Faschistische Graffiti am Passierscheinbüro Kreuzberg
27. März 1965
Einzelinformation Nr. 271/65 über faschistische Schmierereien am Gebäude der Passierscheinstelle Kreuzberg, Urbanstraße 21, am 26. März 1965
Am 26.3.1965, gegen 13.30 Uhr, stellten die zur Passierscheinstelle1 Kreuzberg, Urbanstraße 21, zurückkehrenden Kuriere der DDR-Postangestellten fest, dass an der Straßenseite des Gebäudes der Passierscheinstelle mit weißer Kreide sechs Hakenkreuze angeschmiert worden waren. Die Hakenkreuze waren ca. 1 m groß und an einer Stelle der Außenwand des Gebäudes angebracht, die von allen Passierscheinabholern passiert werden musste.
Unmittelbar nach der Feststellung dieser faschistischen Schmierereien protestierte der DDR-Gruppenleiter beim Senatsbeauftragten der Passierscheinstelle [Name 1] und forderte die sofortige Entfernung der Hakenkreuze. Gleichzeitig wurde dem Senatsbeauftragten mitgeteilt, dass die DDR-Angestellten mit der Ausgabe der Passierscheine erst dann wieder beginnen, wenn [Name 1] persönlich dem DDR-Gruppenleiter über den Vollzug der Beseitigung der faschistischen Schmierereien Mitteilung gemacht hat.
Unsere Angestellten bereiteten sich anschließend im Aufenthaltsraum auf die Passierscheinausgabe vor. Gegen 14.00 Uhr waren die Hakenkreuze entfernt, was [Name 1] durch den Verantwortlichen der Westberliner Postangestellten [Name 2] mitteilen ließ. Da sich zu diesem Zeitpunkt ca. 20 Abholer im Vorraum angesammelt hatten, die sich ungehalten über den verspäteten Ausgabebeginn äußerten, forderte der Gruppenleiter der DDR-Postangestellten von [Name 2], dass der Senatsbeauftragte [Name 1] persönlich den Antragstellern den Grund der Verspätung mitteilen solle.
[Name 1] schickte jedoch lediglich einen Senats-Ordner vor und ließ mitteilen, dass die Passierscheinstelle wegen »technischer Schwierigkeiten« erst später geöffnet würde. Einer erneuten Aufforderung zur Bekanntgabe der wahren Gründe kam der Senatsbeauftragte ebenfalls nicht nach.
Gegen 14.10 Uhr kam es dann unter den wartenden Passierscheinabholern zu stärkeren Missfallensäußerungen und sie verlangten konkrete Auskunft darüber, warum die Passierscheinstelle nicht geöffnet wird. Daraufhin wurde den Wartenden von unserem Gruppenleiter mitgeteilt, dass die Verzögerung nicht auf Verschulden der DDR-Angestellten oder auf technische Schwierigkeiten zurückzuführen sei, sondern auf die Weigerung des Hausherrn, ihnen die wahren Gründe dafür mitzuteilen.
Gegen 14.20 Uhr ließ dann der Senatsbeauftragte das Gartentor zur Passierscheinstelle schließen und Neuankommende in ein Nebengebäude leiten. Dadurch wollte er eine größere Ansammlung von Wartenden unmittelbar vor dem Arbeitsraum verhindern. Nachdem gegen 15.10 Uhr die DDR-Sonderkuriere auf der Passierscheinstelle eingetroffen waren, die die Weisung überbrachten, die Tätigkeit erst wieder aufzunehmen, wenn die faschistischen Schmierereien beseitigt sind, wurde, da zu diesem Zeitpunkt die Hakenkreuze bereits entfernt worden waren, unmittelbar danach mit der Ausgabe der Passierscheine begonnen.
In Gesprächen mit Senats-Ordnern äußerte [Name 1], dass er telefonisch mit seinen Vorgesetzten, u. a. mit [Name 3], gesprochen habe und seine Haltung vom Senat gebilligt werde.
Die anderen in der Passierscheinstelle eingesetzten Westkräfte stimmten diesem Verhalten offensichtlich jedoch nicht zu. Gegen 15.10 Uhr ersuchte der Verantwortliche der in der Passierscheinstelle eingesetzten Westberliner Kriminalpolizei unseren Gruppenleiter ausdrücklich um die Bestätigung, dass die Kriminalisten an dem Vorkommnis unbeteiligt seien. Gleichzeitig distanzierte er sich von dem Verhalten der Senatsbeauftragten. Der Polizeikommissar [Name 4] vom Westberliner Polizeirevier 101 distanzierte sich ebenfalls vom Verhalten des [Name 1].
Vonseiten der Passierscheinabholer gab es keine negativen Diskussionen über das Verhalten der DDR-Postangestellten.
Es wird vorgeschlagen, bei der nächsten Zusammenkunft der Passierschein-Beauftragten gegen diese faschistischen Schmierereien und gegen das Verhalten des Senatsbeauftragten zu protestieren.
Gleichzeitig wird gebeten zu entscheiden, inwieweit zu diesem Vorkommnis eine Presseveröffentlichung erfolgen soll.2