Durchreise von Teilnehmern des Vietnam-Kongresses nach Westberlin
19. Februar 1968
Einzelinformation Nr. 177/68 über den Ablauf der Durchreise von Teilnehmern zum Vietnam-Kongress in Westberlin am 17. und 18. Februar 1968
Am 17./18.2.1968 reisten zum Vietnam-Kongress1 nach Westberlin insgesamt 2 667 Personen mit 179 Pkw und 49 Bussen von Westdeutschland kommend über die GÜSt Marienborn (2 087 Personen, 101 Pkw, 37 Busse) bzw. Hirschberg (620 Personen, 78 Pkw, zwölf Busse) in die DDR ein und über die GÜSt Drewitz nach Westberlin aus. Entsprechend den Festlegungen seitens der Abteilung Sicherheit beim ZK der SED erfolgte die Durchreise dieser Personen mit bevorzugter Passabfertigung, ohne Zollkontrolle, ohne Autobahngebühren und Visagebühren bei Ausländern. Um zu verhindern, dass diese großzügige Abfertigung zur Einschleusung feindlicher Personen missbraucht wird, wurden vom MfS alle erforderlichen Maßnahmen eingeleitet.
Da dem MfS keine Angaben über die annähernden Zahlen der zu erwartenden Durchreisenden gemacht wurden und auch die vom Zentralrat der FDJ übergebene (und in der Anlage beigefügte) Liste keine ausreichende Grundlage für die Vorbereitung und Durchführung der Abfertigung dieser Personen darstellte, mussten in den infrage kommenden GÜSt bedeutende Kräftereserven bereitgestellt werden, um allen eventuellen Situationen Rechnung tragen zu können. Es wurde erreicht, dass die Abfertigung und Durchreise reibungslos vonstattenging.
Der mit 1 800 Personen, 96 Pkw und 32 Bussen größte Konvoi wurde an der GÜSt Marienborn abgefertigt. Der Leiter dieses Konvois Karl Roth,2 geboren [Tag, Monat] 1942, erschien am 17.2.1968 um 7.15 Uhr an der GÜSt Marienborn und teilte mit, dass der Konvoi in der Zeit von 4.30 bis 7.00 Uhr am westdeutschen Kontrollpunkt Helmstedt kontrolliert wurde. Dabei wurden sämtliche Fahrzeuge und Personen registriert und dokumentiert sowie die Sichtagitation kontrolliert. Roth, der erklärte, mit diesen Kontrollmaßnahmen der Westpolizei nicht gerechnet zu haben, bat die Volkspolizei um Unterstützung für die erneute Zusammenstellung des Konvois auf dem Territorium der DDR, nachdem der letzte Bus westdeutsches Territorium verlassen hat. Diese neue Zusammenstellung machte sich aufgrund der Kontrollmaßnahmen der westdeutschen Polizei notwendig. Dieser Bitte wurde entsprochen.
Die aus Westdeutschland einzeln eintreffenden Busse und Pkw wurden von den Kontrollorganen der DDR bevorzugt abgefertigt, sodass alle drei Minuten ein Bus das Kontrollterritorium zur Durchreise nach Westberlin verlassen konnte. Die Spitze der abgefertigten Busse wartete dann auf die nachfolgenden Fahrzeuge. Um nicht unnötige Zeit zu verlieren, schlug Roth vor, den Konvoi zu teilen und in mehreren Gruppen nach Westberlin fahren zu lassen. Nach Zustimmung der Sicherheitsorgane der DDR fuhr die erste Gruppe des Konvois gegen 10.00 Uhr bereits an der GÜSt Drewitz nach Westberlin aus.
Erschwerend bei der Passabfertigung der Teilnehmer dieses Konvois an der GÜSt Marienborn wirkte sich aus, dass sich in den Bussen westdeutsche und ausländische Personen befanden, die unterschiedlich (Laufzettel bzw. Transitvisa) abgefertigt werden mussten. Dadurch musste im Einzelfall die Abfertigungszeit unterschiedlich sein, obwohl durch das Visabüro und die Passkontrolle Sofortmaßnahmen eingeleitet wurden, die diesen unvorhergesehenen Bedingungen Rechnung trugen. Die Teilnehmer des Vietnam-Kongresses waren während der Abfertigung aufgeschlossen, sprachen die Mitarbeiter an der GÜSt mit Genossen an, diskutierten sachlich und sangen fortschrittliche Lieder. Circa 1 000 Exemplare der an den GÜSt ausliegenden Materialien zum Verfassungsentwurf3 sowie andere Dokumente wurden von ihnen in Empfang genommen. Bei der Ausfahrt über die GÜSt Drewitz nach Westberlin ließ der genannte Roth gegenüber Verantwortlichen der Passkontrolle durchblicken, dass die Organisatoren der Kundgebung enttäuscht seien, weil entlang der Autobahnstraßen keine Sympathiekundgebungen erfolgten, wie das damals bei der Überführung der Leiche Ohnesorgs4 der Fall war.5 Außerdem sei ihm versprochen worden, dass bei den Teilnehmern auch die Passkontrolle wegfallen würde. Deshalb wären sie auf die Kontrolle der Pässe nicht vorbereitet gewesen.
Bis zum 19.2.1968, 6.00 Uhr, waren 2 500 Teilnehmer am Kongress, die bei der Rückfahrt nicht mehr im Konvoi fuhren, über die GÜSt Marienborn und Hirschberg nach Westdeutschland ausgereist. Die Ausreise erfolgte ohne Wartezeiten, da aufgrund der Tatsache, dass Personen und Fahrzeuge an den GÜSt bekannt waren, neben den anderen Erleichterungen auch auf eine Passkontrolle verzichtet wurde.