Flucht eines Kameramannes am Checkpoint Charlie
17. August 1965
Einzelinformation Nr. 753/65 über einen Grenzdurchbruch an der GÜST Friedrich-/Zimmerstraße am 16. August 1965
[Faksimile des Deckblatts und der Anlage]
Wie aus den Beobachtungen eines Grenzpostens der Grenzsicherungskräfte der DDR sowie aus verschiedenen Veröffentlichungen der Westberliner Presse hervorgeht, gelang es am 16.8.1965, gegen 11.10 Uhr, einer bisher noch nicht namentlich ermittelten männlichen Person, den GÜST Friedrich-/Zimmerstraße in Richtung Westberlin zu durchbrechen.
Nach den Darstellungen der Westpresse war der Grenzverletzer durch seine Tätigkeit als Kameramann beim Deutschen Fernsehfunk mit der Situation an der GÜST Friedrich-/Zimmerstraße vertraut. Er soll auch am 13.8.1965 Aufnahmen an der GÜST gemacht haben. Aufgrund der genauen Kenntnisse über das Kontrollterritorium sei es ihm gelungen, unbemerkt in das Gelände der GÜST einzudringen. Dabei habe er einen nach Westberlin zurückkehrenden US-Reise-Omnibus als Deckung benutzt. Während die Kontrollkräfte auf der Fahrerseite die Wagenpapiere kontrollierten, habe sich der Grenzverletzer an den Bus herangeschlichen. Immer im Sichtschatten des Busses bleibend, sei es ihm gelungen, bis zum letzten Schlagbaum zu kommen.
Unmittelbar an der Grenzmauer habe er sich in einem Zwischenraum von ca. 20 cm zwischen den Rädern des Busses und der Grenzmauer hindurchgezwängt (Siehe Anlage 1).
Laut Angaben der Westberliner »BZ« soll es sich, abweichend von den anderen Westberliner Zeitungen, bei dem Grenzverletzer um einen 20-jährigen Betonbauer-Lehrling handeln, den man aus der Lehre entlassen und absichtlich aus politischen Gründen die Teilnahme an der Abschlussprüfung verweigert habe.
Die Überprüfung ergab, dass am 16.8.1965, gegen 11.15 Uhr, der diensthabende Offizier der PKE von dem Stellvertreter des Kommandanten der GÜST Mitteilung erhielt, dass der Sicherungsposten 1 der NVA bei der Ausfahrt eines westdeutschen Reisebusses gegen 11.05 Uhr beobachtet, wie eine männliche Person, ca. 23 Jahre alt, ca. 1,80–1,85 cm groß, schlanke Gestalt, blonde Haare, grauer Anzug, während der Abfertigung des Busses am Ausreise-Schlagbaum nach Westberlin gelangte. Es hatte für den Posten den Anschein, als dass die Person zum Bus gehörte, obwohl sie sich nach Ankunft am West-KPP allein in Richtung Westberlin weiterbewegte. Die beiden NVA-Posten hatten nicht beobachten können, ob die Person passmäßig kontrolliert war. Die Passkontrollkräfte, die den Bus kontrollierten, haben aufgrund ihres Standortes links vom Bus den Grenzverletzer nicht bemerkt.
Bei dem Bus handelt es sich um den Reisebus pol. Kennzeichen B [Zulassungsnr.] (Bayern-Express) mit dem Fahrer [Name 1, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1921, wohnhaft Berlin, [Straße Nr.], der am 16.8.1965, gegen 10.50 Uhr, zwecks Ausreise nach Westberlin in das Kontrollterritorium einfuhr. Im Bus befanden sich amerikanische Touristen. Nach einer Kontrollzeit von maximal sieben bis zehn Minuten passierte er um 11.00 Uhr den Ausreiseschlagbaum der GÜST. Zu dieser Zeit wurde an der GÜST ein zahlenmäßig starker Reiseverkehr (eine größere Anzahl Pkw, Fußgänger und zwei Busse) abgefertigt.
Der Grenzverletzer konnte sich als Fußgänger bis zum Ausreiseschlagbaum begeben – gedeckt durch den Bus – unkontrolliert nach Westberlin entkommen (Anlage 2).
Das unkontrollierte Betreten der GÜST von der Hauptstadt der DDR aus kann erfolgt sein, indem der Grenzverletzer vor Einfahrt des Busses in diesen zustieg. Die Reisebusse werden erst im Kontrollterritorium kontrolliert. Innerhalb des Kontrollterritoriums kann diese Person ausgestiegen sein und hat sich dann wie ein zur Ausreise abgefertigter Fußgänger zur Ausreise begeben.
Der Westberliner Busfahrer wurde in Fahndung gestellt, um ihn bei erneuter Einreise zum Sachverhalt zu befragen. Ferner wurde durch weitere Überprüfungen festgestellt, dass als Grenzverletzer weder ein Angehöriger des Armeefilmstudios, das am 12.8.1965 an und in der GÜST filmte, noch ein Kameramann des DFF oder des DEFA-Augenzeugen bzw. -Dokumentarfilmstudios infrage kommt. Weiter wird überprüft, ob als Grenzverletzer Arbeiter der Firmen Rauhut Berlin und VEB Grünanlagenbau Berlin infrage kommen, die vor einigen Tagen mit Arbeiten innerhalb der GÜST beschäftigt waren.
Zur Erhöhung der Sicherheit und der Beseitigung vorhandener Lücken an der GÜST Friedrich-/Zimmerstraße wurden folgende Maßnahmen veranlasst:
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Die Ausreise der Fußgänger und Fahrzeuge nach Westberlin wird ab sofort getrennt entsprechend der Postenanweisung vom 9.9.1964 durchgeführt.
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Zur Ausreise nach Westberlin kommende Busse sind so abzufertigen, dass sich jeweils immer nur ein Bus im Kontrollterritorium befindet.
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Der Posten 1 der Ausreise nach Westberlin ist so zu besetzen, dass bei Ausfahrt von Bussen diese links und rechts am Ausreiseschlagbaum gesichert sind, damit keine Person im Schutze der Fahrzeuge das Kontrollterritorium verlassen kann, ohne kontrolliert zu sein (Anlage 3).
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Die Sicherheit im Kontrollterritorium selbst ist durch die beobachtende Tätigkeit der Sicherungskompanie, der Mitarbeiter der Zollverwaltung der DDR sowie der Passkontrolleinheit zu erhöhen, um rechtzeitig zu erkennen, ob Personen unberechtigt Busse verlassen oder in diese zusteigen.
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Es ist generell festzulegen, dass während der Zeit des Aufenthaltes im Kontrollterritorium vor und nach der Passkontrolle (außer während der Zollkontrolle) keine Personen die Reisebusse verlassen dürfen.
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Durch das MfS wird die Aufklärung dieses Vorkommnisses im Operationsgebiet weitergeführt.
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Der Leiter der Passkontrolleinheit Oberleutnant [Name 2] wird disziplinarisch wegen Nichteinhaltung der Meldepflicht und der Postenanweisung vom 9.9.1964 zur Verantwortung gezogen.
Er wird gleichzeitig aus dem Passkontrollbereich herausgelöst.
Dieses Vorkommnis und das fehlende Verhalten der Passkontrollkräfte wird [sic!] in allen GÜST der DDR entsprechend ausgewertet.
Anlage zur Information Nr. 753/65
Kopien aus der »Berliner Morgenpost«
[nicht hier am Dokument ediert, siehe Faksimile]