Fehlleitung eines vertraulichen Wirtschaftsberichtes
1. Juni 1965
Einzelinformation Nr. 503/65 über die Fehlleitung eines Berichtes des VEB »ORWO«-Filmfabrik Wolfen/Bitterfeld an die westdeutsche Handelsvertretung in Jugoslawien
Wie dem MfS aus zuverlässiger Quelle bekannt wurde, erreichte die westdeutsche Handelsvertretung in Belgrad/Jugoslawien ein Brief des VEB »ORWO«-Filmfabrik Wolfen als Irrläufer.1
Die durch das MfS eingeleiteten Untersuchungen ergaben, dass es sich um einen Bericht des VEB »ORWO«-Filmfabrik Wolfen, Abteilung Fotochemie, über eine ORWO-Fachausstellung in Belgrad, die in der Zeit vom 5.11. bis 10.11.1964 abgehalten wurde, handelt.
Dieser Bericht war an den zuständigen Delegaten des AHU Chemie bei der Handelspolitischen Abteilung der DDR-Gesandtschaft in Jugoslawien adressiert und wurde auf dem normalen Postwege befördert, nicht – wie es notwendig gewesen wäre – mittels einer entsprechenden Kurierdienstverbindung. Von der Filmfabrik Wolfen wurde außerdem noch eine Kopie des Berichts an das Außenhandelsunternehmen Chemie gesandt, die aber vom AHU nicht an die Handelspolitische Abteilung der Gesandtschaft der DDR in der SFR Jugoslawien abgeschickt wurde.
Der Bericht beinhaltet u. a.:
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allgemeine Feststellungen über den Ablauf der ORWO-Fachausstellung,
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Einschätzung der Marktlage für ORWO-Filme in Jugoslawien,
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Mängel und Hemmnisse, die den Handel mit jugoslawischen Importeuren erschwerten,
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kommerzielle Ergebnisse von Verhandlungen mit jugoslawischen Importfirmen für ORWO-Filme,
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Einschätzung der Möglichkeiten für die Erweiterung des Filmexportes in die SFR Jugoslawien (mit konkreten Zahlen versehen),
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technische Angaben des Filmexportes und der Kundenwünsche (Erweiterung des Sortiments),
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bisher von jugoslawischer Seite bekannt gegebene Reklamationen über Qualitätsmängel,
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Kundenwünsche über den Export von Anlagen zur Vervollständigung von Foto-Entwicklungsanlagen,
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Hinweise über Absatzmöglichkeiten und Kundenwünsche für Röntgenfilme und -chemikalien sowie Aufnahmematerialien für Wissenschaft und Technik.
In ausführlichen Details werden [sic!] auf o. g. Fragenkomplexe eingegangen und entsprechende Schlussfolgerungen für die handelspolitische Konzeption für den Filmexport nach Jugoslawien gezogen.
Die westdeutsche Handelsvertretung in Belgrad übergab das irrtümlich erhaltene Exemplar den zuständigen Bonner Dienststellen zur Auswertung. Die Auswertung erfolgte mit allergrößtem Interesse, da in dem Bericht »Aufschluss über die intensivierten Verkaufsanstrengungen der DDR in Jugoslawien«, Angaben über »Liefer- und Sortimentsschwierigkeiten bestimmter Branchen« und über die »Arbeitsmethoden der SBZ« enthalten sind.
Die Analyse aus dem Material wurde vor allem von der »Bundesstelle für Außenhandelsinformation« Köln2 und vom »Fachverband der fotochemischen Industrie«3 Frankfurt/M. vorgenommen.
Zur Verhütung negativer handelspolitischer Auswirkungen und zur Begegnung eventueller marktwirtschaftlicher Maßnahmen westdeutscher Konzerne in Jugoslawien wurden erste Maßnahmen eingeleitet. Sie beinhalten Absatzvereinbarungen mit interessierten jugoslawischen Kunden, Einschaltung der Handelspolitischen Abteilung der DDR-Botschaft in Belgrad zwecks Unterstützung der Absatztätigkeit der Filmfabrik Wolfen sowie Maßnahmen, die in Zukunft gewährleisten werden, dass geeignete Post- bzw. Kurierwege eingehalten werden.
In diesem Zusammenhang erachtet das MfS es für erforderlich, dass durch die Leitung des Volkswirtschaftsrates nochmals eine grundsätzliche Orientierung an die volkseigene Industrie erfolgt. Auf der Grundlage der AO des Ministeriums für Staatssicherheit »über die Anfertigung, Behandlung, Aufbewahrung und Sicherung von Verschlusssachen« vom 30.1.1964 – speziell die §§ 53 u. 544 – müsste besonders die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen im Verkehr mit den handelspolitischen Vertretungen bei den Botschaften der DDR im Ausland im Mittelpunkt stehen. Diese Maßnahme erscheint umso notwendiger, da mit der intensiveren Bearbeitung der ausländischen Märkte durch wichtige Exportbetriebe in zunehmendem Umfang Service- und Kundendienste eingerichtet werden. Bei Verletzung o. g. gesetzlicher Regelungen könnten weitere Gefahren der Preisgabe von geheim zu haltenden Unterlagen entstehen.