Reaktion der Kirchenleitungen auf Aussprachen mit Bezirksräten
10. September 1965
Einzelinformation Nr. 798/65 über Diskussionen in führenden Kirchenkreisen zu Gesprächen zwischen Räten der Bezirke und Kirchenleitungen
Von zuverlässiger Seite wurden nachträglich Einzelheiten über die Haltung führender Vertreter der Evangelischen Kirche in der DDR zu Aussprachen mit Vertretern des Staatsapparates im Hinblick auf die bevorstehenden Wahlen1 bekannt. Wie aus den Äußerungen zu entnehmen war, erfuhren einige der führenden Kirchenvertreter nur zufällig von Gesprächen, die von Räten der Bezirke mit Vertretern der Kirche geführt bzw. angesetzt wurden. Offensichtlich fühlten sie sich übergangen und reagierten verärgert. Entsprechende Äußerungen erfolgten, als in der Pause anlässlich einer Besprechung der Finanzreferenten der Landeskirchen in Berlin am 26.8.1965 (unter Leitung von Oberkirchenrat Behm2), Konsistorialpräsident Dr. Hagemeyer3 und Oberkonsistorialrat Ruben4 erschienen und Hagemeyer den Tagungsteilnehmern die Frage stellte, wie ihre Kirchenleitungen zu Gesprächen mit den Räten der Bezirke anlässlich der bevorstehenden Kommunalwahlen in der DDR stehen.
Hagemeyer brachte dabei zum Ausdruck, dass die Generalsuperintendenten Jacob5 und Schmitt6 bisher keine ordnungsgemäße Einladung erhalten hätten, eine größere Anzahl von Pfarrern jedoch bereits eingeladen sei. Jacob und Schmitt seien darüber verärgert und wollten am Gespräch des Magistrats mit Vertretern der Landeskirche Berlin-Brandenburg (27.9.) nicht teilnehmen. Hagemeyer und Ruben gaben dafür dem Kirchenreferenten des Magistrats die Schuld unter Hinweis darauf, dass er noch »relativ neu im Amt« sei.
Dr. Johannes,7 Dresden, habe erklärt, dass die Kirchenleitung in Dresden auch nur zufällig durch zwei Pfarrer von einer Aussprache mit dem Rat des Bezirkes erfahren habe. Das Landeskirchenamt sei nicht offiziell unterrichtet worden, weshalb eine Teilnahme am Gespräch nicht infrage komme. Weiter wurde bekannt, dass die Kirchenleitung in Dresden auf einem Pfarrkonvent diese Nichteinladung als eine staatliche Maßnahme bezeichnete, die darauf hinziele, zwischen Pfarrer und Kirchenleitung einen Keil zu treiben. Die Pfarrer wurden aufgefordert, an den Gesprächen nicht teilzunehmen.
Der Vertreter des Konsistorialbezirkes Greifswald, Woelke,8 betonte in diesem Zusammenhang, dass auch Bischof Krummacher9 über die Art der Organisation der Aussprache mit Gerald Götting10 am 6.9.1965 in Züssow sehr erstaunt gewesen sei. Krummacher habe erst von einem Verwaltungsangestellten der Diakonie Züssow von der Aussprache erfahren. Er könne nicht am Gespräch teilnehmen, da er zu einer Pfarrkonferenz nach Anklam müsse. Dieser Termin sei schon viel früher festgelegt worden. Außerdem habe Bischof Krummacher bis zu diesem Zeitpunkt keine Einladung zur Teilnahme an diesem Gespräch erhalten.
Im internen Kreis habe Krummacher die Absicht geäußert, Gerald Götting im Anschluss an dieses Gespräch zu einem privaten Besuch einzuladen.
Als Dr. Müller,11 Schwerin, anschließend erklärt habe, dass der Oberkirchenrat der Landeskirche Mecklenburg der Einladung zu einem Gespräch am 1.9.1965 Folge leisten werde, habe bei den Anwesenden große Bestürzung geherrscht. Hagemeyer und Ruben betonten, dass dadurch die Einheitlichkeit im Verhalten zu solchen Gesprächen gefährdet sei. Dr. Müller betonte daraufhin, dass der Oberkirchenrat, das Präsidium der Synode und andere kirchliche Amtsträger in einer ordentlichen Form eingeladen worden wären und kein Grund bestehe, ein solches Gespräch abzulehnen.
Das Gespräch zwischen dem Rat des Bezirkes Schwerin und den Vertretern der Landeskirche Mecklenburg fand am 1.9.1965 in Schwerin statt. Von kirchlicher Seite nahmen, neben Bischof Beste,12 weitere 17 Vertreter der Landeskirche am Gespräch teil. Nach dem Referat des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes13 ergriff Bischof Beste das Wort zu einer Erwiderung. Er stellte die Aufgaben des Politikers denen des Theologen gegenüber und betonte, dass die Aufgabenbereiche beider klar abgegrenzt werden müssten. Die Kirche müsse das Recht haben, zu Problemen der gesellschaftlichen Entwicklung Stellung zu nehmen. Er hob hervor, dass alle Fragen, auch die politischen Probleme zwischen Ost und West, in Verhandlungen geklärt werden könnten.
In der sich darauf anschließenden Diskussion wurde u. a. erklärt, dass im Familiengesetz die christlichen Belange nicht genügend berücksichtigt worden seien. Oberkirchenrat Dr. Gasse14 beanstandete die Formulierung des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes, dass die westdeutschen Politiker Verbrecher seien.
In internen Gesprächen wurde im Anschluss an die Aussprache von den Teilnehmern die Meinung vertreten, dass der Referent auch zur »Aufrüstung in der DDR« hätte sprechen müssen. Das Auftreten des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes sei von Teilnehmern mit dem des »früheren Gauleiters« in Schwerin verglichen worden.
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