Synode der Evangelischen Kirche der Union in Berlin (1)
2. Dezember 1965
Einzelinformation Nr. 1070/65 über die Synode der »Evangelischen Kirche der Union«
Die 3. Synode der »Evangelischen Kirche der Union« (EKU) ist zu ihrer 1. Tagung vom 28.11. bis 2.12.1965 getrennt in der Hauptstadt der DDR und in Westberlin zusammengetreten. Die EKU umfasst alle evangelischen Landeskirchen des ehemaligen Staates Preußen, und zwar die Landeskirchen Rheinland, Westfalen, Berlin-Brandenburg, Kirchenprovinz Sachsen (Magdeburg) und die Konsistorialbezirke Greifswald und Görlitz.
Die Synodalen der Landeskirchen Rheinland und Westfalen sowie Westberlin tagen im Johannesstift Spandau und die Synodalen aus den Landeskirchen der DDR im Stephanus-Stift Weißensee.
Die Tagesordnung der Synode in Weißensee umfasst folgende Punkte:
- 1.
Beschluss über die Tagesordnung,
- 2.
Wahl der Ausschüsse,
- 3.
Bericht des stellvertretenden Ratsvorsitzenden Bischof Jänicke1, Magdeburg,
- 4.
Referat von Prof. Dr. Benckert2, Rostock: Der Dienst am Wort in der Gemeinde heute,
- 5.
Beschluss über die Vorbildung der Pfarrer und Pastorinnen in der DDR (Pfarrer-Vorbildungs-Gesetz),
- 6.
Beschluss über die Besoldungs- und Versorgungsordnung der EKU,
- 7.
Weitere Finanzfragen sowie Behandlung von Anträgen und Eingaben.
Die Synode wurde am 28.11.1965, 18.00 Uhr, mit einem Gottesdienst in der Pfarrkirche Berlin-Weißensee eröffnet. Der Leiter des Predigerseminars »Paulinum«, Studiendirektor Pfarrer Dr. Pietz,3 hob in seiner Predigt hervor, dass die »Einheitlichkeit in der Führung« der EKU weiterhin fortbesteht. Er betonte die »Verbundenheit« mit der in Westberlin tagenden Synode und gedachte in der Fürbitte insbesondere Präses Scharf.4
Im Anschluss an den Eröffnungsgottesdienst erfolgte die Konstituierung der Synode im Stephanus-Stift. Nach Annahme der Tagesordnung wurde das Präsidium der Synode gewählt, und zwar (symbolisch) Präses Kreyssig5, Berlin, Präses Wilm6, Westfalen, Stadtdirektor Dringenberg, Bad Homburg.
Gegen dieses Präsidium protestierte als einziger Synodaler Prof. Hanfried Müller7 (Humboldt-Universität). Prof. Müller brachte zum Ausdruck, dass es sich in Weißensee um eine Synode mit Vertretern der EKU aus der DDR handelt und westdeutsche Synodale, die ohnehin nicht in Weißensee anwesend sind, nicht in dieses Präsidium gehören. Er schlug vor, dass die beiden Synoden in Weißensee und Spandau getrennte Präsidien aus ihren jeweils am Tagungsort versammelten Synodalen wählen. Dieser Antrag Prof. Müllers wurde vom Präsidenten der Kirchenkanzlei der EKU, Hildebrandt8 (Berlin), in scharfem Ton abgelehnt. Hildebrandt berief sich dabei auf mehrere Verordnungen der EKU und warf Prof. Müller vor, in die Synode den Gedanken der »Spaltung« hineintragen zu wollen.
Am 29.11. wurde die Synode mit der Begrüßung des bis dahin einzigen westdeutschen Gastes fortgesetzt. Es handelt sich um Propst Haufe von der Landeskirche Hessen-Nassau.
Im Mittelpunkt der Tagung am 29.11. stand der Bericht des stellvertretenden Vorsitzenden des Rates der EKU, Bischof Jänicke, der nach der Wahl des Vorbereitungsausschusses gegeben wurde. Nachstehend wird der wesentlichste Inhalt dieses Berichtes, der dem MfS im Wortlaut vorliegt, wiedergegeben:9
Bischof Jänicke bezeichnete einleitend die Tatsache, dass die Synode getrennt tagen muss, als eine »schmerzliche Hemmung des gemeinsamen Dienstes«. Gleichzeitig betonte er das Fortbestehen der Einheit der EKU trotz der räumlichen Trennung. Er wies in diesem Zusammenhang auf die von der Kirchenkanzlei der EKU und den Synodalen zugehenden Berichte hin (»Ein Rückblick«, »Einheit in der Mannigfaltigkeit«, »Von den geistlichen Aufgaben der Evangelischen Kirche der Union«). Unter Hinweis auf einen dieser Berichte bezeichnete er die darin enthaltenen Verordnungen als »feste Klammer« für die Einheit der EKU. Er wies dabei auf die gemeinsamen Verordnungen, Agenden, Ratstagungen und auf die gemeinsamen Begegnungen im Rahmen der Ökumene hin.
Nach der relativ kurzen Einleitung ging Bischof Jänicke unmittelbar auf aktuelle politische Fragen ein. Er führte aus, dass die Kirche beständig »ein noch deutlicheres Zeugnis für Frieden und Versöhnung« geben müsse. Er wies dabei auf den Bericht von Präses Wilm hin, der zur gleichen Zeit in Westberlin gegeben werde und dessen Entwurf ihm vorgelegen habe. Präses Wilm habe in seinem Bericht einen längeren Abschnitt aus seinem, Jänickes, Wort an die »provinz-sächsische« Synode von 1964 aufgenommen. Obwohl dieses Wort auf Ereignisse des Jahres 1963 Bezug nehme, sei es in seiner Intention noch heute aktuell.
Bischof Jänicke zitierte aus diesem Wort von 1964 wie folgt:
»Allgemeine Erklärungen über Friedensbereitschaft und Ablehnung von Vernichtungswaffen haben wir zur Genüge gehört, im politischen Raum wie im Raum der Kirche. … Es muss aber etwas geschehen … Das Jahr 1963 brachte uns das Moskauer Abkommen,10 Chruschtschow hat am Ende des Jahres den konkreten Vorschlag gebracht, Gebietsstreitigkeiten zwischen den Staaten ohne Waffengewalt auszutragen,11 die Genfer Abrüstungsverhandlungen sind wieder im Gange,12 der Staatsratsvorsitzende der DDR hat an den Bundeskanzler geschrieben13 mit dem Ziel, beide Teile Deutschlands von Kernwaffen freizuhalten. Ich habe nicht die Absicht, mich in die akklamierenden Stimmen in unserer Presse einzureihen, ich weiß, welcher Missdeutung und Beirrung damit die Tür geöffnet würde. Aber ich halte es für meine Gewissenspflicht, auch auf dieser Synode auszusprechen, dass wir Deutsche, belastet mit der ungeheuren Schuld der Vergangenheit, vor anderen dran sind, Schritte in der Richtung zu tun, dass hier ein entmilitarisierter Raum geschaffen werde. … Die Deutschen sollten nicht wieder bewaffnet werden, oder höchstens, soweit es zur Aufrechterhaltung der Ordnung in einem Staate nötig ist, und sie sollten schon gar nicht mit Atomwaffen bewaffnet werden, die immer eine Bedrohung der anderen darstellen. … Denn das Volk will nicht wieder bewaffnet werden, und schon gar nicht wollen Deutsche gegen Deutsche bewaffnet werden! Das elementare Erleben in den Weihnachtstagen in Berlin14 hat es deutlich gemacht, wie unaufhaltsam die Kraft der Herzen aus Ost und West zueinanderstrebt. Das war wie eine Volksabstimmung von besonderer Art. Wir haben als Kirche nicht zu den technischen Fragen in dieser Unternehmung Stellung zu nehmen. Wir haben für den Menschen und seine Rechte einzutreten.«15
In seinen weiteren Ausführungen betonte Bischof Jänicke, dass man bei dem »verständlichen Verlangen nach unserem Recht auf Wiedervereinigung, Selbstbestimmung u. a.m.« immer vor Augen haben müsse, dass ein wiedervereinigtes Deutschland – die Geschichte der letzten Jahrhunderte müsse das verständlich gemacht haben – »mit seiner Macht, möglicherweise auch militärischen Macht, für die Welt ein Anlass zu neuer Sorge und Furcht zu werden droht«.
Er verwies weiter auf eine Stellungnahme zu der Behandlung der Deutschlandfrage auf den Prager Christlichen Friedenskonferenzen16 von 1958 bis 1964, die ein vom Rat der EKU eingesetzter Ausschuss erarbeitet hat. Aus diesem »Memorandum« zitierte er sieben sog. Testfragen, u. a. (sinngemäß):
- –
ob die Deutschen eingesehen haben, für Konsequenzen aus verschuldeten Handlungen verantwortlich zu sein, statt eine »Politik aus Wunschträumen heraus und fixiert an vergangener Größe treiben zu wollen«;
- –
ob wir bereit seien, mit den östlichen Nachbarn Frieden zu suchen, einen Beitrag für das friedliche Zusammenleben zu leisten und »Polen und Tschechen von dem Alptraum befreien zu helfen, dass … eine neue Schreckensperiode folgen könnte, in der Schuldige an Schuldigen wiederum schuldig werden und die völkische Existenz beider Nationen erneut von Deutschland aus gefährdet wird«;
- –
ob man in beiden Teilen Deutschlands bereit sei, im Zuge der Entspannung nach Wegen zu suchen, aus »schussfertigen Vorposten zweier Machtblöcke zu ausgleichenden Faktoren« zu werden, ob wir »geduldig und aktiv mit daran arbeiten wollen, dass beide Gesellschaftssysteme in echter Weise zusammen leben und nach und nach zu einem zwar nuancierten, aber doch harmonischen Miteinander gelangen«;
- –
ob man bereit sei, uns in unserem politischen Denken und Handeln von »Propagandaparolen hüben und drüben freizumachen«, weder alles nur vom deutschen Standpunkt aus zu betrachten noch die nationale Verantwortung nicht kennen zu wollen (unterscheiden zwischen zwei Extremen) usw.
Wenn die kirchlichen Stellungnahmen zu Fragen des Friedens (z. B. Handreichung zur Friedensfrage der EKD von 1963)17 zu den kirchlichen Amtsträgern und zu den Gemeinden nicht richtig durchgedrungen seien, könne das daran liegen, dass »manche Bemühungen auf diesem Gebiet in Welt und Kirche – ich denke dabei etwa an die Prager-Friedens-Konferenz – vielen Geistlichen als nicht vertrauenswürdig genug erscheinen, sondern dass sie den Verdacht haben, als sollten sie unter dieser Überschrift für eine bestimmte politische Konzeption und Doktrin gewonnen werden«. Man habe den Eindruck, dass sich »einige Spezialisten auf diesem Gebiet einsetzen und auch dies mit viel Emotion und nicht immer ausreichender Sachkenntnis«.
Bischof Jänicke schlug in diesem Zusammenhang der Synode vor – er betonte das Einvernehmen mit dem Berichterstatter in Westberlin (Präses Wilm) –, eine Zentrale zu schaffen, die »alle einschlägige Literatur über Friedensfragen sammelt, erarbeitet und auswertet, wie es mit den Fragen der Bewaffnung, Aufrüstung und Strategie des Krieges intensiv und wissenschaftlich in der ganzen Welt geschieht«. Eine solche Zentrale müsste auch die Arbeit aller Friedensorganisationen und -Bewegungen verfolgen, analysieren, auswerten und entsprechende Informationen geben. Sie müsste dem Staat bei konstruktiven Vorschlägen für eine Friedensordnung Hilfe geben. Das wäre auch deshalb wichtig, damit aus der Stimme der Kirche nicht nur das »Nein zur Bewaffnung«, zumal zur atomaren Bewaffnung, herausgehört würde, sondern ihr positiver Beitrag für eine staatliche Friedensordnung. Er bemerkte, dass dieser Vorschlag schon unabhängig voneinander an verschiedenen Stellen ausgesprochen wurde und man sich an die Forderung von Robert Jungk18 (Österreich) nach einer »Strategie des Friedens« anlehne.
Die Frage der Zweckmäßigkeit der Einrichtung der »Zentrale für Friedensdienst« als einer Sache der EKU19 beantwortete Jänicke mit einem längeren Zitat aus dem Bericht von Präses Wilm. Präses Wilm brachte die Frage des Friedens vor allem mit den Bemühungen der Kirche um die Erhaltung ihrer Einheit in Verbindung. In einem weiteren Abschnitt behandelt Bischof Jänicke den Beitrag der Kirche »zur Überwindung des kalten Krieges und zur Entideologisierung der Fronten« (Dieser Berichtsteil enthält eine Reihe von Passagen zur Verleumdung der DDR und ihrer Politik und zur Verharmlosung der Bonner Politik.).
In diesem Abschnitt wird einleitend ausgeführt: »Gerade weil die Möglichkeit persönlicher, menschlicher Kontakte zwischen Ost und West so stark eingeschränkt ist, besteht die Gefahr, dass man sich von der anderen Seite ein Bild macht, das der Wirklichkeit nicht entspricht. Wer nur auf die Propaganda angewiesen ist, verfällt mit Notwendigkeit einem Freund-Feind-Denken, einer Schwarz-Weiß-Malerei, der eigenen Selbstrechtfertigung und der Verteufelung des anderen, aus der nur lauter Unheil kommen kann. Der politische Pharisäismus ist gegenwärtig eine der übelsten Zeitkrankheiten.«20
Der Berichterstatter in Westberlin werde ausführlich über einen »christlich-ideologisch verbrämten Antikommunismus sprechen«, als Warnung vor einer unchristlich pharisäerhaften Schwarz-Weiß-Malerei. »Nun, das gibt es ja auch bei uns, dass die andere Seite verteufelt und schwarz in schwarz gemalt wird. Es soll nichts von den politischen Gegensätzen und Gefahren, die aus diesen Gegensätzen erwachsen, verharmlost oder verschleiert werden. Aber wenn man erlebt, wie täglich nur das Negative und die Misserfolge des Westens berichtet werden, dann muss man wohl Sorge haben um die Frucht, die aus solcher Saat erwächst. Im Übrigen ist das auch für Einsichtige nicht glaubwürdig, und das Vertrauen zu solcher Berichterstattung schwindet. Kriegslüsterne Revanchisten werden auch jenseits unserer Grenzen nur seltene Randerscheinungen sein, und wir müssen einfach um der Wahrheit willen einem verallgemeinernden Bild entgegentreten, weil es den Tatsachen nicht entspricht …«21
Als erste Maßnahmen forderte Jänicke die »Absage an jedes Mitmachen des kalten Krieges, an jede Schwarz-Weiß-Malerei«. Darüber hinaus müssten die verantwortlichen Politiker angesprochen werden, dass Rüstung, Politik der Stärke, gegenseitige Abschreckung und damit verbundene Propaganda schlechte Garanten für den Frieden sind. Er bezeichnete es als einen »unheimlichen Sog«, dass jede Armee zu ihrer Rechtfertigung eine Propaganda betreibe, die, je bedrohlicher die Situation erscheine, in den Sog der Schwarz-Weiß-Malerei hineingerate. In diesem Zusammenhang wies er auf die Manöver »Oktobersturm« hin, deren »begleitende Propagandamusik« nicht beruhigend gewirkt, sondern bei vielen die erschrockene Frage ausgelöst habe, ob wir schon wieder so weit sind. Eine Truppe müsse sicherlich üben und eine Armee auch einmal ein Manöver machen, aber »gerade die Begleitmusik, die der Abschreckung dienen soll, … gibt neue Nahrung für den kalten Krieg und vermehrt den Geist der Angst«. Man habe das früher »Säbelrasseln« genannt.22
Aus all diesen Gründen nehme sich die Kirche besonders derer an, die den »Dienst mit der Waffe und Mitarbeit an der Bewaffnung und Rüstung ablehnen«. Deshalb fordere die Kirche einen »wirklich zivilen Ersatzdienst«.
Neben weiteren »Begründungen«, weshalb sich die Kirche der Wehrdienstverweigerer annehmen müsse, betonte Bischof Jänicke, dass er über die sog. Vertriebenendenkschrift der EKD23 etwas ausführlicher spreche als Präses Wilm in Westberlin. Er hob dabei besonders hervor, dass mit der Diskussion um diese Denkschrift etwas »Versöhnendes« in Bewegung gekommen sei. In der Denkschrift sei alles »bedachtsam und vorsichtig« ausgesprochen und nichts Abschließendes gesagt. Die Frage nach dem »Recht der Heimat« sei weder völkerrechtlich noch theologisch beantwortet. Als Christ müsse man zugleich nach dem Recht derer fragen, die in den Ostgebieten eine neue Heimat gefunden haben.
In seinen weiteren Ausführungen griff Bischof Jänicke die Sicherungsmaßnahmen vom 13.8.1961 und die gegen die Kirche gerichtete ideologische Beeinflussung an.
Die Kirche dürfe nicht müde werden, um die Zusammenführung des getrennten Volkes zu bitten. Viele Beispiele »menschlicher Tragik, an denen die Zertrennung unseres Volkes Schuld ist«, seien keine Sentimentalitäten, sondern harte Tatsachen. »Es ist schwer vorstellbar, wie verantwortliche führende Männer in beiden Teilen Deutschlands die Last der Verantwortung und Schuld zeitlich und ewig tragen sollen, die hier auf ihnen liegt. Auch das muss ich hier aussprechen, was ich in Gesprächen mit verantwortlichen Männern des Staates immer wieder gesagt habe: So lange es geschieht, dass deutsche Menschen vor den Augen deutscher Menschen an der Grenze erschossen werden, leidet unser Volk an einer blutenden Wunde, die von Jahr zu Jahr bedrohlicher wird …«
Die Kirche sei Fürsprecher der Menschen, die zueinander wollen. Sie habe deshalb auch in der Passierscheinfrage immer wieder darum gebeten, politischen Prinzipien nicht den Vorrang vor den »primitiven Anliegen der Menschlichkeit« einzuräumen.
Außerdem sei die Kirche darum bemüht, eine Lockerung in der Verbreitung christlicher Schriften zu erreichen. Sie bemühe sich um den ungehinderten Austausch christlicher Schriften. Es entspreche nicht den in der DDR herrschenden Grundsätzen, wenn »mit administrativen Mitteln ideologische Ziele erreicht werden sollen«. Wo das geschehe, werde die Kirche nicht schweigen. Die Kirche sei in ideologische Auseinandersetzungen hineingestellt, denen sie sich im Osten wie im Westen stelle. »Wenn aber diese Auseinandersetzungen auf dem Rücken von jungen Menschen und Kindern ausgetragen werden, so dürfen wir nicht stumm bleiben. Es ist eben nicht nur einmal, als eine bedauerliche Entgleisung, sondern wiederholt vorgekommen, dass Schulkinder das Weberlied von Heinrich Heine,24 dass eine Verfluchung Gottes enthält, lernen und laut aufsagen mussten … Wo aber jungen Menschen in Schule oder Wehrdienst, in der Berufsausbildung oder in der Arbeit zu sagen oder zu tun auferlegt wird, was ihrem christlichen Glauben und ihrer Bindung an Gott widerspricht, oder wo sie wegen dieses Glaubens und dieser Bindung im innersten verletzt werden, da werden wir für sie eintreten.«
Als ein besonderes Anliegen, dass nur in der DDR besteht, bezeichnete Bischof Jänicke den Widerspruch der Kirche gegen die Instruktion des Ministeriums für Gesundheitswesen vom März 1965 zur Auslegung des Gesetzes über den Mutter- und Kinderschutz und die Schwangerschaftsunterbrechung.25 Seit dieser Instruktion sei ein Anwachsen der Fälle von Schwangerschaftsunterbrechungen festzustellen, was sich auf das »sittliche Verantwortungsgefühl« der Bevölkerung »verheerend auswirken muss«. In diesem Zusammenhang teilte er mit, dass der Minister für Gesundheitswesen einen Kommentar angekündigt habe, der der Missdeutung der Instruktion im Sinne einer allgemeinen Lockerung des Gesetzes entgegentreten soll.
Die Diskussion zum Bericht Bischof Jänickes fand am Nachmittag des 30.11.1965 statt. Nachstehend werden die wichtigsten Passagen aus den einzelnen Diskussionsbeiträgen wiedergegeben:
Bischof Fränkel26, Görlitz, bezeichnete die Denkschrift der EKD als ein mutiges Beispiel des Angehens gegen Tabus. Es sei gut, dass Recht und Versöhnung herausgestellt werden, was ein Gespräch mit dem polnischen Volk möglich mache. Gleichzeitig kritisierte er, dass in der Denkschrift die großen politischen Zusammenhänge zurücktreten. Er hätte es als »Vertreter der schlesischen Kirche« begrüßt, wenn das Konsistorium in Görlitz vor Abfassung der Denkschrift konsultiert worden wäre. Weiter wandte sich Fränkel gegen Formulierungen im Bericht Jänickes wie »Ohnmacht eines Volkes« und »Entideologisierung«. Man müsse in beiden Teilen Deutschlands mehr differenzieren. In einem Teil sei die Ideologie die Grundlage des Staates. Im anderen Teil gebe es nur konkurrierende Ideologien, die keinen Ausschließlichkeitsanspruch erheben. In der DDR von einer »Entideologisierung« zu sprechen, sei gegenüber dem Staat eine gewisse Zumutung. Er wende sich auch gegen jede Art von Antikommunismus, wenn man damit versuche, den Kommunismus als Ganzes zu verteufeln. Man könne den Kommunismus nicht als Ganzes ablehnen, sondern müsse sich als Christ mit dem atheistischen dialektischen Materialismus auseinandersetzen. Bischof Jänicke habe von guten Gesprächen mit dem Staat gesprochen. Es sei jedoch eine Tatsache, dass sich diese Atmosphäre »nicht im gleichen Maße durchgesetzt hat«. Die Kirche habe vor sich eine Fassade aufbauen lassen, hinter der es ganz anders aussehe. Es gebe z. B. administrative Behinderungen (zu wenig Kalender, Schwierigkeiten mit Baugenehmigungen usw.).
Präses Rautenberg27, Greifswald kritisierte, dass in den Berichten des Rates der EKU und von Bischof Jänicke die Werke und Einrichtungen des Evangelischen Hilfswerkes und der Inneren Mission nicht genügend gewürdigt wurden. Er klagte darüber, dass es in der DDR zu wenig evangelische Zeitungen gebe und Literatursendungen aus Westdeutschland unterbunden würden.
Der Vizepräses der Synode der Kirchenprovinz Sachsen Dr. Schiele schloss sich den Ausführungen Rautenbergs an und erklärte, wenn das ganze deutsche Volk im Fernsehen West- und Ostkrimis sehen könne, müsste auch für Theologen die Möglichkeit bestehen, westdeutsche theologische Literatur zu bekommen.
Bischof Krummacher28 begrüßte die Berichte. Einerseits sei von den positiven Möglichkeiten des Gesprächs zwischen Staat und Kirche die Rede gewesen, andererseits seien die Erschwernisse dargelegt worden. Er begrüßte die Ausführungen zur Friedensfrage. Er betrachte sie als wichtig, da sich die Synode der EKD im Jahre 1966 in erster Linie mit der Friedensfrage beschäftigen werde.
Prof. Hoffmann29 (Landwirtschaftliche Fakultät der Martin-Luther-Universität/Halle) kritisierte, dass die landeskirchlichen Grenzen auf dem Niveau von 1815 stehen und nicht den Realitäten entsprechen. Außerdem sei die Kirchenarbeit zu bürokratisch, was die Laien an der aktiven Mitarbeit hindere. Prof. Dr. Hanfried30 Müller/Humboldt-Universität führte aus, dass der Bericht von Bischof Jänicke sehr politisch gewesen sei. Er müsse deshalb politisch antworten, auch wenn es ihm in erster Linie um theologische Fragen gehe. Die theologischen Probleme seien im Bericht von Präses Wilm auf der Synode in Spandau deutlich herausgekommen. Die Gemeinden könnten nicht mit Gesetzen, Gebeten und Forderungen operieren. Wenn es um das Wächteramt der Kirche gehe, dann habe die Kirche sich selbst gegenüber Wächter zu sein. Die Kirche müsse sich selbst fragen, wo sie schwarz-weiß malt. Wenn der Frieden Preise fordere, müsse die Kirche nachdenken, welche Preise sie zu zahlen habe.
Die Kirche müsse endlich auch die Zweistaatlichkeit in Deutschland anerkennen. Die Bruderschaften hätten jetzt beschlossen, getrennte Leitungen zu bilden, die untereinander bereits in einer ausgezeichneten ökumenischen Beziehung stehen würden. Weiter forderte Prof. Müller die Umbenennung der Landeskirchen Pommern und Schlesien als einen lange fälligen Schritt. Zum Angriff Jänickes gegen das Lernen des Weberliedes von Heine in den Schulen erklärte er, dass in der bürgerlichen Schule alle schon den Prometheus von Goethe gelernt haben. Dieser aristokratische Atheismus tue den Kirchenführern nicht so weh wie der plebejische Atheismus. Man könne aber nicht das eine hinnehmen und gegen das andere protestieren. Er missbilligte außerdem den Angriff Jänickes gegen das Manöver »Oktobersturm« und den Gebrauch wilhelminischer Vokabeln. Unter Hinweis auf westdeutsche Theologen unterstrich er den Unterschied zwischen Armeen. Zur versuchten Bagatellisierung des Revanchismus in Westdeutschland bemerkte er, dass die angeblich nur wenig vorhandenen Revanchisten und Militaristen »immer noch genug sind«.
Pfarrer Merkel, Fürstenwalde, warf der EKU vor, bis jetzt zu wenig zur Frage der Schwangerschaftsunterbrechung gesagt zu haben. Zur März-Instruktion des Ministeriums für Gesundheitswesen werde erst im November ein offenes Wort gesagt. Die Pfarrer müssten in den Gemeinden die Christen auffordern, von der Möglichkeit der Schwangerschaftsunterbrechung keinen Gebrauch zu machen.
Oberkirchenrat Ammer31, Magdeburg betonte, dass die Öffentlichkeit über alle Probleme der Kirche unterrichtet sein müsse. Journalisten sollten jedoch nach Kirchenberatungen und Auskünften auf mehr Diskretion achten. In diesem Zusammenhang fragte er Hildebrandt, wie es möglich gewesen sei, dass der Tätigkeitsbericht der Kirchenkanzlei 1963 bis 1965 (liegt den Synodalen gedruckt vor) vor Beginn der Synode in die Westpresse gelangt sei. Die Synodalen in Spandau sollten dazu öffentlich Stellung nehmen. Präsident Hildebrandt habe erregt entgegnet, dass der Bericht nur für die Synodalen und für den innerkirchlichen Dienstgebrauch bestimmt gewesen sei. Er bedaure es, dass dieser Bericht in die Westpresse gelangt sei und dazu noch unter tendenziösen Überschriften. Von den Ausführungen im Bericht könne er jedoch nichts abstreichen und nehme die volle Verantwortung auf sich.
Ein Schlusswort durch Bischof Jänicke erfolgte nicht.
Vom Verlauf der Synode wurden folgende weitere Einzelheiten bekannt: In der Nachmittagssitzung am 29.11. erschienen als weitere westdeutsche Gäste Dr. Martin Niemöller32 und Prof. Dr. Heinrich Vogel, Westberlin. Prof. Dr. Vogel nahm am 30.11. nicht an der Synode teil. Ein von Propst Haufe verlesenes Grußschreiben der Synode in Spandau (unterzeichnet von Dr. Grimm und dem Synodalen Dringenberg) hatte im Wesentlichen zum Inhalt, dass die Einheit der EKU nicht zerstört werden könne.
Der Diskussion zum Bericht Jänickes gingen am 30.11. zahlreiche Begrüßungsansprachen – neben Niemöller – von Gästen aus dem Ausland voraus. Niemöller betonte die Einheit der EKU und das große Ansehen der EKU in der Welt. Es werde bereits erwogen, einen Vertreter der EKU als Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen einzusetzen. (Als ein solcher Kandidat gilt Missionsdirektor Brennecke33 von der Berliner Missionsgesellschaft. B. ist DDR-Bürger.)
Als ausländische Gäste traten auf:
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Dr. William, Generalsekretär der Konferenz der englischen Kirchen,
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Pfarrer Sommer, Evangelisch-Reformierte Kirche der USA,
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Pfarrer Hueneman,34 USA,
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Prof. Dr. Takizawa,35 Japan,
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Rev. Makubuko, Transvaal-Kirche Südafrika,
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Superintendent Bruhnke, Kapstadt, Oranje-Kirche Südafrika,
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Pfarrer Jubsch, Brasilien.
Die ausländischen Gäste gingen in ihren Begrüßungsansprachen u. a. auf Fragen der Einheit der Kirche, auf Schwierigkeiten der Kirchen in sozialistischen Ländern und auf sog. Rassenfragen ein, wobei teilweise Vergleiche zur Situation der getrennten Kirche in Deutschland angestellt wurden. Generalsuperintendent Jacob36 sprach zu theologischen Problemen.
Präses Kreyssig richtete ein Grußwort an die Vertreterin des Magistrats, Frau Lindner, in welchem er die Loyalität der Synodalen gegenüber dem Staat und die Anerkennung des Staates als Obrigkeit versicherte.
In der Mittagspause erschien der persönliche Referent des Vorsitzenden des Rates der EKD, v. Wedel.37 Im internen Gespräch habe er mitgeteilt, dass in Kürze wahrscheinlich mit dem Ableben von Bischof Dibelius zu rechnen sei. Er sei schwer erkrankt und habe bereits das Bewusstsein verloren. Von Wedel sei am 1.12. wieder erschienen. Er nahm aber nicht an der Synode teil, sondern konferierte intern mit Bischof Krummacher.
Weitere Berichte über den Verlauf der Synode folgen nach Vorliegen entsprechender Informationen. Im Interesse der Sicherheit der Quelle darf diese Information nicht öffentlich ausgewertet werden.