Schwerer Grenzdurchbruch bei Potsdam
10. Mai 1965
Einzelinformation Nr. 437/65 über einen schweren Grenzdurchbruch am 7. Mai 1965 im Raum Klein Glienicke nach Westberlin
Am 7.5.1965, gegen 11.45 Uhr, erfolgte in der Mövenstraße in Klein Glienicke, [Bezirk] Potsdam, Bereich der 4. Kompanie des 48. Grenzregiments, ein schwerer Grenzdurchbruch nach Westberlin mit vorangegangenem Angriff auf einen Grenzposten. Beteiligt an diesem Grenzdurchbruch waren die von der Firma [Vorname Name des Inhabers], Brück/Mark, [Straße Nr.], für die Zeit vom 4.5. bis 12.5.1965 mit Dachdeckerarbeiten an der Kirche und dem Pfarrhaus Klein Glienicke beauftragten Arbeiter [Name 1, Vorname], geb. am [Tag, Monat] 1943 in Zschopau, wohnhaft Zschopau, [Straße Nr.], Beruf: Maurer, [Name 2, Vorname], geb. am [Tag, Monat] 1944 in Waldmark/Ostrów, wohnhaft Zschopau, [Straße Nr.], Beruf: Dachdecker, sowie der zurückgebliebene [Name 3, Vorname], geb. am [Tag, Monat] 1943 in Prosnadorf, wohnhaft Sehma, [Kreis] Annaberg, [Straße Nr.], Beruf: Hauer.
Die Genannten hatten alle für den Zeitraum der auszuführenden Dachdeckerarbeiten Passierscheine zum Betreten des Grenzgebietes. Untergebracht waren sie während dieser Zeit außerhalb des Grenzgebietes in der Pension Böttge, Potsdam-Babelsberg, Stahnsdorfer Straße.
Zur Sicherung der Arbeiten waren als ständiger Postenführer Uffz. [Name 4, Vorname], geb. am [Tag, Monat] 1943, NVA seit 3.5.1961, und ein ständig wechselnder Begleitposten befohlen. Am 7.5.1965 war dafür der Sold. [Name 5, Vorname], geb. am [Tag, Monat] 1939, NVA seit 4.11.1964, befohlen. Das Postenpaar hatte den Befehl, die Arbeiter in das Grenzgebiet zum Arbeitsplatz zu begleiten und nach dem Prinzip der gegenseitigen Sicherung die Dachdeckerarbeiten an der Kirche und dem Pfarrhaus abzusichern. Entgegen diesem Befehl verließ am 7.5.1965, gegen 11.35 Uhr, der Uffz. [Name 4] nach Verständigung des Postens Sold. [Name 5] seinen Postenbereich und begab sich mit dem S-Krad, dass dem Postenpaar zur Verfügung stand, in die 300 m vom Postenbereich entfernt gelegene Konsumverkaufsstelle, ohne dass er daran vom Sold. [Name 5] gehindert wurde. Uffz. [Name 4] wollte nach eigenen Angaben seine dort tätige Freundin [Vorname Name 6] bitten, für ihn Gurken einzukaufen.
Diese Postentrennung machten sich die Grenzverletzer [Name 2] und [Name 1] zu Nutze, um einen am Vortage gemeinsam mit [Name 3] geplanten Grenzdurchbruch zu verwirklichen. Dieser Plan sah nach Aussagen des inhaftierten [Name 3] vor, die Posten niederzuschlagen, ihnen die Waffen zu entwenden und anschließend gewaltsam die Grenze zu durchbrechen. [Name 3], der bereits in der NVA gedient hat, hatte [Name 2] und [Name 1] außerdem die Handhabung der MPi erklärt.
Nachdem Uffz. [Name 4] den Postenbereich verlassen hatte, begaben sich [Name 2] und [Name 1] zur Ausführung ihres Planes vom Dach der Kirche, während [Name 3] wankelmütig wurde und weiter auf dem Dach verblieb. [Name 1] nahm die Leiter, mit deren Hilfe er und [Name 2] das Dach verlassen hatten und legte sie auf den Gartenzaun zur Straße. [Name 2] ging nach Verlassen des Daches zunächst am Posten [Name 5] vorbei, der sich auch danach noch recht vertrauensselig verhielt und mit umgehängter MPi auf einem Gartenstuhl sitzen blieb. Unter Annäherung auf ca. 1 m versuchte [Name 2] danach, durch ein Gespräch beim Posten [Name 5] Vertrauen zu erwecken, ehe er sich plötzlich auf den noch immer sitzenden Posten [Name 5] stürzte, ihm die MPi von der Schulter riss und in Richtung Gartenzaun flüchtete. Ca. 3 m vom Posten entfernt gab [Name 2] einen Schuss in Richtung des Postens [Name 5] ab, der daraufhin in Deckung ging. [Name 1] warf daraufhin die Leiter über den Gartenzaun, lief mit ihr zur Sperrmauer und überstieg diese. [Name 2] lief in gleicher Richtung, gab aus 25 m Entfernung einen zweiten Schuss in Richtung auf den Posten ab, stieg über die Leiter auf die Sperrmauer, schoss von dort aus zum dritten Male in Richtung auf den Posten in die Luft und sprang anschließend unter Mitnahme der MPi-K Nr. 2577 des Postens [Name 5] auf Westberliner Gebiet, ohne dass vom Zeitpunkt des Überfalls an vom Posten [Name 5] etwas unternommen wurde, um die Grenzverletzer am Durchbruch zu hindern.
Als [Name 2] den ersten Schuss auf den Posten abgegeben hatte, war der Uffz. [Name 4] durch den stellv. Zugführer, Uffz. [Name 7], gerade beim Abstellen des Krades vor der Konsumverkaufsstelle angetroffen und wegen seines Verstoßes gegen den Befehl zurechtgewiesen worden. Uffz. [Name 7] befahl daraufhin dem Uffz. [Name 4], sofort gemeinsam mit ihm in seinen Postenbereich zurückzukehren, wo ihnen Sold. [Name 5] meldete, dass zwei Dachdecker die Staatsgrenze durchbrochen haben, nachdem ihm durch einen der Grenzverletzer die Waffe entrissen worden war.
Die Hauptursache für das Gelingen dieses Grenzdurchbruches ist in der mangelhaften Dienstdurchführung und in der Nichteinhaltung der gegebenen Befehle zu sehen. Die Hauptschuld trifft dabei den Uffz. [Name 4], der seinen Postenbereich unerlaubt und ohne dienstliche Notwendigkeit verließ und durch seine unverantwortliche Handlungsweise nicht nur den Grenzdurchbruch begünstigte, sondern auch einer möglichen Fahnenflucht des Sold. [Name 5] Vorschub leistete.
Wie die Ermittlungen ergaben, bewarben sich die aus dem Bezirk Karl-Marx-Stadt stammenden [Name 2], [Name 1] und [Name 3] aufgrund einer Zeitungsannonce um Arbeit bei der Fa. [Vorname Name des Inhabers], Brück/Mark, [Straße Nr.], weil sie angeblich im Bezirk Karl-Marx-Stadt keine Arbeit als Dachdecker mehr fanden. [Name 2] entstammt einer Familie, die gegen die gesellschaftliche Entwicklung in der DDR eingestellt ist, fortwährend Westfernsehen und -rundfunk hört und Westpakete empfängt. Der Vater und ein Bruder des [Name 2] sind bereits wegen Körperverletzung und Widerstand gegen die Staatsgewalt vorbestraft. [Name 2] selbst ist ebenfalls stark westlich orientiert und gesellschaftspolitisch kaum in Erscheinung getreten. [Name 1] ist ebenfalls gesellschaftspolitisch desinteressiert gewesen.
Gegen [Name 3] wurde ein E-Verfahren wegen staatsgefährdenden Gewaltaktes eingeleitet.