Information über das Abhören westlicher Rundfunk- und Fernsehsender
17. April 1965
Einzelinformation Nr. 363/65 über das verstärkte Abhören von westlichen Rundfunk- und Fernsehstationen und die Schaffung technischer Voraussetzungen zum Empfang des Westfernsehens, besonders seines zweiten Programms
Aus vielen dem MfS vorliegenden Materialien geht eindeutig hervor, dass seit einigen Monaten – besonders seit dem Zeitpunkt der Ablösung Chruschtschows1 – in fast allen Bezirken der DDR in zunehmendem Maße die Programme des Westrundfunks und Westfernsehens empfangen werden.
In diesem Zusammenhang ist die Tatsache von Bedeutung, dass vor allem seit Oktober vorigen Jahres die westlichen Rundfunk- und Fernsehstationen in den speziell auf die Beeinflussung der DDR-Bevölkerung ausgerichteten Sendungen direkt dazu aufforderten, sich durch Abhören der Westsendungen über die »tatsächliche Lage« zu informieren. Auch hier wurden als Anlässe insbesondere die Ablösung Chruschtschows und die Auseinandersetzungen mit Auffassungen führender chinesischer Vertreter ausgenutzt,2 verbunden mit der Verleumdung der Berichterstattung der Presse sowie des Rundfunks und Fernsehens der DDR.
Diese westliche Orientierung widerspiegelt sich vielfach in den von DDR-Bürgern vorgebrachten »Begründungen« für den Empfang der Programme der Westsender. Neben dem bekannten alten Argument, wonach man sich »allseitig informieren« müsse, wurde vielfach und in zunehmendem Maße angeführt, dass Westrundfunk und -fernsehen »schneller und objektiver informieren« würden. In zahlreichen Fällen – vereinzelt sogar von Parteimitgliedern – wurde der Empfang der Programme der Westsender mit Unzufriedenheit über die Programmgestaltung des DDR-Rundfunks und -Fernsehfunks zu »begründen« versucht.
In der Mehrzahl der Bezirke der DDR wird übereinstimmend festgestellt, dass in bestimmten Kreisen und Gemeinden zwischen 70 % und 80 %, teilweise bis zu 90 % der Bevölkerung die Programme der Westsender empfangen, davon wieder der größte Teil regelmäßig. Die gleichen Prozentzahlen treffen auch auf die in einer Reihe von Betrieben Beschäftigten zu. Es sind zahlreiche Beispiele aus Betrieben bekannt, wo es bereits zu einer Art Selbstverständlichkeit geworden ist, dass die dort Beschäftigten sich z. T. gegenseitig auf Sendungen des Westfernsehens aufmerksam machen und sich an den folgenden Tagen offen darüber unterhalten.
In besonderem Maße treffen diese Feststellungen auch auf Jugendliche zu. Bei den zunehmenden Fällen des teilweise organisierten gemeinsamen Empfangs vor allem des Programms des Westfernsehens handelt es sich zu einem beträchtlichen Teil ebenfalls um Jugendliche. Dabei ist es sogar vorgekommen – um nur ein Beispiel anzuführen –, dass selbst im Kreiskulturhaus Röbel, [Bezirk] Neubrandenburg, sich Jugendliche das Programm des Westfernsehens gemeinsam angesehen haben. Ferner gibt es eine Reihe von Beispielen, wo in Gaststätten vorwiegend westliche Rundfunksendungen gehört werden. Hinzu kommen einige Beispiele der Übernahme westlicher Musiksendungen (teilweise ist die Herkunft nicht herausgeschnitten) durch den Betriebsfunk einiger Betriebe.
In diesem Zusammenhang verdient die Tatsache Beachtung, dass parallel mit der Zunahme des Empfangs der Programme der Westsender eine bedeutende Zunahme der Aufnahme brieflicher Verbindungen insbesondere von Jugendlichen der DDR mit Westsendern (Luxemburg, SFB, RIAS, Hessischer Rundfunk usw.)3, den von Westsendern angegebenen Deckadressen,4 sog. Starclubs usw. festzustellen ist. In vielen Fällen werden Musik- und Autogrammwünsche geäußert, teilweise aber auch Briefe hetzerischen Inhalts verschickt. Bezeichnend dafür ist, dass z. B. im IV. Quartal 1964 über 60 000 solcher Briefsendungen festgestellt wurden, gegenüber etwa 35 000 im III. Quartal 1964. Im I. Quartal 1965 stieg diese Zahl weiter auf über 90 000 solcher Briefsendungen an.
Von der Zunahme des Abhörens der Westsender zeugt außerdem die vielfach festzustellende ebenfalls zunehmende Weiterverbreitung der von den Westsendern propagierten feindlichen »Argumente«, insbesondere in Betrieben und teilweise auch an den Schulen. In einzelnen Fällen (z. B. Zentrallager für Kabel in Dahlwitz-Hoppegarten) wurden sogar während der Arbeitszeit (mittels Kofferradios) Westsender gehört.
Nach wie vor trifft auch die bekannte Feststellung zu, dass es sich bei der Mehrzahl der mit feindlichen und negativen Diskussionen in Erscheinung tretenden Personen um sog. regelmäßige Westhörer handelt.
Die in vielen Gebieten der DDR zum Empfang besonders des westdeutschen Fernsehens notwendigen zusätzlichen und Spezialantennen – in der Regel in Form von Dachantennen und Hochantennen – und ihre Ausrichtung auf die von Westdeutschland ausstrahlenden bzw. in Westberlin befindlichen Sender wurden bereits seit Jahren von Rundfunkmechanikern, Elektrikern, Klempnern und Dachdeckern in Schwarzarbeit aber auch im Eigenbau angefertigt und montiert.
In vielen Fällen wurden dafür enorme Überpreise verlangt und auch bezahlt. Durch entsprechende Überprüfungen dieser optisch sichtbaren Antennen für den Westfernsehempfang konnte festgestellt werden, dass ca. 60 bis 70 % der Fernsehgerätebesitzer das 1. Programm des Westfernsehens empfangen.5 Die in diesem Zusammenhang besonders von der FDJ geführte Aktion »kontra NATO-Sender« hatte zwar zeitweilig einen gewissen Rückgang des Empfangs von Sendungen des westdeutschen Fernsehens zur Folge,6 gleichzeitig wurde jedoch immer häufiger festgestellt, dass verstärkt Antennen zum Empfang des Westfernsehens unter dem Dach, von außen unsichtbar, angebracht wurden. Auch zahlreiche Beispiele des Ablehnens von Gemeinschaftsantennen (vor allem in Neubauten) und offene Bestätigungen ließen erkennen, dass nach wie vor ein großer Teil Westfernsehen empfängt.
Während in den länger zurückliegenden Monaten und Jahren die Anfertigung und Montage von entsprechenden Antennen für den Westempfang vorwiegend von Rundfunk- und Fernsehmechanikern, Elektrikern, also von branchengebundenen Berufen erfolgte und in der Regel in den eigenen Werkstätten durchgeführt wurde, sind in den letzten Wochen und Monaten in immer stärkerem Maße folgende Erscheinungen festzustellen:
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Neben den verschiedenartigsten Antennen werden Zusatzeinrichtungen, sog. Konverter, hergestellt, die den Empfang des 2. Programms des Westdeutschen Fernsehens ermöglichen.7
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Die Herstellung dieser Konverter und Antennen erfolgt nicht mehr nur von solchen Berufsgruppen, die entsprechend technische Voraussetzungen und Kenntnisse besitzen, sondern es häufen sich Hinweise, dass andere Personengruppen – z. T. unter Anleitung vorgenannter Personenkreise – Konverter und Antennen herstellen.
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In vielen Fällen erfolgt die Herstellung solcher Geräte in volkseigenen Betrieben, teilweise unter Verwendung betriebseigener und demzufolge gestohlener Materialien und während der betrieblichen Arbeitszeit. In anderen Fällen wird das im Betrieb entwendete Material zum Bau von Konvertern und Antennen mit nach Hause genommen.
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Teilweise werden in Betrieben zur Herstellung solcher Geräte regelrechte Interessen- bzw. Arbeitsgruppen gebildet.
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Verschiedene Elektrogeschäfte und PGH für Radio und Fernsehen bieten von sich aus beim Verkauf neuer Fernsehgeräte und bei Reparaturaufträgen an, Zusatzgeräte und Antennen zum Empfang des Westfernsehens einzubauen.
Im VEB Elektrokohle Berlin wurde seit einigen Monaten in der Elektrowerkstatt, Arbeitsgruppe Kräne, von einer sechs Personen starken Gruppe mit der Herstellung von Konvertern begonnen. Später schlossen sich weitere sechs Personen dieser Gruppe an. Sie übten die verschiedensten Berufe aus, meistens waren es jedoch Hilfsmonteure. In kurzer Zeit weitete sich der Bau derartiger Zusatzgeräte so stark aus, dass betriebliche Störreserven (z. B. 8 mm Messingplatten) fast aufgebraucht wurden. Um die Lötarbeiten fachgerecht ausführen zu lassen, wurden Arbeiter der Schlosserei beauftragt, für die Röhrenbestückung die Röhrensockel auf die Leiterplatten während der regulären Arbeitszeit aufzulöten. Die Arbeiter der Schlosserei schrieben für diese Arbeiten sogar noch Lohnscheine aus, sodass die Anfertigung aus dem betrieblichen Lohnfonds bezahlt wurde. (Dieses Beispiel wurde im Betrieb bereits öffentlich ausgewertet.)
Im VEB »Fritz Heckert« Karl-Marx-Stadt verwendeten Elektromonteure zum Bau von Antennen für den Empfang des Westfernsehens Kupferrohr aus dem Betrieb.
Im VEB Spinn- und Zwirnereimaschinenbau, Karl-Marx-Stadt, goss ein Gießereiarbeiter während der Arbeitszeit Westantennen aus betrieblichem Material (ca. 10 Stück).
In der VOB Planung, [Kreis] Plauen, fertigten Arbeiter nach der regulären Arbeitszeit, unter Verwendung betriebseigener Bleiplatten, Zusatzgeräte an.
In den Klingenthaler Harmonika Werken, Werk III, stellte ein Schlosser ebenfalls mithilfe von Betriebsmaterial Antennen und Konverter her.
Ähnliche Hinweise liegen aus den Betrieben VEB Bergmann-Borsig, Berlin, VEB Werkzeugmaschinenfabrik Zerbst, Magdeburg, VEB Glühlampe, Plauen, VEB Fahrzeugbau, Olbernhau u. a. vor. Es gibt sie in fast allen Bezirken der DDR, besonders ausgeprägt sind sie nach den bisherigen Feststellungen im Bezirk Karl-Marx-Stadt und in der Hauptstadt der DDR Berlin.
In einzelnen Fällen wird dabei zu einer regelrechten serienmäßigen Herstellung von Einzelteilen für den Bau der Zusatzgeräte übergegangen, wie das z. B. im VEB Transformatorenwerk »Karl Liebknecht« der Fall war. (Auch in diesem Betrieb wurde eine öffentliche Auswertung vorgenommen. Seit dem wird der Weiterbau in versteckter Form fortgesetzt.)
Neben der Herstellung von Zusatzgeräten und Antennen unmittelbar im Betrieb werden solche Geräte und Antennen von Einzelpersonen in der Wohnung angefertigt. Ein im VEB Elektroprojekt Berlin Beschäftigter richtete sich zu Hause eine regelrechte Werkstatt ein und baute dort zusammen mit einem weiteren Betriebsangehörigen täglich bis zu zehn Zusatzgeräte.
Der wegen Hetze von den Sicherheitsorganen festgenommene Ortmann, Günter aus Koserow, [Kreis] Wolgast, hat seit Herbst 1963 ca. 40 bis 50 Fernsehantennen gebaut und an andere Bürger auf der Insel Usedom zum Empfang des Westdeutschen Fernsehens verkauft.8 Diese und ähnliche Beispiele könnten fortgesetzt werden.
Unabhängig davon wird ein großer Teil, besonders Antennen, nach wie vor von kleinen in der einschlägigen Branche tätigen Handwerksbetrieben hergestellt.
Dies ist z. B. in fast allen Kreisen des Bezirkes Neubrandenburg der Fall. Im Kreis Neubrandenburg baute man Fernsehantennen aufgrund von Prospekten, die von Westdeutschland bezogen wurden.
Im Bezirk Karl-Marx-Stadt wurde festgestellt, dass der Bau von Zusatzgeräten nach einem in der Westberliner Fachzeitschrift »Funktechnik«9 beschriebenen Schaltschema erfolgte.
Ferner wird noch darauf hingewiesen, dass die in der DDR hergestellten und vertriebenen Antennen und Antennenverstärker für den Empfang des Cottbuser Senders (Kanal IV) sich im Bezirk Karl-Marx-Stadt für den Empfang des Westdeutschen Fernsehens eignen. Diese Tatsache wird von Inhabern von Elektrofachgeschäften und ähnlichen Personenkreisen den Käufern mitgeteilt und von ihnen werden dann auch selbst eine große Zahl solcher Antennen und Antennenverstärker verkauft.
In diesem Zusammenhang ist auch in immer stärkerem Maße festzustellen, dass solche bereits genannte Personenkreise, wie Rundfunkmechaniker, Angehörige, besonders Monteure von PGH Radio-Fernsehen, von sich aus ohne Aufforderung der Kunden anbieten, entsprechende Antennen und Zusatzgeräte zum Empfang des Westfernsehens einzubauen. Solche Hinweise liegen u. a. aus Karl-Marx-Stadt, Schwarzenberg, Stollberg und Zwickau vor.
Im Kreis Aue wird von der Fernsehvertragswerkstatt in Zschorlau den Kunden das Fernsehgerät »Sybille«10 empfohlen, weil damit ein Westempfang möglich sei. Dies wird den Kunden im Geschäft auch vorgeführt.
Als Preis für die auf die verschiedenste Weise hergestellten Zusatzgeräte werden im Durchschnitt zwischen 100 und 300 MDN je nach Konstruktion verlangt.11 Unter den Herstellern und Abnehmern solcher Zusatzgeräte und Antennen befinden sich neben Mitgliedern der Partei auch Betriebsfunktionäre meist aus solchen Betrieben, in denen eine Herstellung erfolgte.