Bischofswort von Bischof Noth zur ČSSR
1. September 1968
Einzelinformation Nr. 967/68 über ein sogenanntes Bischofswort von Bischof Noth zu den Vorgängen in der ČSSR
Dem MfS wurde bekannt, dass von Bischof Noth,1 Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsen, Dresden, ein sogenanntes Bischofswort an die Pfarrer und Superintendenten der Landeskirche herausgegeben wurde, in dem zu den Vorgängen in der ČSSR2 Stellung genommen wird.
Nach vorliegenden Hinweisen ist beabsichtigt, dies am 1.9.1968 von den Kanzeln verkünden zu lassen. Nachstehend der Wortlaut des »Bischofswortes«:
»Liebe Brüder! | Die letzten Wochen, und vor allem die letzten Tage, haben über alle Welt eine bestürzende Unruhe gebracht, die bis zur Stunde nicht überwunden ist. Wir Pfarrer werden von vielen Seiten gefragt und finden uns selbst als Fragende. Natürlich haben wir die Pflicht, uns gewissenhaft zu orientieren über alles das, was mit den Ereignissen in der Tschechoslowakei und ihrer Vorgeschichte zusammenhängt. Wir müssen aber auch wissen, dass uns als Pfarrer von unserem Amt her Zurückhaltung in unseren Äußerungen geboten ist, gleichviel, ob man eine Stellungnahme von uns erwartet oder ob wir meinen, persönlich Partei ergreifen zu müssen. Es mag ein gutes Stück Selbstbeherrschung kosten, sich nicht von noch so begreiflichen Emotionen bestimmen zu lassen, aber was ist unsere Aufgabe, gerade angesichts der Ereignisse im Nachbarland und ihre Auswirkungen? Lasst uns all unserer Verkündigung unmissverständlich bezeugen, dass Gewalt keine Verheißung hat, dass Versöhnung mit Gott, die uns widerfahren ist und immer neu widerfährt, auch zum Frieden ruft und führt, Menschen gegeneinander stehen, dass wir, auch wo Unrecht geschieht, Hass keiner Macht einräumen, wie immer er begründet werden mag, und wie jede notwendig werdende Auseinandersetzung die Freiheit und Würde der anderen zu respektieren hat. Lasst uns nicht müder werden in unserem persönlichen und im gottesdienstlichen Gebet, Fürbitte zu tun für alle in unserer unmittelbaren Nähe, und an anderen Orten Zersorgten, Bedrängten, Angefochtenen, für alle die Macht und Verantwortung im politischen Geschehen haben, und für Kirchen in den von den Auseinandersetzungen betroffenen Gebieten, die der heilige Geist ihnen Weisheit zum Reden und Liebe zum Handeln gab. Lasst uns die Gemeindemitglieder immer wieder zu solchem Dienst der Fürbitte aufrufen, der freilich nur im beschämenden Bewusstsein unserer eigenen Schuldhaftigkeit getan werden kann und nur Verheißung hat, wenn wir uns selbst zu Werkzeugen seines Friedens machen lassen. Wir können mit unseren Gemeinden in diesen Tagen nicht zusammenkommen, ohne für die bedrohte Welt, in der wir stehen, unablässig zu beten. Wir wollen uns dabei an den Herrn wenden, der die Geschicke der Welt in seiner Hand hält und auf das Gebet seiner Gemeinde wartet. Darum macht eure Gottesdienste, Bibelstunden, Frauendienste, Männerkreise, Helferschaften, Jugendstunden und alle anderen Zusammenkünfte jetzt mehr denn je zu Stätten des gemeinsamen verantwortlichen Betens. Er mahnt die Glieder der Gemeinde, Tag für Tag auch in ihren persönlichen Gebeten das Schicksal der Welt und der Völker vor Gott zu bringen und um eigene Klarheit zu ringen. Im besonderen wollen wir beten für das tschechoslowakische Volk, dass es bewahrt werde, ein Opfer der politischen Leidenschaft zu werden, dass es in Würde und Entschlossenheit tue, was für sein eigenes Schicksal und für das Zusammenleben der Völker in gegenseitiger Achtung am besten ist, dass die Verkündung des Evangeliums in den christlichen Kirchen der Tschechoslowakei kräftig sei zu Trost und Weisung, zur Vergebung und Hoffnung, und für unser eigenes Volk wollen wir beten, dass seine Glieder mit wachem Gewissen der Versöhnung, der Wahrheit und der Gerechtigkeit erkennen mögen, und dass menschliche Verbindung zwischen uns und anderen Völkern nicht durch Hass und unrechtes Handeln zerstört werde. Lasst uns beten für die leidenden Völker in aller Welt und dabei besonders denken an Vietnam, Israel und seine arabischen Nachbarvölker, Nigeria und Biafra,3 Rhodesien und Südafrika. Ebenso wollen wir auch beten für die Mächtigen in der Welt, dass sie jeder Versuchung zum Missbrauch ihrer Macht widerstehen und dass sie dem Geist der Verständigung und des Friedens Raum geben. Lasst uns aber auch persönlich in unserem Zusammenleben dem Geist des Unfriedens endgültig absagen, damit wir nicht selbst verwerflich werden; Lieblosigkeit, Unversöhnlichkeit, Aufgeregtheit und vorschnelles Urteil über den Bruder machen nicht nur unserer Verkündigung und unser Beten unglaubwürdig, sondern verdecken das Evangelium vor den Augen der Welt. Der Herr erbarme sich unser!«
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