Verhinderter Grenzdurchbruch eines Soldaten während des Manövers
16. Oktober 1965
Einzelinformation Nr. 900/65 über den verhinderten Grenzdurchbruch eines Angehörigen der NVA
Am 15.10.1965 wurde der Soldat [Name 1, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1945, Angehöriger der NVA seit 3.11.1964, Mitglied der CDU, wegen versuchter Fahnenflucht nach Westdeutschland festgenommen.
Aus den bisherigen Untersuchungen ergibt sich folgender Sachverhalt: [Name 1] gehörte dem MSR 23, 4. MSD an. Diese Einheit befindet sich im Konzentrierungsraum Tabarz. [Name 1] hatte sich am 14.10., gegen 16.30 Uhr, etwa für eine Stunde vom Standort seiner Einheit entfernt und eine Konsumverkaufsstelle sowie eine Gaststätte aufgesucht. Um 20.30 Uhr wurde er zum Wachdienst an abgestellten Fahrzeugen eingesetzt und übernahm bei Antritt seiner Wache vom vorherigen Posten eine MPi mit leerem Magazin. Eine weitere von ihm entwendete Magazintasche enthielt nur drei leere Magazine. (Unabhängig vom Vorkommnis mit [Name 1] wird die Frage der Bewaffnung bei Wachantritt untersucht.)
Gegen 21.30 Uhr kontrollierten der Zugführer und Uffz. [Name 2] die Posten. [Name 1] wurde in seinem Postenbereich nicht angetroffen. Auf dem Rückweg zum Wachzelt wurde [Name 1] von Uffz. [Name 2] auf einer Bank schlafend und unter Alkoholeinfluss stehend aufgefunden. Der Aufforderung, zum Wachzelt mitzukommen, widersetzte sich [Name 1], worauf Uffz. [Name 2] Verstärkung holte und aufgrund weiteren Widerstandes von [Name 1] gezwungen war, ihn unter Anwendung von Gewalt in das Wachzelt zu bringen. [Name 1] täuschte dort eine Ohnmacht vor. Während er im Zelt lag, entschloss sich [Name 1], fahnenflüchtig zu werden. Nachdem die im Zelt ruhenden Soldaten wieder eingeschlafen waren, entfernte er sich, um diese Absicht zu verwirklichen. Nach seinen eigenen Angaben seien ihm zu diesem Zeitpunkt die Bedingungen für eine unbemerkte Entfernung von seiner Einheit besonders günstig erschienen. Unter Mitnahme einer MPi und vier leerer Magazine lief [Name 1] über Felder in Richtung Tabarz. Vor Erreichen dieses Ortes entwendet er aus einem Garten eine auf einer Wäscheleine hängende Zivilhose, in der Absicht, sich noch weitere Zivilkleidung zu beschaffen und dadurch günstigere Möglichkeiten für den Grenzdurchbruch zu erhalten. Er hatte die Absicht, im Grenzgebiet mithilfe der mitgeführten MPi einen Grenzposten zu entwaffnen und mit dieser entwendeten Waffe die Staatsgrenze zu durchbrechen. Außerdem hatte er in Erwägung gezogen, von Eisenach aus – in einem Güterzug versteckt – über die Staatsgrenze zu gelangen. In Tabarz bemerkte [Name 1] einen abgestellten Omnibus, an dessen Zündschloss der Zündschlüssel steckte. Obwohl er nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis ist, setzte er das Fahrzeug in Bewegung und wollte damit die Staatsgrenze durchbrechen. An diesem Vorhaben wurde [Name 1] durch den Kraftfahrer und durch den Inhaber des Busses gehindert, die hinzukamen und auf den fahrenden Bus aufsprangen. Der Busfahrer bemächtigte sich der MPi und brachte den Bus zum Stehen. Mithilfe eines zu diesem Zeitpunkt hinzugekommenen VP-Helfers wurde [Name 1] anschließend den Sicherheitsorganen übergeben.
Zur Person des [Name 1] wurde bisher Folgendes bekannt: [Name 1] war vor seiner Einberufung bei der Reichsbahn (Bahnhof Sangerhausen) beschäftigt, wo er verschiedene Arbeiten verrichtete. Zuletzt war er als Rangierer eingesetzt. Nach seinen eigenen Angaben habe er seit Oktober 1964 die Absicht verfolgt, illegal die DDR zu verlassen. Als Gründe führte er an, dass sich seine beruflichen Wünsche nicht erfüllt hätten, er im Betrieb zu Unrecht einer Fundunterschlagung beschuldigt worden sei und er sich außerdem seiner Einberufung zur NVA entziehen wollte. [Name 1] gab weiter an, aufgrund seiner religiösen Erziehung dem Dienst in der NVA ablehnend gegenübergestanden zu haben.
Weitere Untersuchungen werden geführt.
Anhang für Genossen Armeegeneral Hoffmann
Die Frage des Wachantritts ohne Munition konnte – unabhängig vom Vorkommnis mit [Name 1] – bis jetzt nicht restlos geklärt werden. Es konnte bis jetzt lediglich festgestellt werden, dass der Posten das gefüllte Magazin nicht mit übergeben hat. [Name 1] selbst versuchte, sich aus dem Waffenzelt eine Magazintasche mit gefüllten Magazinen zu beschaffen, fasste aber nach einer Tasche mit leeren Magazinen. [Name 1] trat die Wache ohne vorherige Vergatterung an. Es ist anzunehmen, dass ein Befehl des Divisionskommandeurs, der die näheren Festlegung zur Regelung des Wachdienstes enthält, nicht korrekt durchgeführt wurde.