Vorkommnisse im Zusammenhang mit Bundestagssitzung in Westberlin (1)
7. April 1965
Einzelinformation Nr. 320/65 über Vorkommnisse im Zusammenhang mit der provokatorischen Bundestagssitzung in Westberlin
Versuche von westdeutschen Bundestagsabgeordneten oder Mitarbeitern des Bundestages, auf dem Landwege nach Westberlin zu gelangen bzw. in die Hauptstadt der DDR einzureisen, gab es am 6.4.1965 nicht.
An der Grenzübergangsstelle Marienborn (Autobahn) wurde am 6.4.1965, gegen 20.45 Uhr, der westdeutsche Journalist des »Kölner Stadtanzeigers«1 von der Wenge, Graf Lambsdorff2 zurückgewiesen. Er sollte im Auftrage seines Zeitungsverlages über die Bundestagssitzung aus Westberlin berichten. Die Zurückweisung nahm er ohne Bemerkungen entgegen.
Die über die Eisenbahn-Grenzübergangsstelle Probstzella am 6.4.1965 mit dem D 129 nach Westdeutschland ausreisende offizielle FDJ-Delegation (Kurt Zahn3 und Hans-Dieter Fritschler4) wurde auf der westlichen Grenzstation Ludwigstadt unter Gewaltandrohung aus dem Zug geholt und nach Vernehmung durch die bayerische Grenzpolizei in die DDR zurückgewiesen. Angehörige der bayerischen Grenzpolizei äußerten, dies geschehe auf höhere Weisung und stehe offensichtlich mit der Einreiseverweigerung für Bundestagsabgeordnete im Zusammenhang.
Die Abwicklung des Reiseverkehrs verlief an den Grenzübergangsstellen Juchhöh, Wartha, Gerstungen und an den Berliner Grenzübergangsstellen – mit Ausnahme der Stauungen durch die Sperrzeit – normal. An der Grenzübergangsstelle Marienborn Richtung Westberlin kam es aufgrund der verstärkten Kontrolle des Verkehrs und der zeitweiligen Sperrung zu Standzeiten zwischen 12 und 20 Stunden. Von der westdeutschen Polizei wurden besonders Verpflegungsfahrzeuge aus dem allgemeinen Reisestrom herausgezogen und bevorzugt abgefertigt. Dadurch verringerte sich die Standzeit für Lkw auf 4 Stunden. Im westlichen Vorfeld befand sich in den frühen Morgenstunden des 7.4.19655 bereits wieder ein Fahrzeugstau von mehreren Kilometern Länge. Die Abfertigung in Richtung Westdeutschland verlief normal. An der Grenzübergangsstelle Horst beliefen sich die höchsten Standzeiten auf 24 Stunden für Lkw und 10 Stunden für Pkw, während die Abfertigung in Richtung Westdeutschland auch hier normal verlief.
Provokationen im Zusammenhang mit den Stauungen beim Grenzübergang gab es nicht. Auf westlicher Seite der Grenzübergangsstellen Marienborn und Drewitz wurden in den späten Abendstunden des 6.4. Fernsehaufnahmen gemacht.
An der Grenzübergangsstelle Wartha weigerte sich ein westdeutscher Lkw-Fahrer, seine Fracht abzuladen bzw. einen Kontrollgang zur ordnungsgemäßen Überprüfung der Ladung zu schaffen. Er wurde nicht abgefertigt.
Durch Sperrungen auf den Wasserstraßen (besonders im Bezirk Magdeburg) kam es mit Stand vom 6.4. mittags zu Stauungen von insgesamt 156 Schiffen, davon 78 der Deutschen Binnenreederei, 46 aus Westdeutschland, 31 aus der ČSSR und ein Schiff aus der VR Polen.
In den letzten beiden Tagen wurde eine Reihe von Westberlin ausgehender provokatorischer Handlungen verübt. Neben verschiedenartigen Versuchen von Westberliner Polizisten und Zöllnern, durch provokatorische auf die Maßnahmen der Regierung der DDR bezugnehmende Äußerungen, die Grenzsicherungskräfte der DDR zu beeinflussen und Kontakt herzustellen, wurde von unbekannten Tätern ein Postenpaar mit Steinen beworfen. An der Staatsgrenze nach Westberlin wurden im Bereich der Eberswalder Straße von unbekannten Personen ca. 50 Hetzflugblätter älterer Art (»Peter Fechter«)6 über die Grenzsicherungsanlagen auf das Gebiet der Hauptstadt der DDR geworfen. In zwei Fällen wurde auf S-Bahnzüge geschossen.
Zwei Kraftfahrzeuge mit Mitarbeitern des Deutschen Reisebüros, die ständig dienstliche Fahrten nach Westberlin durchführen, wurden auf westlicher Seite der Grenzübergangsstelle Invalidenstraße in provokatorischer Form (u. a. mit Bemerkungen von Westberliner Zöllnern wie »wir werden Euch zeigen, dass wir auch stärker kontrollieren können!«) einer längeren Kontrolle unterzogen. Die Kontrolle erstreckte sich auf sämtliche Personal- und Fahrzeugpapiere und auf alle Behältnisse am Kfz. Nach ihrer Weiterfahrt ins Westberliner Stadtgebiet wurde von Westberliner Fahrzeugen durch »Schneiden« versucht, sie an der Weiterfahrt zu hindern und in einen Unfall zu verwickeln.
Ebenfalls wieder provokatorisch verhielten sich MVM-Angehörige. Der amerikanische MVM-Angehörige Oberstltn. [Name 1] und Spezialist [Name 2] durchfuhren am 6.4.1965, gegen 16.30 Uhr, mit dem Pkw Nr. 20 auf dem Berliner Ring zwei Sperrketten der VP mit ca. 160–170 km/h. Später durchfuhren sie eine weitere Sperrkette der VP in der Ortschaft Michendorf. Im Stadtgebiet Potsdam fuhren sie unter Missachtung der Stoppzeichen der Verkehrspolizei in zwei Fällen bei Rot über Kreuzungen und gefährdeten einen Radfahrer.