modalitäten des Ost-West-Handels reichten. Der Status der DDR in der internationalen Staatenwelt erwies sich in diesem Kontext durchaus nicht nur als eine Prestigefrage der SED-Führung oder als Zankapfel deutsch-deutscher Anmaßungen, sondern produzierte mit Regelmäßigkeiten Spannungen, die Walter Ulbrichts Apparat zu gewagten politischen Manövern provozierten und die – ohne ein mit dem westlichen Konkurrenten vergleichbares Potenzial – das Land dicht an katastrophische Abgründe führte.

Indes bewiesen relevante Teile der Bevölkerung, dass die SED durchaus nicht vollkommen nach Gutdünken herrschen konnte: Insbesondere die schon ohne die ungeteilte deutsche Normalerfahrung aufgewachsene Nachkriegsgeneration suchte sich ein Leben nach eigenen Maßstäben einzurichten. Die Kirchen, darunter vor allem die evangelischen, erwiesen sich als Hort politischer und kultureller Widerborstigkeit. Ihre Vorstellungen hielten gerade in deutschlandpolitischer Hinsicht weitaus konkreter und sinnfälliger an der Einheit der Nation fest, als Ulbricht es mit seiner 1962 verkündeten »nationalen Mission der DDR«3 tun konnte.

Im Grunde begann das Jahr für Ulbricht mit respektablen außenpolitischen Erfolgen: Bonn hatte mit seiner Politik gegenüber Israel selbst die Tür zu den arabischen Staaten zugeschlagen. Die Einladung Gamal Abdel Nassers an Ulbricht zum offiziellen Staatsbesuch war die Revanche des Wortführers der arabischen Welt, auch wenn er sich in der arabischen Liga nicht mit der Drohung durchsetzen konnte, dass alle Mitgliedsstaaten wie Ägypten die Beziehungen zu Bonn abbrechen könnten. Was blieb waren die Bilder des Staatsratsvorsitzenden am Fuße der Pyramiden, im Glanz der Weltgeschichte und ihrer Wunder. Wie wenig dieser aufsehenerregende Erfolg als Faktor der Innenpolitik angesehen wurde, zeigt sich in der vollkommenen Abwesenheit von Berichten und Analysen der ZAIG über seine Wirkung innerhalb der DDR.

Während die außenpolitische Konstellation 1965 mehr oder minder im Raster der Jahre zwischen Mauerbau und Einleitung der Neuen Ostpolitik der Regierung Brandt erstarrt war, findet man am Ende des Jahres 1965 die DDR mit zutiefst verändertem Antlitz vor. Die 1962/63 initiierten Reformen hatten das Herrschaftspersonal des Kommunismus zutiefst verunsichert. Das wird deutlich, wenn man die Dokumente liest, in denen sich eine verzweifelte Wut, eine gedanken- und begriffslose Raserei widerspiegeln, mit der Entwicklungen und Stimmungen niedergeschlagen werden, die vor allem die nachgewachsenen Generationen ergriffen hatten. Das Neue Ökonomische System, der Rechtspflegeerlass des Staatsrates, die Aktivität und Selbstbestimmung der jungen Generation ermunternde Politik des Jugendkommuniqués des ZK der SED hatten die seit 1945 an den Schalthebeln der Macht fest verharrenden Kader vor Herausforderungen gestellt, die sie nach wenigen Monaten nur noch als Bedrohung empfanden.

1. Zeitgeschichtlicher Hintergrund

1.1 Das Neue Ökonomische System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft

Noch in den 1970er Jahren vermerkten offizielle Selbstdarstellungen der DDR-Geschichtsschreibung in sanften Umschreibungen die wirtschaftliche Sackgasse, in die das Land zu Beginn der 1960er Jahre geraten war. Zwar war im Jahre 1974 vom »neuen ökonomischen System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft« (NÖS)4 nicht mehr die Rede, doch die Erinnerung an eine dem postuliert krisenfreien sozialistischen Fortschritt so fremde »Stagnation der Zuwachsraten der Industrieproduktion […] in einigen sozialistischen Ländern, darunter auch in der DDR«, war noch vorhanden. Ihr musste mit »neuen Maßnahmen auf dem Gebiet der Planung und Leitung« entgegengetreten werden.5

Das NÖS, dessen Richtlinien im Juni 1963 auf einer Wirtschaftskonferenz der SED beschlossen und am 11. Juli vom Staatsrat übernommen worden waren, sollte die zentralstaatliche Planung auf eine wissenschaftlich begründete Perspektivplanung beschränken, während die Leitung der Betriebe auf der Basis der materiellen Interessiertheit in deren Eigenverantwortung übertragen und durch ein »geschlossenes System ökonomischer Hebel« mit der Perspektivplanung verbunden wurde. Im Zentrum der ökonomischen Hebel sollte der durch die Betriebe aus den ihnen zur Verfügung stehenden Fonds erzielte Gewinn stehen.6 Als Motor des ökonomischen Umbaus erwies sich hinter Ulbricht eine Gruppe jüngerer, im Vergleich zu den alten Parteikadern gut ausgebildeter Funktionäre: Erich Apel, der seine organisatorischen Fähigkeiten unter Wernher von Braun in Peenemünde und nach 1945 in der sowjetischen Rüstungsindustrie erworben hatte, wurde Chef der Staatlichen Plankommission (SPK). Seine Position als Wirtschaftssekretär des ZK übernahm Günter Mittag. Ihnen zur Seite stand ein Braintrust von Wirtschaftswissenschaftlern um Wolfgang Berger, Helmut Koziolek, Otto Reinhold, Herbert Wolf, die als persönliche Referenten Ulbrichts oder als Leiter von wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstituten der SED analytische Vorarbeiten beisteuerten.

Einem Unternehmen wie dem NÖS standen in der DDR offenbar dieselben Gegenkräfte im Wege, die die in der ČSSR im selben Zeitraum von Ota Šik konzipierten ökomischen Reformen wieder erdrosselten. Šik wollte das betriebswirtschaftliche Handeln der Unternehmen aus dem engen Korsett der allmächtigen Staatlichen Plankommission befreien und Planung auf die Konzipierung langfristiger Ziele und Trends konzentrieren. Er war der Auffassung, dass die Zentrale sorgfältiger auf die öffentliche Meinung achten sollte. Doch dieses Vorhaben stieß sich am Beharrungswillen mittlerer Kader, die nicht bereit waren, ihren Einfluss zurückzunehmen. Angesichts dieses internen Gegenwindes stellte er öffentlich fest, dass eine Wirtschaftsreform nicht ohne politische Reformen möglich sei.7

Das NÖS befand sich 1965 in seinem dritten Jahr, einige Experimentalstadien waren bereits abgeschlossen, ein weiteres Sinken der Zuwachsraten verhindert und das Einkommen der Beschäftigten, auf das nach dem Mauerbau erheblicher administrativer Druck ausgeübt worden war, stieg wieder. Bis 1963 war der Einzelhandelsumsatz noch auf dem Niveau von 1961 verharrt, war sogar leicht darunter gesunken (-0,9 Prozentpunkte), 1964 und 1965 um je 9,1 resp. 12,1 Prozentpunkte8 gestiegen. Weniger deutlich zeigte sich die Trendwende auf dem durch Warenmangel gekennzeichneten Markt im Arbeitseinkommen: In den zwei Jahren von 1961 bis 1963 stieg es um 3,4 Prozentpunkte, 1964 um 4, 1965 um 5,3 zum jeweiligen Vorjahr.9 Staatlich festgesetzte Preise vorausgesetzt, gibt diese Entwicklung keine durch Geldentwertung erst zu bereinigende Nominalentwicklung wieder, sondern im Kern die Realeinkommensentwicklung, zu der die über wachsende staatliche Subventionen für Miete, bestimmte Grundnahrungsmittel, das Gesundheits- und Bildungswesen hinzuzurechnen wären. Nach dem Scheitern des nachträglich auf sieben Jahre verlängerten Fünfjahrplanes ging es spürbar aufwärts, auch wenn die Legende von den goldenen Sechzigern der DDR eine spätere Erfindung ist.

Die Probleme in der inneren und außenwirtschaftlichen Abstimmung, die sich 1965 für die DDR-Wirtschaft offenbarten, ließen jene Funktionäre des Partei- und Staatsapparates mobil werden, denen durch die neuen Verfahrensweisen Kompetenzen gestutzt worden waren. Alfred Neumann, Vorsitzender des Volkswirtschaftsrates, hatte die Operation von Anfang an missbilligt.10 Hanna Wolf, Rektorin der höchsten Bildungseinrichtung der SED, nach eigenen Worten »Berufsideologin«11 der Partei, die nichts von Planung verstünde,12 beschwerte sich auf dem 10. ZK-Plenum im Juni 1965 über Planungschef Erich Apel, weil der ihr nicht helfe zu begreifen, was Planung sei. Offenbar – und das war eine bemerkenswerte Intervention – konnte sie die Arbeit der Staatlichen Plankommission nicht mit dem in Kongruenz bringen, was sie an der Parteihochschule ihren Studenten unter Planung lehrte.

Noch im Januar hatte sich Erich Apel während einer Besprechung von Problemen des NÖS in seinen Notizen Schwerpunkte festgehalten, die auf eine Dynamik des eingeleiteten Prozesses hindeuten, die Kernbereiche des politischen Systems berührte. Er notierte die Selbstregulierung als Hauptfrage des NÖS, die Durchsetzung ökonomischer Kriterien bis in die Vereinigungen Volkseigener Betriebe (VVB)13 hinunter.14 Die Logik der Reform, die tendenziell eine politische Wirtschaftsadministration in eine ökonomische, regulierte Entwicklungsplanung verwandeln sollte, rieb sich an der Unfähigkeit der Funktionäre auf den mittleren und unteren Ebenen, jene Planungs- und Abstimmungsprozesse eigenverantwortlich vorzunehmen, die für eine kontinuierliche und effiziente Produktion notwendig waren.

Wenn der oberste Planbürokrat alten Stils Alfred Neumann – immerhin ein Mann von untadeligem Mut im Kampf gegen die Naziherrschaft – den Kopf der Wirtschaftsreform, Politbüromitglied und stellvertretender Ministerpräsident Erich Apel, als Banditen bezeichnet, weil er dessen Konzept nur als Kontrollverlust erlebt, mag das noch als Entgleisung erscheinen.15 Doch war Neumann nur einer der prominenteren Sprecher der vielköpfigen Fronde aus dem Apparat. Als Vorsitzender des für die Erstellung der Jahrespläne verantwortlichen Volkswirtschaftsrates bemängelte er, dass die von der SPK vorgelegten Eckziffern nicht hinreichend genau seien. Er bemühte den anschaulichen Hinweis darauf, dass für die Herstellung eines Dieselmotors 12 450 Teile notwendig seien, die SPK aber nur 116 Kennziffern in der Planung vorsah. Die sich daraus ergebende Frage, woher die nicht im Plan vorgesehenen Teile kämen, unterstellt eine administrative Planungsvorstellung, die die Ohnmacht wie die Unfähigkeit der Betriebe zur Selbstorganisation einerseits und die Abwesenheit eines Produktionsmittelmarktes andrerseits voraussetzt.16 Neumann hatte den Kern des NÖS schlicht nicht verstanden, blieb aber als Vorsitzender des Volkswirtschaftsrates für seine Umsetzung an zentraler Stelle verantwortlich. Die Lösung der entstandenen Probleme meinte er darin zu sehen, die stoffliche Planung der gesamten Produktion stärker zu zentralisieren, ja die »Rolle der Planung und des zentralen Planes« zu stärken.17 Was Neumann reflektierte, beruhte realiter auf einem der konzeptionellen Widersprüche des NÖS, zwar eine Ökonomisierung der Planung auf der Wertbasis einzuleiten, zugleich aber an der Planung der Produktion konkreter Gebrauchswerte festhalten zu wollen. Die Voraussetzung für eine ökonomische Orientierung selbstverantwortlichen Handelns der Betriebe war die Messbarkeit ihrer Produkte im Austausch mit anderen Betrieben. Das System staatlich eingefrorener Preise, die deren Wertsubstanz teils aus der Mitte der 1930er, teils der 1940er Jahre spiegelten, einerseits, und zugleich des strukturellen Überwiegens der Nachfrage über das Angebot andrerseits, sorgte dafür, dass die Betriebe materielle Ressourcen horteten, um für den Fall, dass sie sie benötigten, nicht von einer mangelnden Verfügbarkeit abhängig zu sein. Da deren Preise unter ihren Werten lagen und weder ein ökonomisches noch ein fiskalisches Mittel die hierdurch verursachte Aufblähung des toten Kapitals bestrafte, steigerte dieses Vorgehen den ohnehin bestehenden Warenmangel signifikant.

1.2 Das zweite Jugendkommuniqué 1963 und die Widerstände des Apparates

Vorbei an der Abteilung Jugend des ZK der SED hatte Walter Ulbricht 1963 eine Gruppe junger Partei- und Jugendfunktionäre beauftragt, die Richtlinien auszuformulieren, nach denen die Partei sich der Nachkriegsgeneration zuwenden wollte. Im September 1963 wurde von der neu besetzten Jugendkommission beim ZK – der nicht nur SED-Mitglieder angehörten – das Jugendkommuniqué unter dem Titel »Der Jugend Vertrauen und Verantwortung«18 veröffentlicht und sogleich als Grundsatzlektüre Partei- und Staatsdienern anempfohlen.19

Der Text war weniger durch seine überaus langen politischen Verlautbarungen als vielmehr durch die wenigen Sentenzen wirkungsmächtig, die – immer wieder zitiert und rasch von seinen Adressaten angenommen – das Senioritätsprinzip nicht nur der SED, sondern auch der Kriegsgeneration infrage stellte: »Habt Mut zur Anstrengung des eigenen Denkens!« Auch wenn es der SED-Führung um Ulbricht mit dem Jugendkommuniqué nicht um »eine Liberalisierung im jugendkulturellen Bereich« ging, sondern nur »um ein Modernisierungs- und Mobilisierungsprogramm«,20 setzte sie nunmehr nicht mehr auf früher allenthalben praktizierte Massenaktionen, den kollektiven Enthusiasmus einer »unruhevollen Jugend«, die den Herausforderungen des kommunistischen Aufbaus trotzt, sei es in den Arbeitsarmeen Pawel Kortschagins oder als »in abenteuerlicher Ferne gerufen« unerschlossenes Neuland unter den Pflug nehmende Siedlerbrigaden.21 Das Jugendkommuniqué setzte auf denkende, fragende, engagierte Individuen, denen es ebenso erlaubt wurde, Althergebrachtes infrage zu stellen wie ein lustvolles Leben jenseits des Klassenkampfes und dem Ernst der sozialistischen Arbeit zu führen: »Welchen Takt die Jugend wählt, ist ihr überlassen: Hauptsache sie bleibt taktvoll.« Über diesen meistzitierten Satz aus dem Politbürobeschluss ging die Kenntnis des Kommuniqués meist nicht entschieden hinaus,22 doch es war dieser Gestus, der dem Papier jene Wirkung verlieh, das es zur politische Begleitmusik der Wirtschaftsreform werden ließ.

Das Jugendkommuniqué gehört wie das NÖS oder der Rechtspflegeerlass des Staatsrates der DDR23 in den Kontext der Reformen der Jahre 1963 bis 1965. Wenn es 1965 mittelbar wieder zu einem Schlüsselthema wurde, so weil es im Verlaufe des Jahres 1965 von der Parteibürokratie erfolgreich konterkariert wurde bis hin zur faktischen Auflösung des sie tragenden Parteigremiums, der Jugendkommission beim Politbüro.

1.3 Karikaturen der Reisefreiheit: Rentnerreisen und Passierscheine

Eine erste Bilanz der Maueröffnung für den Teil der nicht werktätigen Bevölkerung, von dem ein Beitrag zum Aufbau des Sozialismus aus Altersgründen nicht mehr zu erwarten war,24 zog das MfS im Januar 1965. Für alle überraschend hatte der Ministerrat der DDR im September 1964 verordnet, dass ab November 1964 Rentner aus der DDR ihre Verwandten im Westen des Landes besuchen durften. Die SED-Führung überließ die Verkündung dieser keineswegs marginalen Anordnung der (freilich staatlich dirigierten) Gerüchteküche: Kein veröffentlichtes Gesetz oder doch wenigstens eine durch Regierungserklärung publik gemachte Verordnung setzte die Betroffenen in Kenntnis, sondern gleichsam nebenbei wurde die Türöffnung in einem Brief an den Thüringischen Landesbischof Moritz Mitzenheim mitgeteilt.25 Erst am folgenden Tage erschien eine offizielle Erklärung des Ministerrates in der Tagespresse, gleichsam als hätte Ministerpräsident Stoph vom neuesten Regierungsakt selbst erst aus der Zeitung des Vortages erfahren und nun rasch eine entsprechende Verordnung erlassen, um den großen Staatsratsvorsitzenden nicht zu desavouieren. Die Bundesregierung und die Länder reagierten rasch und schafften es binnen der knappen Frist von weniger als zwei Monaten, die Voraussetzungen zum Empfang einer großen Zahl faktisch mittelloser DDR-Rentner herzustellen. Rotes Kreuz, Bahnhofsmissionen, Kirchengemeinden und Wohlfahrtsverbände mobilisierten Freiwillige zur Betreuung der Reisenden mit Informationen, warmen Getränken und Mahlzeiten; Bund, Länder und Kommunen stellten das aus diesem Anlass erhöhte »Begrüßungsgeld« – eine Barauszahlung in harter Währung, die jedem aus der DDR Einreisenden bis zum Jahresende 1989 angeboten wurde, und die die meisten von ihnen sehr zu schätzen wussten.

Nach westlichen Angaben nahmen allein vom 2. November bis zum 10. Dezember 1964 295 000 Rentner diese Möglichkeit wahr. Nur 220 von ihnen, so Bundesvertriebenenminister Ernst Lemmer, blieben im Westen.26 Der Bericht 11/65 vom 6. Januar 1965 stellt in erstauntem Ton fest, dass die »Feindzentralen in Westdeutschland und Westberlin« nicht – zumindest nicht »offen erkennbar« – gegen den Beschluss, die DDR-Rentner gen Westen reisen zu lassen, vorgegangen waren. Die Erwartung solcher Feindseligkeit beruhte offenbar auf einem Feindbild der »Bonner Ultras«, das eine positive Reaktion auf eine ostdeutsche Regierungsmaßnahme vollkommen aus der Vorstellungswelt des MfS verbannte. Sorgfältig wurden die Reaktionen, Berichte, Kommentare westdeutscher Medien gesammelt und ausgewertet, »Feindliche Planungen gegen den Beschluss des Ministerrates der DDR vom 8. September 1964 (Rentner-Reisen)« waren offenbar nicht nachweisbar.27 Es sei denn, man zählt die Auszahlung eines »Begrüßungsgeldes« als feindlichen Akt:

»Von der Bonner Regierung, vom Westberliner Senat sind außerdem zahlreiche direkte Maßnahmen zur materiellen und ideellen Beeinflussung der Rentner organisiert, wie z. B. Bestechung mit finanziellen Zuwendungen in Höhe von 30,00 bis 100,00 Mark (West), Freifahrten auf öffentlichen Verkehrsmitteln, Ermäßigungen bzw. Freikarten zu Veranstaltungen, Rückfahrkarten, Krankenhilfe und zusätzliche finanzielle Unterstützungen. Dafür sollen ca. 150 Mio. DM (West) jährlich zur Verfügung gestellt werden.«28

Es gibt wohl kaum einen Punkt, an dem sich die Denkmuster der Stasi so diametral von denen der DDR-Bevölkerung unterscheiden, wie in der Deutung des Begrüßungsgeldes. Was von den Reisenden, die in aller Regel unter dem Mangel an harter Währung litten und die die westliche Welt allenfalls als bettelnde Zaungäste hätten betrachten können, als willkommener Akt hilfreicher Gastfreundlichkeit dankbar angenommen wurde, war dem MfS ein feindlicher Akt der Bestechung. Natürlich fanden sich auch Stimmen von reisenden Rentnern, die genau diese Position als die ihre in ostdeutschen Zeitungen kundgaben oder kundgeben ließen und sich darüber empörten, dass »man uns Rentner aus der DDR mit einem Almosen bestechen« wolle.29 Die Agitationsabteilung des MfS sammelte nun nicht nur alle Informationen über Misshelligkeiten, die zwischen den Rentnern und ihren besuchten Verwandten im Westen auftraten, sie war auch rege am Verfassen diverser Tatarenmeldungen: So sei ein Rentner-Sonderzug der Deutschen Reichsbahn in Hamburg mit Steinen beworfen worden, hieß es in einer als ADN-Meldung firmierenden Notiz (»Mit Genossen Sehmisch ZK abgestimmt, 7.11.64«), die prompt wenige Tage später im »Neuen Deutschland« nachzulesen war. Stolz listete das MfS diesen und andere Nachdrucke auf.30

Verärgert reagierte die SED auch auf die Tatsache, dass Rentner, um sich ein wenig mehr von einer Welt anzuschauen, die sie mit den Papieren aus der DDR nicht betreten durften, in die nächstbeste Meldestelle liefen, um sich dort einen Pass als Bürger der Bundesrepublik ausstellen zu lassen, womit sie einerseits ihren Anspruch aus dem Grundgesetz auf ihre Bürgerrechte wahrnahmen, zugleich aber das Passgesetz der DDR ignorierten. Die Meldestellen sahen keinen Grund, diesem Wunsch nicht nachzukommen oder, wie das MfS schrieb, »verleiten DDR-Bürger dazu, westdeutsche Personaldokumente anzunehmen und zu benutzen und damit eine strafbare Handlung zu begehen«31. Am Ende lenkten die Westalliierten ein: Sie spendeten dem ungeliebten DDR-Pass ein Einlageblatt mit Visum in den dem Allied Travel Office (ATO) zugeordneten Ländern und entbanden die Rentner damit von der zusätzlichen Beantragung eines alliierten Passes. Der DDR-Pass blieb Identitätsbescheinigung, wurde aber nicht durch den Einreisestempel eines NATO-Staates als gültiges Dokument eines existierenden Staates geadelt.32

Fortgesetzt wurde 1965 das Passierscheinabkommen, das seit den Weihnachtsfeiertagen 1963 die Mauer für Westberlinerinnen und Westberliner in Richtung Ostsektor der Stadt wieder geöffnet hatte. Es bedeutete keineswegs Reisefreiheit, schloss es doch die Ostberliner komplett aus. Und es war gespickt mit einschränkenden Bedingungen. Besucht werden durften nur Verwandte (bis zu einer Verwandtschaft dritten Grades) im Ostsektor der Stadt, nicht aber außerhalb Berlins. Das MfS war allerdings bei der Prüfung der Frage, ob jemand als Verwandter dritten Grades tatsächlich in dieser familiären Nähe zum Antragsteller stand, überfordert. So gelang es auch vielen Nenntanten und -onkeln, ob sie verwandt waren oder nicht, die Gelegenheit zu nutzen, Ostberliner Bekannte zu besuchen. Sie mussten sich nur in einem amtlichen Dokument als Onkel oder Tante ausgeben – eine Selbstbezeichnung, die in der deutschen Sprache hinreichend uneindeutig ist, um nicht als Lüge bezeichnet zu werden. Von Westberliner Beamten wurden sie überdies ermuntert, nicht Schwager oder Großtante, sondern Onkel oder Tante in die Ostberliner Anträge zu schreiben. So sorgte das Passierscheinabkommen dafür, dass sich die Berlinerinnen und Berliner auch verwandtschaftlich weit näher kamen, als sie es ohnehin gewesen sind.33 Und das Wissen um den kleinen Schummel der Nutzer des Abkommens stand in vollkommener Proportionalität zur Voraussetzung des Abkommens, dass für beide vertragschließenden Seiten feststand, dass »eine Einigung über gemeinsame Orts-, Behörden- und Amtsbezeichnungen nicht erzielt werden konnte«. So verschob das Passierscheinabkommen keine der festgefahrenen Positionen in der wechselseitigen deutsch-deutschen Wahrnehmung, änderte aber viel für die Menschen, die sich wieder begegnen konnten. Das Abkommen ist insofern ein erstes und einleuchtendes Beispiel für die »Politik der kleinen Schritte«, der menschlichen Erleichterungen, die der Regierende Bürgermeister Westberlins, Willy Brandt, nach dem entsetzlichen Bruch des 13. August 1961 einleitete. Die Limitierungen des Abkommens erwuchsen aus den gegensätzlichen Statusdefinitionen. Die Bundesrepublik achtete peinlich genau darauf, dass das Abkommen nicht den innerstädtischen Berliner Rahmen verließ. Unter diesen Voraussetzungen konnte nicht über Besuche außerhalb Berlins verhandelt werden,34 weil man dann den Anspruch der Verwaltung in Ostberlin anerkannt hätte, Regierung des östlichen Deutschlands zu sein, eines Teiles von Deutschland, den die Bundesregierung lediglich als sowjetisch besetzten Teil der Bundesrepublik ohne eigene Souveränität betrachtete.

Natürlich war die DDR kein souveräner Staat. Aber sie handelte als solcher. Ihre Regierung war durchaus souverän – allerdings nicht gegenüber der Sowjetunion, der gegenüber sie nur als abhängige Verwaltungseinrichtung operieren konnte, wie groß auch immer ihre Handlungsspielräume waren.

Während durch das 2. Passierscheinabkommen vom 24. September 1964 die Besuche bis Pfingsten 1965 zwar vereinbart, aber noch nicht terminiert waren, musste neben der Aushandlung des Prozederes für die Oster- und Pfingstbesuche bereits am 3. Abkommen gearbeitet werden. Die DDR-Seite versuchte Vorbedingungen zu stellen. Sie wollte, dass die Westberliner Polizei von sich aus Fluchtversuche vereitelt und vor allem die Propagandaaktionen sowohl des Senats als auch von verschiedenen politischen Organisationen beendet. Doch während diese Vorbedingungen bei Verhandlungsbeginn noch laut verkündet wurden, kam die DDR-Seite nicht ernsthaft auf sie zurück. Dennoch dauerten die seit ihrem Beginn am 21. Juni 1965 mehrfach unterbrochenen Verhandlungen Monate, bis am 25. November das 3. Abkommen vereinbart war, das wenigstens die Besuche zu den Weihnachtsfeiertagen und zum Jahreswechsel terminierte. Die Regelungen für Ostern und Pfingsten blieben dagegen weiter in der Schwebe. Somit waren die Verwandtenbesuche zwar vorerst wieder gesichert, zugleich aber mit der Hypothek versehen, die Vereinbarung ab ovo neu zu verhandeln.35

Bereits das 2. Abkommen hatte dafür gesorgt, dass etwa die Hälfte der Westberliner mit Ostberlinern zusammengetroffen war. Hinzu kamen die Begegnungen, die sich aus den Fahrten Ostberliner Rentner nach Westberlin ergaben. Die persönliche Verflechtung in der Stadt erwies sich als vital und eng. Sie zeigte zugleich, wie tief die Mauer in das Leben der Menschen einschnitt.

1.4 Kirchen im geteilten Land

Seit in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre der staatliche Druck zum atheistischen Bekenntnis besonders den Heranwachsenden gegenüber beständig erhöht wurde, befanden sich die Kirchen in einem tragischen Konflikt. Das Bekenntnis zur christlichen Glaubensgemeinschaft drohte, die Gläubigen in dem Staat, in dem sie nolens volens lebten, zu Parias zu machen. Gerade die Aufrichtigen, mutig zu ihren Überzeugungen stehenden Christen wurden drangsaliert und insbesondere von Bildungsmöglichkeiten ausgeschlossen. Ihnen das christliche Bekenntnis abzuverlangen, bedeutete einen dauerhaften Verzicht auf Lebenschance, auf viele ihrer wichtigsten Träume und Wünsche. Es ihnen nicht abzuverlangen, bedeutete als Kirche auf den Kern der Identität als Religionsgemeinschaft zu verzichten.

Insbesondere die Jugendweihe, die seit 1958 mehr und mehr zum obligatorischen Entreebillett in die DDR-Gesellschaft durchgesetzt wurde, stand als dezidiert atheistisches Initiationsritual in unauflöslichem Gegensatz zur Konfirmation. Die Jugendlichen standen gleichermaßen vor der Wahl, in die Gemeinschaft der Kirche oder in die DDR-Gesellschaft einzutreten. Tertium non datur. Je mehr die Jugendweihe obligatorischen Charakter gewann, je weniger sie eine Wahlfreiheit offenließ, je größer die seelische Bedrängnis für die Halbwüchsigen wurde, desto mehr von ihnen mieden den Gang in den Konfirmandenunterricht. Die Konfirmationszahlen sanken unter die der Taufen. Die Gemeinden verloren, seit mit dem Bau der Mauer auch der radikale Ausweg der Flucht versperrt war, signifikant an Mitgliedern. Seit 1950 hatten die Gemeinden ein Viertel ihrer Mitglieder eingebüßt. Am gravierendsten war der Rückgang unter den jungen Menschen: Wurden 1950 noch 76,9 % der Kinder getauft, so waren es 1965 nur noch 29,3 %. Und von den 1950 Getauften wurden 1965 nur 35,9 % auch konfirmiert, lediglich 29,6 % der Sechs- bis Zwölfjährigen gingen zur Christenlehre, weniger als ein Viertel der Ehen wurde vor dem Pfarrer geschlossen.36 Seit die Regierung der DDR im Mai 1958 die Beziehungen zur Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) abgebrochen hatte, war der Kirchenbund eine im Osten nicht erwünschte Organisation. Nach dem Mauerbau wurde wichtigen Vertretern der EKD die Einreise in die DDR dauerhaft verweigert, darunter dem ehemaligen Generalbevollmächtigten Heinrich Grüber, dem alten Ratsvorsitzenden Otto Dibelius und dem 1961 gewählten Bischof von Berlin-Brandenburg, Kurt Scharf, der Ende August 1961 aus der DDR ausgewiesen worden war.

Über das Staatssekretariat für Kirchenfragen suchte die DDR-Regierung den Kontakt zu Offiziellen der evangelischen Kirchen in der DDR, hielt diese Kontakte aber sorgfältig auf der Ebene der Landeskirchen bzw. der einzelnen Kirchenbezirke. Dagegen suchte sie eine gemeinsame Arbeit der EKD und ihres Rates durch immer neue Beschränkungen zu behindern. Angesichts der faktischen Undurchführbarkeit gemeinsamer Tagungen griff der Rat der EKD zum Behelf des gleichzeitigen Tagens an zwei Orten, so wie bei der Synode vom März 1965 in Frankfurt am Main und in Magdeburg. Das MfS beobachtete diese Treffen mit großer Aufmerksamkeit und nicht zuletzt persönlicher Teilnahme. Es registrierte aufmerksam das Bestreben, die »Einheit der EKD […] trotz mancher äußeren Behinderung weiterhin« zu bewahren.37 Mit administrativen Maßnahmen beschnitt es systematisch die Bindungen zwischen den Kirchen in Deutschland in der erklärten politischen Absicht, die Kirchen in der DDR in Kirchen der DDR zu verwandeln und das Verhältnis der Kirchen in Ost und West unter das Junktim der Normalisierung des Verhältnisses von DDR und Bundesrepublik, d. h. der völkerrechtlichen gegenseitigen Anerkennung der Souveränität zweier deutscher Staaten zu stellen. Mit großer Genugtuung griffen daher Vertreter des SED-Regimes wie der CDU-Vorsitzende Gerald Götting entsprechende Zugeständnisse einzelner Kirchenfürsten auf.

»So hat auch der thüringische Landesbischof D. Mitzenheim in seinem Gespräch mit dem Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Walter Ulbricht, am 18. August 1964 auf der Wartburg darauf hingewiesen, dass die Zusammenarbeit zwischen den Kirchen ein abgeleitetes Phänomen sei. Wörtlich sagte er: ›Zuerst muss das Verhältnis zwischen den beiden Staaten in Ordnung kommen, dann werden auch die Kirchen wie alle anderen Institutionen wieder normal miteinander verkehren können.‹«38

Die Berichte des MfS über die Ratstagungen der EKD, die Synoden und Tagungen anderer Kirchenbünde wie der Evangelischen Kirche der Union (EKU) fallen durch ihren Detailreichtum und ihre Ausführlichkeit aus den anderen heraus. Hier schuf das MfS ganz offenbar einen Informationsersatz, der durch die unfreie Presse der DDR letztlich auch den für die Kirchenpolitik verantwortlichen Vertretern von SED und Staat notwendig war. Es ist umso erstaunlicher, dass diese Informationen den öffentlich greifbaren Informationen hinterherhinkten wie im Falle der Denkschrift der EKD zur Vertriebenenproblematik vom Oktober 1965 (siehe Mitte Abschnitt 5.

In kaum einem anderen Bericht werden die diskutierten Texte so ausführlich dokumentiert wie in den Kirchenberichten. Darunter finden sich Zeugnisse ernsthaftester Diskussionen gesellschaftlicher und politischer Probleme in der DDR, die Ausdruck der sorgfältigen Anteilnahme der Kirchen am Leben ihrer Mitglieder unter den ungeliebten Umständen eines atheistischen Regimes sind. Die Diskussionen über die Wehrpflicht und die Wehrdienstverweigerung, die die existenziellen Gewissensprobleme junger Männer erörterten, waren für die Betroffenen ein Wegweiser, der es wesentlich erleichterte, verantwortliche Entscheidungen in der Abwägung von Gewissensfragen zwischen Zwang und Glauben zu treffen. Die Autoren dieser Handreichung, darunter Peter Schicketanz und Heino Falcke, blieben bis ins Jahr der Friedlichen Revolution 1989 Inspiratoren und Ratgeber für Wehrdienstverweigerer und Protagonisten der Einrichtung eines zivilen Friedensdienstes in der DDR.39

In intensiven Debatten wurde in den Kirchengremien die Diskussion über das DDR-Familiengesetzbuch40 begleitet. Selbst in der Kolportage der Debatten durch das MfS hält sich ein gewisser Eindruck von der Intensität, mit der hier um das Gut der Familie im Verhältnis zum Staat gerungen wurde. Kritische Einwände kamen aus unterschiedlichen Motiven. Der Gesetzentwurf revidierte die bisherigen Rechtsverhältnisse in zweierlei Richtung: Einerseits tendierte er zur Verstaatlichung des privaten Lebens, andererseits setzte er familienreformerische Ideen des 19. und 20. Jahrhunderts um, die insbesondere auf die Gleichstellung – und sei es vorerst nur die rechtliche – von Frauen und Männer abzielte.41 Bedenken wurden daher sowohl aus emanzipatorischer als auch aus konservativer Richtung geltend gemacht.42 Kritische Einwände galten vor allem der im Gesetz kodifizierten Verpflichtung zur Kindeserziehung im ideologischen Sinne der SED, was als Bruch der weltanschaulichen Neutralität des Staates – wie sie in der noch geltenden Verfassung von 1949 verankert war – zurückgewiesen wurde. Auf wenig Gegenliebe stieß aber auch die mit der rechtlichen Gleichstellung von Mann und Frau einhergehende Auskehr der Residuen des Patriarchats (wie des Stichentscheids in familiären Streitigkeiten) im neuen Gesetzeswerk und die Angleichung der Ehemündigkeit von Frauen und Männern mit der allgemeinen Volljährigkeit. Die reformerischen Kernbereiche des Gesetzes allerdings, die die Neuregelung des Güterrechts und die Abschaffung der juristischen Ungleichbehandlung in der Ehe und außerhalb der Ehe geborener Kinder regelten, wurden zwar diskutiert, in den »10 Fragen zum Entwurf des Familiengesetzbuches der Deutschen Demokratischen Republik«43 aber nicht als problematisch angefragt. Die Gleichstellung der Kinder wurde ausdrücklich begrüßt.44 Es scheint, als sei die dezidiert vorgetragene Kritik – bestimmte »hier normierte Verhaltensweisen und Zielsetzungen sind eindeutig weltanschaulich festgelegt und können so von dem christlichen Teil der Bevölkerung nicht anerkannt werden. Begriffe einer weltanschaulichen Ethik gehören nicht in Gesetzestexte« – zumindest insofern erfolgreich gewesen, als einige der betreffenden Passagen nicht in den endgültigen Gesetzestext übernommen wurden.45

Kaum von der Forschung beachtet wurde bislang die nichtöffentliche administrative Erweiterung des legalen Schwangerschaftsabbruches in der DDR.46 Diese weiterreichenden Anweisungen des der CDU angehörenden Gesundheitsministers Max Sefrin hätten sich jeder Debatte entzogen, wenn nicht die Kirchen interveniert hätten. Letztlich sollten diese Diskussionen 1972 zur Verabschiedung eines Gesetzes führen, das als einziges in der Geschichte der DDR selbst auf dem Parkett eines autoritär zusammengesetzten Scheinparlaments offenbarte, dass die Gesellschaft der DDR sich der kommunistischen Fiktion einer politisch-moralischen Einheit entzog.47 Nur durch die nahezu totale Kontrolle der Massenmedien konnte in der Öffentlichkeit der Eindruck erzeugt werden, es bestünde Einmütigkeit zwischen Kirchen und dem Gesundheitsminister. Gegen die fälschenden Presseberichte des Jahres 1965 opponierten die Kirchen in dem ihnen zur Verfügung stehenden Rahmen.48

Ebenso fragmentarisch wurde die Öffentlichkeit über den Vorstoß der EKD informiert, die Vertreibung der Deutschen aus den im Verlaufe von zwanzig Jahren zu polnischen Westgebieten gewordenen ehemaligen schlesischen, pommerischen und preußischen Gebieten anzunehmen. Weit berichtete die Presse über die heftigen, ja aggressiven Attacken von Vertriebenenverbänden und Teilen der Bundesregierung auf diese Denkschrift.49 Doch eine Information über ihren Inhalt erfolgte – abgesehen von einer einzigen, sich wiederholenden Andeutung50 – ebenso wenig wie einen guten Monat später über den Briefwechsel zwischen polnischen und deutschen katholischen Bischöfen,51 in dem die polnischen ihren deutschen Brüdern ebenso mutig wie großmütig die Hand zu Versöhnung entgegenstreckten.52

2. Zentrale Themenfelder der Berichte

Die Themenbereiche der ZAIG-Informationen des Jahres 1965 konzentrieren sich auf spezifische Arbeitsgebiete des MfS, zu denen die Untersuchung besonders schwerwiegender Vorkommnisse (Unfälle, Havarien etc.) gehört, insofern sie von ihren Wirkungen oder aber den betroffenen Einrichtungen her von herausragender Bedeutung waren. Zu den spezifischen Arbeitsfeldern zählen überdies die mit den Grenzen der DDR verbundenen Ereignisse wie Grenzzwischenfälle, Republikfluchten mit Todesfällen, die öffentliches Aufsehen verursachten oder an denen Angehörige der Grenztruppen selbst beteiligt waren.

Eine große Zahl von Informationen betrifft mit dem Status Berlins verbundene Vorkommnisse, seien dies Zwischenfälle bei der von Ostberlin verwalteten Reichsbahn, mit Aktivitäten des Bundes oder mit den Alliierten Schutzmächten Westberlins verknüpfte Ereignisse.

Mit diesen beiden Problembereichen im Zusammenhang stehen auch die zahlreichen Berichte zum Passierscheinabkommen, bei denen sich eine bestimmte eigene Systematik herausgebildet hatte. Sie informieren zwar breit über mit dem Abkommen verknüpfte Vorgänge, gewinnen allerdings selten analytische Tiefe. Selbst die Abschlussberichte gehen kaum über eine Zusammenfassung der vorherigen hinaus.53

Den nächsten intensiv beleuchteten Komplex stellen die Berichte über interne Entwicklungen der Kirchen dar. Durch den Abbruch der offiziellen Beziehungen der DDR-Regierung zur EKD wurden inoffiziell gewonnene Informationen zur zentralen Quelle des Wissens über Kircheninterna. Hier fungierte das MfS im klassischen Sinne als Nachrichtendienst – womit nicht gesagt werden soll, dass es in den Kirchen nicht zugleich auch repressiv als Geheimpolizei wirksam wurde. Diese Seite seiner Aktivitäten schlägt sich in den ZAIG-Berichten indes nicht oder nur mittelbar nieder.

Eine Besonderheit stellen die Sammlungen von Berichten aus Sportlerkreisen dar, die offenbar der Vorbereitung der »Direktive zur Ausarbeitung der Perspektivpläne für die Entwicklung der sozialistischen Körperkultur bis 1970«, die vom Politbüro am 3. August 1965 beschlossen wurde,54 diente.

Einen eigenen Bereich bilden bestimmte, politische Ereignisse begleitende Aktionen des MfS wie die Aktion »Karo« zur Absicherung der Blockade Westberlins, um die Sitzung des Bundestages zu behindern, die Aktion »Gast« zur Absicherung der Umsetzung des Passierscheinabkommens, die Aktion »Oktobersturm« zur Absicherung des Manövers der vereinigten Streitkräfte des Warschauer Paktes im Herbst 1965 sowie die Absicherung der Leipziger Messen. Für diese Aktionen wurden jeweils Sonderstäbe gebildet, die, wenngleich sie auf das Personal der ZAIG zurückgriffen, weitere Mitarbeiter aus anderen Diensteinheiten heranzogen. Zumeist sind die Berichte dieser Aktionen auch gesondert archiviert, was zur Folge hatte, dass sie bei der Inventarisierung der ZAIG-Informationen 1990 als fehlend ausgewiesen wurden. Sie konnten erst durch zusätzliche Archivrecherchen aufgefunden werden.

In der Reihe der bislang veröffentlichten ZAIG-Informationen55 fallen die des Jahres 1965 als geradezu spartanisch auf. Nicht nur ihre Zahl, auch der weitgehende Verzicht auf Stimmungsberichte und die weitgehende Konzentration auf die Fakten, die der hergestellten Information zugrunde lagen, verleiht ihnen zumindest für die ersten drei Quartale des Jahres einen eher nüchternen Charakter. Die DDR im Blick der Stasi zeigte auch nicht die ganze DDR, nicht einmal einen Teil von ihr. Die Informationen berührten nicht einmal das gesamte Spektrum der vom MfS überwachten Lebensbereiche. Und auch der Teil, den die ZAIG-Informationen zeigen, ist durch die sehr spezifische Optik des MfS verzerrt. So sehr das durch die Spezifik des Zugangs einer Geheimpolizei begründet sein mag, es bleiben Fragen über die berührten Ereignisse, die sich aus dem hier präsentierten Material allein nicht klären lassen.

Zum einem finden Informationen ganzer Bereiche, die Gegenstand der Arbeit des MfS waren, nicht ihren Weg in die Berichte, die aus dem Ministerium auf die Schreibtische seiner Auftraggeber gelangten. Um nur ein Beispiel zu nennen: Fanden z. B. 1960 und 1961 die Entwicklungen auf dem Lande noch einen zentralen Platz in der Berichterstattung,56 sind – von einigen wenigen Scheunenbränden, bei denen sich meist aber kein politischer Hintergrund feststellen ließ abgesehen – Probleme auf dem Lande offenbar nicht existent. Das liest sich anders, greift man zu den Akten der SED. Die schwierigen Witterungsbedingungen geboten im Sommer 1965 große Anstrengungen, die Getreideernte einzubringen. Gerade vor dem Hintergrund gekürzter sowjetischer Getreidelieferungen an die DDR stellten diese Ernteprobleme ein staatspolitisch brisantes Thema dar. Doch während sich zwischen Walter Ulbricht, der im Juli und August seinen Urlaub auf der Insel Vilm verbrachte, und Erich Honecker, der im Zentralkomitee die Platzwache hielt, ein lebhafter Briefwechsel entfaltete, in dem Ernteprobleme stets einen zentralen Punkt einnahmen,57 schien das MfS hiermit nicht befasst.

Aus den Informationen der ZAIG entsteht der Eindruck, als konzentrierte sich die Arbeit des MfS auf sicherheitsrelevante Bereiche der DDR und bezöge die Havarien des Alltags nur noch dort ein, wo ihnen ohne nähere Kenntnisse ein politischer Hintergrund hätte zugerechnet werden können. So reduzieren sich brennende Scheunen auf das traurige Resultat unachtsam mit Feuer spielender Kinder, handgreifliche Auseinandersetzungen mit Sowjetsoldaten auf mehr oder minder gewöhnliche Wirtshausschlägereien und Zusammenstöße von Jugendlichen mit der Polizei auf Randale in ihren Feiertagserwartungen enttäuschter Konzert- oder Festbesucher. Es scheint, als hätte sich die ZAIG eine gewisse Zurückhaltung in ihren Analysen und vor allem bei den Bewertungen auferlegt.

Eine Ausnahme stellt sicher die Analyse über die Ursachen, Bedingungen und Motive der Republikfluchten dar. Hier geht der das Geschehen seit dem Mauerbau zusammenfassende Bericht sehr ausführlich auf Motivationen, Erwartungen und Strategien der Flüchtenden ein und kommt zu abgewogenen Urteilen, die im Kern bis 1989 Bestand hatten, öffentlich von der SED freilich niemals so eingeräumt wurden.58

Die Informationen der ZAIG erscheinen relativ zurückhaltend vor allem angesichts der Dramatik der Ereignisse am Ende des Jahres 1965. Auf diese historisch zentralen Entwicklungen können aus ihnen keine Rückschlüsse gezogen werden. Dass sich das 11. Plenum des ZK der SED noch nicht in ihnen niederschlug, mag damit zu erklären sein, dass es seine tiefergehende Wirkung erst im Jahre 1966 entfaltete. Der einzige Bericht nach dem Plenum, der auf die Polemik gegen Wolf Biermann Bezug nimmt, ist nicht überliefert.59

Doch die Informationen der ZAIG aus dem Jahre 1965 sind nicht die einzige Quelle, aus der sich ein Bild der Entwicklungen in der DDR ergibt. Sie setzten spezifische Schwerpunkte, ergeben aber erst im Zusammenspiel mit Quellen anderer Provenienz, mit Informationen, die in den Berichtssträngen der SED, der Gewerkschaften, der FDJ und anderer Behörden und Organisationen flossen, ihren spezifischen Aussagewert. Selbst ihre Lücken werfen im Kontrast mit anderen Quellen ein umso klareres Licht sowohl auf die Geschichte des MfS wie die der DDR.

2.1 Probleme des NÖS

Nur ein schwacher Abglanz blieb von den ökonomischen Kontroversen. Auch wenn man davon ausgehen kann, dass das MfS für deren Kern nicht zuständig war, blieben die Informationen aus dem DDR-Wirtschaftsleben dennoch inhaltsärmer als zu vermuten war. Die sich über das gesamte Jahr erstreckenden Forderungen von Arbeitern und Angestellten nach substanziellen Verbesserungen der Lebensbedingungen erscheinen eher am Rande auf, wenn über Arbeitsniederlegungen berichtet wurde, die aus einer Benachteiligung in der tariflichen Eingruppierung resultierten (Information Nr. 272/65 und 293/65). Dass sich in der gleichen Zeit der Druck in den Betrieben verstärkte, die Arbeitszeiten so zu regeln, dass der Samstag zum arbeitsfreien Tag würde, wurde in den Informationen des MfS nicht ein einziges Mal erwähnt.60 Das steht in einem auffallenden Kontrast zu den Berichten, die sich auf dem Schreibtisch von Erich Apel und anderer Wirtschaftsfunktionäre ansammelten. Die Diskussionen wurden in solcher Intensität geführt, dass Honecker Ulbricht selbst in dessen Urlaub in Kenntnis setzte, dass »in den Betrieben und Institutionen die Plandiskussion 1966 stärker als bisher durch massive Forderungen zur Einführung der 5-Tage-Woche und Verlängerung des Jahresurlaubs etc. beeinflusst wird«.61 In den bei Apel eingehenden Berichten wird nicht nur über die entsprechenden Forderungen der Belegschaften informiert, sondern auch darüber, wie Betriebsleiter durch innerbetriebliche Umstrukturierungen die Samstagsarbeit auf die Wochentage verlagerten und so am geltenden Arbeitsrecht vorbei die Fünftagewoche bereits realisierten, bevor der Ministerrat sie – vorerst für jede zweite Woche – im Ergebnis des 11. Plenums am 22.12.1965 gesetzlich ab April 1966 einführte.62

Während 1961 noch ausführliche Informationen über Kontroversen innerhalb der Staatlichen Plankommission gegeben wurden (Information Nr. 329/61),63 finden sich 1965 keine Berichte aus den Leitungsebenen der DDR. Neben zahlreichen Einzelinformationen über Havarien, Unfälle, Gefahrenmomente in Industrieanlagen, mithin Informationen über den technischen Zustand einer Industrie, die mit ihren Grundmitteln hart am Rande des Verschleißes operierte, wird nur selten auf Probleme der Leitungs- oder Planungsebene eingegangen. Dennoch finden sich zumindest zwei Berichte, die durchaus die Konfliktzonen des NÖS zum Inhalt haben, obwohl dies den Verfassern nicht bewusst gewesen zu sein scheint. Bericht Nr. 202/65 »über die Situation in der SDAG Wismut« und Bericht Nr. 842/65 »über strafbare Handlungen von Angestellten des Technischen Kontors des Verkaufslagers Karl-Marx-Stadt der SDAG Wismut und über Faktoren, die diese Handlungen begünstigen«. Während Bericht 842/65 eher zufällig in der SDAG Wismut angesiedelt ist – ähnliche Vorkommnisse gab es gewiss auch andernorts, nur waren dort keine sicherheitsrelevanten Interessen berührt, die im Falle der Wismut a priori zur Debatte standen –, tangiert Bericht Nr. 202/65 die Reibungsfläche der Wirtschaftsreform mit den Eigeninteressen der Sowjetunion und deren Abstinenz der Wirtschaftsreform gegenüber. Bericht Nr. 842/65 informiert scheinbar über Bestechlichkeit und Unterschlagung beim Verkauf von Lagerbeständen der SDAG Wismut. Doch selbst wenn man unterstellt, dass die den darin erwähnten Personen zugeschriebenen kriminellen Handlungen zutreffend und annähernd sachlich beschrieben worden sind, lassen die Begleitumstände aufhorchen. Offenbar wurde den Beschuldigten kaum große kriminelle Energie abverlangt, ja es scheint fast, als hätten sie selbst in der Absicht persönlicher Bereicherung nicht im Bewusstsein gehandelt, damit ihrem Betrieb zu schaden. Im Gegenteil: Der betriebswirtschaftliche Schaden, der strukturell durch die Planungsmethoden entstanden war, wird im Bericht auf Größenordnungen zwischen 20 und 70 Millionen MDN berechnet. Ein Schaden, der im Wesentlichen auf den Wertverlust nicht benötigter Materialien oder Geräte zurückzuführen war. Die Beschuldigten hatten den Auftrag diese Materialien für die Wismut zu verkaufen, um wenigstens einen Restwert aus dem toten Kapital zu retten. Dabei sollen sie nicht ganz uneigennützig aktiv geworden sein. Doch der vom MfS ihnen angelastete Verlust von 135 000 MDN ist eine vollkommen fiktive Größe.64 Die Beschuldigten verkauften Kugellager im Bilanzwert von 20 MDN für 5 MDN an einen Zwischenhändler. Der Verlust von 15 MDN ist bei dieser Operation nur hypothetisch, denn die Kugellager waren als Lagerbestand lediglich ein durch die Lagerhaltung selbst verursachter betriebswirtschaftlicher Kostenfaktor, der erst durch den Verkauf wieder auf der Habenseite verbucht werden konnte.65 Die Beschuldigten haben daher nicht 15 MDN Verlust, sondern 5 MDN Gewinn erbracht. Dass der Zwischenhändler die Kugellager auf dem Markt schließlich für 55,32 MDN verkaufen konnte, beweist nicht den kriminellen Charakter des ersten Geschäfts, sondern nur, dass die Terms of Trade selbst auf dem so eingegrenzten Markt der DDR sich nicht im Geringsten um die staatlich fixierten Bilanzpreise scherten, sondern um Angebot und Nachfrage. Der Handelsgewinn floss also dem Zwischenhändler zu. Das war bitter für die Wismut – aber der Werkzeugmaschinenhandel war nicht ihr Geschäft. Vom Verlust, den die Wismut zu verzeichnen hatte, bildeten die Bestechungsgelder des Zwischenhändlers allenfalls das begünstigende Schmiermittel einer Operation, die den Verlust der SDAG verringern half. Der Verlust war durch die unendliche Materialgier eines Unternehmens entstanden, für das dieses Material faktisch nichts kostete – ein Unternehmen, das das Material offenbar in keiner betriebswirtschaftlichen Bilanz wenigstens als Abschreibung in den Kostpreis der eigenen Produkte einrechnete – dies hätte den Betriebsgewinn erheblich verringert – und das aufgrund seiner wirtschaftlichen und militärischen Bedeutung faktisch über uneingeschränkten Zugang selbst zu teuren und raren Verbrauchsgütern verfügte.

Der Bericht hält sehr treffend fest, dass die Ursache »für das Entstehen von überplan- und illiquiden Materialbeständen überhaupt in der unverantwortlichen, bei aller Bedeutung des Uranerzbergbaus für den Frieden, oftmals auch unbegründeten Bestellung von Materialien und Ausrüstungen durch die […] SDAG Wismut« lägen. Kurz gesagt: Um den nächsten Plan zu erfüllen, raffte der Betrieb alles an sich, was er dafür tatsächlich oder eventuell brauchen könnte. Erwies es sich als unnötig, verrottete es. »Da diese Pläne jedoch jeweils in den ersten Monaten eines Jahres für das nächste Jahr ausgearbeitet werden und die Betriebe zu diesem Zeitpunkt auch für die Investitionstätigkeit meist nur grobe Orientierungsziffern, nicht aber konkrete Planaufgaben besitzen, erfolgen die Materialbestellungen grundsätzlich nach Erfahrungswerten des Vorjahres.« Mit diesem Satz lieferte die ZAIG gewollt oder ungewollt, bewusst oder unbewusst eine der klarsten Begründungen für das NÖS, wie es von Apel umzusetzen versucht wurde, und mit der darin ebenso sacht wie adresslos mitschwingenden Kritik zugleich ein Beispiel für die geradezu verzweifelt ausgedrückte Hoffnung, das administrative Planungssystem möge endlich das leisten, was es nicht konnte: funktionieren. Der Tenor ging nämlich nicht in die Richtung, dass die Wismut künftig im Rahmen ihres wirtschaftlichen Auftrages, der durchaus Gegenstand zentraler Rahmenplanung der SPK sein konnte, Uran produzieren und hierfür die notwendigen Ressourcen, Materialien, Geräte, Mitarbeiter, wissenschaftlich-technischen Entwicklungen aufgrund der konkreten Gegebenheiten plane. Er stellte vielmehr eine Art Stoßgebet dar, das Zentralkomitee möge einen solchen Plan für die Wismut so präzise aufstellen, dass alle Mittel im Detail genauestens vorgegeben sind, als erwartete man vom Verkehrsminister, dass er jedes Fahrrad einer Großstadt vom Ministersessel steuere. In dieser Frage war sich das MfS vollkommen mit Alfred Neumanns Anmerkungen zur Produktion von Dieselmotoren einig.66 Die naive, wirklichkeitsfremde Vorstellung von der durchgängigen zentralen Planbarkeit, wenn es nur möglich sei, die relevanten Einzelgrößen rechnerisch zu verarbeiten, beruhte auf einer deterministischen Weltvorstellung, die im Zeitalter Isaac Newtons steckengeblieben war, und nicht einmal seine, geschweige denn die Erkenntnisse der Physik des 20. Jahrhunderts zur Kenntnis genommen hatte.67 Abschließend rügte der Bericht der ZAIG die extensive Lagerhaltung der Wismut, die rare Güter dem Warenkreislauf entzieht und am Ende immer in die Gefahr bringt, unproduktiv verschrottet zu werden.

Der kleine Kriminalbericht eröffnet einen tiefen Einblick in die Abgründe der planwirtschaftlichen Wirklichkeit, die allerdings in der SDAG Wismut, wie der Bericht Nr. 202/65 beweist, noch dadurch zugespitzt wurden, als sich hier der sowjetische Kompagnon in Person des Generaldirektors Semjon Woloschtschuk gegen die Anwendung der Reform sperrt. »Der Generaldirektor ist mit der neuen Planmethode, Anwendung von Kennziffern u. a. Faktoren, nicht vertraut und steht einigen Problemen auch skeptisch gegenüber.« In der SDAG Wismut, wo die Planwirtschaften der DDR und der UdSSR innerhalb eines Betriebes zusammenfielen, zeigte sich, wie das sowjetische Sonderinteresse, das der SDAG ständig günstigere Bedingungen in Form des privilegierten und faktisch unbeschränkten Zugriffs auf rare Verbrauchsgüter sicherte, sich betriebswirtschaftlicher Rationalisierung verweigerte. Industriepreisreform und der Einschluss der Grundmittel des Betriebes in die Bilanzen verteuerten das Endprodukt und die sowjetische Seite war nicht bereit, diesen höheren Preis zu zahlen. Daher sperrte sie sich auch gegen die Mahnung, die Uranressourcen nachhaltig abzubauen und bevorzugte einen Raubbau an rasch erschließbaren und mit möglichst niedrigen Erschließungskosten erreichbaren Vorkommen.68 Am Ende unterlagen die ökonomischen Argumente der SED den machtpolitischen der KPdSU. Die Produktion des Grundstoffs für die militärische Macht der UdSSR und damit des atomaren Schirms, unter dem die SED herrschte, war kein Gegenstand ökonomischer Rationalitätserwägungen oder wie Woloschtschuk in einem Gespräch mit Erich Markowitsch feststellte »kein Business für die Sowjetunion, sondern ihr aktiver Beitrag für die gesamte Verteidigung des sozialistischen Lagers«.69 1967 gab die DDR ihren Anspruch auf, die SDAG Wismut als Teil des eigenen Wirtschaftssystems zu behandeln: Eine Auflistung von dort nicht geltenden Bestimmungen lässt das Unternehmen als faktisch exterritorial erscheinen.70

2.2 Jugendpolitik

Dichter als die wirtschaftspolitischen Fragen bildet sich in den ZAIG-Informationen die Wende in der Jugend- und damit mittelbar auch in der Kulturpolitik der SED ab. Wenn Honecker seit dem Frühjahr Material für seine Attacke auf die Politik des Jugendkommuniqués sammelte, mögen ihm andere Berichtsstränge der DDR vieles davon geliefert haben.71 Die bis zum Sommer 1965 eingehenden Berichte der ZAIG können nicht dazugerechnet werden. Jedenfalls nicht in der Form, in der sie geschrieben wurden. Selbst wenn die Informationen handgreifliche Auseinandersetzungen beschreiben, zeichnen sie sich durch eine bemerkenswerte Sachlichkeit aus. Sie lassen eine Kneipenschlägerei nicht zur konterrevolutionären Emeute auswachsen und eine Schadensmeldung über zerschlagene Gläser und Aschenbecher enthielt zugleich den süffisanten Hinweis auf das Verhältnis zwischen der vom Lokalbetreiber gemeldeten Schadenshöhe und dem Schuldenstand seines Betriebes: »Vom Objektleiter wurden jedoch weitaus höhere Ersatzforderungen gestellt, wobei zu berücksichtigen ist, dass er gegenwärtig eine Minusdifferenz von 6 000 MDN auf der Gaststätte hat.« (Information Nr. 154/65) Der an den ZK-Sekretär für Sicherheitsfragen, Erich Honecker, und FDJ-Chef Horst Schumann, aber nicht an den Leiter der Jugendkommission des Politbüros, Kurt Turba, abgesetzte Bericht vermerkt zwar, dass die angetrunkenen und lärmenden Jugendlichen die Dorfpolizisten mit »Cheriff« betitelten, unterließ aber die seinerzeit in solchen Zusammenhängen durchaus übliche Unterstellung, dass dies ein Beweis der US-amerikanischen ideologischen Verseuchung der jugendlichen Hirne sei. Offenbar befand sich Erich Mielke zu diesem Zeitpunkt tatsächlich »zwischen Honecker und Ulbricht«.72

Mitunter sind von der Forschung interne Berichte aus verschiedenen Quellen über dieselben Ereignisse untersucht worden. So dokumentierte Michael Rauhut einen Rapport der Volkspolizei über den Auftritt der Berliner Beatgruppe »Sputniks« in Karl-Marx-Stadt am 21. Februar 1965.73 Vergleicht man diesen Bericht mit dem hier abgedruckten der ZAIG,74 so erweist sich der Bericht der Stasi nicht nur als detaillierter und damit differenzierter als der Polizeibericht, sondern verweist ausdrücklich darauf, dass das Konzert bis zur Beendigung des Auftritts der Gruppe »ohne Zwischenfälle« verlief. Der Bericht endet mit dem deutlichen Hinweis auf die Tatsache, dass es bei den vorausgegangenen Konzerten der »Sputniks« »zu keinen Ausschreitungen und Zwischenfällen gekommen« sei.

Es soll nicht der Eindruck entstehen, als habe das MfS gänzlich auf die üblichen Zurechnungen verzichtet, die eine direkte Verursachung staatsfeindlichen Handelns dem ideologischen Einfluss westlicher Provenienz, den »Bonner Ultras«, US-amerikanischen Hetzsendern und anderen Bedrohungen des sozialistischen Friedens anlasteten.75 Doch selbst in diesen Fällen wurden Differenzen unter den Beteiligten nicht verwischt, sondern fassbar herausgearbeitet.

Wo Honecker im Sekretariatsbeschluss vom 7. Juli 1965 die Gefahr eines Anwachsens krimineller und staatsfeindlicher Tendenzen unter den Jugendlichen herbeiredet, bleibt die ZAIG selbst in dem Falle differenziert und sachlich, wo sie über tätliche Angriffe auf sowjetische Militärangehörige und Volkspolizisten berichtet:76 »Die bisherigen Untersuchungen durch das MfS ergaben, dass es sich bei diesen Vorkommnissen, die unabhängig voneinander entstanden, nicht um planmäßige, vom Gegner vorbereitete Aktionen handelte, sondern, dass einige feindlich eingestellte Elemente die Situation bewusst ausnutzten, um die anwesenden Jugendlichen gegen die Sowjetbürger und die Angehörigen der VP aufzuputschen.« Vielmehr schließt sie ihren Bericht mit dem Verweis einerseits der ungenügenden polizeitaktischen Vorbereitung einer Massenveranstaltung durch die lokale VP, andrerseits mit der Klage über die mangelnde Unterstützung der Polizei bei ihrem Eingreifen. Obwohl die von den Jugendlichen in der Auseinandersetzung gerufenen Losungen selbst die tiefsten Traumata der SED aufriefen (»Russen raus!«, » Ihr habt wohl den 17. Juni vergessen«) unterbleibt eine politische Dramatisierung der Zusammenstöße durch das MfS. Vielmehr deutet sie sie als im Rahmen solcher Veranstaltungen durchaus nicht unübliche Entgleisungen, deren Dynamik »der negativen bzw. feindlichen Einstellung« einiger Beteiligter Raum eröffnete und andere in sie hineinzog, ohne unbedingt die gerufenen Losungen zu teilen. Der Versuch, die Ereignisse nicht über das feststell- und nachweisbare Maß zu politisieren, färbt diese Texte des MfS in eine ungewohnte Sachlichkeit. Von diesem Tenor rückt die ZAIG auch nicht nach Verabschiedung des tendenziösen Beschlusses des ZK-Sekretariats am 7. Juli 1965 ab.77

Spätestens seit dem Frühjahr 1965 hatte Erich Honecker, dem durch die Einsetzung Kurt Turbas als Leiter der Jugendkommission des ZK durch Ulbricht sein altes Arbeits- und Einflussfeld der Jugendpolitik genommen worden war, Munition zum Gegenangriff gesammelt. Systematisch ließ er die den ZK-Abteilungen Sicherheit sowie Staat und Recht zugehenden Informationen über Vorkommnisse mit Jugendlichen sammeln. Am 11. Juni erhielt er einen zusammenfassenden »Bericht über das Auftreten von kriminellen und gefährdeten Gruppierungen Jugendlicher in der DDR«, den er aber erst am 7. Juli dem ZK-Sekretariat zur Beschlussfassung vorlegte, als sich Ulbricht bereits im Urlaub befand. Der Bericht unterstellte aufgrund von gefälschten Statistiken, dass die Jugendkriminalität angestiegen sei – »ein ausgesprochener Schwindel«, wie 1970 John Lekschas, Direktor der Sektion Rechtswissenschaften der Humboldt-Universität, feststellte, als er die Vorlage nochmals überprüfen sollte. Dennoch diente das Papier als Begründung für die Aufforderung an staatliche Einrichtungen, Maßnahmen zu ergreifen.78

Während in der Berichterstattung der ZAIG vorerst keine unmittelbaren Wirkungen dieses Beschlusses des ZK-Sekretariats sichtbar werden, reagiert die Volkspolizei zumindest im Bezirk Leipzig, der von Honeckers alten FDJ-Verbündeten Paul Fröhlich als SED-Sekretär gelenkt wird, sofort:

Bereits am 30. Juli 1965 eröffnete die Leipziger Volkspolizei ein Ermittlungsverfahren gegen den Manager der Beatgruppe um Klaus Renft, die sehr populären »Butlers«. »Die Akte ist befristet bis zum 15.10.65 exakt zu bearbeiten«, vermerkte der Hauptmann der Volkspolizei Döring auf dem Eröffnungsbeschluss.79 In dem Verfahren wurde auch umgehend ein Strafbescheid gegen die Musiker selbst verhängt, weil sie faktisch als Berufsmusiker arbeiteten, ohne über die entsprechenden Genehmigungen zu verfügen.80 In den dem Ermittlungsvorgang zufließenden Berichten schlagen sich ungeschminkt die spießbürgerlichen Aversionen gegen eine Jugendkultur nieder, die als fremd, unbotmäßig, hedonistisch und unangepasst abgelehnt wird: »Nach Einschätzung der Dinge muss gesagt werden, dass der Dank der Jugendlichen für die dargebotene Musik nichts mit Beifall zu tun hat, sondern es sich hierbei, durch die dargebotene Musikschau, um eine aufgeputschte in Extase [sic!] geratene jugendliche Masse handelte. Die Jugendlichen benahmen sich während der gesamten Musikveranstaltung wie rasend.«81

Vorbereitet durch diese und ähnliche Maßnahmen verabschiedete das ZK-Sekretariat am 11. Oktober 1965 einen weiteren Beschluss »Zu einigen Fragen der Jugendarbeit und dem Auftreten von Rowdygruppen«. Der Beschluss wies den Zentralrat der FDJ an, seine bisherige Arbeit zu ändern. Der Minister für Kultur sollte dafür sorgen, dass »›Laienmusikgruppen‹, deren Darbietungen aus dekadenter westlicher Musik bestehen, die Lizenz entzogen wird. Durch die Finanzorgane sind die Steuerhinterziehungen bei diesen Gruppen zu fahnden [sic!] […] Der Minister des Innern, Genosse Dickel, wird beauftragt, die erforderlichen Maßnahmen einzuleiten, dass […] die Mitglieder solcher Gruppen (Gammler u. Ä.), die gegen die Gesetze [der] DDR verstoßen, eine ernste Gefährdung der Ordnung hervorrufen, durch Gerichtsbeschluss entsprechend der Verordnung vom 24. August 1961 in Arbeitslager eingewiesen werden.«82

Die Zurückhaltung des MfS verliert sich indes nach diesem Beschluss des ZK-Sekretariats. Zwei Tage danach wird ein erster Bericht über ungeheuerliche Vorkommnisse an Ulbricht, Honecker, Hager und Verner versandt. Im Bericht wurden Studentinnen schwer belastet, weil sie sich auf einem Bauernhof mit freiem Oberkörper wuschen und dadurch die Schaffenskraft der werktätigen Genossenschaftsbauern erlahmen ließen. Die vor Semesterbeginn zur Unterstützung der Kartoffelernte in den Bezirk Neubrandenburg kommandierten Studenten sangen freche Lieder, gaben Kommentare zu den Berichten der DEFA-Wochenschau ab wie: »Wählt Strauß, dann seid ihr aus dem Elend raus«. Teile dieser Berichte fanden ihren Weg bis in den Bericht Honeckers an das 11. Plenum des ZK.83

Wie verflogen war jeder analytische Ansatz, der die bisherigen Informationen der ZAIG ausgezeichnet hatte, nunmehr ließen die Autoren ihren Aversionen freien Lauf, womöglich auch weil es sich bei den Studenten zumindest teilweise um die Jeunesse dorée des Regimes handelte, um Kinder höherer Chargen (»Die Mutter des [Name 2] ist als stellv. Abteilungsleiterin in der Abteilung Hörerbriefe des Staatlichen Rundfunkkomitees tätig. Sie ist Mitglied der SED. Wie bekannt wurde, hat sie Verbindung zu Prof. Dr. Kaul aufgenommen und diesen mit der Verteidigung ihres Sohnes beauftragt.«84)

In einer zweiten, ausführlicheren Analyse wurde vom MfS immer wieder auf den Kontext der Kommunalwahlen verwiesen. Zu den Wahlen am 10. Oktober 1965 hatte die SED angewiesen, erstmalig mehr Kandidaten auf den »Wahlvorschlag der Nationalen Front«, d. h. die Einheitsliste zu schreiben, als Abgeordnete zu wählen waren. Erhielten alle aufgelisteten Kandidaten ausreichend Ja-Stimmen (d. h. eine Stimme mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen), galten sie als gewählt. Innerhalb der SED-Führung war dieses Verfahren gefürchtet, weil es zumindest eine theoretische Entscheidungschance für den Wähler offen ließ. Zwar galt selbst ein Wahlschein, auf dem nur ein einziger Kandidat nicht gestrichen worden war, in der Endabrechnung als Stimme für den Wahlvorschlag der Nationalen Front, doch wenn wie in diesem Falle von 3 408 abgegebenen Stimmen 147 gegen den Bürgermeisterkandidaten stimmten (immerhin mehr als 4 %), deutete es die vage Möglichkeit an, dass ein Kandidat durchfallen könnte. Die lockere Stimmung und Unbefangenheit, mit der die Studentinnen und Studenten ihre Rechte einforderten, sei es gegenüber ihrem Arbeitgeber, sei es als wahlmündige Bürger, wurde als ernsthafte politische Bedrohung angesehen. Und während noch in den Berichten zuvor zwischen den Handlungen und der Motivation beteiligter Jugendlicher differenziert wurde, man auf widersprüchliche Zusammenhänge und Bedingungen ausdrücklich hinwies, gerieten die Ausgelassenheit und das starke Selbstbewusstsein der Studenten sofort pauschal und kollektiv unter die Bezichtigung politischer Gegnerschaft. Selbst harmlose Streiche, wie die unter anderen Auspizien vielleicht als tapfere atheistische Heldentat gepriesene unbefugte Benutzung der Kirchenglocken, wiesen nunmehr die Verwahrlosung der Jugend und »große politisch-ideologische Mängel und Unklarheiten« nach. Die Studentinnen und Studenten hätten, so fuhr der Bericht fort, »noch nicht den Charakter und den Unterschied zwischen beiden deutschen Staaten erkannt«. Dieser Satz, der die Klage des MfS über die studentischen Beifallsäußerungen zu Franz Josef Strauß bei den DEFA-Wochenschaubesuchen auf den Kopf stellt, schien immerhin zu versuchen, politische Urteile entschärfen zu wollen, indem die Vorgänge auf mangelnde Reife und ideologische Unklarheit zurückgeführt wurden. Wenn am Ende auch nicht alles als vorsätzliche Feindtätigkeit dargestellt wurde, so blieb der Vorwurf, dass Schule, Universität und FDJ die ideologische Arbeit unter den Jugendlichen in den vergangenen Jahren vernachlässigt hätten.

»Wenn das unsere zukünftigen Lehrer sein sollen, dann vertrauen wir diesen Leuten die Erziehung unserer Kinder nicht an.« So habe die »Bevölkerung vor Ort« auf die Studenten reagiert, weshalb der Disziplinarausschuss sie von der Universität verweisen will, berichtet über diese Vorgänge ein Mitarbeiter der SED-Kreisleitung der Humboldt-Universität in einer parteiinternen Information an die Abteilung Wissenschaften des ZK.85

Die ganze Aversion gegen die Jugendkultur, die langen Haare, die laute Musik, die ungezwungenen Sitten, die Dreistigkeit, mit der nicht schlechthin die Erwachsenen, sondern die machtausübende Bürokratie kritisiert, ja verlacht wurde, konnte sich nach Honeckers Gegenattacke Bahn brechen. Vorreiter war Paul Fröhlich, SED-Bezirkssekretär in Leipzig.86 Er eröffnete das erste Gefecht. Am 13. Oktober wies er an, alle Beatgruppen im Bezirk Leipzig zu verbieten. Nirgendwo in der DDR hatten sich mehr gebildet. Diese Provokation einer ganzen Generation musste Gegenreaktionen hervorrufen. Am 20. Oktober erschien in großer Aufmachung der diese Politik rechtfertigende Artikel im SED-Organ »Leipziger Volkszeitung«: »Dem Missbrauch der Jugend keinen Raum!« In dem Artikel werden die jugendlichen Beat-Fans durchgängig als Gammler bezeichnet. »Die langen, zotteligen Haare […] engen ihren Horizont dermaßen ein, dass sie nicht sehen, wie abnorm, ungesund und unmenschlich ihr Gebaren ist.« Die Gammler seien Teil einer »urteilslosen, denkfaulen, manipulierbaren Menge«, »aufgeputscht […] durch eine ›Musik‹, die darauf abzielt, niedrigste Instinkte hochzupeitschen«.87 Schon einige Tage zuvor hatte das »Neue Deutschland« mit der Kampagne gegen die »langhaarige Trauer der Jugend«, wie Wolf Biermann es beschrieb, gestartet.88 Ein Kollegiumsmitglied des »Neuen Deutschlands« erklärte den Lesern seines Blattes, dass Gammler Leute seien, »die nicht arbeiten, nichts lernen, sich nicht waschen, möglichst zerlumpt herumlaufen und sich durch einen äußerst schmutzigen, verfilzten Haarschopf auszeichnen«. Ausdrücklich lobte er den gewaltsamen Haarschnitt durch Mitschüler bei einem Klassenkameraden. »Diese Tat der FDJler […] sollte Schule machen, damit die Manie, wie ein verwildertes Ferkel herumzulaufen, sich nicht erst in unserem sauberen Staat ausbreitet.« Schließlich drohte er, Gammler auch »ohne Krankenschein einer hygienischen Behandlung [zu] unterziehen, und wenn ihr dabei allzu sehr zappelt oder schreit, muss man schon etwas fest zupacken«.89

Seither prasselten solche und ähnliche diffamierende Zeitungsartikel auf die Jugendlichen herab: »Auf Beat und Bier ist kein Verlass« und »Körperverletzung, Unzucht, Sachbeschädigung«, »Eine Lektion für den Leitgammler« »US-Army – US-Dollar … Bezeichnende ›Lebensideale‹ von Beatkult-Anhängern« titelte die »Junge Welt«90; »Pinscher, Index und Banausen« und »Beatles, Ledernacken, Aggression« die »Leipziger Volkszeitung«,91 die in einem Bericht über die Sitzung der Leipziger Stadtverordnetenversammlung den Tenor mit der Forderung, die »Geisteshaltung unserer Jugend mit[zu]formen« vorgab,92 was die jugendlichen Leser zurecht als Drohung auffassen mussten.

Es schien, als habe sich die Aufbaugeneration der DDR in diesem Moment verschworen, die eigenen Kinder demütigen und kujonieren zu wollen, damit sie nie wieder wagen sollten, gegen ihre Väter aufzubegehren. Sieht man die DDR-Presse der letzten Wochen des Oktober 1965 durch, von den zentralen bis zu den Blättern in den Bezirken, schaut man in einen kulturellen Bürgerkrieg, in welchem das anständige Ostdeutschland gegen einen plötzlich hereinbrechenden Abschaum – lärmend, ungewaschen, friedliche Mitbürger belästigend, schlagend und vergewaltigend – ankämpfen muss. Die entsprechende Zeitungsausschnittsammlung des MfS trägt denn auch den Titel »Unkultur«, der die Gammler Ost und West ebenso zusammenführt wie die anständigen, sauberen Bürger im »Neuen Deutschland« und in Springers »Bild«.93

Mit offensichtlicher Genugtuung sehen sich die Bewahrer gutbürgerlicher Sauberkeit in West und Ost wechselseitig bestätigt: Das MfS nimmt das Vorgehen der Westberliner Polizei gegen Gammler an der Gedächtniskirche wohlwollend zur Kenntnis, jene das der Volkspolizei am Bahnhof Lichtenberg.94 Die zufällige Koinzidenz polizeilichen Vorgehens im Herbst 1965 gegen das abweichende Verhalten einer Jugendkultur in Ost und West ist allerdings nur ein Indiz für einen im Kern durch fundamental verschiedene Generationserfahrungen wachsenden kulturellen Konflikt, der sich in der globalen Wegscheide, die mit dem Kürzel »1968« verbunden ist, niederschlagen sollte. Was sich hier noch im Ruf nach Friseur und Maniküre äußert, sollte wenige Jahre später mit Panzern und Polizeisalven fortgeführt werden, sei es am 21. August 1968 in Prag oder am 2. Oktober 1968 in Mexiko,95 um nur zwei Beispiele zu erwähnen, auf die an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden kann.96

Ende Oktober tauchten in Leipzig Flugblätter auf, die »Weg mit dem Verbot der Beatkapellen« forderten.97 Schließlich wurden am 25. Oktober in der Messestadt Handzettel gefunden, die nicht nur gegen das Verbot der Gruppen protestierten, sondern zur Demonstration aufriefen: »Beat-Freunde! Wir finden uns am Sonntag, den 31.10.1965, 10 Uhr, Leuschnerplatz zum Protestmarsch ein.«98 In Kooperation mit der Kriminalpolizei begann das MfS sofort die Ursprünge zu untersuchen. Doch statt, wie in solchen Fälle üblich, die Streuung der Nachricht augenblicklich einzugrenzen, um sie gar nicht erst »öffentlichkeitswirksam« werden zu lassen, wurden Lehrer an Leipziger Schulen, Lehrausbilder in Betrieben und FDJ-Funktionäre über die Flugblätter unterrichtet und beauftragt, die Schüler und Lehrlinge ausdrücklich vor einer Teilnahme an der Demonstration zu warnen.99 Das vollkommen unübliche Verfahren erfüllte seinen Zweck: Am Sonntag liefen Hunderte Jugendliche, vorwiegend Schüler und Studenten, sie erwartenden, mit Schlagstöcken und Wasserwerfern ausgerüsteten Polizisten in die Arme. Insgesamt werden 264 Personen100 festgenommen, vorwiegend Lehrlinge und Jungarbeiter. Massiv wird gegen sie die von Honecker geforderte Strafe der Zwangsarbeit in Lagern in der Braunkohle verhängt. Braunkohle statt Sibirien: Dem nicht mit den Erfahrungen des sowjetischen Exils der 1930er Jahre ausgestatteten Politbüromitglied Honecker schien das Prinzip der Arbeitsbesserungslager, wie die Lager des Gulag offiziell genannt wurden, sehr zu gefallen.

Die ZAIG berichtete über die Leipziger Vorgänge mehrfach. Im Vorfeld über die auftauchenden Flugblätter.101 Die über die fortlaufenden Ermittlungen berichtenden Informationen konnten indes den ersehnten Beweis feindlicher Fremdsteuerung der Jugendlichen in keiner Form erbringen.102 Die den Ereignissen folgenden Informationen geben Auskunft über die festgenommenen Jugendlichen, die das in der Propaganda vermittelte Bild von den »Arbeitsbummelanten und asozialen Elementen«103 klar widerlegen und deutlich werden lassen, dass die sich am 31. Oktober 1965 geradezu schüchtern am Leuschnerplatz einfindenden Jugendlichen überwiegend junge Arbeiter und Lehrlinge waren. Es waren keine asozialen oder feindlichen Elemente, sondern die nachwachsende Generation der Arbeiterklasse, die nun die brutale Härte der Arbeiter- und Bauernmacht zu spüren bekam (Informationen Nr. 968/65 u. 971/65). Endlich gelang es auch, die Urheber des zur Demonstration aufrufenden Flugblattes zu ermitteln:104 Es waren Oberschüler, denen selbst bei intensivster Suche kein anderes umstürzlerisches Vorhaben zugerechnet werden konnte als ihre Liebe zur Beatmusik.

Dennoch wollte Ulbricht keine Jugenddiskussion, auch wenn ihm auf dem Podium des 11. Plenums mit Inge Lange und Hanna Wolf einige besonders konservative ZK-Mitglieder offen widersprachen. Schon der von Ulbricht unterzeichnete Beschluss des ZK-Sekretariats vom 2. November wiegelt mit deutlicher Kritik an Fröhlich ab: »Die Erfahrungen von Leipzig lehren, dass es notwendig ist, den Entzug von Lizenzen für Musik-Gruppen durch die Räte der Kreise differenzierter durchzuführen«.105 Die Stasi-Agitationsabteilung, die noch am Montag nach der Leipziger Demonstration von Mielke angewiesen worden war, einen Maßnahmeplan aufzustellen, und sich umgehend daran gemacht hatte, detailliertes Informationsmaterial zu erarbeiten,106 »in dem einwandfrei nachgewiesen wird, dass die Rädelsführer von Beat- und Gammlergruppierungen kriminelle und asoziale Elemente sind«, wurde zurückgepfiffen. Zwar hatte Mielke die Kampagne zur »Anprangerung der Rädelsführer (der Beatle-Bandleader bzw. der Leitgammler)«107 noch am 5. November 1965 genehmigt, doch der enttäuschte Agitationschef der Stasi, Oberstleutnant Günter Halle, musste die von Mielke abgezeichnete Vorlage mit zur Akte »Unkultur« legen. Auf das Anschreiben an Mielke hatte er notiert: »Nach R[ücksprache] mit ZK – Dr. Hübner – und Kenntnis des Beschlusses des PB vom 23.11.65 keine weitere Aktivität entfalten.«108 Ein eisiger Waffenstillstand setzte ein, von dem sich zumindest die Jugendkultur erst wieder in den frühen 1970er Jahren erholen sollte. Dann wurde ironischerweise Honecker die Öffnung zugeschrieben, während die Erinnerung an das 11. Plenum mit Ulbricht verknüpft blieb – eine späte ausgleichende Ungerechtigkeit des kulturellen Gedächtnisses.

2.3 Oktobersturm

Die den Jugendlichen zugedachte Alternative zum ideologische Diversion verbreitenden Beat benannte auf dem 11. Plenum der stellvertretende Verteidigungsminister Waldemar Verner: »Wenn die Jugend richtig geführt und vor echte Probleme gestellt wird, wenn die Jugendarbeit erlebnisreich gestaltet und gleichzeitig eine straffe Organisation und Ordnung gewährleistet werden, dann denkt, fühlt und handelt die Jugend auch im Sinne ihrer historischen Mission als Mitgestalter und Verteidiger ihrer eigenen sozialistischen Errungenschaften.« Das habe das Herbstmanöver »Oktobersturm« gerade demonstriert.

Mit dem großen Herbstmanöver, das Truppen der NVA gemeinsam mit sowjetischen Einheiten und Expeditionskorps der polnischen und tschechoslowakischen Armeen vom 16. bis 22. Oktober 1965 in Thüringen durchführten, wurde der Aufbau der ostdeutschen Armee und ihre Integration als Teilstreitmacht des Warschauer Paktes, als Teil des Militärbündnisses abgeschlossen.109 Die Übung war eine der größten, an denen die NVA bis dahin teilgenommen hatte: 64 100 Mann, 1 204 Panzer, 1 370 SPW, 10 600 andere Fahrzeuge und 722 Flugzeuge wurden ebenso eingesetzt wie die Anwendung taktischer Atomwaffen simuliert wurde. Sie stand unter dem Kommando des Chefs der GSSD, Armeegeneral Petr Koschewoj. Da die Übung nicht ausschließlich auf Truppenübungsplätzen stattfand, blieben, von den enormen Kosten des Manövers abgesehen, Zerstörungen landwirtschaftlicher und anderer ziviler Werte nicht aus. Diese Nähe der Übung zur Zivilbevölkerung setzte ein gewisses Maß an Akzeptanz voraus. Behinderungen des Alltagslebens, Gefährdung von Personen, Zerstörung von Gebäuden und Einrichtungen, nachhaltige Beschädigung des von Myriaden Militärrädern und Panzerketten zerwühlten und verdichteten Ackers boten den Boden für Kritik, ja Feindseligkeit dem Regime gegenüber.

Der Schwerpunkt der MfS-Berichterstattung folgte – neben sicherheitsspezifischen Themen wie Desertionen, Problemen der Geheimhaltung, politisch relevanten Verletzungen der militärischen Disziplin – dieser Problemlage, während die militärischen Aspekte eher im Hintergrund blieben. Zugleich lässt die Nebenüberlieferung der ZAIG-Berichte für das Herbstmanöver auch einen näheren Einblick in die Verfahrensweise der Berichterstattung zu.

Da sich die Spitze der Parteiführung über den gesamten Zeitraum hinweg im Manövergebiet befand, wurde auch die ZAIG-Berichterstattung aus dem Erfurter Quartier der »Gruppe Information beim Einsatzstab« des MfS heraus organisiert.110 Der Gruppe gehörten mit Major Rudi Taube, Major Heinz Krusch und Oberleutnant Gebhardt111 zumindest zwei Offiziere an, die in den folgenden Jahren Schlüsselpositionen innerhalb der ZAIG einnahmen: Taube leitete 1989 als Oberst den zentralen, für Auswertung und Information zuständigen Bereich 1 der ZAIG und war zugleich Stellvertreter des Leiters der ZAIG, Generalleutnant Werner Irmler.112 Krusch stand 1979 an der Spitze der Arbeitsgruppe des Leiters.113 In der Verteilung der regionalen Zuständigkeiten der ZAIG war er in der ersten Hälfte der 1960er Jahre für die Bezirke Suhl, Gera und Erfurt, in denen das Manöver stattfand, verantwortlich.114 Offenbar lief die Übung aus MfS-Perspektive so problemarm ab, dass in der Schlussauswertung der ZAIG bedauert wurde, sie nicht als Testlauf eines derartigen außerregulären Informationssystems analysieren zu können:

»Aufgrund der Tatsache, dass es während der Aktion ›Oktobersturm‹ nur zu verhältnismäßig wenig Vorkommnissen von besonderer Bedeutung kam, ist eine Einschätzung des Funktionierens des Informations- und Meldewesens nur bedingt möglich.«115

Die interne Analyse bemängelte insbesondere die Geschwindigkeit, mit der die Informationen aus den einzelnen Linien bei der Informationsgruppe eintrafen, »Angaben zu besonderen Vorkommnissen waren oft unvollständig im Hinblick auf die Nennung der Ursachen, des entstandenen Schadens, der Auswirkungen usw. Nach- und Ergänzungsmeldungen erfolgten nur in wenigen Fällen.«116 Unter den Dokumenten zur Aktion »Oktobersturm« ist eine Niederschrift über das Prinzip, nach dem Informationen selektiv weitergegeben wurden, bemerkenswert:

»Die Informationstätigkeit zur Aktion soll entsprechend den jeweiligen Empfängern differenzierter gestaltet werden. Z. B. soll Genosse Matwejew nur das bekommen, was seine Einheiten betrifft sowie wichtige Vorkommnisse in der NVA und den befreundeten Armeen, wo bestimmte Beziehungen vorhanden sind, die er wissen muss.

Genosse Bräutigam soll nur das bekommen, soweit es sich um Probleme der Bevölkerung des Bezirkes handelt oder Fragen des Verhältnisses zwischen Bevölkerung und Armee beinhaltet.

Die Vertreter der BV im Einsatzstab sollen auch nur die Hinweise erhalten, die sie für die Durchführung ihrer Aufgaben benötigen. Es darf nicht vorkommen, dass – analog wie im Fall Bräutigam – über die Leiter der BV den 1. Sekretären der BL Probleme bekannt werden, die sie nicht wissen müssen.«117

Nach diesen Prinzipien war auch der Verteiler für den täglichen Bericht aufgebaut, der in 20 Exemplaren erstellt wurde. Doch die Verteilung erfolgte weitaus selektiver. Von den fünf Berichten erhielten Ulbricht, Honecker und Stoph jeweils zwei Zusammenfassungen aus dem 1. und 2. sowie dem 3., 4. und 5. Bericht, während der Erfurter Bezirkschef Bräutigam, Armeegeneral Hoffmann und KGB-Verbindungsmann Matwejew jeweils einzelne Berichte erhielten. Inwiefern diese, der Anweisung Mielkes gemäß, bestimmte Teile nicht enthielten, lässt sich an den überlieferten Ablageexemplaren nicht mehr feststellen.

Das Manöver Oktobersturm probte den fiktiven Ernstfall, der kurz gefasst darauf hinauslief, dass Truppen der NATO in die DDR einfielen, von den Warschauer-Pakt-Truppen erfolgreich zurückgedrängt wurden, woraufhin die westliche Seite in ihrer Not Atomwaffen einsetzte. Vom nuklearen Inferno unbeeindruckt siegten die nachdrängenden östlichen Armeen, weil sie nicht nur militärisch überlegen waren, sondern zugleich vom sich erhebenden Proletariat Westdeutschlands unterstützt wurden, das die rückwärtigen Verbindungen der Angreifer zerstörte. Die Fantasie der östlichen Stäbe war ganz offenbar vollkommen realitätsfern. Dagegen klang die Aufgabe des Manövers »Karo« im April 1965 weitaus bescheidener: Es teste lediglich die Logistik des Heranführens umfangreicher Truppen aus dem Gebiet der Sowjetunion auf den ostdeutschen Kriegsschauplatz. Dabei wurden mehr Soldaten und Fahrzeuge bewegt als im Oktobersturm. Dennoch hinterließ Oktobersturm im öffentlichen Gedächtnis als Militärübung einen nachhaltigeren Eindruck, was einerseits daran lag, dass das Aprilmanöver in seinem militärischen Teil weniger spektakulär ablief, andrerseits nur Begleiterscheinung zur Störung der Sitzung des Bundestages in Westberlin zu sein schien. Die ZAIG-Berichte konzentrieren sich allerdings vor allem auf die Aspekte der Behinderung der Bundestagssitzung, bieten also auch in diesem Falle nur einen spezifischen Ausschnitt an Informationen, bei dem zu unterstellen ist, dass die SED-Führung über die anderen relevanten Bereiche des Geschehens aus anderen Quellen hinreichend informiert wurde.

2.4 Medien und »Feindtätigkeit«

»Politisch-ideologische Diversion«, das heißt die in den Augen des MfS feindliche geistige Einflussnahme der westlichen Seite auf das Herrschaftssystem der SED schlug sich in allen Formen in den Berichten der ZAIG nieder. Das umfasst die gesamte Spannweite des Ringens um die korrekte Bezeichnung des Staatsgebietes der DDR auf den Sonderfahrplänen der Deutschen Reichsbahn zur Leipziger Messe, bei denen sich heroische Grabenkämpfe zwischen Westberliner Polizeibeamten und Ostberliner Reichsbahnern abspielten,118 die in ihrer Zeit mit Inbrunst und Tiefsinnigkeit ausgefochten wurden, heutigen Lesern indes eher skurril anmuten mögen.

Eher dem Kalten Propagandakrieg zuzurechnen sind auch die zahlreichen Informationen, die die permanenten wechselseitigen Reibereien des Eisenbahnverkehrs in Westberlin mit sich brachten, der aufgrund alliierter Bestimmungen durch die von Ostberlin kontrollierte Reichsbahn betrieben wurde. Die DDR beharrte auf der Zuständigkeit der Bahnpolizei für die Schienenwege und musste zwangsläufig mit der in Westberlin zuständigen Polizei ins Gehege kommen, so wenn Westberliner Polizisten an der Ermittlung von Straftaten behindert wurden119 oder umgekehrt tätliche Angriffe nur deshalb nicht verfolgt werden konnten, weil sie durch einen Westberliner an Reichsbahnern begangen worden waren.120

Häufig berichtet die ZAIG über die Aktivitäten der Bundeswehrtruppen für psychologische Kampfführung (PSK),121 die 1965 in der Bundesrepublik bereits Gegenstand von Nachfragen einer kritischen Medienöffentlichkeit geworden waren. 1963 hatten diese ca. 20 000 Ballons mit ca. 80 Tonnen Flugblättern und anderem Propagandamaterial auf dem Luftwege in die DDR geschickt, wo sie vom MfS und rasch alarmierten Helfern wieder eingesammelt werden mussten.122

Im Vergleich zu den eher altmodischen Methoden der PSK-Einheiten bereiteten die elektronischen Medien des Westens der SED erheblich mehr Sorgen. Der alarmierende Bericht über die rasche Verbreitung der technischen Voraussetzungen zum Empfang des Zweiten Deutschen Fernsehens vermittelt eine Vorstellung dieses rasch wachsenden Feldes öffentlicher Auseinandersetzung. Zuvor waren alle Aktionen »Ochsenkopf«, in denen versucht worden war, den Einwohnern der DDR die Antennen für den Empfang westlicher Rundfunk- und Fernsehstationen abzureißen, gescheitert. Nun zeigte sich, dass auch technische Hürden den Empfang westlicher Stationen nicht verhindern konnten. Mit Erfindungsgabe, technischer Geschicklichkeit und Geschäftssinn wurden vorhandene technologische Lücken auf privater Ebene geschlossen. Am 1. April 1963 hatte das ZDF seinen Sendebetrieb aufgenommen und rasch florierte der private Handel mit jenen Tunern, die den Empfang des in einem anderen Wellenbereich ausgestrahlten Senders ermöglichten. Nicht ein einziges HO-Geschäft für Rundfunktechnik bot solche Tuner an. Erst als auch die DDR im Oktober 1969 einen zweiten Fernsehsender startete, der im UHF-Bereich sendete, wurden legal solche Empfangsgeräte vertrieben.123 Sie sollten übrigens – trotz serienmäßiger, industrieller Fertigung – nicht billiger werden als die in Handarbeit gefertigten Einzelstücke in den Jahren zuvor.

Auf dem 11. Plenum klagte Inge Lange über die Konsequenzen, die die neuen Medien für die Erziehung der Nachgeborenen hätten. Als ZK-Mitglied, ehemalige FDJ-Funktionärin und Mutter bedauerte sie, dass bei der Erziehung der Jugend der schlechte Einfluss der Medien den Einfluss von Eltern, Schule und FDJ, die sich mühten, »dass ihre Kinder ordentliche, saubere, anständige Menschen werden«, an den Rand dränge.

»Stattdessen passieren also Dinge … das wird immer schlimmer! […] Aber man kann sich doch nicht alles vorher ansehen, man kann doch nicht jede Zeitung selber durchblättern, um zu entscheiden, ob man das seinen heranwachsenden Kindern bieten kann oder nicht. Das geht doch nicht.«124

3. Struktur und Entwicklung der ZAIG 1965

Im Jahr 1965 wurde die Zentrale Informationsgruppe (ZIG) nachhaltig reformiert und aufgewertet. Was sich in der Namensänderung zur Zentralen Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG) nur andeutungsweise ablesen lässt, ist ein Kompetenzzuwachs bei der Analyse, Auswertung und Speicherung der gewonnenen Basisinformationen aus den verschiedenen Linien des MfS. Werner Irmler hatte die Abteilung Information bereits von 1957 bis 1959, in der Zeit ihres größten Bedeutungsverlustes, geleitet. Nach ihrer Erweiterung zur ZIG wurde er unter dem neuen Chef Robert Korb ihr stellvertretender Leiter. Am Ende von dessen Dienstzeit, im Trend der Verwissenschaftlichung der Leitungstätigkeit, entwickelte er ein Konzept der Informationsverarbeitung und -auswertung im MfS, das die allgemeine Affinität der SED zur Kybernetik aufgriff.125

Mit dem Ausscheiden von Robert Korb im September 1965 wurde Irmler Leiter der durch den Befehl Nr. 299/65 im Sommer 1965 in ZAIG umbenannten ZIG. Der Befehl erhob im Kern das von Werner Irmler und Karl Großer entwickelte Informationssystem zur Arbeitsweise der ZAIG, hatte aber auf die Herstellung und Distribution der Informationen für die Partei- und Staatsführung zumindest vorläufig keine Auswirkungen, sondern für das interne Auswertungs- und Informationssystem des MfS. »Die Informationstätigkeit an Partei- und Staatsorgane erfolgt weiter auf der Grundlage meines Befehls Nr. 584/60 über die Verbesserung der Informationstätigkeit des MfS126

Ziel des Befehls Nr. 299/65 war es, auf der Basis eines Systems der Informationserfassung auf Kerblochkarteien in den Diensteinheiten in der Lage zu sein, jeder Zeit einen umfassenden Überblick über alle relevanten operativen Probleme und Schwerpunkte herstellen zu können. Diese Konzeption wurde in den folgenden Jahren umgesetzt. Eine unmittelbare Veränderung im Personalbestand war hingegen im September 1965 noch nicht zu verzeichnen.

Nach wie vor bestand die ZAIG 1965 aus 13 Mitarbeitern.127 Neben Abteilungsleiter Werner Irmler und seinen Stellvertretern Heinz Seidel und Willi Opitz gab es elf Referatsleiter, vier Haupt- bzw. Sachbearbeiter und zwei Sekretärinnen. Die 1962 für bestimmte Bezirksverwaltungen zuständigen Mitarbeiter128 sind zwar noch alle in der ZAIG beschäftigt, eine Übersicht über die 1965 geltende Verantwortlichkeit lässt sich aufgrund der Überlieferungslage aber nicht rekonstruieren. Bis auf eine Stenotypistin waren alle Mitarbeiter im Offiziersrang, vom Major bis zum Unterleutnant. Irmler wurde 1966 zum Oberstleutnant befördert. Den Referatsleitern unterstanden faktisch keine weiteren Mitarbeiter. Sie hatten allerdings nach dem Befehl Nr. 299/65 die Auswertungs- und Informationsgruppen in den Bezirksverwaltungen sowie in den Abteilungen und Hauptabteilungen (außer HA XVIII, XIX, XX sowie HV A) anzuleiten und zu kontrollieren.129 Zu diesem Zweck sollte die ZAIG in zwei Bereiche untergliedert werden, ein Bereich »politisch-operative Auswertung« und ein Bereich »informative Auswertung für Partei und Regierung«.130 Zumindest der Entwicklung des Personalstamms der Abteilung folgend scheint diese Untergliederung jedoch nicht sofort durchgeführt worden zu sein. Die auf dem Befehl Nr. 299/65 beruhende Neustrukturierung der Diensteinheit führte erst im Laufe der Jahre 1966/67 zu einer Vergrößerung von 13 auf 21 Mitarbeiter.131 1967 wies ein undatierter Stellenplan 20 Mitarbeiter aus.132

4. Berichtsarten

Strukturierung und Umfang der Berichte und Informationen wurden im Jahr 1965 auf ein klares Grundgerüst reduziert. Die Zahl der Informationen sank auf einen niedrigen Stand. Die Dichte der aus anderen Quellen rührenden Informationen für jene Institutionen, die zu versorgen waren, war offenbar auch ohne die des MfS hoch. Aus der Vielzahl von Informationsformen, die noch 1960 unterschieden worden waren, blieben 1965 nur noch zwei Grundformen in Gebrauch:

  • 1.

    »Einzelinformationen«, d. h. Informationen, die, auch wenn noch nicht alle Zusammenhänge bekannt sind oder analysiert werden konnten, von so hoher Wichtigkeit sind, dass sie mitzuteilen sind;

  • 2.

    »Berichte«, d. h. zusammenfassende Informationen zu bestimmten Problemen, die »analytische Darstellungen enthalten«.133

In der Berichterstattung überwiegen 1965 die Einzelinformationen.

Von den Inlandsberichten134 konnte im Archiv des BStU die überwiegende Mehrzahl nachgewiesen und in der vorliegenden Edition abgedruckt werden. Lediglich vier Berichte und ein Dubiosum scheinen nicht überliefert zu sein bzw. konnten bislang nicht aufgefunden werden.

  • Information Nr. 137/65: Brand in der LPG Typ III in Rippershausen, Suhl, am 13. Februar 1965, laut Verteiler und Postausgangsbuch am 17. Februar 1965 an Honecker, Grüneberg, Ewald gegangen;

  • Information Nr. 183/65: 1. Bericht über den Verlauf der Leipziger Messe, laut Verteiler an Mielke gegangen, ohne Datum, kein Nachweis im Postausgangsbuch;

  • Information Nr. 800/65: 1. Bericht über den Verlauf der Leipziger Herbstmesse, laut Verteiler an Mielke gegangen, kein Nachweis im Postausgangsbuch;

  • Information Nr. 867/65: Ursachen des folgenschweren Eisenbahnunglücks am 7. Oktober 1965 Bahnhof Sandförde, Pasewalk, laut Verteiler und Postausgangsbuch am 8. Februar 1965 an Honecker, Stoph, Mittag gegangen.

  • Am 22. Januar 1965 geht direkt durch Minister Mielke eine nicht nummerierte Information über »verdeckten Kampf« an Ulbricht.135

5. Rezeption

Die Informationen der ZAIG waren teils als »streng geheim«, teils als »streng vertraulich« klassifiziert. In jedem Falle wurde um ihre Rückgabe gebeten, wobei es eher ein Gebot denn eine Bitte war. Der Zeitraum der Rückgabe war dabei nicht präzise bestimmt, einige der Informationen verblieben über einen längeren Zeitraum beim Empfänger. Der Rücklauf wurde von der ZAIG genau kontrolliert und verzeichnet.136 Rücklaufexemplare sind für den Jahrgang 1965 allerdings nicht überliefert. Über die Verarbeitung der Informationen bei ihren Adressaten können daher kaum Aussagen getroffen werden.

Lediglich im Falle der nicht ausgelieferten Information über Reaktionen auf die Blockade der Bundestagssitzung in Westberlin sind Kommentare überliefert, die Mielke innerhalb des MfS von seinen Stellvertretern eingefordert hatte.137 Während der Stellvertreter Mielkes, Fritz Schröder, einerseits bemängelt, dass die Motivationen und Gedanken westdeutscher Geschäftsleute nicht hinreichend präzise beschrieben sind, auf der anderen Seite aber die zu genaue Benennung von Widersprüchen auf DDR-Seite dort moniert, wo es sich um Personen handelt, die im DDR-Staatsapparat Funktionen ausübten (Abschnittsbevollmächtigte, ABI-Inspektoren), ist Markus Wolf vom Bericht in Gänze wenig angetan:

»m. E. ist diese Information nicht objektiv und hat auch in solcher Form wenig Sinn. Für eine wirkliche Analyse ist es noch zu früh und fehlt (z. B. für Westdeutschland und WB) noch die Grundlage. Die einzelnen Stimmen und Argumente dürften aber aus Presse, Parteiinformationen und eigenen Wahrnehmungen den leitenden Genossen bekannt sein. Einige der Verallgemeinerungen der Information sind falsch, andere wichtige Erscheinungen sind nicht oder nur am Rande erwähnt.«138

Wolfs Urteil könnte ohne Weiteres auch für manch andere Information Gültigkeit beanspruchen. Extreme Fälle treten dort auf, wo durch eine Einzelinformation der ZAIG Sachverhalte mitgeteilt werden, die so bereits in der DDR-Presse nachlesbar waren.

Eher zufällig fand sich eine Indiskretion über den Inhalt einer ZAIG-Information in der Presse. Am 7. April 1965 zitiert Außenminister Otto Winzer im DDR-Fernsehen, was ihm durch die ZAIG-Information Nr. 301/65 vom 5. April bekannt geworden war: Als Willy Brandt der Transit vom Bundesgebiet nach Westberlin »verweigert wurde, da hub er zu einer ungeheuren Erklärung an, die aus den beiden inhaltsschweren Worten bestand: ›So so!‹«139 So inhaltsschwer musste eine Aussage sein, damit sich eine Übermittlungskette nachvollziehen lässt. Otto Winzer hatte seine streng geheime Dienstlektüre offenbar gründlich vollzogen. Jedenfalls war ihm der vom MfS Willy Brandt zugeschriebene Kommentar im Gedächtnis geblieben, als er am Folgetag den Fernsehzuschauern darüber berichtet, als sei er Ohrenzeuge des Vorgangs gewesen.

Die Information Nr. 734/65 wurde in zwei Versionen gefertigt, an denen sich konkrete Absprachen und Korrekturen durch den ZK-Sekretär Honecker nachvollziehen lassen. Mitte Juni hatten die westlichen Alliierten moniert, dass Hubschrauber der DDR auch über Berliner Territorium flogen. Die DDR hatte diesen Einspruch abgewiesen, weil sie trotz der Kontrollvollmacht der alliierten Luftsicherheitszentrale auch über Ostberlin Kontrollflüge, Flüge zu Bau- und Montagezwecken sowie Rettungsflüge durchführte. Dagegen hatte es weiter Proteste gegeben und offenbar Nachfragen von sowjetischer Seite. Für diese Vermutung spricht, dass Honecker die erste Fassung weniger zur Information als zur Begutachtung geschickt wurde. Er nahm eine Reihe von Änderungen vor, die einige ideologische Phrasen und Verbalattacken sowie Mutmaßungen darüber, ob und wie die Bundesregierung die Politik der Westalliierten für ihre Zwecke zu funktionalisieren trachtet, aus dem Text entfernten. Die korrigierte Fassung wirkt sachlicher und stärker auf die tatsächlichen Vorgänge konzentriert, während die politischen Unterstellungen und Zurechnungen zurückgenommen wurden. Wahrscheinlich hatte die sowjetische Seite einen solchen Bericht angefordert, um mit den Westalliierten im Berlin Air Safety Center (BASC) die Einzelfälle insofern abklären zu können, dass die DDR-Flüge, die zwar nicht direkt in Westberlin, sondern indirekt über die sowjetischen Besatzungsbehörden in Karlshorst angemeldet wurden, nicht den Westberliner Luftraum verletzten.

Auf der anderen Seite lässt sich die Genesis einiger Informationen bis zu einem gewissen Grade rekonstruieren. So lag die Einzelinformation Nr. 939/65 offenbar bereits einige Tage bereit, ehe sie versandt wurde. Das Ablageexemplar (7. Expl.) trägt das Datum 26. Oktober 1965, sowohl auf dem anderen überlieferten und für die Abteilung XX/4 bestimmten Exemplar (6. Expl.) als auch im Postausgangsbuch sind der 1. November 1965 vermerkt. In den Unterlagen der HA XX/4 finden sich verschiedene Entwurfsfassungen der Information sowie das Anschreiben des Leiters der HA XX, Oberst Kienberg, an Major Irmler in der ZAIG vom 22. Oktober 1965, als deren Anlage »eine Information von einer noch nicht überprüften Quelle« übersandt wurde. »Die in dieser Information genannte Denkschrift ist noch nicht veröffentlicht. Sie liegt bei uns vor. Wir können Abzüge machen lassen und mit zur Verteilung bringen. In den Verteilerschlüssel bitte Genossen Barth mit aufnehmen.«140

Der Entwurf der Information ist auf den 21. Oktober 1965 datiert und ist sowohl in der Einführung als auch im Referat der Denkschrift weniger umfangreich als die Endfassung der Information. In den Unterlagen der HA XX/4 findet sich ein Rundschreiben der Kirchenkanzlei der EKD an »die Redaktionen von Tageszeitungen, Nachrichten-Agenturen und Zeitungsdiensten in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West)« vom 6. Oktober 1965, mit dem der Text der Denkschrift vorab versandt worden war und in dem dessen Veröffentlichung durch die EKD angekündigt wurde.141 Den Adressaten dieses Schreibens wurde eine Sperrfrist für Veröffentlichungen bis zum 20. Oktober 1965, 19 Uhr, auferlegt, dennoch scheint der Inhalt der Denkschrift bereits früher publik geworden zu sein, wie auch aus vom MfS in der Akte dokumentierten Zeitungsausschnitten ersichtlich ist.142 Durch »eine gezielte Indiskretion des Vertriebenenpolitikers Herbert Czaja (CDU)« informiert, druckte die katholische Wochenzeitung »Echo der Zeit« schon am Wochenende vor dem Ablauf der Sperrfrist Teile unter dem Titel »Separate protestantische Außenpolitik«, woraufhin die EKD nachzog. »Nach dem 15. Oktober brach ein Sturm der Empörung los.«143

Die Information des MfS hinkte dem öffentlich verfügbaren Wissen mithin hier um Tage hinterher. Es scheint, als habe das allgemeine, für Militärangehörige der DDR und somit auch für MfS-Mitarbeiter geltende Verbot der Kenntnisnahme westlicher Medien sie an der Kenntnisnahme des Offenkundigen gehindert.144 Wieso aber, wenn die am 6. Oktober 1965 von der EKD versandte Denkschrift früher in die Hände des MfS geraten war, dort eine Information überhaupt erst am 21. Oktober 1965 entworfen wurde, dann aber die Endfassung noch bis zum 1. November 1965 liegen blieb, bis sie an die zu informierende politische Führung gesandt wurde, bleibt unergründlich.

Während das MfS in diesem Falle der öffentlichen Diskussion hinterherberichtete, war sie an anderer Stelle zu schnell. In der Information über die Vorbereitungen zu einem Segeltörn durch Atlantik und Mittelmeer stützten sie sich recht einseitig auf den Bericht des GI »Securitas« vom 2. August 1965,145 der wohl vor allem von Missgunst getragen ein Vorhaben denunzierte, dass zu diesem Zeitpunkt bereits höchstes Wohlwollen genoss.146 Letztlich saß der Spitzel am kürzeren Hebel, nicht allein weil einige seiner Kontrahenten ebenfalls dem MfS zuarbeiteten, sondern vor allem, weil deren Verbindungen weiter nach oben reichten, bis ins Sekretariat des ZK, das der Reise per Beschluss seinen Segen gab. Der ZAIG muss das rechtzeitig klar geworden sein. Jedenfalls unterließ sie es, die Information an externe Empfänger zu versenden.

6. Verteiler

Die externen Adressaten der ZAIG-Meldungen (siehe Tabelle 1) sind in erster Linie die mächtigsten Personen der Partei- und Staatsführung, worunter Gesundheitsminister Max Sefrin wohl der einzige ist, der kein Mitglied der SED war. Die überwiegende Zahl der Informationen geht an Erich Honecker, 1965 nicht nur ZK-Sekretär für Sicherheit, sondern faktisch Leiter des ZK-Sekretariats, da sich Walter Ulbricht auf seine Funktionen im Politbüro und im Staatsrat konzentrierte. Ob allerdings die Tatsache, dass Walter Ulbricht nach Honecker und Ministerpräsident Stoph sich nur auf Rang 3 der Empfänger befindet, zugleich bedeutet, dass die beiden einen Informationsvorsprung vor ihm hatten, darf bezweifelt werden.

Die Adressaten der einzelnen Information wurden abhängig von der Thematik und der Zuständigkeit der potenziellen Empfänger von der ZAIG vorgeschlagen und von Mielke bestätigt, geändert oder verworfen. Sie standen, wie an einigen wenigen überlieferten Exemplaren ersichtlich, auf einem Vorblatt zur Information und wurden dann in der bestätigten Form auf das Ablageexemplar übertragen. Da 1965 die Rücklaufexemplare vernichtet wurden, kann keine Aussage darüber getroffen werden, ob und wenn ja welcher Empfänger über den Verteiler informiert wurde. Für den Jahrgang 1988 konnte anhand der Rückläufe der Exemplare für Honecker festgestellt werden, dass dieser über die anderen Empfänger der Information unterrichtet wurde.147

Über die eventuelle Verwendung des Ablageexemplars innerhalb des MfS lässt sich noch keine sichere Aussage treffen. Ob die Verwahrung der Informationen einiger besonderer »Aktionen« des MfS wie 1965 die Informationen über das Passierscheinabkommen (»Aktion Gast«), die Blockade der Bundestagssitzung in Westberlin (»Aktion Karo«), das Herbstmanöver (»Aktion Oktobersturm«) oder 1961 den Mauerbau (»Aktion Rose«) in der Pressesammlung der Abteilung Agitation lediglich Ursachen in der Überlieferungsgeschichte hat oder sie dort inhaltlich verwendet wurden, kann nicht beantwortet werden. Erklärungsbedürftig bleiben so auch einige stenographische Bemerkungen auf den Ablageexemplaren einiger Informationen, die, wenn diese Exemplare lediglich archiviert wurden, keinen Sinn ergäben.148 Hier sind künftige Forschungen zur Geschichte des MfS-Archivs abzuwarten.

Unter den externen Adressaten sind einige Details auffällig: Keine Information über mit der Jugendpolitik verbundene Probleme ging an Kurt Turba, den Leiter der Jugendkommission des Politbüros. Adressaten hierfür waren stattdessen Erich Honecker und FDJ-Chef Horst Schumann. Ebenso wenig wurde Erich Apel in den Verteiler von wirtschaftspolitisch wichtigen Informationen aufgenommen. Hier fand ganz eindeutig eine Gewichtung zugunsten des ZK-Sekretärs Günter Mittag statt, obwohl mit dem Anlaufen der Wirtschaftsreform der Schwerpunkt der wirtschaftspolitischen Verantwortung aus dem ZK-Sekretariat auf die Staatliche Plankommission verlegt worden war. Apels Wechsel vom Sessel des ZK-Sekretärs 1963 hatte mithin keine Abstufung, sondern einer Vergrößerung seiner Verantwortung bedeutet, Mittag füllt hingegen eher das Vakuum, das Apel im ZK-Sekretariat hinterlassen hatte. Inwiefern die Informationszuordnung des MfS noch ein Spiegel älterer Rangvorstellungen ist oder bereits Antizipation einer Revision der 1963 durchgeführten Neugewichtung und zugleich der sich 1965 gegen Apel richtenden Stimmung, der sich Mittag im Verlaufe des Jahres rasch angeschlossen hatte, kann aus diesem Befund allein nicht erschlossen werden.

Lediglich 19 Informationen gingen an das KGB. Sie befassten sich vorwiegend mit Ereignissen, in denen die Sowjetunion als Siegermacht des Zweiten Weltkrieges Verantwortung trug, d. h. Ereignisse, die die westlichen Alliierten betrafen oder den Status Westberlins resp. Vorkommnisse, an denen sowjetische Truppen beteiligt waren. Welche Teile der Informationen über das Manöver »Oktobersturm« an den KGB gingen und welche daraus nach der Instruktion Mielkes entfernt wurden,149 ließ sich an den Ablageexemplaren nicht verifizieren.

7. Zur Druckauswahl und Formalia

Sämtliche ZAIG-Berichte des Jahrganges 1965 umfassen ca. 1100 Seiten. Vollständig liegen sie auf der beiliegenden CD-ROM in Form einer Datenbank vor, die eine komfortable Volltextrecherche ermöglicht. Die Auswahl im Buch versucht einerseits, möglichst das Spektrum an Typen der Berichte und Informationen abzubilden. Andrerseits wurden inhaltlich bedeutsame Dokumente aufgenommen, die für das Jahr 1965 aber auch darüber hinaus von historischem Gewicht sind.

Die Wiedergabe der Dokumente folgt grundsätzlich dem Original. Die Rechtschreibung ist den heute gültigen Normen angeglichen. Offensichtliche Schreibfehler wurden stillschweigend korrigiert, wobei der Lautstand beibehalten wurde. Auffällige Fehlschreibungen wurden im Text korrigiert, in der Fußnote die Schreibweise des Originals aber dokumentiert.

Zum Schutz von Persönlichkeitsrechten der Personen, über die das MfS berichtete, wurden ihre Namen, wo kein Einverständnis zur öffentlichen Nennung vorlag, anonymisiert. Um die Lesbarkeit des Dokumentes dennoch zu gewährleisten, wurden die Anonymisierungen derselben Personen mit eindeutigen Nummern innerhalb eines Dokumentes versehen. Gegebenenfalls wurde diese eindeutige Nummerierung über mehrere inhaltlich zusammenhängende Dokumente aufrechterhalten, worauf im Dokumentenapparat hingewiesen wird. In Einzelfällen wurden Sachverhalte getilgt, um die Persönlichkeitsrechte davon betroffener Personen zu schützen. Diese Tilgungen sind im edierten Text mit [Passage mit schutzwürdigen Interessen nicht wiedergegeben] gekennzeichnet.

Gemäß § 32a des Stasi-Unterlagengesetzes (StUG) wurden Personen der Zeitgeschichte und Funktionsträger öffentlicher Institutionen vor der Veröffentlichung von Dokumenten, die Informationen über sie enthalten und die über ihre Funktionstätigkeit hinausgehen, benachrichtigt. Einige Betroffene, die nicht zu diesen Personenkreisen gehören, wurden darüber hinaus um eine Einwilligung zur Publikation der in den Berichten zu ihrer Person enthaltenen Daten gebeten. In den betreffenden Antworten wurden teilweise wichtige und interessante inhaltliche Anmerkungen zu den in den Quellen thematisierten Sachverhalten gemacht, die ganz oder auszugsweise in den Fußnoten dokumentiert sind.

8. Schlussbetrachtungen

Nach dem 11. Plenum des ZK der SED (16.–18.12.1965) konnte Erich Mielke aufatmen: »Wir sind wieder in der Offensive.« Die für ihn als lähmend angesehene Eingrenzung der repressiven Politik seines Ministeriums, die sich in den Berichten bis zur Jahresmitte spiegelnde Versachlichung ihres Tenors und die inhaltliche Beschränkung auf die als sicherheitsrelevant angesehenen Bereiche der Gesellschaft war vorüber. Im internen Machtkampf in der SED hatte sich Erich Honecker mit seiner administrativen Linie durchgesetzt, Ulbricht hatte weitgehende Zugeständnisse in Bereichen gemacht, in denen der Druck des Apparates zu groß geworden war.

Noch zur Jahresmitte stand Mielke zwischen einer offiziellen Politik der Partei, die auf Ökonomie, ein streitbareres »geistig-kulturelles Leben«, Initiative und kritische Hinterfragung überkommener Verfahrensweisen setzte. Diese Werte blieben für das MfS nicht angreifbar, solange sie von der SED propagiert wurden. Erst zögerlich, dann aber, als Honecker sich mit seinem Vorgehen im Oktober durchsetzen konnte, begann auch das MfS dessen Linie mit gezielten Informationen zu unterstützen.

Im letzten Drittel des Jahres wurden die eingeübten Feindbilder der 1950er Jahre wieder aufgegriffen. Auffällig ist der rapide Verfall der Substanz in den entsprechenden Berichten zur Jugendpolitik. Die Verknüpfung einer nonkonformen Jugend mit der bereits in den Jahren zuvor als feindlich etikettierten Opposition durch das 11. Plenum erleichterte die Bedienung grober Kategorien und zugerechneter Abhängigkeiten. Die »politisch-ideologische Diversion«, die in der DDR von einigen »feindlichen Kräften« wie Havemann, Biermann, Heym und Bieler (um nur die Hauptangeklagten des 11. Plenums zu nennen) verbreitet wurde,150 war nun parteiamtlich mit anderen kritischen Zeitgenossen und einer aufmüpfigen Jugend im stalinistischen Sinne amalgamiert worden. Der Feind hat ein Etikett, das mit dem Label Skeptizismus jeden kritischen Einwand zum Gegenstand der Kriminalisierung machen konnte.

Der Herbst 1965 brach einer zivilgesellschaftlichen Chance der DDR das Genick, bevor sie stark genug geworden war, sich durchzusetzen. Das 11. Plenum war für die DDR, was der 21. August 1968 für den Prager Frühling, was die Märzereignisse 1968 für Polen waren.151 Was vom NÖS blieb, war, jenseits technokratischer Fortentwicklungen in Bereichen, in denen der Gehalt der Reformen noch gar nicht zur Entfaltung gekommen war, ein lebloser Bau, der vielleicht im Sinne der seinerzeit so heftig propagierten Kybernetik ein sich selbst reproduzierendes Regelsystem bildete. Doch das ökonomische System des Sozialismus (ÖSS) – wie die Fortsetzung des NÖS genannt werden sollte – blieb ein Objekt der Bürokratie, abgetrennt von der lebendigen Gesellschaft. Den Reformen, die Aufbruch zu einer neuen Dynamik verheißen hatten, war der Geist, der Elan, der Witz, die Fähigkeit der Selbstkorrektur, kurz alles, was eine Gesellschaft lebendig und lebenswert macht, ausgetrieben worden.

Anhang

Tabelle 1: Adressaten der Berichte 1965 außerhalb des MfS

Name, Vorname, Funktion

Information Nr.

Anzahl

Apel, Erich (Jg. 1917)

SED-Politbüro (Kandidat), Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates und Vorsitzender der Staatlichen Plankommission

925

1

Axen, Hermann (Jg. 1916)

SED-Politbüro (Kandidat), Chefredakteur des Zentralorgans »Neues Deutschland«

492

1

Balkow, Julius (Jg. 1909)

SED-ZK, Minister für Außenhandel und innerdeutschen Handel

503

1

Barth, Willi (Jg. 1899)

Leiter der Arbeitsgruppe Kirchenfragen des SED-ZK

208, 235, 238, 252, 254, 376, 386, 523, 579, 584, 692, 741, 798, 861, 901, 902, 903, 914, 937, 939, 1004, 1070, 1077, 1082, 1126

25

Borning, Walter (Jg. 1920)

Leiter der Abteilung Sicherheit des SED-ZK

352, 649, 650, 652, 658, 659, 683, 684, 694, 696, 717, 828a, 837, 838, 946, 966, 968, 971, 993, 1033, 1045, 1061, 1073

23

Bräutigam, Alois (Jg. 1916)

SED-ZK, 1. Sekretär der SED-BL Erfurt

901, 902, 903, 906, 909

5

Dickel, Friedrich (Jg. 1913)

Minister des Innern und Chef der Volkspolizei, Mitglied des NVR

352, 876, 904b, 905, 912, 966, 968, 971, 993, 1045

10

Erbach, Günter (Jg. 1928)

amt. Vorsitzender des staatlichen Komitees für Körperkultur und Sport

1039

1

Ewald, Manfred (Jg. 1926)

SED-ZK, Präsident des DTSB

46, 56, 342, 430, 1039, 1094, 1103, 1118

8

Florin, Peter (Jg. 1921)

SED-ZK, Leiter der Abteilung internationale Verbindungen des ZK

1078, 1110

2

Fröhlich, Paul (Jg. 1913)

SED-Politbüro, 1. Sekretär der SED-BL Leipzig

804, 966, 968, 971, 993

4

Grüneberg, Gerhard (Jg. 1921)

SED-Politbüro (Kandidat), ZK-Sekretär für Landwirtschaft

46, 56, 342, 1094, 1103, 1118

6

Hager, Kurt (Jg. 1912)

SED-Politbüro, ZK-Sekretär für Kultur, Wissenschaft

31, 81, 155, 587, 588, 608, 611, 621, 649, 658, 660, 683, 684, 694, 696, 745, 783, 883, 895, 925, 945, 958, 963, 966, 968, 971, 993, 1004, 1123, 1150, 1151, 1160, 1161, 1162

34

Hegen, Josef (Jg. 1907)

2. stellv. Minister für Auswärtige Angelegenheiten

341, 582, 828b

3

Hellmann, Rudolf (Jg. 1926)

Leiter der Abteilung für Körperkultur und Sport des SED-ZK

108

1

Hoffmann, Heinz (Jg. 1910)

SED-ZK, Minister für Nationale Verteidigung, Mitglied des NVR

48, 333, 584, 876, 900, 901, 902, 903, 906, 912, 916, 946, 1033, 1038, 1061

15

Honecker, Erich (Jg. 1912)

SED-Politbüro, ZK-Sekretär für Sicherheit, Mitglied des NVR

2, 7, 9, 23, 26, 29, 30, 31, 39, 46, 48, 51, 52, 55, 56, 58, 59, 65, 67, 68, 77, 82, 87, 91, 102, 108, 116, 119, 131, 143, 148, 154, 155, 160, 162, 169, 173, 202, 206, 208, 209, 212, 222, 223, 226, 237, 238, 244, 246, 249, 250, 252, 254, 257, 258, 262, 271, 272, 273, 274, 275, 276, 280, 281, 282, 286, 288, 293, 300, 301, 304, 307, 309, 320, 327, 333, 336, 365, 376, 383, 386, 388, 409, 423, 430, 431, 432, 446, 472, 473, 492, 513, 516, 519, 523, 536, 537, 582, 589, 726, 731, 734a, 734b, 736, 737, 739, 740, 744, 745, 753, 754, 755, 778, 781, 783, 786, 797, 798, 826, 838, 842, 861, 873, 876, 878, 882b, 883, 888, 892, 895, 900, 906, 909, 911, 912, 914, 915, 916, 917, 925, 926, 941, 945, 946, 958, 966, 968, 969, 970, 971, 976, 981, 986, 987, 992, 993, 1027, 1030, 1033, 1038, 1039, 1045, 1051, 1056, 1061, 1068, 1070, 1073, 1074, 1075, 1077, 1078, 1079, 1082, 1084, 1094, 1098, 1099, 1102, 1103, 1104, 1106, 1107, 1109, 1110, 1112, 1118, 1120, 1123, 1126

190

Honecker, Margot (Jg. 1927)

SED-ZK, Ministerin für Volksbildung

446, 589

2

KGB

(Komitee für Staatssicherheit der Sowjetunion, Berlin-Karlshorst)

519, 581, 724, 734a, 734b, 786, 842, 882b, 901, 902, 903, 906, 911, 1039, 1079, 1104, 1109, 1111, 1151, 1165

20

Kohl, Michael (Jg. 1929)

Staatssekretär beim Ministerrat der DDR

26, 513, 537, 724, 726, 736, 739, 740, 744, 861, 1030, 1075, 1084, 1099, 1102, 1112

16

Leuschner, Bruno (Jg. 1910)

SED-Politbüro, ständiger Vertreter der DDR beim RGW

81, 102

2

Markowitsch, Erich (Jg. 1913)

1. Stellv. des Vorsitzenden des Volkswirtschaftsrates

59, 77, 143, 618

4

Matern, Hermann (Jg. 1893)

SED-Politbüro, Vorsitzender der ZPKK

1161

1

Mittag, Günter (Jg. 1926)

SED-Politbüro (Kandidat), ZK-Sekretär für Wirtschaft

9, 29, 30, 39, 51, 52, 55, 59, 77, 87, 116, 143, 148, 160, 200, 340, 364, 472, 536, 588, 608, 621, 776, 797, 842, 873, 925, 1013, 1051, 1074, 1078, 1098, 1113, 1120

34

Neumann, Alfred (Jg. 1909)

SED-Politbüro, Vorsitzender des Volkswirtschaftsrates

9, 29, 30, 39, 148, 220, 272, 276, 503, 649, 842, 873, 1113, 1120

14

Neumann, Alfred Bruno (Jg. 1927)

Vorsitzender des Staatlichen Komitees für Körperkultur und Sport

108

1

Norden, Albert (Jg. 1904)

SED-Politbüro, ZK-Sekretär für Agitation

2, 60, 119, 388, 411, 432, 492, 516, 575, 633, 778, 838, 882b, 966, 968, 971, 993, 1075, 1078, 1084, 1099, 1102, 1109, 1110, 1112

25

Pöschel, Hermann (Jg. 1919)

SED-ZK (Kandidat), Leiter der Abteilung Forschung und technologischen Entwicklung des SED-ZK

220, 226, 258, 272, 273, 276, 288, 293, 660, 662

10

Reuther, Werner (Jg. 1925)

Leiter der HA Pass- und Meldewesen des Ministeriums des Innern, beauftragt mit der Durchführung der Passierscheinabkommen

1112

1

Schumann, Horst (Jg. 1924)

SED-ZK, 1. Sekretär des Zentralrats der FDJ, Mitglied des Staatsrats der DDR

154, 162, 683, 684, 966, 968, 971, 993, 1027, 1106

10

Schürer, Gerhard (Jg. 1921)

SED-ZK, 1. Stellv. des Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission

1113

1

Sefrin, Max (Jg. 1913)

Mitglied des Präsidiums des CDU-Hauptvorstandes, stellv. Vorsitzender des Ministerrats und Minister für Gesundheitswesen

81

1

Sieber, Günter (Jg. 1930)

Minister für Handel und Versorgung

618

1

Singer, Rudi (Jg. 1915)

Leiter der Abteilung Agitation des SED-ZK

169, 209, 223, 237, 250, 257, 262, 271, 275, 280, 286, 304, 309, 320, 327, 333, 336, 337

18

Sölle, Horst (Jg. 1924)

Minister für Außenhandel und innerdeutschen Handel (Nachfolger von Julius Balkow)

925

1

Stibi, Georg (Jg. 1901)

Stellv. Minister für Auswärtige Angelegenheiten

1150, 1160

2

Stoph, Willi (Jg. 1914)

SED-Politbüro, Vorsitzender des Ministerrates der DDR

2, 9, 23, 26, 29, 39, 160, 169, 200, 208, 209, 223, 226, 235, 237, 238, 244, 250, 252, 254, 258, 262, 271, 273, 275, 286, 293, 300, 301, 304, 309, 320, 327, 333, 337, 340, 364, 376, 386, 388, 431, 432, 446, 472, 503, 507, 513, 523, 536, 537, 575, 579, 582, 584, 588, 608, 621, 658, 660, 662, 692, 724, 726, 776, 783, 797, 798, 842, 861, 873, 876, 882b, 906, 914, 915, 925, 937, 939, 966, 968, 970, 971, 981, 993, 1004, 1013, 1030, 1045, 1051, 1070, 1074, 1075, 1077, 1078, 1082, 1084, 1098, 1099, 1102, 1109, 1110, 1111, 1112, 1120, 1126

105

Ulbricht, Walter (Jg. 1893)

1. Sekretär des SED-ZK, SED-Politbüro, Vorsitzender des Staatsrates, Vorsitzender des NVR

2, 9, 26, 26, 31, 59, 102, 142, 208, 209, 223, 237, 238, 250, 252, 254, 262, 271, 275, 288, 301, 304, 309, 320, 327, 333, 337, 388, 431, 513, 523, 537, 579, 584, 692, 734b, 783, 798, 861, 876, 882b, 883, 892, 906, 914, 915, 925, 926, 937, 939, 945, 946, 958, 966, 968, 970, 971, 981, 993, 1004, 1030, 1045, 1070, 1075, 1077, 1082, 1084, 1099, 1109, 1112, 1123, 1126

72

Verner, Paul (Jg. 1911)

SED-Politbüro, 1. Sekretär SED-BL Berlin

2, 23, 31, 58, 87, 102, 116, 119, 131, 155, 208, 222, 235, 238, 249, 252, 254, 257, 376, 383, 386, 431, 432, 523, 579, 584, 692, 741, 798, 882b, 883, 914, 937, 939, 945, 958, 966, 968, 971, 993, 1004, 1009, 1070, 1077, 1082, 1120, 1126

47

Verner, Waldemar (Jg. 1914)

SED-ZK, stellv. Minister für Nationale Verteidigung

650, 659

2

Wagner, Hans (Jg. 1927)

2. Sekretär der SED-BL Berlin

293, 340

2

Wansierski, Bruno (Jg. 1904)

Stellv. Leiter der Abteilung Sicherheitsfragen des SED-ZK

1151, 1162, 1165

3

Warnke, Herbert (Jg. 1902)

SED-Politbüro, 1. Vorsitzender des Bundesvorstandes des FDGB

409

1

Wendt, Erich (Jg. 1902)

Stellv. Minister für Kultur, DDR-Beauftragter für die Passierscheinverhandlungen

209, 223, 237, 250, 262, 271

6

Winzer, Otto (Jg. 1902)

SED-ZK, Minister für Auswärtige Angelegenheiten

2, 82, 91, 235, 281, 300, 301, 309, 320, 327, 333, 388, 513, 537, 611, 724, 726, 861, 939, 961, 976, 1068, 1078, 1110, 1111, 1126

26

Tabelle 2: Name und Funktion der Adressaten innerhalb des MfS 1965

Name, Vorname

Funktion

Beater, Bruno

1. Stellvertreter Mielkes

Dittmar

konnte nicht ermittelt werden

Gold, Franz

Leiter der HA Personenschutz

Halle, Günter

Leiter der Abt. Agitation

Herrmann, Heinz

Stellvertreter Operativ der BV Suhl

Hoffmann

konnte nicht ermittelt werden

Irmler, Werner

Stellv. Leiter der ZIG, ab September 1965 Leiter der ZAIG

Israel, Rudolf

1. Stellvertreter des Leiters der HA I

Kienberg, Paul

Leiter der HA XX (Untergrund, Staat, Kirchen und Kultur)

Kistowski, Erich

Leiter der HA VII

Kleinjung, Karl

Leiter der HA I

Klippel, Werner

Stellv. Leiter der HA II, Beauftragt mit der Kontrolle der Abt. M (Postkontrolle)

Knye, Otto

Beauftragter für Sonderaufgaben in der HV A

Lässig, Paul

Stellvertreter Operativ BV Gera

Mielke, Erich

Minister für Staatssicherheit

Mittig, Rudi

Leiter der HA XVIII

Reinhardt, Gerhard

Stellvertreter Operativ BV Erfurt

Schneider, Hans

Leiter der MfS-Bezirksverwaltung Leipzig

Scholz, Alfred

Leiter der Arbeitsgruppe des Ministers (AGM)

Schröder, Fritz

Stellvertreter Mielkes, zuständig für die Anleitung der HA XVIII, HVA XIX, HA XX)

Weikert, Martin

Leiter der MfS-BV Erfurt

Wichert, Erich

Leiter der Verwaltung Groß-Berlin des MfS

Wolf, Markus

Stellvertreter Mielkes und Leiter HV A