Tätliche Auseinandersetzung von Jugendlichen mit FDJ-Funktionär
19. November 1965
Einzelinformation Nr. 1027/65 über ein Vorkommnis mit Jugendlichen in Lichtenstein, Kreis Hohenstein-Ernstthal, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt
Am 14.11.1965 kam es im Lichtensteiner Jugendclubhaus »7. Oktober« während eines von der FDJ veranstalteten Jugend-Tanzabends zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen dort anwesenden Jugendlichen und dem 1. Sekretär der FDJ-Kreisleitung Hohenstein-Ernstthal.
Diesen Auseinandersetzungen gingen einige Vorkommnisse voraus, die zur Auslösung der Vorfälle am 14.11. mit beigetragen haben.
Das Jugendclubhaus war mehrere Wochen geschlossen gewesen, nachdem der ehemalige Leiter des Jugendclubs ([Vorname Name 1]) wegen krimineller Verfehlungen (§ 175)1 straffällig und zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt worden war. Verschiedene Jugendliche waren mit der Verurteilung [Name 1] nicht einverstanden. Eine entsprechende Erklärung, die ihnen die Verurteilung [Name 1] plausibel gemacht hätte, war nicht abgegeben worden.
Anfang Oktober 1965 wurde das Clubhaus wieder geöffnet. Seitdem kam es dort verschiedentlich zu Vorkommnissen wie z. B. kleineren Sachbeschädigungen des Inventars. Der eingesetzte Clubhausleiter [Name 2] war seiner neuen Aufgabe offensichtlich nicht gewachsen. Nachdem [Name 2] bei der FDJ-Kreisleitung erklärt hatte, nicht mehr als Clubhausleiter arbeiten zu wollen, wurde das Jugendclubhaus erneut für eine Woche geschlossen.
Der 1. Sekretär der FDJ-Kreisleitung, Genosse Kunz, hielt sich in den letzten Wochen mehrmals im Lichtensteiner Jugendclubhaus auf, wobei er verschiedentlich sog. kleinere Randalierer aus den Räumen des Clubhauses verwiesen hatte. Nach den bisherigen Feststellungen wurde mit diesen Jugendlichen nicht richtig über ihr Verhalten diskutiert.
Die FDJ-Ortsleitung Lichtenstein hatte außerdem beschlossen, 13 Jugendlichen (FDJ-Mitglieder), die als Radaubrüder in Erscheinung traten, den Zutritt zum Jugendclubhaus für die Dauer von vier Monaten zu untersagen. Dieser Beschluss war vom Sekretariat der FDJ-Kreisleitung bestätigt worden. Diese 13 Jugendlichen beriefen sich später u. a. darauf, dass sie wiederholt Vorschläge für die Organisierung von Veranstaltungen unterbreitet hätten, jedoch keiner ihrer Vorschläge verwirklicht wurde. (Es wird noch geprüft, um welche Vorschläge es sich handelt und ob sie realisierbar sind.)
Zum Jugend-Tanzabend am 14.11.1965 war der 1. Sekretär der FDJ-Kreisleitung mit 15 Ordnern (FDJ-Funktionäre) erschienen. Anwesend waren ca. 150 Personen.
Gleich zu Beginn des Tanzabends stellten einige Jugendliche die Frage, ob sie auch mit auf der »schwarzen Liste« stünden. Einer der Jugendlichen hatte von dem bereits genannten ehemaligen Clubhausleiter davon etwas erfahren. Außerdem äußerten Jugendliche ihren Unmut darüber, dass das Clubhaus bis zum 14.11. wieder geschlossen war.
Im Laufe des Abends kam es dann zu tätlichen Auseinandersetzungen, in die einige wenige Jugendliche und Genosse Kunz verwickelt waren. Der Streit, ausgelöst durch Missfallensäußerungen über die sog. schwarze Liste (wieso gibt es bei der FDJ schwarze Listen, das lasse man sich nicht gefallen), führte zur Schlägerei zwischen Genossen Kunz und zwei Jugendlichen, die vom Genossen Kunz aus dem Saal verwiesen wurden. Dabei steht fest, dass Genosse Kunz als erster zugeschlagen hat. In dem daraufhin entstandenen Tumult fielen solche Äußerungen wie z. B. »ihr Messingschildträger«, »schwarze Listen«, »ihr Bonzen«, »ihr lebt von unserem Geld« usw. Weitere Jugendliche hatten sich mit den des Saales Verwiesenen solidarisch erklärt und verließen ebenfalls den Tanzsaal. Die Mehrzahl der Anwesenden hat sich nicht an den Auseinandersetzungen beteiligt.
Genosse Kunz verständigte sofort telefonisch den 1. Sekretär der FDJ-Bezirksleitung, den 1. Sekretär der SED-Kreisleitung und den Leiter des VPKA. Der Leiter des VPKA entschied aufgrund der Schilderungen des Genossen Kunz den Einsatz von VP-Kräften.
Zwölf Jugendliche wurden zunächst in einen Raum des Clubhauses gebracht, dort isoliert und anschließend zum VPKA transportiert. Diese Jugendlichen leisteten dabei keinerlei Widerstand. Vom VPKA wurde zunächst gegen acht Jugendliche ein E-Verfahren wegen staatsgefährdender Propaganda und Hetze ohne Haft eingeleitet und dann in ein E-Verfahren wegen Staatsverleumdung umgewandelt.
Nach den bisherigen Untersuchungen ist einzuschätzen, dass die eingeleiteten E-Verfahren bis auf zwei eingestellt werden.
Während der Auseinandersetzungen hatte der 1. FDJ-Kreissekretär, Genosse Kunz, seine Pistole verloren. Obwohl er an den Vernehmungen der VP teilnahm und am 15.11.1965 zwischen 4.00 und 5.00 Uhr nach Hause gekommen war, bemerkte er diesen Verlust erst gegen 7.00 Uhr.
Einer der Jugendlichen erklärte, dass er diese Waffe auf dem Tanzsaal gefunden und gemeinsam mit anderen Jugendlichen versteckt habe (Pistole und Magazin in getrennten Verstecken). Sie hätten diese Waffe am 15.11.1965 der Stadtverordnetenversammlung abgeben und dabei folgende Fragen stellen wollen: Hat Kunz das Recht, eine Pistole zu besitzen und warum? Wenn ja, wäre es unverantwortlich, wie er mit der Waffe umgeht. Einer der Jugendlichen äußerte, dass dies ihr Trumpf wäre, da sie über das Verhalten des Genossen Kunz sehr empört seien. Die Pistole wurde, nachdem die Jugendlichen die Verstecke angaben, sichergestellt. Vor der Stadtverordnetenversammlung, der ein Teil der betreffenden Jugendlichen beiwohnte, spielte die Waffenfrage keine Rolle mehr.
Allgemein ist festzustellen, dass es unter den an den Auseinandersetzungen beteiligten Jugendlichen negative Erscheinungen gibt (Bevorzugung von Westschlagern, Tanzen nach West-Modell usw.). Es wäre am 14.11. jedoch nicht zu den Vorfällen gekommen, wenn sich Genosse Kunz sachlicher verhalten hätte. Er geht von dem richtigen Bestreben aus, für Ruhe und Ordnung sorgen zu wollen und sich auch nichts gefallen zu lassen, wendet dabei jedoch nicht immer die richtigen Methoden an. Beachtung verdient in diesem Zusammenhang außerdem, dass die als Ordner eingesetzten hauptamtlichen FDJ-Funktionäre sich bei dem Vorkommnis ziemlich passiv verhielten.
Genosse Kunz beruft sich auf eine vom Genossen Heller (FDJ-Bezirksleitung/Org.-Kader) gegebene Instruktion, wonach FDJler randalierenden Jugendlichen energisch entgegentreten und sich notfalls auch mit anderen Mitteln Respekt verschaffen sollen (Prämien für Zusammenschlagen randalierender Jugendlicher). Diese Instruktion wurde so gegeben, dass sie gegen wirkliche Randalierer angewandt wird. Der Ausgangspunkt dafür waren Vorkommnisse im Gebiet von Karl-Marx-Stadt vor einigen Monaten, wo jugendliche Randalierer Einrichtungen in öffentlichen Verkehrsmitteln demolierten, Straßenbahnschaffner bedrohten usw., ohne dass anwesende FDJler dagegen einschritten. Dieser Zustand war vom 1. Sekretär des Zentralrates der FDJ, Genossen Schumann,2 kritisiert worden.
Genosse Kunz ist seit mehreren Jahren hauptamtlich innerhalb der FDJ tätig. Er war Instrukteur einer Kreisleitung, später der Bezirksleitung und ist seit April 1963 1. Sekretär der Kreisleitung. 1961 besuchte er die Jugendhochschule. Von Genossen und FDJ-Mitgliedern wird eingeschätzt, dass er parteiverbunden und bemüht ist, der Partei ehrlich zu dienen. Aufgrund seiner Impulsivität, seiner oft nicht richtigen Einstellung zur Kritik, mangelnder Arbeitsorganisation und Neigung zu extremen Handlungen gab es aber schon wiederholt Auseinandersetzungen mit ihm im Sekretariat der FDJ-Kreisleitung. Die hauptamtlichen Mitarbeiter der FDJ-Kreisleitung sind mit seiner Haltung nicht einverstanden und es wird auch eingeschätzt, dass er nicht die erforderlichen Qualitäten und unter den FDJ-Mitgliedern und der nichtorganisierten Jugend insgesamt nicht das notwendige Vertrauen und die Achtung besitzt, um eine wirksame FDJ-Arbeit organisieren zu können.