Versuch unberechtigter Benutzung eines Motorflugzeug in Neustadt/Glewe
16. Oktober 1965
Einzelinformation Nr. 912/65 über den Versuch der unberechtigten Benutzung eines Motorflugzeuges des GST-Flugstützpunktes in Neustadt/Glewe, [Bezirk] Schwerin, durch einen Jugendlichen am 12. Oktober 1965
Am 12.10.1965 versuchte der [Name 1, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1948 in Ludwigslust, Elektrolehrling bei der PGH Elektro, Neustadt/Glewe, wohnhaft in Neustadt/Glewe, [Straße Nr.], ein Motorflugzeug des GST-Flugstützpunktes Neustadt/Glewe vom Typ »Trener«1 zu starten, ohne eine Berechtigung hierfür zu besitzen. Bei diesem Startversuch prallte das Flugzeug gegen die Mauer einer Segelflughalle und wurde schwer beschädigt. Es entstand ein Sachschaden von ca. 60 TMDN (Neuwert der Maschine 76 TMDN).
[Name 1], der bei dem Aufprall der Maschine leicht verletzt wurde, begab sich anschließend sofort in die elterliche Wohnung, wo er am Nachmittag des gleichen Tages vorläufig festgenommen wurde.
Die bisherigen Untersuchungen ergaben Folgendes:
[Name 1], der seit 1½ Jahren aktives Mitglied des GST-Flugstützpunktes in Neustadt/Glewe ist, war am 11. und 12. Oktober 1965 einem von der Berufsschule geplanten Ernteeinsatz ferngeblieben, um den Flugzeugmechanikern des Flugstützpunktes bei Reparaturen an einem Motorflugzeug behilflich zu sein. (Er hatte schon wiederholt an leichteren Reparaturen teilgenommen.)
Am 12.10., gegen 11.00 Uhr, landete der Oberinstrukteur für Motorflug, [Name 2], mit der von der Überholung zurückgekommenen Maschine DM–BCC 226 vom Typ Zlín »Trenér« nach einem ordnungsgemäß angemeldeten Werkstattflug und stellte diese auf dem Abstellplatz gegenüber einer massiven Segelflugzeughalle ab. Die vorgeschriebene Übergabe an die Mechaniker erfolgte nicht und [Name 2] verließ den Abstellplatz, ohne die Maschine durch Vorlegen von Bremsklötzern abgesichert zu haben.
Mit allen Mechanikern und Piloten begab sich [Name 2] anschließend zum Mittagessen nach Neustadt/Glewe, obwohl er für den 12.10.1965 als Pilot und gleichzeitiger Flugleiter fungierte. Bei der zu dieser Zeit voll einsatzbereiten, flugfähigen Maschine verblieben lediglich ein Sicherungsposten des VP-Betriebsschutzes sowie der bereits genannte [Name 1]. Da sich auch der Sicherungsposten noch zeitweilig entfernte (er suchte ca. 100 m von den Flugzeugen entfernt ein anderes Gebäude des Flugplatzes auf), nutzte [Name 1], der flugunkundig ist, die Gelegenheit aus und bestieg das Motorflugzeug. Nach dem Anlassen brachte er das Flugzeug durch Betätigen des Gashebels und der Zündung ins Rollen. Ein Versuch, die Maschine wieder zu stoppen, misslang, da [Name 1] anstatt der Radbremsen das linke Seitensteuer bediente. Das Flugzeug prallte daraufhin frontal gegen die Flughallenwand und wurde schwer beschädigt.
Der bereits erwähnte Sicherungsposten beachtete das Aufheulen des Motors nicht; er stellte lediglich fest, dass [Name 1] nicht mehr anwesend war. Der von [Name 1] am Flugzeug verursachte Schaden wurde erst gegen 13.30 Uhr nach der Rückkehr des [Name 2] und der Mechaniker bemerkt.
[Name 1] entstammt einer Angestelltenfamilie. Der Vater ist Buchhalter und ehrenamtlicher Parteisekretär in der PGH »Elektro« in Neustadt/Glewe. Die Familienverhältnisse sind nicht geordnet, da der Vater zeitweilig dem Alkohol zuneigt. Trotz dieses Umstandes steht [Name 1] in einem positiven Verhältnis zum Elternhaus. Die beruflichen Leistungen [Name 1] sind durchschnittlich. Seit dem Abschluss der 10-klassigen Oberschule zeigt er besonderes Interesse für Segelflug und Fallschirmsport. Er steht kurz vor Abschluss der C-Prüfung und absolvierte bisher sieben Fallschirmabsprünge. [Name 1] ist in negativer Hinsicht noch nicht angefallen. Er gilt allgemein als Einzelgänger.
Als Motiv seiner Handlung gab [Name 1] an, dass er seit längerer Zeit nach der Möglichkeit sucht, einmal selbst ein Motorflugzeug anzulassen und zu bedienen, ohne die Absicht zu haben, selbstständig zu fliegen. Durch laufend stattfindende Probeläufe in seinem Beisein habe sich sein Interesse noch mehr gesteigert. Er war sich jedoch durch die Kenntnis der entsprechenden Bestimmungen darüber im Klaren, dass er von den Verantwortlichen keine offizielle Erlaubnis zum Starten eines Flugzeuges erhalten würde. Die Angaben des [Name 1] erscheinen glaubhaft, weil aus seinem Verhalten der letzten Tage sowie am Vormittag des 12.10.1965 keine Vorbereitungshandlungen für seine Tat zu erkennen waren. Hinzu kommt, dass [Name 1] zwar über theoretische und praktische Kenntnisse im Segelfliegen verfügt, ausbildungsmäßig aber nicht die Qualifikation zur Bedienung eines Motorflugzeuges besitzt.
Die anfängliche Annahme, dass der Handlung des [Name 1] eine beabsichtigte Republikflucht zugrunde liegen könnte, hat sich im Verlaufe der Untersuchung nicht bestätigt. Diese Feststellung wird auch dadurch erhärtet, dass [Name 1] vor dem Anlassen des Flugzeuges die Möglichkeit ausließ, die ungünstige Startposition der Maschine zu verändern. Auch der in der Maschine vorhandene Fallschirm sowie die am Führersitz befindlichen Sicherungsgurte wurden von ihm nicht benutzt. Hinzu kommt, dass [Name 1] bei seinen ständigen Segelflügen günstigere Möglichkeiten für die Verwirklichung einer Republikflucht gehabt hätte.
Aufgrund seiner Handlung wurde am 14.10.1965 durch den Kreisstaatsanwalt in Ludwigslust, [Bezirk] Schwerin, gegen [Name 1] ein Ermittlungsverfahren ohne Haft wegen Vergehen gegen das Gesetz über die zivile Luftfahrt vom 31.7.1963 in Tateinheit mit fahrlässiger Transportgefährdung eingeleitet.
Dieses erneute Vorkommnis auf einem Flugzeugstützpunkt der GST wurde durch folgende Bedingungen begünstigt:
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Die für den zivilen Flugverkehr erlassenen Gesetze, Verordnungen und Bestimmungen liegen im Flugstützpunkt vor und sind – wie aus den Protokollen über regelmäßig stattfindende Belehrungen hervorgeht – dem Stammpersonal (12 hauptamtliche Kräfte für 4 Maschinen) bekannt. In der praktischen Durchsetzung und Einhaltung derselben sowie im Betriebsablauf des Flugstützpunktes gibt es jedoch wesentliche Mängel, die die Sicherheit des Stützpunktes soweit mindern, dass – wie das vorliegende Vorkommnis beweist – die Maschinen vor mutwilliger Beschädigung und Missbrauch nicht entsprechend geschützt sind. So wurde u. a. festgestellt, dass zeitweilig abgestellte Flugzeuge nicht in jedem Fall, wie die Vorschrift besagt, durch Bremsklötze gesichert werden. (Die Unterlassung durch den verantwortlichen Flugleiter am 12.10.1965 ist kein Einzelfall.)
Die Übergabe der Flugzeuge nach dem Flug durch die Piloten an die Mechaniker erfolgt in der Regel nicht vorschriftsmäßig durch entsprechende Quittierung.
Z. B. müssen lt. Vorschrift alle Flugzeuge bei Abwesenheit der Piloten und Mechaniker durch Ausbau der Batterie und Verplombung gesichert werden. Entgegen dieser Bestimmung werden Motorflugzeuge in der Mittagszeit meist in betriebsfähigem Zustand abgestellt und der alleinigen Sicherung eines VP-Postens überlassen.
Am 12.10.1965 wurde durch den Flugleiter [Name 2], obwohl er den Flugstützpunkt verließ, der Flugbetrieb nach erfolgtem Flug bei der zentralen Flugüberwachung nicht abgemeldet. Die Sicherung des GST-Flugstützpunktes Neustadt/Glewe, der nach 1965 zum Ausbildungszentrum im Motorflug für die drei nördlichen Bezirke Rostock, Schwerin, Neubrandenburg ausgebaut werden soll (Erhöhung des Flugzeugbestandes von 4 auf 12 Maschinen), durch einen VP-Posten während der Nacht, erscheint ungenügend.
Die durch die Abt. Betriebsschutz der BDVP Schwerin an den Bezirksvorstand der GST gestellten Forderungen nach Errichtung einer Umzäunung des Standortes der Motorflugzeuge sowie Schaffung einer ausreichenden Beleuchtung und Einrichtung einer direkten Telefonverbindung zum VPKA Ludwigslust wurden nicht realisiert.
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Der Motorstützpunkt Neustadt/Glewe wurde seit seiner Gründung im Mai dieses Jahres durch den Zentralvorstand der GST – Sektion Motorflug – noch nicht kontrolliert.
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Lt. Weisung des Zentralvorstandes der GST vom Mai 1965 sollte bis zum 1. August 1965 eine neue Flugplatzordnung auf der Grundlage zentraler Instruktionen erarbeitet werden. Dieser Termin wurde bisher nicht erfüllt, sodass nach wie vor nur eine »vorläufige Flugplatzordnung« in Kraft ist. (Verantwortlich hierfür ist der Vorsitzende des Bezirksvorstandes der GST Schwerin, Genosse [Name 3]).
Dadurch war es auch möglich, dass beispielsweise [Name 1] seit etwa einem halben Jahr von den Flugzeugmechanikern unberechtigt für Hilfeleistungen und zu kleineren Reparaturen herangezogen wird, obwohl hierzu ein Qualifikationsnachweis vorhanden sein muss.
Trotz wiederholter Hinweise des MfS an die Organe der GST anlässlich der ernsthaften Vorfälle auf GST-Flugstützpunkten beweist dieses Vorkommnis, dass die Bestimmungen der inneren Ordnung und Sicherheit noch immer nicht restlos eingehalten werden. Es wird deshalb vorgeschlagen, die Durchsetzung der entsprechenden Vorschriften und Weisungen hinsichtlich der inneren Ordnung und Sicherheit auf GST-Flugstützpunkten gründlicher als bisher zu kontrollieren und darin eventuell noch bestehende Lücken durch die Ausarbeitung bzw. Ergänzung der entsprechenden Anweisungen zu schließen.