Ansammlungen Jugendlicher in Schwerin
5. September 1968
Einzelinformation Nr. 997/68 über Ansammlungen und Provokationen Jugendlicher auf dem Leninplatz in Schwerin
In den Abendstunden des 1., 2. und 3.9.1968 kam es auf dem Leninplatz in Schwerin zu Ansammlungen von Jugendlichen in einer Stärke bis zu 80 Personen. Der Leninplatz ist aufgrund seiner zentralen Lage Treffpunkt vieler Schweriner Bürger und besonders Jugendlicher.
In den Abendstunden des 1.9.1968 fanden sich auf dem Leninplatz 60 bis 70 Jugendliche in losen Gruppen zusammen. Einige Jugendliche führten Kofferradios und Tonbandgeräte mit, die sie zum Teil mit Überlautstärke spielen ließen. Dabei wurden vielfach Westsender empfangen. Es kam zu Behinderungen des Fußgängerverkehrs, indem einige Jugendliche ältere Bürger belästigten und anpöbelten. Um Ruhe und Ordnung wiederherzustellen, wurden Sicherungskräfte der VP eingesetzt. Die Mehrzahl der Jugendlichen folgte der Aufforderung der VP, den Leninplatz zu verlassen. Einige Jugendliche widersetzten sich jedoch den Weisungen der VP und weigerten sich, den Platz zu räumen. Fünf dieser Jugendlichen wurden daraufhin dem VPKA zugeführt.
Am 2.9.1968 sammelten sich zwischen 21.00 und 22.00 Uhr erneut 60 bis 80 Jugendliche auf dem Leninplatz. Eine größere Anzahl von ihnen konzentrierte sich vor dem Gebäude des Rates der Stadt und besetzte die dort befindlichen Bänke. Wie durch Befragungen bekannt wurde, war ein großer Teil dieser Jugendlichen aus Neugier zum Leninplatz gekommen, um nach den Vorfällen am Vortage zu sehen, wie sich die Sicherungskräfte der VP weiter verhalten würden. Von Kräften der VP wurde wiederum zur Räumung des Leninplatzes aufgefordert. Während die Mehrzahl der Jugendlichen den Weisungen Folge leistete, traten einige Jugendliche provokatorisch auf und widersetzten sich den Anordnungen der VP. Sie beschimpften und bedrohten die VP-Angehörigen mit Redensarten wie »Schweinehunde«, »Euch müsste man aufhängen«, »hier gibt es keine Freiheit, und die Verhältnisse sind genau wie in Prag« usw. In einem Fall wurde ein VP-Angehöriger tätlich angegriffen. Von einigen Jugendlichen wurden die am Leninplatz aufgestellten Papierkörbe umgestoßen bzw. auf die Straße geworfen. 20 Jugendliche, die rowdyhaft und provokatorisch auftraten, wurden dem VPKA zugeführt.
Als es in den Abendstunden des 3.9.1968 wiederum zu größeren Ansammlungen Jugendlicher auf dem Leninplatz und in den angrenzenden Straßen kam (insgesamt etwa 80 Jugendliche), wurden außer Einsatzkräften der VP noch 160 Angehörige der Kampfgruppen1 und 90 Angehörige der FDJ-Ordnungsgruppen eingesetzt, die den Leninplatz und die ihn umgebenden Straßen räumten. 74 Jugendliche, die den Aufforderungen der Einsatzkräfte zum Auseinandergehen nicht nachkamen, wurden dem VPKA zur Überprüfung zugeführt.
Wie festgestellt werden konnte, waren am 3.9.1968 in den meisten Schweriner Betrieben die Vorkommnisse am 1. und 2.9.1968 ausgewertet worden. Viele Jugendliche begaben sich daraufhin in den Abendstunden des 3.9.1968 aus Neugier bzw. um etwas »Besonderes zu erleben« zum Leninplatz.
Im Zusammenhang mit den genannten Vorfällen wurden von der VP gegen acht Jugendliche Ermittlungsverfahren (davon sieben mit Haft) wegen Staatsverleumdung, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Rowdytum und Zusammenrottung eingeleitet. 13 Jugendliche wurden wegen widersetzlichen Verhaltens mit Ordnungsstrafen belegt.
Es handelt sich bei diesen Jugendlichen um Lehrlinge und Facharbeiter aus Schweriner Betrieben. Ihr Durchschnittsalter beträgt 18 bis 21 Jahre. Die Mehrzahl ist im FDGB, ein Teil in der FDJ organisiert.
Zwei der Täter sind wegen eines versuchten Grenzdurchbruches vorbestraft. Ein weiterer hat bereits vier Vorstrafen.
Die Festgenommenen geben als Motiv für ihr Verhalten an, dass sie über die Maßnahmen der Einsatzkräfte der VP verärgert gewesen seien. Sie seien der Auffassung gewesen, dass die VP nicht berechtigt sei, gegen sie vorzugehen, wenn sie sich in Gruppen zusammenfinden und Kofferradio hören.
Hinweise auf direkte Feindtätigkeit gibt es bisher nicht.
Die Untersuchungen werden weitergeführt.