Auffassungen führender revisionistischer Kreise in der KSČ
30. November 1968
Einzelinformation Nr. 1314/68 über Auffassungen führender revisionistischer Kreise in der KSČ
Ergänzend zur Information Nr. 1271/68 von Mitte November dieses Jahres (mit gleichem Titel) werden nachstehend weitere Einzelheiten über Auffassungen führender revisionistischer Kreise, die entscheidende Funktionen an der Militärpolitischen Akademie der ČSSR und am Institut für Internationale Politik und Ökonomie bekleiden, ausführlich wiedergegeben. Diese revisionistischen Kreise äußerten sich über
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Ereignisse der letzten Monate und über die gegenwärtige Situation in der ČSSR,
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die Haltung einiger führender Vertreter der KSČ,1
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einige Absichten revisionistischer Kreise.
In ihrer »Einschätzung« der Situation in der ČSSR heben diese Kreise hervor, dass in den zurückliegenden Monaten in der ČSSR die »politisch-moralische Einheit zwischen der Führung und dem Volk weiter gewachsen« sei. Die sowjetische Politik sei für viele Menschen »nicht nur in den westlichen Ländern völlig unverständlich und in eine Sackgasse geraten.«
Einer der führenden Revisionisten erklärte, dass in der Periode vor dem 21.8.1968 die tschechoslowakische Führung vom US-Geheimdienst laufend über die Haltung der sozialistischen Länder, vor allem der Sowjetunion gegenüber der ČSSR informiert worden sei. Der US-Geheimdienst habe in dieser Zeit die tschechoslowakische Führung auch schon darauf hingewiesen, dass die militärische Besetzung der ČSSR »unerlässlich« sein und in diesem Falle die USA eine »Politik des Nichtengagements« betreiben werde. Aufgrund dessen, dass in der tschechoslowakischen Führung »Progressisten und Konservative« vertreten sind, seien diese Hinweise des US-Geheimdienstes nicht ernst genug genommen und politisch nicht ausgenutzt worden.
Weiter wurde in diesem Zusammenhang behauptet, dass in den Tagen unmittelbar nach dem 21.8.1968 »viele Offiziere aber auch Mannschaftsteile, gewillt gewesen« seien, unter Einsatz ihres Lebens zu kämpfen. Gegenwärtig würden sowjetische Vertreter herauszufinden versuchen, um welche Offiziere es sich gehandelt habe. Diese Offiziere würden jedoch durch die militärische Führung gedeckt.
Die genannten revisionistischen Kreise vertreten die Meinung, dass die Sowjetunion ihre politischen Ziele gegenüber der ČSSR nur mit »militärischer Gewalt« erreichen könnte, da die Bildung einer neuen Regierung, die der Sowjetunion genehm wäre, auf demokratischem Wege nicht möglich sei. Es gebe in der ČSSR kein gewähltes Gremium, das eine solche Regierung bilden würde, und eine solche Regierung wäre von vornherein vom Volk isoliert. Die Folge einer solchen Entwicklung wäre die »völlige Zerschlagung« der Partei, da »nur höchstens 10 % der Partei, die konservativen Kräfte« bereit seien, einen solchen Weg zu gehen. In der Slowakei – so wird spekuliert – würde es unmittelbar zu einem »offenen Aufstand« kommen. Für Böhmen und Mähren käme dagegen »nicht so sehr der offene Aufstand in Frage, sondern vielmehr die passive Resistenz«, da es unter den Tschechen »mehr Kollaborateure« als unter den Slowaken gebe.
Dieser »Einschätzung« fügten die revisionistischen Kreise die Bemerkung hinzu, dass es im ganzen Lande eindeutige Vorbereitungen im Sinne des »passiven Widerstandes« gebe. Die »Konservativen«, die kaum noch Führungsfunktionen hätten, seien bekannt und würden isoliert. Deshalb sei es wichtig gewesen, dass nach dem Januar-Plenum eine »Umorganisation« der Partei erfolgte und ca. 40 000 »konservative Funktionäre abgelöst wurden. Die Parteiorganisationen wären jetzt »mit dem Volk eine Einheit im Kampf gegen die sowjetischen Interventen«. Die Sowjetunion betreibe eine »Politik der Spaltung«, indem sie die föderativen Bestrebungen der Slowaken unterstütze. Große Teile der tschechischen Partei seien gegen die Föderation.
Von den verbliebenen »wenigen Möglichkeiten ihrer Verbindungen nach dem westlichen Ausland« heben die revisionistischen Kreise vor allem das von Prof. Šnejdárek2 geleitete Institut für Internationale Politik und Ökonomie hervor. Dieses Institut unterhalte »alle inoffiziellen Kontakte« mit dem Westen. In diesem Zusammenhang wurde angeführt, dass sich Šnejdárek vom 1.11. bis 11.11.1968 zu Verhandlungen in Bonn, Brüssel und London aufhielt. Bei seinem Besuch in Bonn habe er Verhandlungen mit dem Bonner Auswärtigen Amt und der »Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik« geführt. Außerdem sei er mit »seinen Leuten« (genannt wurden die »Mitarbeiter« des Instituts Adolf Müller3 und Dr. Liska4) zusammengekommen. Ferner unterhalte das Institut enge Verbindungen nach Österreich und vor allem nach Jugoslawien. Zwischen den tschechischen Revisionisten und jugoslawischen Führungskräften bestehe eine »völlige Einheit in den Auffassungen.«
Über einige führende tschechoslowakische Politiker äußerten sich die revisionistischen Kreise wie folgt: Obwohl Dubček5 »von den Sowjets jetzt benutzt werde«, sei damit zu rechnen, dass er von ihnen in Kürze vor der Weltöffentlichkeit »als Schuldiger angeprangert« werde, wozu z. B: die Weltkonferenz der kommunistischen und Arbeiterparten dienen könnte.
Von der Haltung des Verteidigungsministers Dzúr6 und des Stellvertretenden Leiters der Politischen Verwaltung im Verteidigungsministerium Dobiáš, seien die Revisionisten »angenehm überrascht. Dzúr habe bei den Verhandlungen in Warschau und Moskau eine »ausgezeichnete und geschickte Rolle gespielt.«
Husák7 trete zwar öffentlich für die Verwirklichung der Beschlüsse ein, bemühe sich aber andererseits um eine straffe Organisierung der Partei, um einen »eigenen Weg ohne sowjetische Einmischung beschreiten« zu können. Husák habe die »Einheit zwischen Partei und Volk« hergestellt und ein »slowakischer Aufstand gegen eine mögliche sowjetische Gewaltpolitik« würde unter Führung der Partei und Husáks erfolgen.
Der frühere tschechoslowakische Botschafter in der DDR, Klička,8 werde von sowjetischer Seite systematisch aufgebaut. An seinem Einsatz als Botschafter in Belgrad seien die Sowjetunion und die DDR besonders interessiert. Sie, die Revisionisten, würden diese Bestrebungen »mit lächelndem Interesse« verfolgen und Klička als einen »Emporkömmling« betrachten, dem es »um Positionen geht und nicht um Ideale«.
Hinsichtlich ihrer weiteren Absichten wurde von den führenden revisionistischen Kreisen angeführt, dass sie »zur Isolierung der den Sowjets ergebenden Konservativen innerhalb der Partei« diese vor allem der »Fraktionsbildung beschuldigen und entlarven« wollen.
Für die Revisionisten sei die Periode nach dem 21. August die »Generalprobe für politisch noch schwierigere Zeiten auf Jahre hinaus«. Die Partei könne nur existieren, wenn sie den Kampf des Volkes »gegen jede Art von Gewalt« führe.
Die Revisionisten würden sich aktiv um Kontakte besonders nach Moskau und Berlin bemühen, wobei es ihnen besonders um Verbindungen zu »klugen Kräften unter den Gesellschaftswissenschaftlern« gehe. Zwischen den Wissenschaftlern der DDR würden sie »klug differenzieren« und sich genau ansehen, wer in der DDR in den letzten Monaten was geschrieben hat. Außerdem würden sie Beziehungen zum Institut für internationale Beziehungen in Moskau unterhalten, von dem ihnen bekannt sei, dass es dort nach dem 21. August »harte Auseinandersetzungen« gegeben habe. Unter Leitung von [Name 1] und [Name 2] sei dort eine Resolution gegen die Maßnahmen vom 21.8.1968 angenommen worden.
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