Gruppenfahnenflucht von Grenzsoldaten in Berlin-Wilhelmsruh
6. November 1965
Einzelinformation Nr. 986/65 über eine Gruppenfahnenflucht aus der 2. Kompanie/31. Grenzregiment im Bereich des VEB Bergmann-Borsig am 5. November 1965
Am 5.11.1965, in der Zeit von 10.00 bis 10.40 Uhr, wurde aus dem Postenbereich 1 – rechter Nachtposten am Gelände des VEB Bergmann-Borsig in Berlin-Wilhelmsruh – ein Postenpaar des 2. Zuges/2. Kompanie, 31. Grenzregiment nach Westberlin fahnenflüchtig.
Dem Postenpaar gehörten an: Soldat [Name 1, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1944 in Mühlhausen, wohnhaft Mühlhausen, [Straße Nr.], NVA seit 4.5.1965, in dieser Einheit seit Sept. 1965, Mitglied der FDJ, ledig und Soldat [Name 2, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1945 in Mühlhausen, wohnhaft Mühlhausen, [Straße Nr.], NVA seit 4.5.1965 in der Einheit seit seiner Einstellung, Mitglied der FDJ, ledig.
Der 2. Zug, dem das Postenpaar angehörte, wurde vor der Abfahrt zum Grenzdienst vom Zugführer Oltn. [Name 3] für den Grenzdienst eingewiesen und danach vom Zughelfer Ufw. [Name 4] zum Grenzdienst geführt, da der Zugführer zum gesellschaftswissenschaftlichen Unterricht in der Einheit verbleiben musste.
Gegen 10.00 Uhr war das genannte Postenpaar vom Führungspunkt aus letztmalig über die Lage an der Staatsgrenze telefonisch befragt worden.
Die gegen 10.40 Uhr im Postenbereich 1 eintreffende Kontrollstreife stellte fest, dass ca. 10 m links am Postenturm die auf der Grenzsicherungsanlage angebrachte S-Rolle heruntergerissen worden war und im Draht ein Stoffhandschuh hing. Die Kontrollstreife begab sich deshalb sofort auf den Postenturm. Dabei stellte sie fest, dass das Postenpaar – offensichtlich unmittelbar zuvor – unter Mitnahme der MPi-K – nach Westberlin fahnenflüchtig geworden war. Alle anderen Ausrüstungsgegenstände waren zurückgelassen worden. Von den Fahnenflüchtigen war unbemerkt von den Nachbarposten die alte Grenzsicherungsanlage und die im Frühjahr 1965 davor errichtete 2,20 m hohe Mauer aus Betonfertigteilen überwunden worden.
Wie die Untersuchungen ergaben, konnte die Fahnenflucht von den Nachbarposten nicht bemerkt werden, da zu dieser Zeit eine verhältnismäßig starke Nebelbildung die Sicht behinderte.
Wie die Kontrollstreife weiter feststellte, wurde der Postenturm durch eine in einem Volkswagen auf Westberliner Gebiet vorgefahrene Zivilperson fotografiert.
Nach den bisherigen Untersuchungen wurde die Fahnenflucht durch das verantwortungslose Verhalten des Kompaniechefs wesentlich begünstigt. Er genehmigte den Einsatz dieser Posten, obwohl ihm bekannt war, dass
- –
keiner der beiden Fahnenflüchtigen als Postenführer bestätigt war,
- –
beide Soldaten mit dem Dienst an der Grenze noch nicht vertraut waren und deshalb auch über keine Erfahrungen in der Grenzsicherung verfügten,
- –
ihre Zuverlässigkeit noch nicht bewiesen war,
- –
beide aus dem gleichen Heimatort kamen und zusammen im gleichen Betrieb, dem VEB Röhrenwerk Mühlhausen, gearbeitet hatten.
Die Untersuchungen lassen die Einschätzung zu, dass in der 2. Komp./31. GR nicht die richtigen Schlussfolgerungen aus der erst am 5.10.1965 erfolgten Gruppenfahnenflucht aus dieser Einheit gezogen wurden.
Weitere Untersuchungen, insbesondere auch zur Aufklärung der Motive und einer eventuellen Unterstützung von Westberliner Gebiet aus, werden noch geführt.