3. Information über die Synode der »Evangelischen Kirche der Union«
15. Februar 1968
3. Einzelinformation Nr. 165/68 über die Synode der »Evangelischen Kirche der Union« (EKU) in der Zeit vom 9. bis 15. Februar 1968
Über den weiteren Verlauf der Teilsynode der EKU-West in Westberlin-Spandau wurde dem MfS Folgendes bekannt: (Über den 1. und 2. Beratungstag der Teilsynode West wurde in der Information Nr. 151/68 vom 13.2.1968 berichtet.)
Die Teilsynode West tagte am 12.2.1968, dem 3. Beratungstag, ausschließlich in den Ausschüssen.
Im Ausschuss »Amt und Gemeinde« wurden folgende Probleme behandelt: Verhältnis Pfarrer zur Gemeinde, Zusammenarbeit der gemeindlichen und übergemeindlichen kirchlichen Dienste, Recht der Gemeinde, über die Religionslehre zu urteilen, Verantwortung der Kirche für die Gesellschaft, besonders auch hinsichtlich besonderer Konsequenzen für die organisatorische Struktur der Gemeinde. Zum letzten Punkt wurde angeführt, die »Gossner Mission«1 habe in industriellen Schwerpunkten der DDR Versuche einer besonderen Team-Arbeit unternommen, wobei besonders Brandenburg genannt wurde.
Der »Ordinationsausschuss« unter Vorsitz von D. Lücking2/Wuppertal-Barmen befasste sich mit »Leitsätzen zum theologischen und kirchenrechtlichen Verständnis der Ordination«. Diese »Leitsätze« sind das Ergebnis von Abstimmungsgesprächen zwischen der »Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands« (VELKD) und der EKU über das Verständnis des Begriffes Ordination. Sie beschreiben die Bedingungen der Ordination, das Verhältnis von Ordination und Pfarramt, die Bedingungen für die Aufhebung der mit der Ordination erworbenen kirchlichen Rechte u. Ä.
Der »Rechtsausschuss« diskutierte den Entwurf einer »Kirchlichen Verwaltungsordnung der EKU« vom 3.1.1968. Diese Ordnung soll die rechtlichen Beziehungen innerhalb der EKU (in beiden Teilen Deutschlands) regeln. In Bezug auf die DDR wurde in der Stellungnahme des »Rechtsausschusses« u. a. erklärt:3 »Noch bis vor Kurzem schien diese Frage für den Bereich der DDR kein Problem zu sein. In der DDR gibt es bis heute keine eigentliche Verwaltungsgerichtsbarkeit; Kompetenzkonflikte zwischen staatlichen und kirchlichen Gerichten sind also ausgeschlossen. Auch auf dem Gebiet der ordentlichen Gerichtsbarkeit wird ein System der Trennung von Staat und Kirche praktiziert, sodass in kirchlichen Angelegenheiten auch die ordentlichen staatlichen Gerichte ihre Zuständigkeit grundsätzlich verneinen. Für diesen Bereich kann also der Rechtsschutzgedanke nur durch eine eigene kirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit verwirklicht werden. So jedenfalls schien es bis vor Kurzem. Inzwischen ist aber der Entwurf der neuen Verfassung der DDR veröffentlicht worden,4 der auch eine Neuordnung der Stellung der Kirche der DDR im Staat vorsieht. Da sich der Entwurf noch im Stadium der allseitigen Beratung befindet, Änderungen des Wortlautes also immerhin noch möglich sind, ist es verfrüht, jetzt schon endgültige Prognosen zu stellen. Immerhin sind die Tendenzen der Neuordnungen unverkennbar. Die Autonomie der Religionsgesellschaften ist in der geltenden Verfassung der DDR5 noch in ähnlich umfassender Weise garantiert wie im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Freilich gibt es zwischen dem Verfassungstext und der Verfassungswirklichkeit in der DDR schon seit jeher erhebliche Widersprüche. Es gibt also auch Stimmen, die meinen, im Grunde genommen würde auch bei der neuen Verfassung alles so bleiben wie bisher, der schon seit Jahren tatsächlich bestehende Zustand würde jetzt eben nur noch verfassungsrechtlich verankert; und schließlich sei nach kommunistischer Auffassung jede Verfassung einer dynamischen und dialektischen Rechtsentwicklung unterworfen, sodass der Text eines Gesetzes noch gar nichts darüber aussage, wie dieser Wortlaut denn tatsächlich praktiziert werde. Es mag in der Tat so sein, dass wir im Westbereich geneigt sind, diese Dinge von unserem Rechtsdenken und mit den hier geltenden verfassungsrechtlichen Grundsätzen zu beurteilen. Trotzdem besteht aller Anlass, der weiteren Entwicklung dort mit Sorge entgegenzusehen. Es erscheint nämlich noch nicht ganz ausgeschlossen, dass der Staat die bisher verfolgte Tendenz – Zurückdrängen der Kirche auf den rein kultischen Bereich und Gleichschaltung mit den Zielen und Ansichten des Staates – in verstärktem Maße fortsetzen wird. Zur Wahrung dieser Ordnungsautonomie wird sich die Kirche dort auch die Ergänzung ihrer eigenen Gerichtsbarkeit angelegen sein lassen müssen …«
Am 13.2.1968, dem 4. Beratungstag, befasste sich die Teilsynode West im Plenum zunächst mit der Beratung innerkirchlicher Fragen (Haushalts- und Besoldungsfragen, erste Lesung des Kirchengesetzes über die dienstrechtlichen Verhältnisse der Pastoren im Hilfsdienst der EKU).
Anschließend fand eine Diskussion über eine vom »Berichtsausschuss« erarbeitete Stellungnahme der Teilsynode zum Rechenschaftsbericht des Ratsvorsitzenden der EKU, Beckmann,6 statt. Über die 1. Fassung des Berichtes kam es im Plenum zu heftigen Auseinandersetzungen hinsichtlich der vom »Berichtsausschuss« getroffenen Einschätzung über die Studentenunruhen7 in Westdeutschland/Westberlin und zur Formulierung über das Vorhandensein »zweier deutscher Staaten«. Nachdem diese Formulierung von einer Reihe von Synodalen beanstandet worden war, verteidigte das Mitglied des Präsidiums der Synode, Rechtsanwalt Ortmann8/Dortmund, diese Formulierung mit der Begründung, die Kirche müsse endlich aufhören rückständiger zu sein als die Politiker.9 Sie müsse nach vorn sehen und endlich die Anerkennung respektieren, denn die zwei deutschen Staaten seien vorhanden.10 Die Kirche müsse sich auf zwei deutsche Staaten einrichten, denn die Alternative dazu sei der Krieg.11
Da über die 1. Fassung dieser Stellungnahme keine Einigkeit erzielt werden konnte, legte der Berichtsausschuss nach der Mittagspause eine 2. Fassung vor. Zu dieser Vorlage setzten sich die erregten Diskussionen über Formulierungen wie »politische Spaltung« fort. Rechtsanwalt Ortmann/Dortmund12 versuchte erneut,13 die ursprüngliche Fassung in das Dokument zu bekommen. Konsistorialpräsident Ranke14/Westberlin schlug vor, im Bericht statt von »politischer Spaltung« von »politischer Teilung« zu sprechen, wobei er von Prof. Kruska15/Westberlin (Kirchendienst Ost) unterstützt wurde. Kruska erklärte, er wisse, wie schwer es sei, die richtige Formulierung zu finden. Er sei dafür von »Teilung Deutschlands« zu sprechen, da die Synode verpflichtet sei, auf die offene Wunde Deutschlands hinzuweisen, Kruska empfahl später, von »schmerzlicher Teilung« zu sprechen. Daraufhin forderte Ortmann eine Abstimmung über diesen Teil der 2. Fassung. Für die ursprüngliche Fassung »zwei deutsche Staaten« stimmten 13 Synodale, u. a. Ortmann/Dortmund, Prof. Dr. Wolfgang Schweitzer16/Bethel und Präses Wilm.17 Ca. 40 Synodale stimmten dagegen. Damit wurde die Formulierung »schmerzliche Teilung …« beschlossen.
Die 2. Fassung der Stellungnahme der Teilsynode zum Rechenschaftsbericht des Ratsvorsitzenden der EKU wurde danach wie folgt beschlossen: (Dabei behielt sich der Berichtsausschuss vor, über die Studentenangelegenheiten erneut zu beraten.)
»Bericht des Berichtsausschusses
Der Berichtsausschuss hatte die Aufgabe, sich mit dem Bericht des Ratsvorsitzenden zu befassen. Er dankt Präses Prof. Dr. Beckmann für seinen Bericht zur Lage der Kirche in der Welt und zu den Aufgaben der Evangelischen Kirche der Union. Die Einheit der Evangelischen Kirche der Union ist auf den Synodaltagungen in Berlin-Spandau und in Potsdam-Babelsberg über die äußerliche Trennung hinaus erneut deutlich geworden. Doch ist die Evangelische Kirche der Union, die auf eine 150-jährige Geschichte zurückblicken kann, betroffen darüber, dass es ihr verwehrt ist, zu gemeinsamen Synodaltagungen und Ratssitzungen an einem Ort zusammenzukommen. Sie hält solche Tagungen für legitim und unterstreicht18 die Aussage, die der stellvertretende Ratsvorsitzende, Kirchenpräsident Dr. Müller,19 auf der Synodaltagung in Potsdam-Babelsberg gemacht hat: ›Unser Verhältnis zu den anderen evangelischen Landeskirchen der DDR und der Bundesrepublik ist durch die Fürstenwalder Erklärung zur Einheit der EKD20 vom vergangenen Jahr bestimmt, die wir uns zu eigen gemacht haben.‹21 Die schmerzliche Teilung des deutschen Volkes kann im Zeitalter der Trennung von Kirche und Staat kein Hindernis dafür sein, dass sich die Kirche in ihren organischen Gemeinschaften unzertrennt zur Erfüllung ihres Friedenszeugnisses versammelt. Die Arnoldshainer Konferenz22 hat Fortschritte in Richtung auf eine Verstärkung der Einheit innerhalb der EKD erbracht. Wir begrüßen in diesem Zusammenhang die Beschlüsse der Generalsynode der VELKD in Richtung auf die Abendmahlsgemeinschaft. Wir bitten alle der EKD angehörenden Kirchen verstärkte Anstrengungen zur Herstellung der vollen Abendmahls- und Kanzelgemeinschaft zu unternehmen. Die theologischen Differenzen, die in großer Breite aufgebrochen sind, dürfen nicht zu einer Absonderung der Anhänger verschiedener theologischer Richtungen in unserer Kirche führen. Die wissenschaftliche Erforschung der Bibel und die Gewissheit des Glaubens an das Wort Gottes schließen sich nicht aus. Die Kontroversen können für die Kirche nur fruchtbar werden, wenn sie in der Bereitschaft ausgetragen werden, aufeinander zu hören. Wir bitten deshalb die Vertreter der verschiedenen theologischen Richtungen und Zusammenschlüsse, miteinander im Gespräch zu bleiben. Mit der römisch-katholischen Kirche ist nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil23 eine erfreuliche Annäherung auf vielen Gebieten möglich geworden. Zwar ist nicht zu übersehen, dass das Konzil noch keine Änderung der grundsätzlichen Lehrunterschiede der Kirchen gebracht hat; auch eine Reihe praktischer Probleme, wie die Mischehenfrage,24 blieben ungelöst. Dennoch geben solche Schritte, wie das Zugeständnis zu gemeinsamen Gebetsgottesdiensten, die Formulierung eines gemeinsamen Vaterunsertextes im deutschen Sprachraum, die Arbeit an einer gemeinsamen Bibelübersetzung, Hoffnung auf eine weitere fruchtbare Entwicklung des Verhältnisses der beiden Kirchen. Der Ratsvorsitzende hat seinen Bericht in den weltweiten Rahmen ökumenischer Betrachtung gestellt. Wir unterstreichen nachdrücklich, dass die Kirche der Gegenwart ohne diesen weltweiten Bezug ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen kann. Die Welt im politisch-sozialen und geistigen Umbruch erfordert eine ökumenische Diakonie, zu der die EKU ihren Beitrag zu leisten hat. Der Ausschuss bittet die Synode, diesen seinen Bericht zustimmend zur Kenntnis zu nehmen. Die Synode beauftragt den Rat, alles zu tun, um die Begegnung der Menschen im geteilten Deutschland zu fördern. Insbesondere sollte sie an die Regierungen appellieren, aus Gründen der Menschlichkeit den allgemeinen Reiseverkehr, einschließlich der Ausgabe von Passierscheinen in Berlin, zu ermöglichen.«
Am 14.2.1968, dem 5. Beratungstag, wurde der Teilsynode West vom »Berichtsausschuss« wie am Vortage angekündigt, die Erklärung zum Verhalten der Studenten in Westdeutschland/Westberlin25 vorgelegt. Mit dieser Erklärung, die einstimmig angenommen wurde, beauftragte die Teilsynode den Rat der EKU, Initiative zu ergreifen, um mit Studenten und Professoren die in Gesellschaft und Kirche aufgebrochenen Fragen zu erörtern und angesichts der Unruhe unter den Studenten Lösungen der Probleme zu suchen.
Danach unterbreitete der Sprecher des Ausschusses zum Hauptthema der Westsynode, Pastor Frick/Düsseldorf, eine dreiteilige Erklärung.26 Frick erklärte dazu, der Teil I sei mit der Synode Potsdam-Babelsberg abgestimmt. Die »Brüder im Osten« hätten den Teil I mit einigen Veränderungen – z. B. sei die Formulierung, »die Hungerbombe droht«, in »Veränderung der bestehenden Verhältnisse« umformuliert und das Wort »Generalmobilmachung« gestrichen worden – bereits angenommen. Gegen diese Änderung der Teilsynode Potsdam wandten sich besonders Bischof Scharf27/Westberlin und Superintendent Rieger28/Westberlin.29 (Eine Abstimmung über diese Erklärung fand auf der Teilsynode Potsdam am gleichen Tage mit fünf Stimmenthaltungen und einer Gegenstimme von Pfarrer Dr. Hamel30/Naumburg statt. Der Abstimmung in Potsdam war ein Appell der Leitung der Teilsynode vorausgegangen, wonach eine Annahme der Erklärung der Gemeinsamkeit wegen erfolgen müsse.)
Im Teil I dieser gemeinsamen Erklärung zum Hauptthema (»Die evangelische Kirche und der soziale Friede in der Welt«) heißt es u. a.: »In den Entwicklungsländern verhungern jährlich viele Millionen Menschen. Die Zahlen steigen von Jahr zu Jahr. Die Hungerbombe ›droht‹. Der Schrei nach Brot, Gerechtigkeit und Friede ist unüberhörbar, deshalb hat die Synode der Evangelischen Kirche der Union sich auf ihrer diesjährigen Tagung mit den kritischen Fragen beschäftigt, die die Entwicklungsländer an die Industriestaaten richten. Sie hat sich bemüht, die Fragen vorurteilslos in ihrer ganzen Härte zu hören und zu verstehen. Um Christi willen nimmt die Synode die Klagen und Anklagen der Entwicklungsländer auf ihr Gewissen und richtet folgende Worte an ihre Gliedkirchen und Gemeinden: Gegenüber der Lage in den Entwicklungsländern gehören wir in den Industriestaaten des Westens und des Ostens zu den reichen Völkern der Erde. Wir sind davon betroffen, dass sich die Kluft zwischen den reichen und armen Völkern zunehmend verbreitet. Nicht nur die vergangenen Jahrhunderte mit ihren kolonialistischen und imperialistischen Praktiken fallen uns zur Last, sondern vielmehr die seitdem fast unveränderten Strukturen des Weltmarktes und der Interessenkampf der Industrienationen um ihre Einflusssphären, der eine wirkungsvolle Hilfe für die Entwicklungsländer jetzt und in der absehbaren Zukunft verhindert … Wir wissen, dass wir dabei nicht billig davonkommen. Müssen wir uns den Frieden nicht mehr kosten lassen, als die Ausgaben für die Rüstung? Der Preis für den Frieden ist so hoch, dass er nur durch eine Veränderung der bestehenden Verhältnisse, eine Generalmobilmachung für den Frieden bezahlt werden kann. Viele Kräfte in West und Ost drängen darauf, soweit sie egozentrische und national beschränkte Verhaltensweisen und Urteile durchbrechen, müssen wir sie unterstützen, auch wenn unsere Gewohnheiten und die uns vertrauten Ordnungen dadurch infrage gestellt werden …«
Die auf der Teilsynode West weiterhin vorgelegten Teile II und III zum gleichen Thema wurden dort ebenfalls einstimmig angenommen. Sie beinhalten u. a.: »Durch Hilfsmaßnahmen allein lässt sich die ›soziale Frage‹ des 20. Jahrhunderts nicht lösen. Dass unser Wirtschaftssystem und unsere politischen Strukturen bisher zu wenig Handhaben bieten, um den Egoismus unserer reichen Völker zu überwinden und zu einem gerechten Ausgleich mit den armen Völkern zu kommen, ist zutiefst beunruhigend. Die Unruhe darüber hat heute besonders die Jugend erfasst. Ihr Protest gegen die angeblich immer besser funktionierende moderne Welt, die doch gegenüber den fundamentalen Nöten ganzer Völker versagt, ist berechtigt. Wir müssen aber davor warnen, durch irrational motiviertes Reden und Handeln das zu entwerten, was technische Vernunft uns und andern zugute geleistet hat und leisten muss. Es ist niemandem damit geholfen, wenn in undifferenzierter Weise unser ganzes politisches System verworfen wird, statt dass seine Chancen genutzt werden. Dies erfordert persönlichen Einsatz. Wir begrüßen darum auch die Bereitschaft all derer, die sich aktiv der Entwicklungshilfe zur Verfügung stellen … Der Bundestag und die Bundesregierung werden gebeten, alle Schritte zu erwägen, die eine wirksame Hilfe für die Entwicklungsländer bedeuten könnten.«
Weiter wird der Rat der »Evangelischen Kirche in Deutschland« gebeten, eine ständige Kommission der Kirche für den sozialen Frieden zu schaffen, die mit der Abfassung einer Denkschrift beauftragt werden soll.31
Am 14.2.1968 legte der Berichtsausschuss der Teilsynode West eine Erklärung zur Vietnamfrage32 vor, in der u. a. erklärt wird: »Das vietnamesische Volk steht vor der physischen Vernichtung. Ohne Unterschied und erbarmungslos vernichtet der Krieg das Leben derer, denen man Freiheit verspricht. Was bisher an den Brennpunkten des Kampfes und in den schutzlosen Dörfern geschah, greift jetzt auf die Städte über und damit auf den letzten Zufluchtsort vieler Menschen, denen man die Heimat genommen hat. Jeder Mensch zählt für Gott. Wo Menschen vernichtet werden, steht der Zorn Gottes gegen alle Schuldigen. Schuldig sind nicht nur die, die foltern und vertreiben, nicht nur die, die Waffen gegen Wehrlose richten, sondern auch alle, die diesen Krieg schüren, fördern und rechtfertigen. Wer diesen Krieg fortführt, setzt sein Gewissen aufs Spiel und gefährdet die Zukunft der Menschheit. Wer die Kriegshandlungen einstellt und sich zu sofortigen Verhandlungen bereitfindet, beweist damit Vernunft und gewinnt die Freiheit zu verantwortlichem Handeln zurück. Ein Unter-Beweis-Stellen der Verhandlungs- und Friedensbereitschaft in Vietnam würde das Zutrauen in die Moral und Glaubwürdigkeit der USA nicht mindern, sondern neu begründen. Damit dies der amerikanischen Regierung durch die Träger der politischen Verantwortung in der BRD zum Ausdruck gebracht wird, bittet die Synode den Rat im Sinne dieser Erklärung bei der Regierung in Bonn vorstellig zu werden.«
Über diese Vorlage kam es zu heftigen Auseinandersetzungen, vor allem in der Richtung, ob überhaupt zur Vietnamfrage Stellung genommen werden sollte, und wenn, an welche Seite eine solche Erklärung gerichtet werden müsse. Besonders Superintendent Rieger/Westberlin, Präses Beckmann/Düsseldorf, der Synodale und westdeutsche CDU-Abgeordnete Landrat Horstmann33 u. a. sprachen sich gegen diese Erklärung aus, da sie zu einseitig nur die Amerikaner anspreche. Dagegen befürworteten Rechtsanwalt Ortmann/Düsseldorf, Prof. Schweitzer/Bethel, Vizepräsident Dr. Oskar Söhngen34/Westberlin und z. T. Vizepräsident Thimme35 im Wesentlichen den Text der Vorlage. Wegen der Uneinheitlichkeit der Auffassungen wurde die Vietnamerklärung an den »Berichtsausschuss« zur Überarbeitung zurückgewiesen.36
Danach nahm die Teilsynode West einstimmig eine Erklärung zum Konflikt zwischen Nigeria und Biafra an, in der warnend auf die »Gefahr eines weiteren Völkermordes« hingewiesen wird.37
Kurz vor Tagungsabschluss am 14.2.1968 gab die Leitung der Teilsynode West folgende Erklärung über Vorgänge auf der Teilsynode Potsdam ab:
»Dem Ostteil der EKU-Synode in Potsdam-Babelsberg ist ein Bericht über eine politische Versammlung in Görlitz erstattet worden.38 Darin wurden folgende gegen Bischof D. Hans-Joachim Fränkel39 von dem Präsidiumsmitglied der Ost-CDU, Wolfgang Heyl,40 erhobene Vorwürfe wiedergegeben.41
- 1.
Die institutionelle Einheit der EKD wurde bestritten und dem Bischof vorgeworfen, an der Einheit der EKD angesichts zweier deutscher Staaten festzuhalten.
- 2.
Es wurde unterstellt, der Herr Bischof habe vor Jugendlichen gesagt, die schlesischen Gebiete gehörten ganz Deutschland, und er habe die Jugend aufgefordert, sich für die Rückkehr dieser Gebiete zu Deutschland einzusetzen.
- 3.
Der Herr Bischof und Vertreter des Konsistoriums hätten gesagt, die jetzige Staatsmacht rotte Glauben und religiöses Leben aus.
- 4.
Der Herr Bischof hätte weiter gesagt, Arbeit ja, aber es sei unwichtig, ob gute Arbeit geleistet wird.
- 5.
Im Rahmen der Reformationsfeiern in Wittenberg hätte der Herr Bischof ein Grußwort gesagt, über das ökumenische Gäste entsetzt gewesen wären.«
Weiter wurde auf der Teilsynode West erläutert, der stellv. Vorsitzende des Rates des Bezirkes Dresden, Peter,42 habe gefordert, Fränkel müsse die »Positionen der Bonner Politik« aufgeben. Fränkel habe vor der Synode in Potsdam eine schriftliche Erklärung abgegeben, die danach auf der Teilsynode West wörtlich verlesen wurde:
»Ich bin tief betroffen, dass eine Versammlung der Nationalen Front,43 die offenbar doch einem Gespräch über den Entwurf der Verfassung dienen sollte, dazu benutzt worden ist, in der Öffentlichkeit derartige Angriffe gegen meine Person zu richten. Zu den einzelnen Punkten bemerke ich Folgendes:
- 1.
Mit der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland halte ich an der Einheit der EKD fest, nicht aus politischen Gründen, sondern aus Gründen des Glaubens. Für meine Erkenntnisse kann die Tatsache zweier deutscher Staaten die Preisgabe der kirchlichen Gemeinschaft nicht bedingen.
- 2.
Die Unterstellung, ich hätte Jugendliche aufgefordert, sich für die Rückkehr der schlesischen Gebiete einzusetzen, entspricht nicht den Tatsachen. Ich muss mich vielmehr wundern, dass angesichts meiner klaren Stellungnahme auf der letzten Tagung der Synode der EKU zur Ostdenkschrift der EKD44 mir eine solche Äußerung zugeschoben wird.
- 3.
Ich muss es zurückweisen, dass mir die Äußerung zugeschrieben wird, die jetzige Staatsmacht rotte Glauben und religiöses Leben aus. Ich habe das nicht gesagt, aber ich bin immer dafür eingetreten, und ich werde dafür eintreten, dass Christen in unserem Staat ihren Glauben leben können.
- 4.
Das angebliche Zitat über meine Stellung zur Arbeit ist geradezu grotesk und richtet sich selbst.
- 5.
Es ist unverständlich, dass ökumenische Gäste über meine Ansprache in Wittenberg entsetzt gewesen sein sollen. Mein Grußwort in der dortigen Christuskirche verkündigte die herrliche Freiheit der Kinder Gottes gegenüber aller Angst und Menschenfurcht. Der Generalsekretär des Reformierten Weltbundes, Dr. Pradervand,45 sagte unmittelbar nach meiner Ansprache zu mir: Kurz, aber gut!
- 6.
Zu der Forderung, ich solle die Positionen der Bonner Politik aufgeben, erkläre ich, dass ich mich nicht als Vertreter der Bonner Politik, sondern als Zeuge Jesu Christi betrachte.
Lassen Sie mich abschließend sagen, dass ich Vorfälle, wie die in Görlitz, für keinen guten Beitrag zur Zusammenarbeit zwischen Christen und Marxisten halten kann.«46
(Siehe auch Einzelinformation über die Teilsynode Potsdam Nr. 159/68 vom 14.2.1968, Seiten 7–9.)
Zur Diskussion über die »Berichterstattung« wurde in der Teilsynode West nicht aufgerufen.
Soweit dem MfS bekannt wurde, sollen die beiden Teilsynoden West und DDR nicht wie ursprünglich vorgesehen am 15.2.1968 mittags beendet werden, sondern so lange tagen, bis alle noch offenstehenden Fragen geklärt seien.
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