Auffassungen des ehem. Parteisekretärs der Humboldt-Univ. Tzschoppe
3. April 1968
Einzelinformation Nr. 371/68 über Auffassungen des ehemaligen Parteisekretärs der Humboldt-Universität Tzschoppe zur Lage in der ČSSR und in der VR Polen
Wie dem MfS intern bekannt wurde, brachte der ehemalige Parteisekretär der Humboldt-Universität Berlin, Werner Tzschoppe,1 jetzt freischaffender Übersetzer, zum Ausdruck, dass die Ereignisse in der VR Polen und in der ČSSR2 die Richtigkeit seiner politischen Auffassung bestätigen würden. Im Einzelnen erklärte T.:
Im Gegensatz zur VR Polen, wo Gomułka3 mit Diktatur und Parteigewalt gegen resistente Kräfte in der eigenen Partei vorginge,4 sei in der KSČ5 jetzt ein wirklicher demokratischer Zentralismus zu verzeichnen. Die Arbeiterklasse in der ČSSR habe sich lange Zeit passiv verhalten, jetzt habe sie sich – und mit ihr die ganze Bevölkerung – gegen die Politik des ZK der KSČ unter der Führung des Genossen Novotný6 aufgelehnt. Die Demokratisierung der Partei- und Staatsführung sei unbedingt notwendig geworden und müsse auch durch das ZK unter der Leitung des Genossen Dubček7 beibehalten werden, sonst würde der Sozialismus in die Brüche gehen. Diese Seite müsse in der ČSSR besonders beachtet werden, da das Land im Blick auf die Präsidenten Masaryk8 und Beneš9 starke demokratische Traditionen besitze.
Novotný sei als Staatsoberhaupt schon lange von der Bevölkerung abgelehnt worden, denn er hätte weiter Stalins Linie beibehalten. In Prag würde zzt. eine längst fällig gewordene Frage geklärt werden, nämlich die Beseitigung der Reste des Stalinismus durch den Einsatz neuer Kräfte.
Die Situation in der VR Polen sei genauso, denn hinter der polnischen Studentenschaft würde mehr stehen, als man offiziell zugibt. Nur hätten sich dort die neuen Kräfte noch nicht durchsetzen können und Gomułka sei noch in der Lage, unbequeme Gegner auszuschalten. Jedoch sei seine Situation nicht so sicher, wie es den Anschein erwecke.
In der DDR sei die Lage so, dass alle stur zur Sache stünden. Eine Bewegung zur Veränderung der Verhältnisse sei nicht vorhanden. Alle, die bisher Versuche in dieser Richtung unternommen hätten, seien gescheitert, wie z. B. Schirdewan,10 Wollweber11 u. a. Die DDR würde in ideologischer Hinsicht den anderen Ländern immer hinterherhinken. Die Genossen in der DDR würden wie »richtige Preußen« eiserne Disziplin halten, auch wenn sie lieber etwas mehr Demokratie in der Partei hätten. Aus diesem Grunde würde die DDR auch das letzte sozialistische Land sein, das den Weg der Demokratie geht. Die Fehler bei uns würden sich erst in mehreren Jahren auswirken. Zur Zeit würde den Bürgern und Genossen hier mit Erfolg eingeredet, dass bei uns die richtige und in der ČSSR die falsche Politik gemacht werde. Genosse Walter Ulbricht12 selbst sei der festen Überzeugung, dass seine eigene Politik die richtige sei. Zurzeit sei seine Haltung propagandistisch noch sehr wirkungsvoll, früher oder später würden jedoch die meisten Genossen merken, dass diese Politik nationalistisch und für einen Kommunisten untragbar sei. Durch diese Situation isoliere sich die Parteiführung in der DDR von den Genossen der »unteren Ebene«.
Tzschoppe erklärte weiter, dass man bei dem Stand der Information einfach gezwungen sei, Westsendungen zu sehen und zu hören.
Weiter ließ sich Tzschoppe über die vom Genossen Hager13 auf dem 5. Plenum gemachten Bemerkungen zur Konvergenztheorie aus.14 Er erklärte, diese Konvergenztheorie richte sich nicht gegen den Imperialismus, sondern gegen die eigenen Genossen, damit sie nicht etwa auch »demokratisieren wollten wie die tschechischen Genossen«. Allgemein sei die Konvergenz eine Notwendigkeit, ob der Genosse Hager das wolle oder nicht. Den sozialistischen und kapitalistischen Staaten bliebe überhaupt keine andere Möglichkeit, als sich einander zu nähern. Gegen die Konvergenz aufzutreten mit der These des Antikommunismus sei heute nicht mehr möglich. Als Beispiel, wie man sich auch bei uns den »kapitalistischen Verhältnissen annähere«, brachte er die Einrichtung der Exquisitläden,15 in denen sich die Leute hier, die genug Geld hätten, auch alles kaufen könnten. Auch in den handels- und finanzpolitischen Erwägungen der sozialistischen Staaten würde sich die Konvergenz widerspiegeln.
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