Mängel der Topofenanlage im PCK Schwedt
20. Februar 1965
Einzelinformation Nr. 148/65 über wesentliche Mängel in der Betriebssicherheit der Topofenanlage der Rohöldestillation I des Erdölverarbeitungswerkes Schwedt/Oder
Dem MfS liegen Untersuchungsergebnisse über die Ursachen der an der Topofenanlage der Rohöldestillation I des Erdölverarbeitungswerkes Schwedt/Oder aufgetretenen Störungen vor, die auf ernste Mängel in der Betriebssicherheit hinweisen.
Nach unseren Feststellungen sind seit der Inbetriebnahme der Rohöldestillation I am 29.4.1964 (die offizielle Abnahme erfolgte am 18.4.1964) ca. 300 größere Störungen an der Topofenanlage der Rohöldestillation aufgetreten. Die Topöfen dienen dazu, nach Abzug der letzten Gase das Erdöl zur Zergliederung in die einzelnen Fraktionen bis auf ca. 350° zu erhitzen. Insgesamt wurde durch die bisherigen Störungen an den Topöfen ein Schaden von 11 242 000 MDN verursacht, davon 142 000 MDN Sachschaden, 11 100 000 MDN Produktionsausfall.
Allein in 14 Fällen kam es zu Störungen mit Brandfolge, wodurch ein Sachschaden von 120 000 MDN und ein Produktionsausfall von ca. 5 700 000 MDN entstand.
Die wesentlichsten Ursachen der Störungen und auch der Brände an den Topöfen sind 1. Brennerausfälle, 2. Austreten von Produkt an undichten Stopfbuchsen und Flanschen.
Die Brennerausfälle sind vor allem auf die Funktionstüchtigkeit der Mess- und Regelungseinrichtung an den Brennern selbst zurückzuführen. Das betrifft besonders die an den Brennern befindlichen Magnetventile, die bei Verlöschen der Flamme die Brennstoffzufuhr absperren.
Die Magnetventile sind nur für den Innenausbau geeignet, wurden aber an einer Freianlage montiert und sind somit ständig den Witterungseinflüssen ausgesetzt. Dadurch kommt es häufig zu selbstständigen, ungewollten Schaltimpulsen, die zu Störungen führen. Durch die Unzuverlässigkeit der Ventile (selbstständige unbeabsichtigte Schaltung) kam es trotz erloschener Flamme wiederholt zur Einspeisung von Brennstoff, der durch die Durchbrüche am Ofenboden wieder austrat und sich an den unter dem Ofen befindlichen heißen Rohrleitungen entzündete. Weiter wurden durch den austretenden Brennstoff die Keilriemen zum Antrieb der Rotations-Zerstäuber-Brenner stark verschmutzt und in ihrer Haltbarkeit gemindert. Bisher waren ca. 30 Keilriemenrisse zu verzeichnen, die wiederum eine zusätzliche Gefahrenquelle bilden.
Eine wesentliche Ursache der Brennerausfälle besteht in dem komplizierten Aufbau des Brenners (Rotations-Zerstäuber) selbst. Nach Einschätzung von Fachexperten wurden die Rotations-Zerstäuber-Brenner ohne ausreichende Erprobung an den Topöfen eingebaut.
Die Erprobung erfolgte im Wesentlichen erst im EVW Schwedt und zwar mit Dieselkraftstoff bzw. Heizöl. Für den vorgesehenen Brennstoff Vakuum-Rückstand (Abfallprodukt bei der Erdölverarbeitung) sind die Rotations-Zerstäuber-Brenner jedoch völlig ungeeignet.
Schon bei der Verbrennung von Heizöl kam es zu größeren Komplikationen, da die Brenner nach kurzer Laufzeit verkokten und eine örtliche Überhitzung der Rohre im Ofen eintrat.
In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass bereits in den Jahren 1962/63 im VEB Synthesewerk Schwarzheide ein feststehender Dampfzerstäuber-Brenner entwickelt und erfolgreich erprobt wurde. Hinweise über diese Neuentwicklung des Dampfzerstäuber-Brenners gingen an das EVW Schwedt, den Generalprojektanten IZ Böhlen und an das Leit-BfN der VVB Mineralöle und organische Stoffe in Halle.
Bei seinem Wechsel vom Synthesewerk Schwarzheide zum EVW Schwedt brachte der Dipl.-Ing. [Name 1] einen Dampfzerstäuber-Brenner mit. Dieser Brenner wurde zu Versuchszwecken am Topofen Nord eingebaut und lief bisher ohne wesentliche Beanstandungen.
Diese bereits bewährte Neuentwicklung wurde jedoch bei der Projektierung durch den VEB Ingenieurtechnisches Zentralbüro (IZ) Böhlen und beim Aufbau der Topofenanlage durch den VEB Schwermaschinenbau »Karl Liebknecht« Magdeburg nicht zur Anwendung gebracht.
Entsprechend einer neuen Vereinbarung zwischen dem IZ Böhlen und der VVB Mineralöle und organische Stoffe soll erst zum 1.10.1965 ein nachträglicher Einbau dieser Brenner erfolgen.
Weitere Störungen an der Topofenanlage sind auf Undichtigkeiten an Stopfbuchsen von Pumpen, Ventilen, Schiebern und an Flanschen zurückzuführen. Bei allen Undichtigkeiten besteht die Gefahr, dass das austretende Produkt sich an den heißen Anlageteilen entzündet und zu Bränden mit großen Schäden führt. (Das Dichtungsmaterial kommt vom VEB Kautasit Dresden und gilt als das gegenwärtig beste Dichtungsmaterial in der DDR.)
Aufgrund der ernsten Mängel in der Betriebssicherheit der Topofenanlage und den sich daraus ergebenden Gefahren wurde auf Verlangen der Werkleitung und der Technischen Überwachung, Außenstelle Schwedt, vom Generaldirektor der VVB Mineralöle und organische Grundstoffe am 28.12.1964 eine Ausnahmegenehmigung für den weiteren Betrieb der Topofenanlage erteilt. Diese Sonderregelung wurde mit einer 15 Punkte umfassenden Forderung verbunden, entsprechende Veränderungen zur Erhöhung der Betriebssicherheit vorzunehmen. Durch Fachexperten wird eingeschätzt, dass durch die Verwirklichung dieses Forderungsprogramms die grundsätzlichen Gefahren noch nicht abgewendet werden.
Zur Beseitigung der wichtigsten Gefahrenquellen ist unbedingt eine schnelle Veränderung der im Bericht genannten hauptsächlichsten Mängel erforderlich. Auf Weisung des Volkswirtschaftsrates wurden durch das EVW Schwedt in Vereinbarung mit dem Außenhandel bereits 65 Elektropneumatische Magnetventile bei der Firma Union Bochum/WD bestellt. Nach den vorliegenden Informationen besteht jedoch über den Zeitpunkt der Anlieferung und des Einbaus gegenwärtig noch keine Übersicht.
Durch die Werkleitung des EVW Schwedt wurden auch Maßnahmen eingeleitet, um in Verbindung mit dem IZ Böhlen und der VVB Regelungstechnik, Gerätebau und Optik den Einsatz einer einwandfrei und exakt funktionierenden Mess- und Regelungstechnik in der Rohöldestillationsanlage II zu gewährleisten.
Inwieweit diese Vorstellungen Berücksichtigung finden, ist offensichtlich ebenfalls noch ungeklärt.
Da es gegenwärtig für die Bedienung der Topofenanlage keine sicherheitstechnischen Vorschriften gibt, erfolgt auch keine systematische sicherheitstechnische Überwachung durch die Technische Überwachung. Als Sicherheitsvorschrift wird lediglich die Arbeitsschutzanordnung ASAO 800/5 »Ölfeuerungen« sinngemäß angewendet, die jedoch für die Topofenanlage gesetzlich nicht verbindlich ist und nicht den Anforderungen entspricht.
Aus den erwähnten Gründen wäre neben den unbedingt erforderlichen und schnellstens zu realisierenden technischen Veränderungen u. E. die Erarbeitung einer ASAO für Industrieöfen bzw. für die gesamte Petrolchemie dringend notwendig.
Der 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Frankfurt/O.1 wurde über diese Situation in Schwedt gleichfalls informiert.