Flucht von Mitarbeitern der Komischen Oper
22. Februar 1965
Einzelinformation Nr. 155/65 über die Republikflucht mehrerer Mitglieder des Ensembles der Komischen Oper Berlin während eines Gastspieles in Stuttgart
Bei der Gastspielreise des Ensembles der Komischen Oper Berlin nach Stuttgart wurden am 20.2.1965 insgesamt sieben Mitglieder republikflüchtig. Dabei handelt es sich um folgende Personen:
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[Name 1, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1929 in Dresden, wohnhaft Berlin-Oberschöneweide, [Straße Nr.], Sänger der Titelpartie in der »Barbier von Sevilla«,
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[Name 2, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1931 in Jagan, wohnhaft Berlin N 54, [Straße Nr.], Tonmeister,
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[Name 3, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1936 in Magdeburg, wohnhaft Berlin N 54, [Straße Nr.], Chorsängerin,
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[Name 4, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1943 in Berlin, wohnhaft Berlin-Adlershof, [Straße Nr.], Maskenbildnerin,
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[Name 5, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1939 in Brandenburg, wohnhaft Berlin N 54, [Straße Nr.], Beleuchter,
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[Name 6, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1934 in Berlin, wohnhaft Berlin N 58, [Straße Nr.], Beleuchter,
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[Name 7, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1938 in Altlandsberg, wohnhaft Berlin NO 55, [Straße Nr.], Bühnenarbeiter.
Die genannten Personen entfernten sich alle erst kurz vor der Rückreise nach Berlin vom Ensemble.
Die Republikflucht dieser Personen wurde durch den Umstand begünstigt, dass das Ensemble in Stuttgart nicht geschlossen untergebracht war und während der Freizeit keine Veranstaltungen im Rahmen des Ensembles durchgeführt wurden. Es bestand praktisch gesehen keine Übersicht über den Aufenthalt und die Kontakte der Ensemblemitglieder.1 Nach bisherigen Feststellungen haben viele Mitglieder des Ensembles während ihres Aufenthaltes in Stuttgart Besuche von Verwandten und Bekannten empfangen, u. a. auch von amerikanischen Militärangehörigen, zu denen bereits im demokratischen Berlin Kontakte aufgenommen worden waren.
Von den zurückgekehrten Mitgliedern des Ensembles der Komischen Oper werden auf das Entschiedenste diese Republikfluchten verurteilt. Am 22.2.1965 soll auf einer Ensembleveranstaltung in der Staatsoper darüber beraten werden. Der Intendant, Prof. Felsenstein,2 der sich gegenwärtig noch in Frankfurt/M. aufhält und nicht selbst an dieser Versammlung teilnehmen kann, soll in einer auf Tonband gesprochenen Ansprache die Republikflüchtigen als Verräter an der Komischen Oper und als Verräter der DDR verurteilt haben. Diese Ansprache soll während der Versammlung abgespielt werden.
Da durch die Republikflucht des [Name 1] die Vorstellung des »Barbier von Sevilla« während der Gastspielreise der Komischen Oper nach Stockholm gefährdet ist, wurde von den Solisten des Ensembles bereits vorgeschlagen, die Titelfigur des »Barbier von Sevilla« in kurzer Zeit mit dem westdeutschen Sänger Kreyssig3 einzustudieren, um auf diese Weise das Gastspiel in Stockholm zu sichern und zu beweisen, dass es auch ohne den Verräter [Name 1] geht.4
Intendant Felsenstein ist mit diesem Vorschlag einverstanden. Da sich Kreyssig noch in Westdeutschland aufhält, soll diese Frage in den heutigen Abendstunden endgültig geklärt werden.
Weitere Untersuchungen über die Ursachen und Umstände der Republikflüchtigen der Ensemblemitglieder der Komischen Oper werden durch das MfS geführt.
Da zu diesen Republikfluchten bereits Veröffentlichungen in der Westpresse erfolgten, wird vorgeschlagen, über das Ministerium für Kultur eine offizielle Stellungnahme von Professor Felsenstein zu erwirken, in der er gegen diese Störung des Kulturaustausches durch Bonner Dienststellen und Menschenhändlerorganisationen5 auftritt.6