Tätliche Auseinandersetzung zwischen Bauarbeitern und Funktionären
31. Mai 1965
Einzelinformation Nr. 497/65 über das provokatorische Verhalten von zwei Jugendlichen gegenüber den Funktionären der Bezirksleitungen der SED und der FDJ Cottbus am 19. Mai 1965
Am Abend des 19.5.1965 bedrohten zwei Jugendliche aus Cottbus jeweils drei Funktionäre und Mitarbeiter der Bezirksleitungen der SED und der FDJ Cottbus, wobei es auch zu Tätlichkeiten kam.
Die eingeleiteten Ermittlungen führten zur Inhaftierung der beiden Täter [Name 1, Vorname], geb. am [Tag, Monat] 1944 in Weißkirchlitz,1 wohnhaft Cottbus, [Straße Nr.], Hochspannungsmonteur, Schichtelektriker beim BMK Kohle und Energie, Baustelle Kraftwerk Vetschau, und [Name 2, Vorname], geb. am [Tag, Monat] 1943 in Groß-Tychow,2 wohnhaft Cottbus, [Straße Nr.], Hochspannungsmonteur, Betriebselektriker im Kraftwerk Vetschau, durch das MfS. Gegen beide Jugendlichen wurde ein Ermittlungsverfahren mit Haft gemäß § 19 StEG3 eingeleitet.
Aufgrund der bisherigen Untersuchungen ereigneten sich die Vorkommnisse am Abend des 19.5.1965 wie folgt:
Beide Jugendlichen kamen überein, im Clubhaus der Jugend Cottbus Bier zu trinken. Während eines längeren Aufenthaltes tranken sie etwa acht bis neun Glas helles Bier und führten Unterhaltungen mit anderen ihnen bekannten Jugendlichen. [Name 1] erkannte unter den Anwesenden u. a. drei Funktionäre der Bezirksleitung der FDJ Cottbus, besonders den 1. Sekretär, Genossen Tauchert, und den Leiter der ideologischen Kommission, Genossen Lehmann, mit denen er in der Vergangenheit wiederholt Unterhaltungen und politische Diskussionen geführt hatte.
Etwa gegen 21.30 Uhr begaben sich [Name 1] und [Name 2] an den Ausschank der Gaststätte, in deren unmittelbarer Nähe die genannten Funktionäre saßen. In der Absicht, die Funktionäre der FDJ zu provozieren und zu einem Wortwechsel herauszufordern, äußerte [Name 1] zu [Name 2]: »Die Funktionäre bekommen Geld für’s Nichtstun und führen ein angenehmes Leben; ich möchte einmal meinen Urlaub so verleben wie die arbeiten!« Dass die genannten Funktionäre nicht reagierten, will den [Name 1], offensichtlich unter dem Alkoholeinfluss, stark erregt haben. Beide Jugendlichen verließen daraufhin die Gaststätte. Auf der Straße vereinbarten sie, besonders auf Drängen von [Name 1], die Funktionäre doch noch in einen Streit zu verwickeln. Sie warteten deshalb an einer Straßenbahnhaltestelle am Clubhaus das Erscheinen der Funktionäre ab.
Gegen 22.00 Uhr kamen die FDJ-Funktionäre zur Haltestelle. Beim Erscheinen derselben begannen [Name 1] und [Name 2] lautstark zu lärmen und zu pfeifen, in der Absicht, diese zu provozieren. Sie erwarteten ein Einschreiten der FDJ-Funktionäre. Der Mitarbeiter der FDJ-Bezirksleitung [Name 3] forderte [Name 1] und [Name 2] auch auf, das Lärmen auf der Straße zu unterlassen. Auf diese Aufforderung hin reagierte [Name 1] abweisend und verstärkte sein Lärmen. Mit der Bemerkung, zeigen zu wollen, wie stark er wäre, trat er an den 1. Sekretär, Genossen Tauchert, heran, fasste ihn an das Revers der Jacke und schlug ihn zwei- bis dreimal mit der Faust in das Gesicht. Dabei äußerte [Name 1]: »Euch müsste man totschlagen!«
Nach diesen Tätlichkeiten gegen Genossen Tauchert begaben sich [Name 1] und [Name 2] mit der Straßenbahn auf den Heimweg zur Unterkunft in die Leipziger Straße. Nach dem Verlassen der Straßenbahn begegneten ihnen in der Eilenburger Straße drei unbekannte männliche Personen. Es waren die Mitarbeiter der SED-Bezirksleitung Cottbus [Name 4], [Name 5] und [Name 6]. Während [Name 2] die Personengruppe umging, lief [Name 1] stur durch sie hindurch und stieß dabei einen Genossen an. Daraufhin angesprochen drehte sich [Name 1] noch einmal um und schlug eine der Personen zwei- bis dreimal in das Gesicht. Wer von den drei Mitarbeitern der SED-Bezirksleitung von [Name 1] geschlagen wurde, konnte nicht eindeutig festgestellt werden, da diese ebenfalls unter Alkoholeinfluss standen. Nachdem [Name 1] zugeschlagen hatte, bemerkte er bei der angegriffenen Person ein Abzeichen, das er aber nicht erkannt haben will. Er gab der Person noch einen kräftigen Stoß, sodass sie gegen eine Haustür flog, wobei eine Scheibe zersplitterte. Zu diesem Zwischenfall kamen die bereits genannten FDJ-Funktionäre hinzu, die den Tätern mit der nächsten Straßenbahn gefolgt waren. Als die Täter flüchten wollten, wurde der [Name 1] von dem Genossen Tauchert gewaltsam gestellt. Dabei machte [Name 1] erneut hetzerische Bemerkungen. Gegen zwei ebenfalls zu Hilfe gekommene Angehörige der NVA machte [Name 1] gleichfalls hetzerische Bemerkungen. [Name 2] konnte zunächst noch flüchten. Seine Verhaftung erfolgte am 21.5.1965.
Als Motiv für das provokatorische Verhalten und die tätlichen Angriffe gibt [Name 1] an, in den politischen Diskussionen mit den ihm bekannten FDJ-Funktionären Tauchert, Lehmann und [Name 3] stets unterlegen gewesen zu sein. Da er der sachlichen Art und Weise der Argumentation nichts Gleichwertiges entgegenhalten konnte, sei er über seine »Unterlegenheit« stets aufgebracht und verärgert gewesen. Obwohl er innerlich die Richtigkeit der Argumente anerkannt habe, war sein Bemühen in den Diskussionen mit den Funktionären darauf gerichtet, seinerseits den eigenen Standpunkt auch einmal durchzusetzen, was ihm jedoch nie gelang.
Während [Name 1] in den bisherigen Untersuchungen den o. g. Hergang vollauf bestätigte, bestreitet [Name 2] seine aktive Beteiligung an den Tätlichkeiten mit den FDJ-Funktionären und den Mitarbeitern der SED-Bezirksleitung. Er will nach den bisherigen Aussagen von den provokatorischen Absichten des [Name 1] nicht unterrichtet gewesen sein und auch die Funktionäre nicht gekannt haben.
Über den inhaftierten [Name 1] ist bekannt, dass er in den Jahren 1959 bis 1964 Mitglied der FDJ war, während seiner Schulzeit in der 9. und 10. Klasse die Funktion eines FDJ-Sekretärs und des Org.-Leiters ausübte und während seiner Lehrzeit Mitglied der FDJ-Stadtleitung in Schönberg war. 1964 trat er mit der Begründung, in Schönberg würde keine FDJ-Arbeit geleistet werden, aus der FDJ aus. Im Frühjahr 1965 wurde er Kandidat des Clubrates des Clubhauses der Jugend in Cottbus. Aufgrund seines wiederholt provozierenden und unmoralischen Verhaltens wurde er jedoch nach kurzer Zeit wieder aus dem Clubrat ausgeschlossen.
[Name 2] leistete bis zu seiner Inhaftierung eine aktive gesellschaftliche Arbeit im Kraftwerk Vetschau. Er übte mehrere Funktionen in der FDJ aus.
Weitere Untersuchungen insbesondere über die Motive der Jugendlichen werden noch geführt.