Sitzung des Rats der EKD in Wien
9. Juni 1965
Einzelinformation Nr. 523/65 über eine Ratssitzung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in der Zeit vom 4. bis 6. Mai 1965 in Wien
Wie von zuverlässiger Quelle bekannt wurde, führte der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Präses Scharf,1 in der Zeit vom 4. bis 6.5.1965 in Wien eine vertrauliche Sitzung mit den Ratsmitgliedern aus der Deutschen Demokratischen Republik und Westdeutschland durch.
Die aus der DDR teilnehmenden evangelischen Geistlichen Bischof Krummacher,2 Greifswald, Bischof Beste,3 Schwerin, Präses Mager,4 Dresden, Konsistorialrat Hootz, Berlin, stellten bereits am 24.3.1965 beim MdI den Antrag für eine kirchliche Dienstreise für die Zeit vom 30.4. bis 9.5.1965 nach Wien, mit der Begründung, eine Einladung der Evangelischen Kirche Österreichs (Bischof May)5 erhalten zu haben. Da Besuche von Bischöfen auf Einladung der Kirchen anderer Länder üblich sind und über den wahren Anlass der Reisen nichts bekannt war, wurden diese Reisen vom Staatssekretariat für Kirchenfragen und dem Ministerium des Innern genehmigt.
Teilnehmer aus Westdeutschland waren:
Präses Scharf, Westberlin, Dr. Heinemann,6 Essen, Prof. Dr. Niesel,7 Schöller, Rhld., Oberkirchenrat Riedel,8 München, Landessuperintendent Smidt,9 Detmold, Präses Wilm,10 Bielefeld.
Wegen Erkrankung konnten Landesbischof Lilje,11 Hannover, Landesbischof Haug,12 Stuttgart, Präses der Synode der EKD Puttfarcken,13 Wiesbaden, nicht teilnehmen.
Über den Verlauf dieser Ratstagung wurden folgende Einzelheiten bekannt:
Präses Scharf wies auf den streng vertraulichen Charakter dieser Ratstagung hin und verpflichtete die Teilnehmer, über den Inhalt der Sitzung zu schweigen, »damit die Ratsmitglieder aus der DR keine Schwierigkeiten« bekämen. Er betonte, dass man auch künftig ähnliche Möglichkeiten zur Durchführung von Ratssitzungen ausnutzen wolle.
Scharf erläuterte ein Programm über die Entwicklung der Evangelischen Kirche bis zu den Neuwahlen des Rates der EKD im Jahre 1966 und machte dazu folgende Ausführungen:
Die Evangelische Kirche in Deutschland müsse weiterhin an ihrer Einheit festhalten und solche verfassungsändernden Maßnahmen herbeiführen, die allen kirchlichen Organen eine zweiseitige Arbeitsmöglichkeit geben, ohne dabei die Einheit zu verlieren.
Es gebe zwei zentrale Fragen, die in der nächsten Zeit beraten und durchgeführt werden müssten:
- 1.
Die Wahl Scharfs zum Bischof von Berlin-Brandenburg,
- 2.
Die Erhöhung der Anzahl der Ratsmitglieder.
Da alle bisherigen Bestrebungen, Scharfs Ausweisung aus der DDR rückgängig zu machen, bei der Regierung der DDR gescheitert sind, müsse die öffentliche Meinung in beiden Teilen Berlins »mobilisiert« werden.
Auf den kommenden Regionalsynoden im Herbst 1965 der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg müsse Scharf von beiden Seiten einstimmig zum Bischof von Berlin-Brandenburg gewählt werden. Dies sei aus folgenden Gründen notwendig:
- –
Der Rücktritt Bischof Dibelius’14 sei nur möglich, wenn Scharf als Nachfolger gewählt werde,
- –
Scharf könne bei den kommenden Ratswahlen nur Vorsitzender werden, wenn er eine kirchenamtliche Stellung innehabe,
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durch die Wahl von Scharf zum Bischof könnte einer Wahl des Generalsuperintendenten Jacob15 vorgebeugt werden.
Bis zu den stattfindenden Regionalsynoden müsse für eine »geschickte Stimmung« in dieser Richtung gesorgt werden, da der Versuch, Scharf zum Bischof zu wählen, bereits einmal auf der Regionalsynode Ost missglückt sei. Mit einer neuerlich missglückten Wahl wäre die letzte Chance vergeben. Deshalb müssten vor allem die Synodalen beeinflusst werden.
Scharf schlug vor, dass auf der kommenden Synode die Wahl eines Bischofs zur Debatte gestellt werden sollte. Als Kandidaten sollte man Generalsuperintendent Jacob, Cottbus, Präsident Hildebrandt,16 Berlin, und Generalsuperintendent Schönherr,17 Eberswalde, aufstellen, unter der Voraussicht, dass keine Einigung erzielt werden kann. Als einzige Möglichkeit sollte dann die Wahl von Scharf zur Debatte gestellt werden.
Bischof Krummacher unterstützte die Ausführungen von Scharf und äußerte, dass er sich in die Vorbereitung der Synode einschalten werde. Er wolle sich bei den Bischöfen der DDR für eine Wiedereinsetzung von Scharf einsetzen. Auch mit Regierungsvertretern der DDR sollte verhandelt und eine Rückführung Scharfs gefordert werden.
Der Vorschlag zur Erhöhung der Anzahl der Ratsmitglieder von 12 auf 18 und für die DDR von 3 auf 8 wurde ebenfalls von Scharf gemacht. Er begründete dies damit, dass dann eine bessere selbstständige Arbeit des Rates in Ost und West gewährleistet sei. Die zur Erhöhung notwendige Verfassungsänderung durch die Generalsynode der Evangelischen Kirche in Deutschland, müsse für die kommende Tagung der Generalsynode vorbereitet werden.
Wie bekannt wurde, ist das Drängen Präses Scharfs, sich zum Bischof wählen zu lassen, von einigen Ratsmitgliedern als peinlich empfunden worden.
Ferner machte man Bischof Krummacher ernsthaft Vorwürfe wegen der Herausgabe seines Buches »Ruf zur Entscheidung«. Krummacher soll dazu geäußert haben, dass alle seine Schritte vorher abgesprochen worden seien. Er verwies dabei auf einen Brief an Präses Scharf.
Krummacher selbst hat jedoch auch große Befürchtungen, dass er am 1.7.1965 nicht wieder zum Vorsitzenden der Bischofskonferenz der DDR gewählt werde, weil die Bischöfe der DDR sein Buch falsch auslegen würden. Er hat aus diesem Grunde mit Bischof Noth18 gesprochen, damit dieser unter den Bischöfen Stimmung zur Wahl Krummachers machen sollte. Nach vorläufiger Einschätzung von Noth würden die Bischöfe Mitzenheim,19 Fränkel20 und Jacob Krummacher nicht wählen.
Im Interesse der Sicherheit der Quelle dürfen die vorstehenden Angaben nur intern verwandt werden.