Synode der Evangelischen Kirche der Union in Berlin (2)
3. Dezember 1965
Einzelinformation Nr. 1077/65 über den weiteren Verlauf der Synode der »Evangelischen Kirche der Union«
Mit der nachstehenden Information wird – ergänzend zur ersten Information über die Synode der EKU vom 2.12.1965 – über weitere Einzelheiten vom Verlauf der Synode in Weißensee berichtet und eine kurze zusammenfassende Darstellung über einige Fragen gegeben, die Präses Wilm1 in seinem Bericht von der in Spandau tagenden Synode der EKU am 29.11.1965 vorgetragen hat.
Die Synode der EKU in Weißensee setzte am Abend des 30.11. und 1.12.1965 ihre Beratungen in internen Ausschusssitzungen fort. Am Abend des 30.12. nahmen folgende Ausschüsse ihre Arbeit auf: Berichtsausschuss, Ordnungs- und Rechtsausschuss, Ältestenrat, Eingabenausschuss, Legitimationsausschuss, Finanzausschuss, Theologischer Ausschuss, Nominierungsausschuss. Als der wichtigste Ausschuss ist der Berichtsausschuss anzusehen, der die Stellungnahme zum Bericht von Bischof Jänicke2 ausarbeitet. Diesem Ausschuss gehören 24 Mitglieder an, darunter die als reaktionäre Kirchenführer bekannten Vertreter der Landeskirche Berlin-Brandenburg, Oberkonsistorialrat Ringhandt,3 Präses Figur,4 Präsident Hildebrandt5 und Superintendent Schuppan6 sowie Präses Kootz von der Landeskirche Anhalt.
Teilweise nahmen an den Beratungen des Berichtsausschusses auch Martin Niemöller,7 Bischof Jänicke und Bischof Krummacher8 teil. Beachtenswert ist ferner die Tatsache, dass Prof. Takizawa9/Japan und die Pfarrer Hueneman10 und Sommer/beide USA als Gäste zeitweise den Beratungen dieses Ausschusses beiwohnten und damit die Auseinandersetzungen bzw. interessanten Diskussionen verfolgen konnten.
In der Diskussion des Berichtsausschusses zur Ausarbeitung der Stellungnahme zum Bericht Jänickes wurde von Präsident Hildebrandt die Forderung vertreten, dass besonders auf die Frage der Schwangerschaftsunterbrechung eingegangen werden müsse. Diese Forderung wurde von den im Ausschuss vertretenen drei Ärzten, die Synodale sind, abgelehnt. Sie erklärten, dass die ärztliche Praxis anders aussehen würde, als es die Bischöfe vom theologischen Standpunkt aus sehen. Hildebrandt habe daraufhin seinen Antrag zurückgezogen.
Weiter wurde der Vorschlag eingebracht, die Stellung der Kirche zu Israel einzuschätzen, was angeblich Meinungsverschiedenheiten ausgelöst habe. Es wurden Bedenken dagegen vorgebracht, weil die Haltung des Staates Israel sowie sein Zustandekommen sehr problematisch seien. Weiter wurde angeführt, dass die DDR gute Beziehungen zur VAR unterhalte und es deshalb nicht klug sei, dieses Problem mit in den Bericht einzuarbeiten.
Pfarrer Hamel, Naumburg, legte dem Ausschuss den Entwurf eines Briefes an den Vorsitzenden des Ministerrates vor, der im Wesentlichen folgende Punkte enthält (sinngemäß):
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Gewährung von Erleichterungen im Reiseverkehr nach Westdeutschland für DDR-Bürger im nicht rentenfähigen Alter, wenn es sich um Familiennotstände handelt;
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Erteilung von Reisegenehmigungen an Personen, denen ärztliche Spezialkuren verordnet wurden, die »nur in Westdeutschland« durchgeführt werden können. (z. B. Nierenleiden);
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Gewährung von Erleichterungen bei Familienzusammenführung zwischen Eltern, Kindern und Geschwistern, die in der DDR arbeitsfähig sind und für sich selbst nicht die vollen Unterhaltsmöglichkeiten haben.
Da vorgesehen ist, den Brief als ein Schreiben der Synode abzuschicken, müssten die Synodalen ihre Zustimmung geben. Eine Beratung im Plenum hatte jedoch bis zum Zeitpunkt der Berichterstattung der Quelle noch nicht stattgefunden.
Die weitere Diskussion im Berichtsausschuss konzentrierte sich am 1.12. (nachmittags und abends) auf die Fertigstellung des Beschlusses zum Bericht von Bischof Jänicke. Präsident Hildebrandt legte dem Ausschuss einen Beschlussentwurf zu den Punkten I–VII des Berichts von Jänicke vor (diese Punkte beinhalten im Wesentlichen die Ausführungen Jänickes zu aktuellen politischen Fragen). Bis zu diesem Zeitpunkt lag die Vorlage des Berichtsausschusses der Spandauer Synode noch nicht vor. Präses Figur als Vorsitzender des Weißenseer Berichtsausschusses steuerte aus diesem Grunde die Diskussion so, dass Zeit gewonnen wurde. Dadurch entstand eine ausgesprochene Formulierungsdiskussion, in welcher Bischof Fränkel11 z. B. alles negierte. Am Nachmittag legte dann Dr. Jonson (Kirchenkanzlei der EKU in Westberlin, Jebenstraße) den Beschlussentwurf der Synode in Spandau vor.
Die Vorlagen der beiden Synoden haben die gleiche Präambel und die gleiche Systematik im Aufbau. Eine Reihe von Textformulierungen stimmt fast wörtlich überein. Die Skala der Probleme, über die beraten wurde, reicht von Fragen der Abendmahlsgemeinschaft über die sog. Vertriebenendenkschrift der EKD bis zur Aufgabenstellung der EKU für den Rat und für die Gemeinden. Am längsten wurde über die sog. Vertriebenendenkschrift diskutiert. Im Beschlussentwurf selbst sind nur wenige Sätze dazu angeführt.
Der Westberliner Vertreter Dr. Jonson verfolge offensichtlich die Linie, eine größtmögliche Übereinstimmung in den Beschlüssen beider Synoden zu erreichen und die Vorlage der Spandauer Synode durchzubringen.
Präsident Hildebrandt griff häufig in die Diskussion ein, wobei er immer wieder betonte, nicht an Formulierungen hängen zu bleiben. Die Synode in Weißensee müsste inhaltlich zu einem einheitlichen Beschluss kommen. Schließlich forderten die DDR-Synodalen, den Beschlussentwurf Hildebrandts als maßgeblich zu betrachten. Sie setzten außerdem durch, dass die in der Denkschrift enthaltene Bezeichnung »Vertriebene« im Entschlussentwurf nicht erscheint. Wie berichtet wird, nahm die Mehrzahl der DDR-Synodalen zur Denkschrift eine sog. neutrale, kenntnisnehmende Haltung ein. Ablehnungen gab es nicht.
Präsident Hildebrandt forderte von Dr. Jonson, Präses Scharf12 zu bestellen, die »ganze Sache nicht an Formulierungen scheitern zu lassen«. Die Synode in Spandau solle unbedingt von der Stellung der EKU in der DDR ausgehen. Die Spandauer müssten »ihre Pflöcke erheblich zurückstecken«. Da Bischof Krummacher erst später erschien und eine eigene Konzeption zum Beschlussentwurf vertrat, die langatmige Diskussion auslöste, wurde mit Abschluss der Beratung (gegen 18.00 Uhr) Dr. Jonson nicht der ganze Wortlaut des Beschlussentwurfs überreicht, sondern nur die Grundkonzeption.
Dr. Jonson hatte vorher vor den DDR-Synodalen ausführlich über den Verlauf der Diskussion in Spandau zur sog. Vertriebenen-Denkschrift berichtet. Nach seinen Ausführungen hätten sich dort die Diskussionen besonders zwischen Prof. Schweitzer13 und Prof. Konrad14 (Bonn) zugespitzt. Prof. Schweitzer sei als Befürworter der Denkschrift aufgetreten. Prof. Konrad habe dagegen die Denkschrift abgelehnt, weil sie ihm »zu gelinde im Sinne der Forderungen der Vertriebenen« sei. (Prof. Konrad war der letzte Dekan der Breslauer Universität vor 1945 und spielt in den sog. Vertriebenen-Verbänden eine Rolle.)
Mit Rücksicht auf den Beschlussentwurf Hildebrandts sei es in Spandau dann zu einer »gemäßigten Formulierung« gekommen, die nur mit knapper Mehrheit angenommen wurde.
Wie weiter bekannt wurde, konferierte v. Wedel15 am 1.12. wieder intern mit Bischof Krummacher, Oberkonsistorialrat Woelke,16 Bischof Fränkel und Generalsuperintendent Jacob.17
Aus dem Bericht von Präses Wilm vor der in Spandau tagenden Synode wird auf folgende Passagen hingewiesen: Die Ausführungen über die Einheit der EKU machten – wie bereits im Bericht Jänickes – einen großen Teil des Berichtes aus. Anfangs hatte Präses Wilm betont, dass dies seine letzte Amtshandlung als Ratsvorsitzender sei und Präses Beckmann18 zum neuen Ratsvorsitzenden gewählt wurde.
In seinen Ausführungen über die Einheit der EKU hob er als noch »effektiv wirkende gemeinsame Arbeitsformen« hervor:
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gemeinsame Beratung der Hauptarbeit,
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Besuchsdienst, Austausch von Pfarramtskandidaten usw. (die in den Verfassungen beider Staaten garantierte Glaubensfreiheit reiche über die politischen und staatlichen Grenzen hinweg, werde aber durch die Teilung behindert),
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gemeinsame wissenschaftliche Arbeit, an der auch Nichtmitglieder der EKU teilnehmen würden (Bestandteile seien die »Berliner Bibelwochen«).
Aus diesen Punkten leitete Präses Wilm als Aufgaben ab, alle Möglichkeiten und Formen des Zusammenkommens zu nutzen, immer wieder Anträge auf Aufenthalts- und Reisegenehmigungen zu stellen, die Verbindungen mit den Patengemeinden zu pflegen, »für Gefangene« zu bitten und dieses in der Öffentlichkeit zu vertreten, die Bibelwochen fortzusetzen, den Austausch von theologischer Literatur zu pflegen, den Briefverkehr aufrechtzuerhalten usw.
In einem weiteren Abschnitt ging Wilm auf die ökumenische Arbeit und die Auslandsbeziehungen ein. Die EKU unterhalte Beziehungen besonders zu »United Church of Christ«/USA, zum »Kyodan der vereinigten Kirche«19/Japan, zu einigen Kirchen in Süd- und Ostafrika und vor allem in Lateinamerika sowie zu einer Reihe deutscher Auslandgemeinden. (Er führte an dieser Stelle Einzelheiten an, welche Kirchenführer im Besuchsdienst und wo tätig waren.) Ökumenische Besuche in die UdSSR, ČSSR, nach Polen und Ungarn seien mit Gegenbesuchen beantwortet worden.
Unter Hinweis auf Schwierigkeiten der kirchlichen Arbeit, denen die Kirche in der ganzen Welt gegenübersteht (durch Grenzen zerrissene Machtblöcke, »Lügenpropaganda«, Erziehung durch Massenmedien usw.) forderte er, »lauter und rein, im ursprünglichen Sinne« zu predigen. Darüber hinaus habe aber die Kirche eine Verantwortung für den Frieden in der Welt. Die Kirche müsse sich kontinuierlicher und konkreter mit den Grundsatzproblemen zur Friedensarbeit beschäftigen, zumal die Teilnahme daran in den evangelischen Gemeinden noch mangelhaft sei. Die Friedensarbeit müsse im Rahmen der EKD durch die Berufung einer ständigen Kommission die gebührende Beachtung finden (ähnliche Bemerkungen, wie sie bereits Bischof Jänicke in Weißensee aus seinen Ausführungen vom vorigen Jahr zitiert hatte).
Präses Wilm führte als »konkrete Äußerungen« der EKD zum Frieden die sog. Vertriebenendenkschrift und die Arbeitstagung der Synode der EKD vom 8. bis 10.11.1965 in Frankfurt/M. an. Die EKU soll auch zu Kirchenschriften anderer Länder Stellung nehmen und sich – davon ausgehend – zu solchen Problemen äußern wie nukleare Mitverantwortung, Notstandsgesetzgebung, Vietnam und Indien, zum Krieg überhaupt, zu Rassenkonflikten, zur »Mauer« in Berlin, zur Ostgrenze, zur »Wiedervereinigung« usw.
In Verbindung mit den von ihm zitierten Passagen aus den Ausführungen Jänickes aus dem Jahre 1964 führte Präses Wilm in seinen eigenen Anmerkungen die »Warnung der EKU« in der Frage der Notstandgesetzgebung an, begrüßte die Aufnahme diplomatischer Beziehungen Westdeutschlands zu Israel und lehnte die »massive Kreuzzugsideologie« von Hassel ab, der Gegner der Atomrüstung »als Linksprotestanten angegriffen« hätte.
Er »warnte« davor, dass die Kirchen der Ideologie des Antikommunismus verfallen oder andererseits mit »Pro-Kommunismus huldigen«. Er sehe in beiden deutschen Staaten die Existenzmöglichkeiten für Christen, wobei er Westdeutschland besonders lobend hervorhob, habe es aber gleichzeitig abgelehnt, mit der Religion Parteipolitik zu machen. Er habe darauf aufmerksam gemacht, seine eigene Stellung zum Antikommunismus nicht mit Pro-Kommunismus zu verwechseln.
In der von ihm genannten Aufgabenstellung für die »Arbeit zum Frieden in der Welt« forderte er vor allem, »keine Opfer zur Versöhnung« zu scheuen und sich von allen Forderungen, die Gewaltanwendung und Erziehung zum Hass usw. beinhalten, zu distanzieren. Niemand dürfe sich finanziellen Opfern verschließen, da die Arbeit der Kirche »nicht mit Luft und Liebe verrichtet werden« könne.
Ein weiterer Bericht, insbesondere über den Beschluss der Synode der EKU folgt nach Vorliegen entsprechender Informationen.
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