Auftreten Rudi Dutschkes auf der CFK in Prag
5. April 1968
Einzelinformation Nr. 381/68 über das Auftreten des Westberliner Studenten Rudi Dutschke gegen die DDR auf der III. Allchristlichen Friedensversammlung in Prag am 1. April 1968
Im Zusammenhang mit der bekannt gewordenen Absicht des Westberliner Studenten Rudi Dutschke1 (»Sozialistischer Deutscher Studentenbund«)2, in die DDR einzureisen und Luckenwalde zu besuchen3 (Dutschke stammt aus Luckenwalde), wird auf sein Auftreten4 vor der III. Allchristlichen Friedensversammlung in Prag5 hingewiesen. Dutschke entwickelte dort u. a. gegen die DDR gerichtete revisionistische und andere feindliche Vorstellungen und Spekulationen.
Die ständige Jugendkommission der »Christlichen Friedenskonferenz« (CFK)6 hatte mit Billigung der Leitung der CFK zum Thema »Studentisches Engagement in der Zukunft« Vertreter verschiedener Jugendorganisationen zur III. Allchristlichen Friedensversammlung eingeladen. Als Vertreter des Westberliner »Sozialistischen Deutschen Studentenbundes« (SDS) erschien anstelle des eingeladenen Studenten Krippendorf7 der Student Dutschke, der am 1.4.1968 vor der Jugendkommission als Redner auftrat. Im Gegensatz zu anderen ausländischen Teilnehmern wurden Dutschkes Ausführungen von den Vertretern westdeutscher Publikationsorgane, einschließlich des Fernsehens, stark beachtet. Über den Inhalt der Rede von Dutschke8 berichteten zuverlässige Quellen u. a. folgende Einzelheiten:
Dutschke erklärte, dass er sich von seiner früheren Ansicht, nach der er die Allchristliche Friedenskonferenz als eine »stalinistische Frontorganisation kirchlicher Bürokratien« angesehen habe, aufgrund seiner Einladung distanziere.
Im Zusammenhang mit der Westberlinfrage äußerte Dutschke, dass sie als »Linkssozialisten« die »Drei-Staaten-Theorie« nicht akzeptieren würden. Westberlin hätte die Chance, »ein antiautoritäres, revolutionäres Zwischenglied« zwischen der DDR und der Bundesrepublik zu sein, um »subversiv-revolutionär-antiautoritär in die DDR und in die Bundesrepublik hineinwirken« zu können.
Sie würden gegen »alle Formen autoritärer Strukturen« kämpfen, ganz gleich, ob es sich um sozialistische oder kapitalistische Formen handele. Daher stimmten sie auch nicht mit den Systemen in beiden Teilen Deutschlands überein und hätten begonnen, über »einen Dritten Weg« mit »eigenen Organisationen, Äußerungen und einer echten radikalen Theorie über den Weg« nachzudenken. Der Kampf gegen »autoritäre Strukturen« könnte nur im Rahmen einer »internationalen Opposition« geführt werden.
Der »autoritäre Charakter« der DDR käme u. a. darin zum Ausdruck, dass dort an den Universitäten – Dutschke betonte, hier »aus eigener Erfahrung« sprechen zu können – keine »antiautoritäre Erziehung« erfolge. Da sie nicht in der DDR lebten, hätten sie an den Universitäten die Möglichkeit, »alle Informationen« und auch »einige sehr revolutionäre Bücher« zu lesen. (Im Zusammenhang mit diesen Auffassungen soll Dutschke die DDR u. a. sinngemäß als »faschistisch« und als »letzte Bastion des Stalinismus« bezeichnet haben.)
Dutschke sprach weiter über den großen Antikommunismus in Westdeutschland und Westberlin und behauptete, dass »diese Tragödie des Antikommunismus« erfüllt sei »mit dem historischen Inhalt des Stalinismus«. Daher seien sie sehr daran interessiert, dass der »Demokratisierungsprozess in autoritären sozialistischen Ländern« weitergehe. Sie könnten ihre eigene politische und antiautoritäre Arbeit sehr viel besser machen, wenn der Prozess der Demokratisierung, der in der ČSSR9 beginne,10 auf die anderen Länder wie Polen, die DDR und die Sowjetunion übergreifen würde.
In der Diskussion stellte Wolf-Dietrich Gutsch11 aus der DDR (Gossner Mission, Berlin12) an Dutschke u. a. die Frage, ob der SDS Verbündeter sein könnte bei den Bestrebungen der jungen Generation der DDR an der Lösung internationaler Probleme teilzunehmen, von der sie aufgrund »eines Diktats von außen« (Nichtanerkennung der DDR) zzt. ausgeschlossen sei.
Dutschke hob in seiner Antwort anfangs hervor, dass es in erster Linie »die Pflicht der Gruppe innerhalb der DDR« sei, die Teilnahme an der Lösung internationaler Fragen zu erreichen. Der SDS unterstütze eine Anerkennung der DDR, setze sich dafür in Westberlin und Westdeutschland ein und arbeite mit der SED-Westberlin13 zusammen. Auf der anderen Seite versuchten sie auch, »in die DDR zu gehen und mit einigen Gruppen zusammenzuarbeiten«. Vom »sozialistischen Standpunkt« seien sie sehr daran interessiert, »linke Gruppen in der DDR zu unterstützen«, jedoch »nicht außerhalb der Partei und gegen die Partei«. In der DDR und den anderen osteuropäischen Ländern gebe es nur die Möglichkeit, »die autoritären Strukturen zusammen mit einer Fraktion der Partei und den Massen von unten abzubrechen«. Gegen die Partei als Ganzes zu arbeiten, sei eine konterrevolutionäre, nicht aber eine »echte revolutionäre Möglichkeit«.
Der SDS habe vor, mit der FDJ zusammenzuarbeiten und gemeinsame Seminare und Diskussionen zu veranstalten. Daher wollte er die FDJ zur »Freien Universität« nach Westberlin einladen. Er hoffe jedoch, dass die FDJ den SDS auch zu den Studenten der Humboldt-Universität einlädt. Das würde eine große Unterstützung »einiger antiautoritärer, real-demokratischer Tendenzen innerhalb der DDR« sein.
Interne Hinweise lassen darauf schließen, dass das Auftreten Dutschkes von anarchistischen bzw. reaktionären westlichen Kräften vorbereitet wurde.14 Es konnte festgestellt werden, dass sich Dutschke stark um die Herstellung von Verbindungen zu ČSSR-Studenten15 und um einen ständigen Platz in der CFK bemüht.
Es wurde weiter bekannt, dass Dutschke Kontakte zu den DDR-Vertretern Pfarrer Kramer16/Magdeburg, Domprediger a. D. Karl Kleinschmidt17/Schwerin und Carl Ordnung,18 Hauptvorstand der CDU/Berlin, herstellte. In der Jugendkommission traten den Angriffen Dutschkes auf die DDR die DDR-Vertreter Professor Moritz,19 Dietrich Gutsch, Dr. Heinrich Fink20 (Humboldt-Universität), der Jugendpfarrer Günther21 (Berlin) sowie die polnischen Delegierten entgegen.
Aufgrund dieses Verhaltens wird um Einverständnis gebeten, Dutschke die Einreise nicht zu gestatten.22