Organisierte Fahnenflucht von Grenzsoldaten, Katharinenberg
18. Oktober 1965
Einzelinformation Nr. 916/65 über die Organisierung der Fahnenflucht eines Angehörigen der Kompanie Katharinenberg/Grenzregiment Mühlhausen mit Unterstützung des Postenführers, der zu diesem Zweck ebenfalls westdeutsches Gebiet aufsuchte
Am 17.10.1965, gegen 7.30 Uhr, wurde festgestellt, dass der Uffz. [Name 2, Vorname], geb. am [Tag, Monat] 1944 in Leipzig, wohnhaft Leipzig O5, [Straße Nr.], NVA seit 3.11.1964, und der Gefr. [Name 3, Vorname], geb. am [Tag, Monat] 1944 in Kattnitz, wohnhaft [Ort], Krs. Döbeln, NVA seit 5.5.1964, während der Durchführung einer Kontrollstreife fahnenflüchtig geworden waren. Andere im Dienst befindliche Angehörige der Grenzkompanie Katharinenberg hörten zu diesem Zeitpunkt mehrere Schüsse im Grenzgebiet.
Gegen 11.25 Uhr wurde an der Wanfrieder Straße eine Kontrollstreife der NVA/Grenze von vier westdeutschen Zöllnern angesprochen. Die Zöllner äußerten sinngemäß: »Seid ihr wieder zwei losgeworden? Einen könnt ihr euch wieder abholen. Wir bringen ihn an die Wanfrieder Straße.« Um 12.40 Uhr erhielt die GÜST Wartha einen telefonischen Anruf der westdeutschen Zolldienststelle Herleshausen. Es wurde mitgeteilt, dass sie gegen 14.00 Uhr einen Unteroffizier, der zum Grenzübertritt gezwungen worden sei und nicht in Westdeutschland bleiben möchte, übergeben wollen.
Die Übergabe des Uffz. [Name 2] erfolgte gegen 14.13 Uhr an der GÜST Wartha durch einen Oberleutnant des Bundesgrenzschutzes und einen Angehörigen des Verfassungsschutzes. Übergeben wurden ebenfalls alle Ausrüstungsgegenstände des [Name 2], seine Maschinenpistole, zwei Magazine mit 60 Schuss Munition, ein Dienstfernglas und ein Telefonhörer für das Grenzmeldenetz.
[Name 2] gab bei der ersten Befragung an, dass er von [Name 3] mit der Maschinenpistole bedroht und zur Fahnenflucht gezwungen worden sei. Als er sich weigerte, hätte [Name 3] aus der Maschinenpistole einen Feuerstoß auf ihn abgegeben. Daraufhin sei er aus Angst mitgegangen.
Im Verlaufe der weiteren Untersuchung dieses Vorkommnisses konnte festgestellt werden, dass die ersten Angaben des [Name 2] nicht der Wahrheit entsprachen. Er gibt zu, gemeinsam mit [Name 3] dessen Fahnenflucht vorbereitet und die genannte Legende erfunden zu haben, um nicht selbst in den Verdacht der Beihilfe zu gelangen. Seinen bisherigen Angaben zufolge begab er sich gemeinsam mit [Name 3] auf westdeutsches Territorium. [Name 3] gab dabei einen Feuerstoß aus seiner Maschinenpistole ab, damit [Name 2] nach seiner Rückkehr glaubhaft angeben könne, dass er zur Fahnenflucht gezwungen worden sei. Auf westdeutschem Gebiet wurden beide von Angehörigen des Zolls nach Eschwege in eine Dienststelle (vermutlich Verfassungsschutz) gebracht und dort einer Befragung über ihren Dienst an der Staatsgrenze der DDR unterzogen. [Name 2] berichtete dort über die Umstände der Fahnenflucht und über die Legende, die er nach seiner Rückkehr darüber erzählen will. Die Mitarbeiter der Dienststelle in Eschwege waren mit seinem Vorhaben einverstanden und veranlassten durch den westdeutschen Zoll die Benachrichtigung der GÜST Wartha hinsichtlich der Übergabe des [Name 2]. Wie [Name 2] angibt, wollte er mit seiner Handlungsweise erreichen, dass er aus der NVA-Grenze entlassen wird. Er hätte keine Lust mehr gehabt, seiner Verpflichtung als Soldat auf Zeit nachzukommen.
Weitere Untersuchungen zur genauen Aufklärung dieses Vorkommnisses werden geführt. [Name 2] wurde vom MfS inhaftiert.