Verhinderter Grenzdurchbruch in Berlin, Heinrich-Heine-Straße
27. Dezember 1965
Einzelinformation Nr. 1151/65 über die Verhinderung eines gewaltsamen Grenzdurchbruches an der Grenzübergangsstelle Heinrich-Heine-Straße
An der GÜST Heinrich-Heine-Straße wurde am 26.12.1965, gegen 0.55 Uhr, von den dort eingesetzten Grenzkontroll- und Sicherungskräften ein von zwei westdeutschen Bürgern unternommener Versuch, mit einem Pkw gewaltsam die Grenze zu durchbrechen und zwei DDR-Bürgerinnen illegal auszuschleusen, verhindert.1
Bei den beiden Westdeutschen handelt es sich um Schöneberger, Heinz, geb. [Tag, Monat] 1938, wohnhaft Dortmund, [Straße Nr.], zuletzt Bauarbeiter, und Schöneberger, Horst, geb. [Tag, Monat] 1941, gleiche Wohnanschrift, zuletzt Bauhilfsarbeiter.
Bei den beiden DDR-Bürgerinnen handelt es sich um [Name 1, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1948, wohnhaft Berlin N 113, [Straße Nr.], zuletzt Stationshilfe im St. Elisabeth-Stift, und [Name 2, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1944, wohnhaft Berlin N 113, [Straße Nr.].
Während sich Heinz Schöneberger der Festnahme entziehen konnte, wurden die anderen drei Personen festgenommen.
Nach den bisherigen Untersuchungen war Heinz Schöneberger der Anführer bei dem versuchten Grenzdurchbruch.
Er war im Juni 1961 aus Westdeutschland in die DDR verzogen, verließ im Juli 1961 die DDR wieder illegal und übersiedelte acht Wochen später erneut in die DDR. [Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben.]
In der DDR wohnte er zuletzt in Stollberg. Er war auf Beschluss der Sicherheitskommission des Kreises Stollberg am 1.8.1964 nach Verbüßung seiner Strafhaft nach Westdeutschland ausgewiesen worden. Sämtliche angewandten Erziehungsmaßnahmen blieben bei ihm erfolglos. Er [Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben.] stellte einen Unsicherheitsfaktor dar.
Der Beschäftigte Schöneberger, Horst ist [Passage mit schutzwürdigenden Informationen nicht wiedergegeben] nicht zur Bundeswehr einberufen wurde. [Passage mit schutzwürdigenden Informationen nicht wiedergegeben].
Schöneberger, Heinz und Schöneberger, Horst waren am 25.12.1965, gegen 9.00 Uhr, mit dem Pkw »Taunus 17 M« – polizeiliches Kennzeichen GAN [Zulassungsnr.] – mit Tagesaufenthaltsgenehmigung in die Hauptstadt der DDR eingereist.
Gegen 23.00 Uhr verstecken sie im Stadtgebiet von Berlin-Pankow die auszuschleusenden DDR-Bürgerinnen [Name 1] und [Name 2] unter dem Vordersitz und hinter der Lehne des Rücksitzes. Danach fuhren sie zur GÜST Heinrich-Heine-Straße, wobei Schöneberger, Heinz das Fahrzeug steuerte.
Bei der Zollkontrolle auf der GÜST wurde die Schleusungsabsicht erkannt. Durch den entsprechenden Zollkontrolleur wurde daraufhin, ohne die in dieser Hinsicht bereits getroffene Feststellung gegenüber den Kontrollierten erkennen zu lassen, der Schöneberger, Heinz aufgefordert, nach rechts auszuscheren und zur Kontrollstelle zu fahren, wo eine Intensivkontrolle und die Festnahme erfolgen sollte. Schöneberger täuschte auch ein Anfahren dieser Kontrollstelle vor, änderte jedoch nach wenigen Metern die Fahrtrichtung und fuhr mit zunehmender Geschwindigkeit in Richtung Westberlin. Der Versuch des Leiters der Passkontrolleinheit, die Tür des Pkw aufzureißen und den Fahrer an der Weiterfahrt zu hindern, misslang, da die Tür von innen verriegelt war. Er wurde zu Boden geworfen und einige Meter mitgeschleift.
Einer der Grenzsicherungsposten hatte diesen Vorfall beobachtet und sofort Alarm ausgelöst. Das flüchtende Fahrzeug erhöhte die Geschwindigkeit und streifte ein zur Abfertigung stehendes anderes Fahrzeug. Beim Überfahren der Leitlinie (zum Zeitpunkt der Alarmauslösung) wurde von einem Angehörigen der Grenzkontrollkräfte ein Warnschuss aus der Pistole abgegeben. Der flüchtende Pkw fuhr mit etwa 40–45 km/h Geschwindigkeit gegen den Schlagbaum, der aufgrund der Alarmauslösung geschlossen war. Der Schlagbaum wurde stark beschädigt, hielt jedoch das Fahrzeug auf. Ein Angehöriger der Grenzsicherungskräfte (Turmposten) hatte gezielt auf den Pkw geschossen (7 Schüsse). Nachdem das Fahrzeug gegen den Schlagbaum gefahren war, sprang der Fahrer heraus und flüchtete durch die Durchfahrt der Panzermauer in Richtung Westberlin. Ein weiterer Grenzsicherungsposten hatte auf den Flüchtenden drei Zielschüsse abgegeben. Wie beobachtet wurde, kam der Fahrer bis zum Postenhaus des Westberliner Zolls und brach dort zusammen. Nach westlichen Meldungen ist er während des Transports in ein Krankenhaus aufgrund der erlittenen Schussverletzungen verstorben.
Der Beifahrer wurde am Ort der Zollkontrolle festgenommen und die beiden DDR-Bürgerinnen aus dem vorn zertrümmerten Pkw herausgeholt.
Auf Westberliner Seite waren die dort eingesetzten Polizisten nach Abgabe der Schüsse sofort in Deckung gegangen. Wenige Minuten später fuhren ca. 15 Westberliner Polizisten (ein Schnellkommando und die Besatzungen von zwei Funkstreifenwagen) bis zum weißen Strich vor und stellten sich dort mit MPi und Schnellfeuergewehren bewaffnet – mit Front zur GÜST auf. Außerdem trafen zwei amerikanische Fahrzeuge ein. Zwei US-Soldaten informierten sich bei einem Westberliner Polizeioffizier über das Vorkommnis. Zur gleichen Zeit hatten sich etwa 30 bis 40 Zivilpersonen angesammelt, provozierend durcheinander geschrien und mit Steinen geworfen. Von den Reisenden bzw. von den DDR-Kräften wurde niemand verletzt.
Kurze Zeit darauf fuhren weitere Fahrzeuge der Westberliner Polizei vor. Mehrere Polizeiangehörige ließen sich von einem Offizier die Lage erklären und Einschüsse am Haus Sebastian/Ecke Prinzenstraße sowie den Fluchtweg und die Blutspuren des geflüchteten Fahrers zeigen. Die provozierenden Zivilpersonen wurden von Polizisten zurückgedrängt. Von Westberliner Seite aus wurde außerdem in Richtung GÜST sowie in Westberlin selbst fotografiert (Geschosseinschläge, Schleuserfahrzeug, Sicherungsturm usw.).
Nach dem Abzug des Schleuserfahrzeuges mittels eines Lkw der NVA wurde der Verkehr wieder freigegeben und die restlichen etwa zehn Pkw konnten ausfahren. Die Insassen der aus der DDR ausfahrenden Fahrzeuge wurden auf Westberliner Seite befragt.
Nach dem Ergebnis der bisherigen Vernehmungen reisten die Brüder Schöneberger in der letzten Zeit mehrmals in die Hauptstadt der DDR ein, wobei sie die beiden DDR-Bürgerinnen kennenlernten und ihnen die Ehe versprachen. Die beiden Brüder hatten in Westberlin Tiefbauarbeiten ausgeführt.
Im Verlaufe von drei Zusammenkünften im November 1965, die teilweise in der Wohnung der Schwester von [Vorname Name 2] ([Vorname Name 3], Berlin N 113, [Straße Nr.] – ihr Ehemann gehört der Deutschen Volkspolizei an; Untersuchungen sind eingeleitet) stattfanden, forderten die Brüder Schöneberger die DDR-Bürgerinnen [Name 2] und [Name 1] auf, mit nach Westdeutschland zu kommen. Aufgrund der Heiratsversprechen erklärten sich die beiden DDR-Bürgerinnen damit einverstanden. Zum Zwecke der illegalen Ausschleusung hatten die Brüder Schöneberger geplant, gefälschte westdeutsche Personaldokumente zu beschaffen oder zu versuchen, zwei westdeutsche Bürgerinnen mit in die Hauptstadt der DDR zu bringen, ihnen die Personalpapiere zu entwenden und mit diesen gestohlenen Personalpapieren die Ausschleusung zu Weihnachten dieses Jahres durchzuführen.
Ende November d. J. kehrten die Brüder Schöneberger von Westberlin nach Westdeutschland zurück. Entsprechend ihrer Aufforderung schickten ihnen die beiden DDR-Bürgerinnen (ebenfalls Ende November) Passbilder für die geplante Beschaffung gefälschter Personalpapiere zu.
Vereinbarungsgemäß reisten die Brüder Schöneberger am 24.12.1965 mit ihrem Pkw wieder in die Hauptstadt der DDR ein und trafen mit den beiden DDR-Bürgerinnen zusammen. Dabei teilten sie ohne Angabe der Ursachen mit, dass weder die Beschaffung gefälschter Personalpapiere noch das Mitbringen von zwei westdeutschen Bürgerinnen möglich gewesen wäre. Daraufhin wurde die illegale Ausschleusung – im Pkw versteckt – für den 25.12.1965 vereinbart.
Für den Fall, dass die Schleusungsaktion bei der Kontrolle entdeckt wird, hatten sie vereinbart, ohne Rücksicht auf die Kontrollposten und auf die im Kontrollbereich weilenden westdeutschen Passanten mit höchster Geschwindigkeit nach Westberlin durchzubrechen. Ursprünglich sollte die 18 Monate alte Tochter der [Vorname Name 2] ebenfalls mit ausgeschleust werden. Ein ihr eingegebenes Schlafmittel verfehlte jedoch seine Wirkung, sodass das Kind bei der Schwester der [Name 2] ([Vorname Name 3]) untergebracht wurde. Die Schleusung des Kindes sollte deshalb im Verlaufe des 26.12. erfolgen. (Gegen [Vorname Name 3] wurde ein EV wegen Beihilfe zum illegalen Verlassen der DDR eingeleitet, dass bis zur Klärung aller Umstände mit Haft geführt wird.)
Aufgrund der bereits geschilderten Umstände der Vorbereitung und der versuchten Durchführung der Ausschleusung der DDR-Bürgerinnen werden die weiteren Untersuchungen besonders dahingehend geführt, eventuell vorhandene direkte Verbindungen zu Schleuser- und anderen Untergrundorganisationen aufzuklären. In Übereinstimmung mit dem Generalstaatsanwalt ist beabsichtigt, die Untersuchungen schnellstens zum Abschluss zu bringen und den Prozess bereits am 30.12.1965 durchzuführen. Weiterhin wurden sofort die entsprechenden Maßnahmen zur Auswertung dieses Vorkommnisses an den anderen GÜST im Interesse der weiteren Erhöhung der Sicherheit und der Vervollkommnung des Zusammenwirkens zwischen den Passkontroll- und den Zollkontrollkräften auf den GÜST eingeleitet.