Zusammenprall zweier S-Bahnzüge in Westberlin
10. April 1965
Einzelinformation Nr. 340/65 über den Zusammenprall von zwei S-Bahnzügen zwischen den Bahnhöfen Wollankstraße und Gesundbrunnen
Am 9.4.1965, gegen 21.45 Uhr, fuhr in Westberlin zwischen den S-Bahnhöfen Wollankstraße und Gesundbrunnen der auf der Strecke Heiligensee–Lichtenrade verkehrende S-Bahnzug (Umlauf 3/6) auf den am Einfahrtssignal 28 (Bahnhof Gesundbrunnen) stehenden S-Bahnzug (Umlauf 1/4), der auf der Strecke Frohnau–Wannsee verkehrt, auf.1 Durch den Aufprall wurden an beiden S-Bahnzügen die Kupplungen beschädigt und außerdem [ist] am S-Bahnzug Umlauf 1/4 zwischen dem 4. und 5. Wagen eine Kupplung gebrochen. Im Schlusswagen des Umlaufs 1/4 waren durch den Aufprall die Bodenklappen um ca. 3 cm gehoben sowie die mittlere Führerstandscheibe beschädigt worden. Im ersten Wagen des Umlaufs 3/6 wurden die an der Führerstandtür befindlichen Bodenklappen und der Wagenboden nach oben gehoben sowie die Führerstandtür beschädigt.
Nach dem Aufprall der beiden S-Bahnzüge wurden von den Reichsbahnangestellten mit Unterstützung von Angehörigen der Bahnpolizei2 die Reisenden der beiden Züge zum Bahnhof Gesundbrunnen gebracht. Jeder der Züge war mit etwa 30 Personen besetzt.
Drei Reisende erlitten leichte Verletzungen. Es handelt sich dabei um die Westberliner Bürger [Name 1, Vorname] (55 Jahre), wohnhaft in Berlin 51, [Straße Nr.], [Name 2, Vorname] (38 Jahre), wohnhaft in Berlin 62, [Straße Nr.], und den westdeutschen Bürger [Name 3, Vorname] (70 Jahre) aus Goslar.
Während die beiden männlichen Reisenden nach Aufnahme einer Unfallanzeige ihre Fahrt auf eigenen Wunsch fortsetzten, wurde die [Name 1, Vorname] aufgrund ihres stark angeschwollenen rechten Knies durch die Westberliner Feuerwehr in ein Krankenhaus eingeliefert.
Im Ergebnis der bisherigen Untersuchungen wurde folgende Ursache ermittelt: Der S-Bahnzug Umlauf 1/4, besetzt durch den Triebwagenführer [Name 4, Vorname] und die Triebwagenschaffnerin [Name 5, Vorname], hielt aufgrund der Signalstellung SV 4 ordnungsgemäß vor dem Einfahrtssignal 28 des Bahnhofes Gesundbrunnen.
Der S-Bahnzug Umlauf 3/6 wurde von der Triebwagenführerin [Name 6, Vorname] und der Schaffnerin [Name 7, Vorname] gefahren. Die [Name 6] gibt an, dass sie nach Ausfahrt aus dem Bahnhof Bornholmer Straße das Signal SV 2 beobachtete. Dieses Signal bedeutet, dass am nächsten Signal »Halt« zu erwarten ist. Als nächstes Signal erkannte sie ein Signal SV 3, welches »Vorrücken auf Sicht« und Geschwindigkeitsbeschränkung auf 20 km/h bedeutet. Sie will deshalb auch die Geschwindigkeit entsprechend verringert haben. Als sie mit dem S-Bahnzug an das nächste Signal, das wiederum auf SV 3 stand, herankam, rief ihr die Schaffnerin zu, »da steht ein Zug!« Sie bemerkte die Schlusslichter eines sich im Streckenabschnitt befindlichen S-Bahnzuges, der zu diesem Zeitpunkt noch etwa zwei Wagenlängen entfernt war.
Daraufhin habe sie sofort die Bremsen betätigt, und als sie erkannte, dass die Bremswirkung nicht ausreicht, die Schnellbremsung eingeleitet. Infolge der ungünstigen Witterungsverhältnisse rutschte der Zug auf dem nassen Gleis weiter und der Aufprall auf den S-Bahnzug Umlauf 1/4 konnte nicht mehr verhindert werden.
Nach den bisherigen Ermittlungsergebnissen ist die Triebwagenführerin [Name 6] am Unfall schuldig. Entsprechend der Reichsbahnvorschriften hatte sie die Pflicht, bei Wahrnehmung des Signals SV 3 die Geschwindigkeit des S-Bahnzuges so herabzumindern, dass sie jederzeit in der Lage ist, bei plötzlich auftretenden Hindernissen den Zug zum Stehen zu bringen.
Die [Name 6] ist seit 1954 bei der Deutschen Reichsbahn beschäftigt und hat ihren Dienst ständig auf dem Bahngebiet in Westberlin verrichtet. Seit 1955 arbeitet sie als Triebwagenführerin und ist bisher unfallfrei gefahren. Sie ist Mitglied der SED.
Durch die Transportkriminalpolizei wurde gegen die [Name 6] wegen fahrlässiger Transportgefährdung ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Aufgrund des Unfalls war der Streckenabschnitt Wollankstraße–Gesundbrunnen in der Zeit von 21.48 Uhr bis Betriebsruhe für den S-Bahnverkehr gesperrt. Angehörige der Westberliner Schutz- und Kriminalpolizei traten bei diesem Vorkommnis nicht in Erscheinung.