Außerordentliche Konferenz der evangelischen Bischöfe der DDR
25. August 1968
Einzelinformation Nr. 908/68 über eine außerordentliche Konferenz der evangelischen Bischöfe der DDR am 24. August 1968 in der Hauptstadt Berlin der DDR
Für den 24.8.1968 hatte Oberkirchenrat Pabst,1 Berlin, im Auftrage des Vorsitzenden der Bischofskonferenz der DDR, Bischof Beste,2 Schwerin, die Bischöfe der DDR zu einer außerordentlichen Konferenz eingeladen.
An dieser Konferenz, die in der Zeit von 10.00 bis 13.00 Uhr stattfand, nahmen teil:
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Bischof Beste, Schwerin;
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Bischof Jänicke,3 Magdeburg;
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Bischof Fränkel,4 Görlitz;
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Bischof Mitzenheim,5 Eisenach;
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Generalsuperintendent Schmitt,6 Berlin (für Bischof Schönherr,7 der sich zurzeit in der ČSSR befindet);
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Propst Werner,8 Greifswald (für Bischof Krummacher,9 der wegen Arbeitsüberlastung nicht teilnahm);
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Oberkirchenrat Gerhard,10 Dessau (für Kirchenpräsident Müller,11 der sich in Urlaub befindet);
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Oberkirchenrat Kleemann,12 Dresden (für Bischof Noth,13 der ebenfalls in Urlaub ist.
Einziger Tagesordnungspunkt waren die Ereignisse in der ČSSR.14 Bischof Beste erklärte den Anwesenden, dass die evangelischen Kirchen der DDR zu den Ereignissen in der ČSSR etwas sagen müssten. Dies könnte folgendermaßen geschehen:
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Protestbrief an den Staatsratsvorsitzenden,
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Stellungnahme in einer Kanzelabkündigung,
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Stellungnahme in einer Fürbitte.
Bischof Mitzenheim warnte vor unüberlegten Schritten und schlug vor, dass bei jeder eventuellen Maßnahme die Anwesenden offen abstimmen müssten, damit es keine Anonymität gibt.
Bischof Jänicke, Magdeburg, verglich die jetzige Situation in der ČSSR mit der von 193815 und meinte, dass die Kirchen dazu unbedingt Stellung nehmen müssten.
Bischof Fränkel, Görlitz, erklärte, dass die Truppen der Sowjetunion und der anderen sozialistischen Länder unbedingt abgezogen werden müssten. Den »lieben Brüdern« in der ČSSR müsse geholfen werden, und die Kirchen der DDR müssen ein Wort zur Situation sagen.
Oberkirchenrat Kleemann, Dresden, bezweifelte die Ehrlichkeit der TASS-Meldung, dass die Truppen von ČSSR-Bürgern zur Hilfe gerufen wurden,16 denn nach seinen Feststellungen seien schon seit Langem Panzer an der ČSSR-Grenze aufgefahren.
Bischof Mitzenheim hob die seit jeher konstruktive Friedenspolitik der Sowjetunion hervor und erklärte, dass die Aufrechterhaltung des Sozialismus in der ČSSR den anderen sozialistischen Ländern das Recht gibt zu den getroffenen Maßnahmen.
Die Truppen der Sowjetunion und der anderen sozialistischen Länder seien zur Aufrechterhaltung der Sicherheit in der ČSSR einmarschiert, ohne dass sie daran gehindert wurden. Das allein ist schon der Beweis dafür, dass man sie herbeigerufen habe. In der ČSSR habe sich die Entwicklung einer komplizierten Situation schon seit Langem abgezeichnet, deren Folgen nicht abzusehen gewesen wären.
Bischof Jänicke hatte den Entwurf einer Fürbitte erarbeitet. Er hat diesen Entwurf jedoch nicht verlesen. Er betonte, dass die DDR aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum Warschauer Vertrag nicht frei handeln und entscheiden könne. Deshalb wäre es wichtig, wenn die Kirchen ein Wort an die Gemeinden herausgeben.
Die Bemerkung Bischof Fränkels, dass man zu den Ereignissen nicht mit gutem Gewissen schweigen könne, wies Bischof Mitzenheim zurück und sagte, dass er doch die Situation gar nicht richtig einschätzen könne, um hier mit gutem Gewissen zu reden.
Mitzenheim äußerte starke Bedenken gegen die eventuelle Annahme einer der Vorschläge von Bischof Beste. Er lehnte ab, dass sich eine Fürbitte mit diesen Problemen beschäftige, weil eine Fürbitte eine rein theologische Angelegenheit sei. In einer Fürbitte könne weder zu Ländern, Personen oder politischen Ereignissen Stellung genommen werden. In seiner Landeskirche wird eine solche Maßnahme auf keinen Fall durchgeführt. Er stellte den Anwesenden die Frage, wen man verantwortlich machen wolle, wenn irgendetwas über diese Bischofskonferenz in die Westpresse gelangen würde.
Bischof Beste beteuerte, dass über diese Besprechung keine Informationen an die Westpresse gelangen werden.
Bischof Fränkel führte aus, dass Betriebsangehörige in der DDR gezwungen würden, positive Stellungnahmen abzugeben. Die Mitglieder seiner Gemeinde seien jedoch anderer Meinung, als sie in solchen Stellungnahmen zum Ausdruck kommt.
Zum Schluss der Konferenz, auf der keine Beschlüsse gefasst wurden, forderte Bischof Mitzenheim noch einmal zur Besonnenheit auf und erklärte, dass die Sowjetunion und die anderen sozialistischen Länder seit der Besprechung in Bratislava lange Zeit Geduld gezeigt hätten. Er verwies auf die 4. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Uppsala/Schweden,17 wo auch keine entscheidenden Beschlüsse gefasst wurden. Man könne heute die Lage nicht übersehen, und aus diesem Grunde wäre jeder voreilige Schritt zu vermeiden. (Er wurde dabei von Oberkirchenrat Pabst unterstützt.)
Seitens der katholischen Kirche wurde bekannt, dass Kardinal Bengsch18 nicht die Absicht hat, in Kirchenveranstaltungen auf die Ereignisse in der ČSSR einzugehen. An die Geistlichen ist keine Anweisung ergangen, zu diesem Thema in den Gottesdiensten Stellung zu nehmen. Er hat im Gegenteil seinen Mitarbeitern in dieser Hinsicht Zurückhaltung empfohlen.
Als seine persönliche Meinung brachte Bengsch zum Ausdruck, dass er die Maßnahmen der Sowjetunion und der mit ihr verbündeten Staaten in Bezug auf die ČSSR nicht verstehe. Seiner Meinung nach hätte es völlig genügt, wenn die Grenze zu Bayern von den Vertragsstaaten besetzt worden wäre. Das hätte man der Bevölkerung der ČSSR erklären können. Durch die Besetzung des ganzen Landes wäre jedoch eine Stimmung gegen die Sowjetunion und die anderen Staaten entstanden, die nur schwer zurückzudrängen sei. Bengsch sei sehr gespannt, wie das Problem von den Vertragsstaaten gelöst werden soll.
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