Kontaktaufnahme von Grenzsoldaten mit dem BGS, Katharinenberg
[Ohne Datum]
Einzelinformation Nr. 1033/65 über Kontaktaufnahmen von NVA-Angehörigen der Kompanie Katharinenberg, Grenzregiment Mühlhausen, mit Angehörigen des westzonalen Zollgrenzdienstes, BGS und Zivilpersonen
Im Zusammenhang mit der Untersuchung einer Gruppenfahnenflucht aus der Kompanie Katharinenberg wurde dem MfS bekannt, dass die NVA-Angehörigen Uffz. [Name 1, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1945, NVA: 5.4.1964 – Gruppenführer, Gefr. [Name 2, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1943, NVA: 5.4.1964 – Postenführer, Gefr. [Name 3, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1944, NVA: 4.5.1964 – Postenführer, und Gefr. [Name 4, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1943, NVA: 4.5.1964 – Postenführer, fortgesetzt handelnd, die Vorschriften über den Grenzdienst verletzt und Kontakt zu westdeutschen Zöllnern, BGS-Angehörigen und Zivilpersonen aufgenommen haben.
Die Vorgenannten wurden am 26.10.1965 durch das MfS inhaftiert, gegen sie wurden entsprechende Ermittlungsverfahren eingeleitet.1 Gegen weitere neun beteiligte NVA-Angehörige dieser Einheit wurden Disziplinar- bzw. andere Erziehungsmaßnahmen eingeleitet.
Die bisherigen Untersuchungen der Kontaktaufnahmen durch das MfS ergaben Folgendes:
Die Vorgenannten nahmen seit Mai 1965 jeweils in etwa acht Fällen während ihres Grenzdienstes Kontakt zu westdeutschen Zöllnern, BGS-Angehörigen und Zivilpersonen auf. Bei diesen Kontaktaufnahmen verließen sie ihren Postenbereich und begaben sich durch das Minenfeld unmittelbar an die Staatsgrenze, teilweise sogar auf westdeutsches Gebiet.
Die Gruppen- bzw. Postenführer ließen ihre Posten zur Absicherung der Kontaktaufnahmen jeweils auf dem eigenen Territorium zurück und beauftragten sie, auf mögliche eigene Kontrollstreifen zu achten. Während die NVA-Angehörigen in den meisten Fällen von sich aus Kontakt aufnahmen und zu Beginn der Unterhaltung um Zigaretten bettelten, ging die Initiative zur Überwindung der Grenzsicherungsanlagen anfänglich von den Westzöllnern aus, die darauf bestanden, dass sich die NVA-Grenzposten die verlangten Zigaretten selbst abholten.
Die während der Kontaktaufnahmen geführten Gespräche hatten u. a. folgenden Inhalt:
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Persönliche Belange, wobei die Namen und Anschriften mitgeteilt bzw. ausgetauscht wurden,
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Diskussionen über die Lebensverhältnisse in beiden deutschen Staaten (Preis-, Qualitätsvergleiche usw.),
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Rundfunk- und Fernsehsendungen von Sendern in beiden deutschen Staaten,
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Angaben über dienstliche Belange,
wobei besonders [Name 2], [Name 3] und [Name 4] militärische Geheimnisse preisgaben.
Bei diesen Zusammenkünften wurden teilweise auch die Waffen (MPi) zeitweilig ausgetauscht und den Westzöllnern näher erläutert. Außerdem ließen die Genannten sich mehrfach gemeinsam mit westdeutschen Zöllnern fotografieren.
[Name 3] und [Name 2] tauschten bei einer Kontaktaufnahme mit drei BGS-Angehörigen ihre Adresse aus, woraufhin beide an ihre Heimatanschrift eine Postkarte von einem BGS-Angehörigen erhielten.
[Name 2] antwortete auch darauf, wobei er damit rechnete, zukünftig von dem BGS-Angehörigen Geschenkpakete zu erhalten. Außer Zigaretten wurden bei den Kontaktaufnahmen alkoholische Getränke, Apfelsinen, Weintrauben, Schokolade, Eis, Schundliteratur u. a. entgegengenommen.
[Name 2] erhielt bei einer Kontaktaufnahme von Westzöllnern auf vorherige Bestellung 20 Hefte Schundliteratur, die er an seine Heimatanschrift schickte.
Am 18.8.1965 nahmen drei Postenpaare gemeinsam über sechs Stunden Kontakt zu westzonalen Zöllnern, BGS-Angehörigen und Zivilpersonen auf. Während dieser Zeit war ein Grenzabschnitt von ca. 4 km ohne jegliche Bewachung. Dabei handelte es sich um die Postenpaare [Name 2]/[Name 5], [Name 3]/[Name 6] und [Name 4]/[Name 7], wobei die Posten nicht unmittelbar an den Kontaktaufnahmen beteiligt, sondern von den Postenführern zur Absicherung in Richtung eigenes Hinterland eingesetzt worden waren.
Diese und auch die weiteren Kontaktaufnahmen wurden bereits vorher mit dem im Führungspunkt der Kompanie eingesetzten Zugführer, Uffz. [Name 1], abgesprochen.
[Name 1] hatte die Möglichkeit, unberechtigt in das Befehlsbuch der Kompanie Einblick zu nehmen, die geplanten Offiziersstreifen zu erfahren und so die Postenführer zu warnen. Weiter wurde mit [Name 1] vereinbart, beim Einsatz einer Kontrollstreife die Postenführer über das Grenzmeldenetz rechtzeitig zu warnen. [Name 1] gab dazu seine Zusicherung.
Noch am gleichen Tage (18.8.1965), nach der Rückkehr vom Grenzdienst, berichteten die Beteiligten dem Uffz. [Name 1] über ihre mehrstündige Verbindung zu den Personen auf westlichem Territorium. [Name 1] ging jedoch nicht näher darauf ein und verlangte lediglich, dass sie die Kontaktaufnahmen nicht übertreiben sollten, damit diese nicht bekannt würden. Auf ein entsprechendes Ersuchen setzte er die Posten auch in den folgenden Tagen z. T. in der gleichen Zusammensetzung zum Grenzdienst ein, obwohl er wusste, dass sie erneut Verbindung zu westdeutschen Zöllnern aufnehmen wollten.
Am 19.8.1965 nahmen zwei Postenpaare wiederum gemeinsam ca. 5–6 Stunden Verbindung zu Westzöllnern auf, wobei sich [Name 3] und [Name 2] ca. drei Stunden auf westdeutschem Gebiet aufhielten.
Dabei ließen sie sich mit sechs Zöllnern vor den westzonalen Grenzhinweisschildern und unseren Sicherungsanlagen fotografieren (ca. 12 Aufnahmen – diese Bilder wurden in der Zolldienststelle Eschwege dem am 17.10.1965 fahnenflüchtig gewordenen Uffz. [Name 8], der am gleichen Tage in die DDR zurückkehrte, vorgelegt)2. Weiter wurden den Westzöllnern zeitweilig die MPi (K) übergeben.
Am 20.8.1965 nahmen [Name 4] und [Name 6] Verbindung zu Westzöllnern auf. Bei dieser Kontaktaufnahme bestellte [Name 4] 20 Hefte Schundliteratur. Weiter nahmen sie Genussmittel entgegen und ließen sich mit Waffen fotografieren.
Am 21.8.1965 nahmen [Name 4] und [Name 3] Kontakt zu Westzöllnern auf, wobei [Name 2] die bestellte Schundliteratur in Empfang nahm. Diese Begegnung war bereits am Vortage mit den Westzöllnern vereinbart worden.
Auch in diesen Fällen wurden die Posten entsprechend ihren Wünschen von [Name 1] eingesetzt, obwohl er wusste, dass sie Kontakt zu westdeutschen Bürgern aufnehmen wollten. In der Folgezeit beteiligte sich Uffz. [Name 1] während des Grenzdienstes selbst dreimal an Kontaktaufnahmen mit westdeutschen Zivilpersonen und Westzöllnern, wobei er ebenfalls die Minensperre überquerte, westdeutsches Territorium betrat und Genussmittel entgegennahm. Z. B. nahmen am 20.9.1965 Uffz. [Name 1], Gefr. [Name 2] und die Soldaten [Name 9] und [Name 10] Verbindung zu westdeutschen Straßenbauarbeitern auf, von denen sie fünf Päckchen Kaffee, vier Flaschen Bier und zwei Schachteln Zigaretten annahmen. Die Kontaktaufnahmen erfolgten fast ausschließlich an der Wanfrieder Straße (Straße zwischen Mühlhausen/DDR und Eschwege/WD).
Die Ursachen der Kontaktaufnahmen liegen vor allem in ideologischen Unklarheiten über die Gefährlichkeit des westdeutschen Imperialismus und Militarismus und besonders des westzonalen BGS und Zolls begründet. Die Gefährlichkeit der westzonalen Grenzschutzorgane wird im Allgemeinen unterschätzt, die Zöllner werden als »Kollegen« oder »Kumpel« betrachtet.
Begünstigende Bedingungen waren im Wesentlichen:
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mangelhafte Kontrolle durch die Leitung der Kompanie Katharinenberg,
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den Unterführern waren geplante Kontrollen bekannt, sodass die Postenführer z. T. vor Kontrollstreifen gewarnt wurden,
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formale Durchführung des Polit-Unterrichts. Es bestand keine Klarheit über Auswirkungen und Folgen der Kontaktaufnahmen. Obwohl in diesem Jahr aus der Kompanie bereits sechs NVA-Angehörige fahnenflüchtig geworden waren, wurden keine entscheidenden Maßnahmen zur Verbesserung der politischen Erziehungsarbeit eingeleitet,
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ungenügende kulturelle Betreuung.
Alle vier Hauptbeteiligten wurden von ihren früheren Arbeitsstellen sowie von der Kompanieleitung Katharinenberg positiv beurteilt. Uffz. [Name 1] wurde viermal belobigt und als stellv. Zugführer eingesetzt. Gefr. [Name 2] wurde im Oktober 1965 als bester Soldat ausgezeichnet, [Name 3] erhielt im September 1965 das Besten-Abzeichen3 und galt als ausgezeichneter Postenführer, der einen guten Einfluss auf das Kollektiv ausübt. Gefr. [Name 4] galt ebenfalls als guter Postenführer, der einen positiven Einfluss auf das Kollektiv nahm. Er wurde für vorbildliche Leistungen sechs Mal belobigt und mit dem Besten-Abzeichen ausgezeichnet.
Alle vier Postenführer standen nach Ablauf ihrer Dienstzeit im Oktober 1965 zur Entlassung aus der NVA.
In der Kompanie Katharinenberg erfolgte eine entsprechende Auswertung. Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit in dieser Kompanie wurden eingeleitet.