Konferenz der evangelischen Bischöfe in Berlin
18. Oktober 1965
Einzelinformation Nr. 914/65 über die Konferenz der evangelischen Bischöfe der DDR am 30. September 1965 in Berlin
Über die am 30.9.1965 unter Leitung des Vorsitzenden der Bischofskonferenz Bischof Krummacher1 in Berlin stattgefundene planmäßigen Konferenz der evangelischen Bischöfe der DDR liegen dem MfS folgende Einzelheiten vor:
An der Konferenz nahmen alle acht Bischöfe der DDR – zum Teil auch deren Vertreter – teil.
Die Tagesordnung sah vor:
- 1.
Berichte aus den einzelnen Bereichen der Landeskirchen der DDR
- 2.
Fragen des Wehr- und Wehrersatzdienstes
- 3.
Bericht über das Gespräch mit dem Minister für Gesundheitswesen Sefrin2
- 4.
Bericht über die Tätigkeit der Arbeitsgemeinschaft »Kirche und Welt«.
Die Bischofskonferenz nahm folgenden Verlauf:
Zum Punkt 1 der Tagesordnung berichtete u. a. der Verwalter im Bischofsamt Generalsuperintendent Jacob3 über den in Frankfurt/O. vom 24. bis 26.9.1965 durchgeführten Evangelischen Kirchentag der Landeskirche Berlin-Brandenburg. Er lobte dabei die Unterstützung, die von staatlichen Stellen bei der Durchführung des Kirchentages gegeben worden sei. Insbesondere berichtete er über die Ausführungen des Hauptreferenten auf diesem Kirchentag, des ehemaligen Landesjugendpfarrers Schulz4 aus Rerik, Bez. Rostock, und betonte, dass Schulz dabei »bis an die Grenze dessen gegangen sei, was man heute sagen könne«.
(Der wesentliche Inhalt der Ausführungen des Schulz während der Abschlussveranstaltung am 26.9.1965 vor ca. 5 000 Personen gipfelte in den Forderungen, dass der Christ der sog. Vermassung, der die Menschen in der gegenwärtigen Entwicklung zum Opfer fielen, entgegenzuwirken habe. Das Leben eines Christen in einer sozialistischen Gesellschaftsordnung sei nicht leicht. Ein Christ, der zum Wehrdienst einberufen würde, habe diesen zu verweigern. Es sei jedoch seine Pflicht, diese Wehrdienstverweigerung gegenüber dem Staat mit einer christlichen Überzeugung zu begründen. Er erklärte ferner, ein Christ müsse sich gegen jeden Dogmatismus wenden, ihm sei in der jetzigen Welt die Freiheit zuzugestehen, sich selbst Gedanken zu machen. In diesem Zusammenhang brachte er auch zum Ausdruck, die Christen sollten mit Mut und Phantasie Brücken bauen und Mauern überwinden.)
Die Ausführungen von Bischof Beste,5 Schwerin, bezogen sich auf ein Gespräch zwischen der Leitung der Evangelischen Kirche Schwerin und dem Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Schwerin, Genossen Grieb.6
Er behauptete dabei, dass alles, was in der DDR gegenüber Westdeutschland hervorgebracht würde, von Hass erfüllt sei. Beste stellte u. a. auch die Frage an die Anwesenden, wie lange die Verhältnisse an der Mauer von der Kirche unwidersprochen hingenommen werden sollen und ob nicht jetzt ein Schritt der Kirche möglich und notwendig sei. Auf diese Forderung von Beste ist niemand konkret eingegangen, Bischof Krummacher sagte dazu lediglich, dass sich die Bischöfe gegen jede Hasspropaganda wenden sollten.
In sehr scharfem Ton berichtete Bischof Fränkel7 aus Görlitz über folgende Vorkommnisse im Bereich seiner Landeskirche. Im Kreis Weißwasser würde im Unterricht von den Schulkindern u. a. verlangt, das »Lied von den Webern« (H. Heine) zu lernen und vorzutragen. Schüler, die sich weigern, den im 2. Abschnitt enthaltenen Vers
»Ein Fluch dem Gotte, zu dem wir gebeten
In Winterskälte und Hungersnöten.
Wir haben vergebens gehofft und geharrt,
Er hat uns gefoppt und geäfft und genarrt –«8
aufzusagen, erhalten dafür eine Note »5«.
Ein von Bischof Fränkel abgehaltener Ordinationsgottesdienst sei durch den Lärm einer Motorradfahrstunde gestört worden, obwohl er um deren Verlegung gebeten hatte.
Bischof Noth9 aus Dresden forderte die anwesenden Bischöfe auf, bei Gesprächen mit staatlichen Stellen und der Presse »wachsam« zu sein. (Als »Beweis« führte er die in der Presse veröffentlichte Mitteilung über das Gespräch mit dem Minister für Gesundheitswesen Sefrin an.)
Bischof Jänicke10 gab im Verlaufe der Aussprache zum ersten Tagesordnungspunkt bekannt, dass der nächste Kirchentag für den 29. Oktober 1967 in Leipzig für den Bereich der DDR geplant sei.
Bischof Krummacher fasste die Diskussion zusammen und setzte sich noch einmal dafür ein, dass jeder Bischof gegen die »Hasspropaganda gegen den Westen« Stellung nehmen sollte.
Es sei zu erwägen, ob nicht ein Hirtenwort zum Thema »Hasspropaganda und halbe Wahrheiten« herausgegeben werden solle.11 Alle Anliegen der einzelnen Landeskirchen sollten zu Papier gebracht werden, um sie bei »passender Gelegenheit« vortragen zu können. Es sei vorher abzusprechen, wer mit staatlichen Stellen sprechen und was behandelt werden sollte. Die Veröffentlichungen in der Presse über das Gespräch mit Minister Sefrin bezeichnete Krummacher als unfair.
Zu Punkt 2 der Tagesordnung über Fragen des Wehr- und Wehrersatzdienstes sprach Bischof Jänicke. Er verwahrte sich gegen die Behauptung, dass der Arbeitsausschuss der Evangelischen Kirche für die Erarbeitung von Fragen zum Wehr- und Wehrersatzdienst einseitig zusammengesetzt sei. (Bischof Mitzenheim12 hatte protestiert, dass dieser Arbeitsausschuss nur aus als reaktionär bekannten Personen zusammengesetzt sei und demzufolge von vornherein bei staatlichen Stellen als befangen gelte.) Das vom Arbeitsausschuss herausgegebene Dokument über die Fragen zum Wehr- und Wehrersatzdienst solle nunmehr als Arbeitsmaterial an alle Pfarrer gegeben werden. (Wir verweisen in diesem Zusammenhang auf die Information Nr. 584/76 über die Stellung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zum Wehr- und Wehrersatzdienst.)
Oberkirchenrat Braecklein,13 Thüringen, wies die Annahme dieses Dokuments für die Landeskirche Thüringen zurück, da es keine Unterstützung, sondern eine Belastung für die Pfarrer bedeuten würde.
Bischof Krummacher versuchte die scharfe Diskussion zwischen Bischof Mitzenheim und Bischof Jänicke zu schlichten, indem er vorschlug, bis zum 15.10.1965 von allen Landeskirchen Eingaben zum Dokument an Konsistorialrat Stolpe, Berlin, einzusenden. Dann werde sich ein Ausschuss mit der endgültigen Fassung beschäftigen, dem nach Vorschlag Krummachers folgende Personen angehören sollen:
Oberkirchenrat Ringhandt, Berlin14
Konsistorialrat Stolpe, Berlin15
Rektor Dr. Falk, Magdeburg16
Studentenpfarrer Dr. Tannert, Dresden
Rektor Gienke, Schwerin.17
Die Landeskirche Thüringen wird jedoch keine entsprechende Eingabe machen und auch die Annahme des Dokuments verweigern.18
Zum dritten Tagesordnungspunkt sprach Oberkirchenrat von Brück19 über das Gespräch mit dem Minister für Gesundheitswesen, Sefrin. Er legte nochmals den Standpunkt der Kirche wie folgt dar:
- –
Ehrfurcht vor dem keimenden Leben;
- –
die Ärzte in den staatlichen Krankenhäusern könnten bei Anwendung des § 11 in Gewissensnot geraten;
- –
durch die Anwendung des § 11 entstehe ein »Dammbruch ohne Grenzen und Normen«.
(Es handelt sich um den § 11 einer internen Verordnung des Ministers Sefrin über die Möglichkeit der Schwangerschaftsunterbrechung bei bestimmten begründeten Fällen.20 Diese Verordnung ist Vertretern der Kirche bekannt geworden.)
Die Evangelische Kirche werde dem Ministerium für Gesundheitswesen ein Protokoll über das Gespräch aus »kirchlicher Sicht« übersenden. Dieses Protokoll solle eventuell auch allen Pfarrern zugehen und zur »Richtigstellung der Presseveröffentlichung« dienen.21
Zu Punkt 4 der Tagesordnung berichtete Präsident Hildebrandt,22 Berlin, über die Tätigkeit der Arbeitsgemeinschaft »Kirche und Welt«. Seine Ausführungen zielten darauf hin, die Schaffung einer Koordinierungsstelle für Weltanschauungsfragen zu unterstützen. Er erklärte, dass 1965 in Stuttgart auf Anraten der Evangelischen Kirche in Deutschland eine »Zentralstelle für Weltanschauungsfragen« geschaffen wurde,23 wogegen es in der DDR mehrere Stellen und Arbeitsgemeinschaften gäbe, die sich sowohl mit politisch-ideologischen als auch mit Weltanschauungsfragen beschäftigten. (Z. B. die Forschungsstelle für Weltanschauungsfragen in Potsdam unter24 Leitung von Pfarrer Gerloff, das Paul-Gerhard-Institut in Potsdam unter Leitung von Pfarrer Stock und die Gossner Mission unter der Leitung von Pfarrer Schottstädt.25)
Nach einem Beschluss des Rates der EKD sollen alle diese Stellen bzw. auch die noch zu schaffenden Stellen in der DDR zu einer »Leitungsstelle« zusammengefasst bzw. koordiniert werden.
Als Leiter dieser »Leitungsstelle« wurden ernannt:
Die »Leitungsstelle« erhielt die Bezeichnung »Kirche und Welt«. Die Forschung und Koordinierung müssten sich auf alle sozialogischen, politischen und weltanschaulichen Gebiete erstrecken. Hildebrandt führte dazu aus, dass im gesellschaftlichen und ökonomischen Bereich bereits hauptamtliche Mitarbeiter vorhanden seien, es fehle jedoch noch ein Wissenschaftler für das Gebiet Kybernetik und für das Gebiet Marxismus-Leninismus.28
Die Bischöfe vereinbarten weiter ihre Teilnahme zu den Staatsfeierlichkeiten anlässlich des 16. Jahrestages der Gründung der DDR. Es wurde festgelegt, dass am 6.10.1965 nur Bischof Mitzenheim, am 7.10.1965 die anderen Bischöfe teilnehmen.
Die nächste planmäßige Bischofskonferenz findet am 4.1.1966 statt.