Einleitung 1968
Einleitung 1968
Bernd Florath
1. Zeitgeschichtlicher Hintergrund
In welchem Maße die Welt 1968 in Aufruhr geraten würde, war aus der Perspektive der kleinen DDR in der Silvesternacht eher nicht zu erahnen. Die meisten Konflikte schienen weit entfernt. Der mit aller Brutalität ausgefochtene Krieg, den die US-Regierung in Vietnam führte, erregte die Menschen weltweit, bestätigte die einen in ihrem Weltbild, während er selbst Freunde der USA verunsicherte und frustrierte. Dennoch: Dieser Krieg hatte für die Bewohner der DDR – trotz der »behördlich verordneten Solidarität«, in der sich sowohl »die Heuchlei, das exotische Mitleid«1 wie aufrichtige Anteilnahme ausdrückte – kaum eine reale Verbindung zum eigenen Leben. Auch die Bürgerrechtsbewegungen in den USA selbst blieben äußere Angelegenheiten: der Mord an ihrem Sprecher Martin Luther King, die bürgerkriegsähnlichen Kämpfe in den Ghettos von Detroit oder Chicago, die bewundernswerte Geste der drei Sprinter Tommie Smith, Peter Norman und John Carlos während der Spiele der Olympiade in Mexiko im Oktober 1968, die auf dem Siegerpodest gemeinsam gegen den Rassismus jenseits der Sportarenen demonstrierten. Dass den Spielen in Mexiko, an denen sich die DDR zum ersten Mal mit einer eigenen Mannschaft beteiligte, das Blutbad von Tlatelolco vorausging, in dem die mexikanische Regierung die sozialen Proteste von Hunderttausenden ertränkte, blieb nicht nur in der DDR eine ungeliebte und eher beschwiegene Tatsache. Im Nachhinein scheint es, als seien all jene Aufstände und Rebellionen des Jahres 1968 – von der Revolte der französischen Studenten und Arbeiter gegen das Regiment de Gaulles im Mai 1968 über den Krieg gegen die verhungernden Kinder von Biafra, die blutigen Machtkämpfe in China, die Morde an Martin Luther King und Robert Kennedy – den in Worten sich penetrant revolutionär gebenden herrschenden Kommunisten der sowjetischen Sphäre eher ungelegen gekommen. Doch während diese Ereignisse an entfernten Schauplätzen stattfanden und in der (kleinen) DDR kaum mehr Aufregung verursachten als die Lektüre der Morgenzeitung, riss die Unruhe in der unmittelbaren Nachbarschaft die SED aus ihrer selbstzufriedenen Stille: Im Januar begannen die Tschechen und Slowaken südlich der DDR den waghalsigen Versuch, »endlich (und zum ersten Mal in der Weltgeschichte), einen Sozialismus ohne Geheimpolizei, mit der Freiheit […] und mit Menschen, die die Angst verloren hatten« (Milan Kundera)2 zu verbinden. In Polen, dem östlichen Nachbarn, empörten sich im März Studenten, Intellektuelle und junge Arbeiter gegen die Drangsalierung durch Zensur und politische Polizei. In Westberlin, dem ausgemauerten kleinen Flecken in der Mitte der DDR rüttelten die Studenten an den erstarrten Lebensgewohnheiten, suchten und fanden die Konfrontation mit der Polizei und der Springer-Presse. All diese Erschütterungen ließen die DDR nicht unberührt.
1.1 Die neue DDR-Verfassung vom 6. April 1968
Wären die Dinge 1968 gelaufen, wie Walter Ulbricht sie geplant und auf den Weg gebracht hatte – es wäre wohl der Höhepunkt seiner Karriere gewesen. Als unumstrittener Chef seiner Partei, Landesvater des ostdeutschen Teilstaates, hatte er es vermocht, mit einigen mutigen Reformen die Wirtschaft des Landes nach dem Bau der Mauer wieder auf Wachstumskurs zu bringen. Die Mehrheit der Einwohner des Landes hatte sich eingerichtet und suchte sich mit den Umständen zu arrangieren. Soziale Sicherheit auf einem zwar nicht üppigen, aber kalkulierbarem Niveau waren ein Angebot, das sie annahmen, auch wenn es die Sehnsucht nach einem Leben wie im reichen und freien Westen nicht zum Schweigen bringen konnte. Diesem Land versprach Ulbricht 1967 eine neue Verfassung. Es sollte die Verfassung eines sozialistischen deutschen Staates werden, ja eine Magna Charta des Sozialismus.3 Sie sollte die Verwirklichung der kommunistischen Träume nach Jahren erbitterten, zeitweise heroischen, zu anderen Zeiten gnadenlosen Kampfes in Gesetzesform gießen. Warum also, fragte sich die SED-Führung in einem ihrer Argumentationshefte im Frühjahr 1968 selbst, sollte die DDR sich dabei nicht »in ›Deutsche Sozialistische Republik‹ oder ›Sozialistische Republik Deutschland‹« umbenennen?4 Wer diese Frage gestellt haben soll, verrieten die Autoren in der ZK-Abteilung Agitation freilich nicht. Keine andere zeitgenössische Quelle berichtet davon, dass solcherart Wünsche umliefen oder sich gar irgendeiner Art von Volkstümlichkeit hätten erfreuen können.5 Auch wegen der gescheiterten vollmundigen Ankündigungen der SED in den späten 1950er Jahren, die Bundesrepublik wirtschaftlich zu überflügeln zu wollen, hielten sich die Genossen mit Versprechungen zurück, die ihnen allzu schnell wieder auf die Füße fallen konnten. Dennoch erwies sich diese Zurückhaltung nur als partielle. Während mit der rhetorischen Frage zumindest implizit an die kommunistische Tradition hätte angeknüpft werden können – immerhin hatte der Gründungsvater der KPD Karl Liebknecht am 9. November 1918 in Berlin die »freie sozialistischen Republik« proklamiert –, lebte die SED in der vollkommen ungebrochenen Gewissheit, auf dem Pfade des einzigen denkbaren historischen Fortschritts voranzueilen, die »Vorgeschichte der Menschheit« hinter sich zu lassen und mit ihr auch alle bisherigen Auffassungen von Gesellschaft, Staat, Demokratie und ihrer grundgesetzlichen Regelungen zu überwinden.
Daher mussten die »seit 1945 erzielten sozialökonomischen, politischen und kulturellen Errungenschaften […] staatsrechtlich fixiert werden«.6 Noch die offiziöse Selbstdarstellung der Honecker-Ära reproduzierte die Begründung für den konstitutiven Akt, wie sie der 1974 ungenannte Spiritus rector der Verfassungsnovellierung, Walter Ulbricht, auf dem VII. Parteitag der SED 1967 gegeben hatte.7 Eine Verfassung hatte dieser Überlegung folgend nicht die Aufgabe, das Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft zu definieren, sondern den historischen Stand der Umwälzung des Gemeinwesens auf dem als naturgesetzlich zwingend zu beschreitenden Fortschrittspfad zu beschreiben. In der Logik der SED hatte in der DDR seit 1949 ein Teil der Gesellschaft, nämlich die Arbeiterklasse, Staat und Gesellschaft gewissermaßen übernommen und ersetzt. Nunmehr – und das hielt der neue Verfassungstext so fest – wurde die DDR als »politische Organisation der Werktätigen in Stadt und Land« definiert, »die gemeinsam unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei« – worunter zweifelsfrei und ausschließlich die SED verstanden wurde – »den Sozialismus verwirklichen«.8
Bezogen auf die nationale Frage spiegelt die Verfassung von 1968 den politischen Stand ihrer Zeit, in der die Wiederherstellung der deutschen Einheit9 der Errichtung der Macht der SED nachgeordnet wurde.
Tatsächlich beschrieb die Verfassung von 1968 präziser die Verfassungswirklichkeit der DDR als der bereits mehrfach in seiner Essenz veränderte Verfassungstext von 1949. In der Realität hatte die SED den Souverän der alten Verfassung, das Volk, bereits entmachtet. Alle Staatsgewalt ging von der Führung der SED aus, die Organe des Staates waren zu bloßen Vollzugsgehilfen der SED degradiert worden. Bereits die Genesis der Verfassung beschreibt korrekt, was im Sinne der SED als demokratisches Verfahren zu gelten hatte.
Am 27. Juni 1967 – fünf Tage, bevor jene Volkkammer gewählt werden sollte, die ausersehen war, eine neue Verfassung zu beschließen – installierte das SED-Politbüro »eine Arbeitsgruppe […], die streng vertraulich arbeitet«, um einen Rohentwurf dieser neuen Verfassung zu erstellen. Sie wurde von Walter Ulbricht geführt und vom Leiter der Abteilung Staat und Recht des ZK, Klaus Sorgenicht, dirigiert. Der Arbeitsgruppe gehörten neben Mitarbeitern verschiedener ZK-Abteilungen Spitzenkader der Staatsrechtslehre wie die Professoren Wolfgang Weichelt, Uwe-Jens Heuer, Gerd Egler und Eberhard Poppe an. Binnen dreier Monate hatten sie den Entwurf vorzulegen.10 Im November 1967 sollte dann eine Verfassungskommission der Volkskammer gewählt werden mit dem Auftrag, den Entwurf einer Verfassung zu erarbeiten, den jedoch deren Leiter, der Abgeordnete Sorgenicht (SED-Fraktion), bereits fix und fertig aus seiner Tasche ziehen konnte. Die Arbeitsgruppe des Politbüros erfüllte ihre Pflicht gewissenhaft und legte einen Entwurf vor, der am 24. Oktober 1967 vom Politbüro beraten wurde. Eine dreiseitige Liste mit Änderungen und Kommentaren entstand während dieser Beratung, die in den Entwurf eingebracht wurden.11 Die überarbeitete Fassung konnte von den Mitgliedern und Kandidaten des Zentralkomitees seit dem 22. November 1967, 10 Uhr, im Plenarsaal des ZK für die Behandlung auf dem 3. Plenum (23./24. November 1968) eingesehen werden, aber: »Über das Plenum wird öffentlich nicht berichtet.«12
Das Ergebnis dieser Erörterungen musste sich verzögern, weil neben dem ZK der SED erst eine andere Instanz ihr Urteil abzugeben hatte: Am 30. Oktober wurde der Entwurf nach Moskau geschickt. Ulbricht bat Breshnew und das Präsidium des ZK der KPdSU um ihre Meinungen. Am 28. November 1967 wurde in Moskau jener Brief abgeschickt, mit dem der Text der ostdeutschen Verfassung seinen allerhöchsten Segen und die Unterschrift des KPdSU-Chefs erhielt. Dessen Statthalter, Botschafter Abrassimow, übergab den Brief am 29. November und fügte einige Kommentare hinzu, worüber Ulbricht das Politbüro am 1. und 5. Dezember 1967 informierte und die in den Text einflossen.13
Erst die auf der Volkskammersitzung in der Woche zuvor eingesetzte Verfassungskommission brachte die vertraulich geschaffene Vorlage ans Licht der Öffentlichkeit. Bis in heutige historische Darstellungen hinein bleibt die Vorgeschichte der Verfassung im Dunkeln, deren öffentliche Geschichte erst mit der 4. Volkskammertagung vom 1. Dezember 1967 beginnt. Diese Versammlung behauptete kühn, beschlossen zu haben, eine neue Verfassung zu erarbeiten. Sie setzte eine angeblich von ihr berufene Kommission ein, über deren Besetzung das SED-Politbüro bereits am 21. November entschieden hatte. Aufbauend auf der sorgfältig verborgenen Vorarbeit legte diese Kommission in atemberaubender Geschwindigkeit bereits zur 7. Tagung der Volkskammer am 31. Januar 1968 einen kompletten Verfassungsentwurf vor.14 Es ist nicht überliefert, welche Kammerdienerseele jenen Kommissionsmitgliedern abverlangt wurde, die nicht ohnehin schon der vertraulichen SED-Arbeitsgruppe angehört hatten. Sie stellten buchstäblich jene Theaterelite, die »von Zeit zu Versammlungen aufgeboten [wird], um den Reden der Führer Beifall zu klatschen, vorgelegten Resolutionen einstimmig zuzustimmen«.15 Zehn Wochen – in die sowohl Weihnachtsfeiertage als auch der Jahreswechsel fielen – reichten nicht nur aus, einen neuen Verfassungstext zu erarbeiten. In diesen zehn Wochen verabschiedete die vorgebliche Legislative der DDR auch am 15. Dezember 1967 den Haushalt, die zweite und letzte Lesung des komplett neuen Strafgesetzbuches (StGB), die neue Strafprozessordnung (StPO), das Gesetz zur Bekämpfung von Ordnungswidrigkeiten (OWG), das Strafvollzugs- und -wiedereingliederungsgesetz (SVWG), kurz: Sie vollendete gesetzgeberische Großprojekte, die Parlamente in anderen Staaten über Jahren hinweg zu beschäftigen vermögen.
Die Genesis des Verfassungsentwurfs sei hier vor allem deshalb so eingehend beschrieben, weil sie zugleich eine Blaupause für das darstellen kann, was in der DDR als demokratisch galt und von den Herrschenden auch vollkommen ungebrochen als demokratisch aufgefasst wurde. Ein mit naturgesetzlicher Notwendigkeit sich vollziehender Entwicklungsprozess der Gesellschaft wurde als gegeben unterstellt. Ihn galt es in all seinen Facetten und Zwängen hinter dem tagtäglichen Schein der Dinge zu ergründen, um ihm Genüge zu tun.
»Die sozialistische Gesellschaft braucht für ihren tagtäglichen Prozeß der wirklichen Erneuerung kein »Gleichgewicht der Kräfte« […] sondern sie bedarf der gemeinsamen und vor allem wissenschaftlich begründeten Planung und Leitung. Jawohl sie bedarf in diesem Sinne des ›Monopols‹, wie eben der Wissenschaft im Interesse des Humanismus das Monopol gegenüber Aberglaube und Phantastereien zukommen muß. Niemandem wird es einfallen, über die Annahme wissenschaftlicher Erkenntnisse durch ein sogenanntes ›freies Spiel der Kräfte‹ entscheiden zu lassen. Gegen vielfältigen Unsinn gibt es nur eine Wahrheit. […] Es kann heute nicht darum gehen, die Macht zu verneinen oder zu bejahen, sondern immer nur darum, in welchem Interesse und wie sie ausgeübt wird.«16
Selbstredend behauptete die SED, die Macht letztlich im Interesse der Mehrheit der arbeitenden Menschen, ja der Menschheit auszuüben. Sie konnte sich nicht partiellen oder temporären Wünschen unterwerfen, die – widersprüchlich wie das Leben – das Fortschreiten der Gesamtheit nur hätten verzögern können.17 Mithin sei es Ausdruck höchster demokratischer Gesinnung, wenn so schwerwiegende Entscheidungen wie ein Grundgesetz nicht als Resultat kontroverser gesellschaftlicher Willensbildung zustande kämen, sondern tiefsten wissenschaftlichen Einsichten in den historischen Prozess entsprängen. Sie seien allerdings auch kein Produkt bloßer wissenschaftlicher Kontemplation, sondern wissenschaftlich untermauerter politischer Praxis, über die die kommunistische Partei nicht nur allein, sondern auch allen anderen Akteuren voraus verfügt. Die Partei sei allein die konkrete gesellschaftliche und politische Form, in der sich Vereinigung von Arbeiterklasse und Wissenschaft, von Theorie und Praxis vollziehe und könne daher auch exklusiv die objektiven Interessen der Arbeiterklasse definieren, während sich die Individuen dieser Klasse fortwährend auf partikulären Abwegen verirrten. Der Kern kommunistischer Demokratie sei mithin nicht die Selbstbestimmung der Klasse, die objektiv als Träger des Fortschritts diene, sondern jene politische Organisation, die in der Lage sei, das dieser Klasse zugerechnete Bewusstsein als wissenschaftliche Praxis zu entwickeln und umzusetzen.
Immerhin verblieb ein Restbestandteil eines gewöhnlichen bürgerlichen Demokratieverständnisses, das der herrschenden Meritokratie einige Manöver abverlangte: Es gab ein Parlament, das aus dem verfassungsgebenden Prozess nicht gänzlich zu eliminieren war. Dessen Kommission, die den Anschein wahren sollte, die Volksvertretung sei Urheberin des Textes,18 »bestand aus Vertretern aller Parteien und Organisationen, aus Fachleuten der verschiedensten Disziplinen, aus Bürgern aller Schichten des Volkes, und sie war schon in ihrer Zusammensetzung und Arbeitsweise ein Spiegelbild der sozialistischen Demokratie.«19 »Neben dem Mitglied des Politbüros des Zentralkomitees der SED saß die LPG-Bäuerin aus dem Kreis Oschatz, neben dem Professor der PGH-Vorsitzende aus Borna und der Komplementär aus Dresden.«20 Die Kommission hatte zwar nur einen schon fertigen Text zu beraten, doch sie diente als Verstärker, der marktschreierisch die Vorzüge des Rechtstextes beschwor.
Da es sich um einen grundsätzlichen Text handelte, wurde überdies die gesamte Bevölkerung aufgefordert, den am 31. Januar 1968 von Walter Ulbricht in der Volkskammer vorgestellten Verfassungsentwurf zu diskutieren. Diese Verfassungsdiskussion stellte vor allem eine umfassende politische Kampagne dar, um die in den Verfassungstext gegossenen ideologischen Grundprämissen seiner Autoren bis in den letzten Winkel des Landes zu streuen und dabei zugleich festzustellen, wo und aus welcher Richtung es Vorbehalte, Einwände, Widerspruch oder gar Gegnerschaft gab. Im Duktus des MfS nannte sich die Diskussion »Aktion ›Optimismus‹«. Aufgefordert zur Meinungsäußerung verpflichteten sich Arbeitskollektive zur Planer- und -übererfüllung, beschworen die Treue zur SED und waren des Lobes voll für den neuen Gesetzestext.
Auf die Zahl von 12 454 Ergänzungs- und Änderungsvorschläge haben sich die verschiedenen offiziellen Darstellungen der Verfassungsdiskussion verständigt.21 Unter diesen Zuschriften befand sich in der Tat auch eine Reihe von Änderungsvorschlägen, einige von ihnen sollen sich am Ende sogar im endgültigen Text niederschlagen haben. Der letzte »Bericht über die bei der Verfassungskommission eingegangenen Zuschriften« des Leiters der Sachverständigengruppe Tord Hugo Riemann (Mitarbeiter der ZK-Abteilung Staat und Recht) von Ende März 1968 verzeichnet insgesamt 11 243 Zuschriften, von denen in 9 277 Schreiben 14 364 Vorschläge enthalten waren. Die signifikant höchste Zahl von Zuschriften wie Vorschlägen kam von »Kirchen, Religionsgemeinschaften und deren Mitgliedern« (6 806 Zuschriften mit 6 734 Vorschlägen) – nahezu die Hälfte des gesamten Aufkommens.22 Deren Mehrzahl betraf jene Artikel der Verfassung, die sich als folgenreich für die Kirchen in der DDR erweisen sollten. Aber auch in den Artikeln 23 bis 29 entfallene oder eingeschränkte Grundrechte wurden immer wieder angesprochen: »Die in den Bestimmungen über die Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und Vereinigungsfreiheit enthaltenen Einschränkungen dieser Grundrechte sollen entfallen (Artikel 23 bis 25 alte Fassung; Artikel 27 bis 29 neue Fassung). Die Freizügigkeit im Reiseverkehr bzw. ein Auswanderungsrecht sollen mit aufgenommen werden.«23
Die vorgesehene Einbeziehung von Frauen in die Landesverteidigung rief offenbar selbst unter SED-Mitgliedern Irritationen hervor, wie der internen »Information« der ZK-Abteilung Agitation zu entnehmen ist, die sich diesem Problem umfänglich widmete, um in der Sache zu beschwichtigen: »Im Artikel 22 der Verfassung ist nicht vom Wehrdienst die Rede, sondern von der Verpflichtung jedes Bürgers zum Dienst für die Verteidigung der DDR.«24 Zugleich wurde aber unmissverständlich betont, dass es ein Recht auf Verweigerung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen nicht gebe und nicht geben werde:
»Der Ehrendienst in den Streitkräften […] kann nicht aus Gewissensgründen in Frage gestellt werden. Tatsächlich geschieht das auch nicht. Es gibt nur eine verschwindend geringe Zahl junger Bürger der DDR, die – meist aus religiösen Gründen – den Dienst an der Waffe ablehnen. Auf diese Gewissenskonflikte nimmt unser Staat Rücksicht. Bei unseren Streitkräften sind spezielle Baueinheiten aufgestellt worden, in denen diese Bürger einen Wehrersatzdienst ableisten, ohne an Waffen ausgebildet zu werden.«25
In dieser Deutung steckte eine intendierte Ambivalenz, die es ermöglichte, die Bausoldaten der NVA, je nach Bedarf als Wehrdienstleistende oder als Wehrdienstverweigerer zu etikettieren. Der eigenen politischen Klientel, an die sich die SED-Information richtete, wurde die Unerschütterlichkeit der Macht demonstriert, die den im dienstpflichtigen Alter stehenden jungen Männern die infernalische Dienstpflicht auferlegte: »Lasciate ogni speranza, voi ch’entrate!« – Doch dem Ausland gegenüber, sintemal im internationalen Jahr der Menschenrechte, konnte so getan werden, als sei in der DDR die Verweigerung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen möglich. Die Doppelgesichtigkeit des Bausoldatenbefehls, der die Verweigerer in eine rechtlich wenig belastbare Position brachte, gebar eine beständige Quelle von Konflikten mit den Kirchen und eigensinnigen, nicht anpassungswilligen jungen Männern.
Den zentralen Konflikt mit den Kirchen heizte die SED mit dem Verfassungsentwurf erneut an. In der Formulierung des Artikels 39 vollzog die neue Verfassung eine Wendung um 180 Grad gegen die Verfassung von 1949. Damals wurden den Kirchen – ganz in der Tradition der Weimarer Verfassung – Raum und Wirkungsmöglichkeiten im Gemeinwesen zugesichert, ihre Tätigkeit zugleich als bedeutungsvoller Faktor garantiert wie ihre institutionelle Einflussmöglichkeit auf den Staat unterbunden und so Kirchen und Staat voneinander emanzipiert. Die neue Verfassung tat, als gäbe es für die Kirchen im sozialistischen Staat keinen Ort mehr. Wohl wird den Individuen erlaubt, »sich zu einem religiösen Glauben zu bekennen und religiöse Handlungen auszuüben«,26 allein der Ort und die Gemeinden, in denen sich Gläubige zusammenfinden, schienen in der Verfassung faktisch nicht mehr zu existieren: »Die Tätigkeit der Kirchen darf den Grundsätzen und Zielen der Verfassung und den Gesetzen nicht zuwiderlaufen.«27 Es war die Konsequenz des Konzepts des »entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus«,28 in dem alle Körperschaften, Organisationen, Gesellschaften, Betriebe oder Einrichtungen jeweils Subsysteme eines Gesamtsystems sein sollten, das sich auf den Kommunismus zubewegte. In diesem Konzept hatten die Kirchen schlicht keinen Platz. Sie waren keine Subsysteme des Sozialismus und weder die höhere Einsicht des Parteichefs Ulbricht in den welthistorischen Prozess noch der juristische Spezialverstand Klaus Sorgenichts vermochten ihnen einen solchen zuzuweisen. Immerhin wurde ihre schlichte Existenz akzeptiert, solange ihre »Tätigkeit […] Grundsätzen und Zielen der Verfassung nicht zuwiderlaufen« würde.29 Der Verfassungsentwurf der ZK-Arbeitsgruppe verwies die Kirchen aus ihrer Stellung von Körperschaften im Verfassungsrang in das ungewisse Feld von Organisationen, die sich ausschließlich dem gemeinen Recht der DDR zu unterwerfen hatten.
Die Unterwerfung der Kirchen unter Grundsätze und Ziele der Verfassung30 implizierte zugleich die Unmöglichkeit, ihre bisherige innere Verfasstheit als Teil der gesamtdeutschen Kirchen aufrechtzuerhalten. Für die katholische Kirche war der Zwang, die innere Organisation auf das Territorium der DDR einzugrenzen, aufgrund ihrer ohnehin internationalen Administration leichter zu bewerkstelligen. Sie unterstellte die ostdeutschen Teile von sich auf Gebiete beider deutscher Staaten erstreckenden Bistümern separaten Verwaltungen, bei denen ein Formelkompromiss reichte, sie nicht als den westdeutschen (Teil-)Bistümern unterstellt erscheinen zu lassen.
Für die evangelischen Kirchen war ein ähnlicher Weg nicht gangbar. Sie waren ohnehin nicht Teil einer internationalen Organisation, sondern einer nationalen Gemeinschaft, die sich in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) als Bund der evangelischen Landeskirchen in ganz Deutschland organisiert hatte. Diese Kircheneinheit war in Deutschland über mehrere Etappen schweren Belastungen durch die deutschen Regierungen ausgesetzt. Die kirchen-, ja religionsfeindliche Politik der SED ergriff 1957 den Vorwand des zwischen EKD und Bundesregierung abgeschlossenen Militärseelsorgevertrages, den offiziellen Kontakt zur EKD abzubrechen und nur noch mit Vertretern ostdeutscher Landeskirchen zu verhandeln, wo ihr dies opportun erschien. Gemeinsame Tagungen der EKD, ihres Rates und ihrer Synoden wurden nach dem Bau der Mauer unterbunden. Die Synoden fanden darauf zwar weiterhin zeitgleich, aber getrennt in Ost und West statt. Notdürftig kommunizierten die Synodalen per Telefon oder Boten.31 Sie betonten immer wieder die Einheit im Glauben, wichen aber unter dem Druck der DDR-Behörden insofern zurück, als bei Beschlüssen, die die ostdeutschen Gliedkirchen betrafen, die westdeutschen Synodalen und Ratsmitglieder sich mit ihrem Votum zurückhielten, um die Entscheidungen ihren ostdeutschen Brüdern zu überlassen. Je mehr sie den staatlichen Zwängen nachkamen, desto stärker betonten sie ganz im Sinne der Zwei-Welten-Lehre die geistliche Zusammengehörigkeit der Protestanten in Ost und West, zuletzt auf der ostdeutschen Teilsynode vom April 1967 in Fürstenwalde.32 Mit der neuen Verfassung galt die Zugehörigkeit der ostdeutschen Kirchen zur gesamtdeutschen EKD plötzlich als illegaler Zusammenschluss. Eine andere Organisationsform musste gefunden werden. Doch dem ursprünglichen Vorschlag zur Bildung eines ostdeutschen Kirchenbundes stellte sich nunmehr der thüringische Landesbischof Mitzenheim in den Weg. Er war unter den ostdeutschen Kirchenfürsten den Wünschen der SED am Weitesten entgegengekommen, sodass ihm der im Entwurf der Ordnung für den neuen Kirchenbund, d. h. den zu gründenden Bund evangelischer Kirchen in der DDR (BEK), verankerte Auftrag, dass der »Bund […] sich zu der besonderen Gemeinschaft der ganzen evangelischen Christenheit in Deutschland«33 bekenne, immer noch zu weit ging. Sein juristischer Vertreter, Oberkirchenrat Gerhard Lotz, betonte die regimenahe Position seines Oberhirten ausgerechnet auf dem Parteitag der Blockpartei CDU, indem er die unter großen Schwierigkeiten angestrengten Bemühungen, die deutsch-deutsche Kirchengemeinschaft zu bewahren, als Versuche bezeichnete, »durch gewisse juristische Manipulationen die Fiktion gemeinsamer Beschlüsse und Entscheidungen aufrechtzuerhalten«, die »mehr peinlich als überzeugend« seien.34 Albrecht Schönherr, Verwalter des Bischofsamtes der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg für den Ostteil Berlins und Brandenburg, versuchte im Januar 1969 noch, das Ereignis der Gründung des BEK als ursächlich im Willen der Kirchen in der DDR zu einer eigenständigen Organisation zu begründen, während er den Druck des Staates durch die neue Verfassung als unerheblich darzustellen versuchte, als bloßen »Anlaß, der es unaufschiebbar machte«.35 Doch für die Mehrheit der Gemeindemitglieder waren die tatsächlichen Ursachen dieser Niederlage offensichtlich: Am 3. März 1969 legte deshalb die EKD-Synodale Magdalene Kupfer ihr Mandat nieder und begründete diesen Schritt enttäuscht mit der Feststellung:
»Dagegen muß wahrheitsgemäß gesehen und gesagt werden, dass der in dem Interview [Schönherrs – B. F.] genannte ›Anlaß‹ die Ursache zur Grablegung der EKD Ost wurden, von der Kirche selbst vollzogen, obwohl wir noch in Fürstenwalde auch die organisatorische Gemeinsamkeit mit den Brüdern westlich unserer Grenzen aus geistlichen Gründen für unaufgebbar erklärten.«36
Für die Mehrheit der Einwohner der DDR stellte sich die neue Verfassung eher als eine Belastung dar, deren Umsetzung von einer entnervenden Welle kommunistischer Propaganda in Betriebs- oder Einwohnerversammlungen, besonderen Schulungen und abgeforderten Aktivitäten sowie Verpflichtungen der Kollektive in den Betrieben, Institutionen, Schulen und Universitäten begleitet war. Sie war lästig, aber im Grunde schrieb der neue Text nur fest, was in der politischen Wirklichkeit in der DDR längst Alltag war: Die SED führte und die Mehrheit tat so, als folge sie dieser Führung, solange ihre existenziellen Erwartungen nicht beeinträchtigt waren. In dieser Beziehung war der Zeitpunkt günstig gewählt: Die wirtschaftlichen Reformen hatten begonnen, Früchte zu tragen, das Warenangebot verbesserte sich, die Einkünfte stiegen (allein von 1964 auf 1965 um knapp 4 Prozent). Ende 1967 wurde eine Reform des Rentenrechts beschlossen, die noch rechtzeitig am 15. März 1968 verkündet wurde.37 Mit ihr erhöhten sich sowohl die Mindest- als auch die Durchschnittsrenten.
So blieben es vor allem zwei signifikante Änderungen, die außerhalb der Kirchen für Gesprächsstoff sorgten: Mit der alten Verfassung verschwanden das Streikrecht und das Recht auf Auswanderung.38 Faktisch bestanden aber auch diese Verluste nur auf dem Papier, waren lediglich die Beschreibung einer politischen Realität, die Streiks schon lange als staatsfeindliche Akte behandelte und etwaige Begehrlichkeiten auszuwandern seit dem 13. August 1961 unmissverständlich und notfalls auf mit tödlicher Gewalt zurückwies. Weniger bekannt ist die Tatsache, dass vielerorts auch die Abschaffung der Todesstrafe diskutiert wurde.
Befürchtungen, dass das von Anfang an geplante Referendum der SED signifikante Schwierigkeiten bereiten würde, bestanden daher kaum.39 Nur die Einwände der Kirchen galt es, genauer zu prüfen. Diese waren noch immer tief in der ostdeutschen Gesellschaft verwurzelt, eine etwaige Kanzelabkündigung oder auch nur allzu deutliche Aufforderungen der Pfarrer an ihre Gemeinden, im Referendum mit »Nein« zu stimmen, hätte die gewünschte Einmütigkeit nur unter bei Weitem höherem repressivem Aufwand und auf Kosten des äußeren Eindrucks politischer Ruhe erzielen lassen. Da es an öffentlichen, ja selbst geschlossenen offiziellen Ebenen mangelte, auf denen Vertreter des Staates und der Kirchen ihre gegensätzlichen Auffassungen ventilieren konnten, blieb den Kirchen nur der Weg der Eingaben und inoffizieller Absprachen, um zumindest den Status quo zu sichern. Durch die Abwesenheit von politischer Öffentlichkeit kam gerade in kontroversen Fragen den inoffiziellen Informationen des MfS eine große Bedeutung zu. Das Mielke-Ministerium berichtete extensiv über die Diskussionen selbst in internen Kirchenkreisen. Seine Informanten, die es im Laufe der Jahre in nahezu allen relevanten kirchlichen Institutionen anwerben konnte, machten auf interne Differenzen, ja Spannungen aufmerksam, die staatlicherseits durch geschickte Angebote oder Pressionen ausgenutzt werden konnten.
Am 6. April 1968 stimmten nach offiziellen Angaben 94,54 % der Wahlberechtigten für die Annahme der Verfassung, 5,5 % dagegen. Von den Geistlichen und Mitarbeitern der evangelischen Kirchen wurden 92,7 % Ja-Stimmen gezählt, unter Katholiken 90,7 %.40 Immerhin hatten signifikant mehr Menschen die auf dem Stimmzettel vorhandene Alternative unterstützt, die auf den üblichen Wahlzetteln gänzlich fehlte. Dennoch verbuchte die SED das Geschehen als »Demonstration der Gemeinsamkeit und Verbundenheit mit dem sozialistischen deutschen Friedensstaat«.41 Entscheidend für die SED-Führung war der Akt der Bestätigung, den sie an die Annahme der Verfassung knüpfte. Der internen Arbeitsgruppe des Politbüros gegenüber erklärte Walter Ulbricht bei deren Arbeitsaufnahme: »Wir brauchen die Verfassung jetzt aus internationalen Gründen, zur Herbeiführung der Anerkennung der DDR als souveräner Staat. Wir müssen mit der Verfassung den Beweis erbringen, daß wir ein souveräner Staat sind, der den Weg deutscher Politik zeigt.«42
Zweifelsohne war die Verfassung von 1949 noch durch die vollkommene Abhängigkeit der SED vom sowjetischen Besatzungsregime gezeichnet. Ihm stand Bestätigung ebenso zu wie das entscheidende Wort in konkreten Fragen. Die formale Souveränitätserklärung von 1955 wurde substanziell weder in Moskau noch bei den Westalliierten noch in beiden deutschen Staaten ernst genommen. Bedeutsamer erschien bereits der Freundschaftsvertrag von 1964, doch war auch hier der Versuch Ulbrichts, die alliierten Vorbehaltsrechte der Nachkriegszeit aus dem Vertragswerk herauszuhalten, am Widerspruch Chruschtschows gescheitert.43 Die neue Verfassung sollte einem neuen Versuch dienen, das Verhältnis zur Sowjetunion auf die Ebene zweier souveräner Staaten zu stellen. Auf der außerordentlichen Sitzung des Politbüros vom 25. Oktober 1968 brachte Ulbricht den Entwurf eines »Staatsvertrages« ein, der ohne Änderungen bestätigt wurde. Weiter heißt es im Protokoll der Sitzung, die sich nur mit diesem einen Tagesordnungspunkt befasste:
»Er ist mit einem Begleitschreiben dem ZK der KPdSU zu übersenden, in dem vorgeschlagen wird
- a)
daß sie bestimmen mögen [sic!], wann darüber die Besprechung möglich ist;
- b)
zur Frage der noch gültigen Verträge der Antihitlerkoalition über die DDR soll in ähnlicher Weise wie beim Abschluß über die Souveränität der DDR ein Briefwechsel zwischen beiden Außenministern stattfinden. Wir erwarten dazu Vorschläge.
- 2.
Genosse Stoph wird beauftragt, innerhalb von acht Tagen die Grenzkarte der DDR ausarbeiten zu lassen.«44
Der Vertrag sollte offenbar an das Modell des österreichischen Staatsvertrages vom 15. Mai 1955 anknüpfen und den ostdeutschen Teilstaat aus der Position des Nachkriegsmündels befreien, ohne sich noch um den Status des westdeutschen Teilstaates zu scheren. Abgeschlossen werden sollte er zwischen der UdSSR »als eine der Hauptmächte der Anti-Hitler-Koalition« sowie weiteren »Staaten der Anti-Hitler-Koalition (siehe Anlage 1)« und der DDR.45 Der Vertrag verwies in seiner Präambel auf die Tatsache, dass die Alliierten mit Bulgarien, Ungarn, Italien, Rumänien, Finnland und Österreich entsprechende Verträge bereits abgeschlossen hätten und »ihrerseits den Kriegszustand, den sie gegenüber dem ehemaligen Deutschen Reich erklärt hatten, seit langem beendet haben«. Die Präambel betont weiter, dass die DDR
»ihre Verpflichtungen aus […] dem Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 gewissenhaft erfüllt hat und in ihrer Verfassung vom 9. April 1968 die Prinzipien des Friedens, der sozialen Gerechtigkeit, der Völkerfreundschaft, der friedlichen Zusammenarbeit der Staaten zu den Grundlagen ihrer Gesellschafts- und Staatsordnung und die Einhaltung dieser Prinzipien zur verfassungsrechtlichen Pflicht aller Staatsorgane und Bürger erklärt hat«.
Deshalb wolle die DDR mit den Staaten nach »Anlage 1«,
»ausgehend davon, daß trotz mehrfacher konstruktiver Bemühungen der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, anderer Staaten der Anti-Hitler-Koalition und der Deutschen Demokratischen Republik alle Verhandlungen um den Abschluß eines Friedensvertrages mit beiden deutschen Staaten gescheitert sind und es 23 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges unaufschiebbar ist, mit der Deutschen Demokratischen Republik als demjenigen völkerrechtlichen Nachfolgestaat des ehemaligen Deutschen Reiches, der die grundlegenden Bestimmungen des Potsdamer Abkommens und der anderen Vereinbarungen der Anti-Hitler-Koalition verwirklicht hat, alle aus dem zweiten Weltkrieg herrührenden und noch offenen Fragen endgültig und abschließend […] regeln«.
Das war – nicht nur nachdem sich die DDR wenige Wochen zuvor offiziell an der militärischen Besetzung eine Nachbarstaates beteiligt hatte – ausgesprochen starker Tobak. Die DDR erklärte sich nicht nur zum Rechtsnachfolger des Dritten Reiches, was sie bis dahin immer und mit Entschiedenheit zurückgewiesen hatte. Sie erklärte sich auch noch zum einzigen legitimen Rechtsnachfolger, weil – so die Logik des Textes – sich die Bundesrepublik nicht an das Potsdamer Abkommen gehalten habe. Und nun wollte sie allein die endgültige friedensvertragliche Lösung unterzeichnen, die alle alliierten Vorbehaltsrechte für das Territorium innerhalb der am 1. Januar 1968 bestehenden Grenzen beendete. In Artikel 4 verzichtete die SED explizit auf ihre Souveränitätsansprüche Westberlin gegenüber, wo die alliierten Regelungen fortzugelten hätten. Großzügig regelte der Vertrag in Artikel 5 zugleich die Ungültigkeit des Münchner Abkommens von 1938 »von Anfang an […] mit allen sich daraus ergebenden Folgen« und erkennt in Artikel 6 »die Unabhängigkeit der Republik Österreich an«.46
Der Vertrag erklärte alle wechselseitigen Ansprüche, die sich infolge des Zweiten Weltkrieges gegeneinander ergeben hatten, für »vollständig geregelt«, »abgegolten« und »erloschen«. Doch die Ironie des Vertragswerkes ergab sich erst aus dem in »Anlage 1« genannten »Teilnehmerkreis«: Hier waren neben der UdSSR (»eine der Hauptmächte der Anti-Hitler-Koalition«) mit Polen, Jugoslawien, der ČSSR, China und Albanien sowie den sowjetischen Teilrepubliken Belarus und Ukraine Alliierte der Anti-Hitler-Koalition ebenso aufgelistet wie die ehemaligen Verbündeten des plötzlichen Rechtsnachfolgers des Deutschen Reiches DDR, die erst nach der Niederlage ihrer Truppen Fronten und Koalitionen wechselten: Ungarn, Rumänien, Bulgarien und Finnland. Ergänzt wurde das Tableau durch erst nach dem Krieg ihre Selbstständigkeit durchsetzende Staaten wie Syrien, Irak, Indien sowie das entfernte Kuba, dessen militärisches Engagement im Zweiten Weltkrieg der Forschung bislang offenbar entgangen ist.
Ging es überhaupt um ein Abkommen, das den Kriegszustand beendete? Das wäre kaum denkbar gewesen ohne Beteiligung der anderen »Hauptmächte«. Sollte allein die Sowjetunion auf ihre alliierten Vorbehaltsrechte der DDR gegenüber verzichten? Es scheint in der Tat, als habe Ulbricht genau das im Auge gehabt.47
»Wir sind auch der Überzeugung, daß die Verwirklichung des Rechts der Deutschen Demokratischen Republik – die uneingeschränkt und vollständig Subjekt des Völkerrechts ist – auf gleichberechtigte Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen und auf aktive Teilnahme an deren Arbeit […] ein wichtiger Beitrag zur Normalisierung der Lage in Europa […] sein würde.«48
Trotz aller verbalen Erklärungen über das gleichberechtigte Verhältnis zwischen den Bruderstaaten dürfte die Forderung nach uneingeschränkter Gleichberechtigung beim großen Bruder nicht auf uneingeschränkte Gegenliebe getroffen sein. Den bislang zugänglichen Dokumenten zufolge stieß das Projekt auf keinerlei Echo aus Moskau.49 Es sei denn, man wertet die zwei Jahre später erfolgte Ermahnung Breshnews an Honecker als Antwort: »Die DDR ist für uns, für die sozialistischen Bruderländer ein wichtiger Posten. Sie ist das Ergebnis des 2. Weltkrieges, unsere Errungenschaft, die mit dem Blut des Sowjetvolkes erzielt wurde. […] es wird ihm [Ulbricht – B. F.] auch nicht möglich sein, an uns vorbei zu regieren.«50
1.2 Die Welt in Bewegung
Die Propagandakampagne um die neue Verfassung schien in der DDR jene sozialistische Menschengemeinschaft zum Vorschein zu bringen, an der der SED-Führung so sehr gelegen war. Doch während sie sich die Gesellschaft der DDR jenem harmonischen Bild »von der Übereinstimmung von Macht und Recht in unserem Staate, von der Übereinstimmung der Grundinteressen aller Klassen und Schichten unserer sozialistischen Gesellschaft« entsprechend schön redete, war sie zugleich umgeben von der Unruhe einer aus dem Gleichgewicht geratenen Welt. Scheinbar schien auch diese Unruhe den Vorstellungen der SED zu entsprechen: Die Welt des Jahres 1968 befand sich im Auf- und Umbruch.
Die Bilder von den Kämpfen in den Straßen von Saigon und Huế, von der Ruchlosigkeit sowohl der US-Truppen als auch ihrer südvietnamesischen Verbündeten ließen in aller Welt den Protest gegen den schmutzigen Krieg anwachsen. Die um sich greifende Stimmung des Protestes gebar zugleich radikale antikapitalistische Forderungen in westlichen Gesellschaften. Diese Botschaft hörte man in der SED ohne Zweifel gern, entsprach sie doch – zumindest von Weitem besehen – der eigenen Ideologie. In der Bundesrepublik waren es vor allem Studenten des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS), die den Protest organisierten. Die Begeisterung für den Vietcong oder für die Befreiungsbewegungen der Dritten Welt, für die kubanische Revolution wie für die chinesische Kulturrevolution waren Ausdruck der Aversion gegen überlebte Verhältnisse, selbst wenn die nähere Kenntnis der Vorgänge sich zumeist umgekehrt proportional zum Enthusiasmus ihrer Befürworter verhielt.51
Diese Liebe zur Revolution stieß durchaus auf Gegenliebe in der kommunistischen Welt, die begann, in den revoltierenden Studenten einen Bündnispartner zu erblicken. Zugleich zeigten sich die Herren in der SED-Führung irritiert: Der Protest stieß auch auf die Sympathie Jugendlicher in der DDR. Und obwohl die SED-Ideologen in den Sonntagsbeilagen des »Neuen Deutschlands« viel über die »politische-moralische Einheit« der »sozialistischen Menschengemeinschaft« sinnierten, befiel sie großes Misstrauen, wenn sich Menschen spontan und freiwillig für jene Dinge begeisterten, die auch die SED für richtig hielt.52 Mitunter führte diese Ambivalenz zu Vorgängen, die kein Satiriker hätte besser schreiben können: Als in der Vorweihnachtszeit die Hauptmatadoren der Kommune I, Fritz Teufel, Rainer Langhans, Dieter Kunzelmann und seine Lebensgefährtin nach Ostberlin fuhren und den Weihnachtsmarkt in der Karl-Marx-Allee besuchten, wurden sie von einer Traube neugieriger und enthusiasmierter Ostberliner Jugendlicher umringt. Volkspolizisten beendeten rasch den Auflauf, arretierten die ungewöhnlichen Gestalten und brachten sie ins Polizeipräsidium, um sie dort zu vernehmen. Die »Zugeführten« hatten »durch ihre unansehnliche Haartracht und ihr ungepflegtes Aussehen Ärgernis und den Auflauf« verursacht, über den »sich Bürger, die sich in unmittelbarer Nähe befanden, bei der VP-Streife« beschwert hatten:
»Nach durchgeführter Personalienüberprüfung durch MfS und Angehörige der Abt. K., bei der sich dann herausstellte, dass es sich bei dem benannten Teufel um den Studenten handelt, welcher z. Zt. in Westberlin progressiv gegen die westberliner Willkürjustiz auftrat. […] Die sofortige Rücksprache mit dem zuständigen Verbindungsoffizier des MfS ergab, dass alle […] unverzüglich zu entlassen sind. Durch einen Offizier des Einsatzstabes vom MfS53 wurden alle vier Personen mittels Pkw zu ihren abgestellten Fahrzeugen […] gebracht. Dieser Genosse des MfS54 gab sich als Mitarbeiter der SED aus, [und] entschuldigte sich für die durchgeführten Maßnahmen.«55
Nicht berichtet wurde in dem Protokoll, was die Ostberliner Jugendlichen so magisch an den Kommunarden anzog. Diese taten nämlich, was jenen untersagt war. So beklagten sie sich bei den Kommunarden, dass man ihnen die Haare gewaltsam schor, wenn die »Haarlänge der sozialistischen Moral widerspricht« oder über den »Mangel an geeigneten Treffpunkten für Outsider«. »Schnell war man beim Fachsimpeln über Vopos hier und Schupos drüben.«56
Die Ambivalenz der Studentenbewegung verunsicherte die SED. Der Impetus zumindest des antiautoritären Flügels erwies sich ebenso als revolutionär wie als antikommunistisch. Versuche, ihn zu steuern, scheiterten immer wieder, obwohl es gelungen war, aus Ostberlin geführte Leute im SDS unterzubringen.57 Doch die Studentenorganisation bestand auf ihrer politischen Eigenständigkeit und dem Recht, die andere Seite klar und öffentlich zu kritisieren. Gerade ihr antiautoritärer Flügel, an dessen Spitze nicht ganz zufällig auch DDR-Emigranten wie Rudi Dutschke und Bernd Rabehl standen, vereinte in sich die Ambivalenz jener linksradikalen Position, die gleichermaßen antikapitalistisch und antiimperialistisch wie antikommunistisch und antibürokratisch war.
Am 19. Januar 1968 überbrachten Christian Semler und Gaston Salvatore vom SDS persönlich der FDJ in Ostberlin eine Einladung zu dem für den Februar geplanten Vietnam-Kongress in Westberlin.58 Die Berliner SDSler wollten einen Kongress, der zugleich zum Initiator militanter Aktionen gegen den Krieg werden sollte.59 Daher war der Aufruf zum Kongress in Berlin zugleich eine Absage an Friedensverhandlungen in Vietnam, die nicht den Sieg des Vietcong voraussetzte, und er war eine deutliche Absage an eine Politik, die zwar Entspannung in Europa, aber Fortsetzung des Krieges in anderen Teilen der Welt bedeutete.60 Ein wenig hatte sich der SDS die Kostümierung der 1920er Jahre geliehen: Einer Beratung von linksradikalen Jugendorganisationen Westeuropas wurde der Name »Brüsseler Konferenz« verpasst, um auf die Tradition der Liga gegen Imperialismus und für nationale Unabhängigkeit Willi Münzenbergs zurückzugreifen.61 Der Bezug auf den Spanischen Bürgerkrieg 1936 bis 193962 intendierte zwar nicht die Beteiligung internationaler Freiwilligenbrigaden am Guerillakrieg der Vietnamesen, doch militante Aktionen gegen die logistische Unterstützung in den Metropolen der Ersten Welt waren sehr wohl ins Auge gefasst.63 Die Einladung von FDJ und Komsomol zum Kongress folgte der Absicht, diese im Sinne revolutionärer Militanz aus der sowjetkommunistischen Politik der friedlichen Koexistenz herauszubrechen.64
Ob diese Intentionen des SDS dem MfS klar wurden, ist dessen Einzelinformationen nicht zu entnehmen. Aufgrund der Informationen ihrer Spitzel wäre die Staatssicherheit durchaus in der Lage gewesen, hierauf aufmerksam zu machen. Die Funktionäre der FDJ konsultierten sich unterdessen mit dem ZK-Sekretär Albert Norden, der auf weitere Verhandlungen drängte, um dem SDS in einer »gemeinsame[n] Vorbereitung einer solche Konferenz durch die beteiligten Organisationen«65 die Definition der politischen Stoßrichtung aus der Hand zu nehmen.
Der Aufruf des SDS berief sich explizit auf eine Strategie, wie sie Ernesto Guevara und die kubanische KP verfolgten.66 Guevaras Konzept stand der Außenpolitik Moskaus diametral entgegen, die eine Politik der Entspannung und der friedlichen Koexistenz verfolgte, um zuerst die inneren Entwicklungsdefizite ausgleichen zu können und die nach der bürokratischen Stabilisierung saturierte Macht der regierenden kommunistischen Parteien Osteuropas zu sichern. Die Verbreitung bewaffneter Aufstände in der Dritten Welt wurde von Dutschke zugleich als der Hebel angesehen, mit dem die bürokratische Herrschaft in den Staaten sowjetischen Typs aufgebrochen werden könnte.67
Mit Enthusiasmus konnte Dutschke feststellen, dass das 3. Plenum des ZK der KP Kubas im Januar 1968 die sogenannte Mikrofraktion angriff und ausschloss. Die Gruppe um Annibal Escalante – einem Veteranen der alten, Sozialistische Volkspartei genannten kommunistischen Partei Kubas – hatte versucht, die kubanische Politik im Sinne Moskaus umzudirigieren. Sie wurde aus der Partei ausgeschlossen. Die ihr zugerechneten Mitglieder wurden zu teilweise hohen Freiheitsstrafen verurteilt. Dass gerade Verbindungen zu osteuropäischen Staaten, darunter zur DDR als belastend galten, entbehrte nicht einer gewissen Ironie, war doch das MfS u. a. mit Markus Wolf persönlich am Aufbau der kubanischen Geheimpolizei beteiligt, die für den politischen Prozess das Belastungsmaterial lieferte.68 Die Beschuldigungen riefen ernsthafte Spannungen mit den Ostblockstaaten hervor; das SED-Politbüro stellte die vereinbarte Lieferung einer Druckerei nach Kuba wieder infrage, deren Vertreter in dem Prozess als Kontaktleute der Mikrofraktionäre benannt wurden.69
FDJ und die SED-Westberlin versuchten dem Kongress seine antikommunistische Tendenz zu nehmen und ihn auf diese Weise »bündnisfähig«, d. h. für sie akzeptabel zu machen.70 Die SED reagierte letztlich im Sinne einer distanzierten Unterstützung, ließ das MfS die bevorzugte Abfertigung und Passage der Teilnehmer im Transit durch die DDR organisieren und die Westberliner FDJ stellvertretend ein Grußwort sprechen. Im Dilemma zwischen der eigenen revolutionären Phraseologie einerseits und der an stabilen Vereinbarungen mit dem weltpolitischen Gegner interessierten außenpolitischen Praxis versuchte die SED die Quadratur des Kreises: Sie spornte die westlichen Rebellen an in der Hoffnung, die Kontrolle über sie gewinnen zu können, indem sie deren politisches Konzept mit allen Mitteln, die ihr zur Verfügung standen, unterlief. Das ging solange gut, wie der tatsächliche Konflikt nicht öffentlich wurde.
Deutlich wurden sowohl die Distanz zwischen SDS und SED als auch die Eitelkeit aller Versuche Ostberlins, die APO zu steuern, gerade auf dem von ihr so wohlwollend begleiteten Vietnamkongress im Februar 1968. Hier beschrieb Dutschke gleich eingangs in seinem Referates den Zusammenhang des Aufbegehrens der Dritten Welt und der Politik Moskaus: »Die Dritte Welt […], deren Entwicklung vom Imperialismus verhindert wurde, hat in den 40er Jahren mit diesem Kampf begonnen, schon ganz unter dem Eindruck und der Erfahrung der ersten, später71 ›verratenen‹ (Trotzki)72 ›proletarischen Revolution‹ in der Sowjetunion.«73
In der Politik der Détente sah Dutschke nur ein westliches Zugeständnis, »um wenigstens in Mittel- und Westeuropa […] einen ›freien Rücken‹ für die kurzfristige und effektive Zerschlagung der revolutionären Bewegung der Dritten Welt zu erhalten. Die historische ›Schuld‹ der Sowjetunion besteht in dem völligen Versagen, diese Strategie des Imperialismus zu begreifen und subversiv-revolutionär zu beantworten.«74 Diese beißende Kritik an der Politik des Ostblocks durch den SDS wurde in den östlichen Medien verschwiegen, solange der Schein eines Bündnisses mit ihm nicht durch greifbare Entwicklungen widerlegt wurde.75
Dutschkes Überlegungen, aus praktischen Aktionen heraus selbstorganisierte Gruppen zu bilden, »woraus dann auch eine Partei entstehen könnte«, die »Resultat des praktischen Kampfes und nicht Beginn einer bürokratischen Aktion« würde, alarmierte die SED, die mit Kurt Steinhaus, Herbert Lederer und Walter Rudert über Genossen unter den Rednern verfügte.76 Das Politbüro hatte gerade zwei Monate zuvor mit der westdeutschen KP besprochen, wie diese aus den Katakomben der Illegalität in die Öffentlichkeit treten wollte. Nach dem Zerbrechen der Zweckgemeinschaft mit dem SDS im Mai 1968 und unter Zeitdruck geraten durch von der SED unabhängige Vorbereitungen zur Gründung einer linkssozialistischen Partei in der Bundesrepublik77 gründete sie im Sommer mit der SDAJ einen moskautreuen Jugendverband und im September 1968 schließlich die in jeder Hinsicht von der SED abhängige DKP.78
Mit der Selbstisolation der moskautreuen Kommunisten in ihren 1968 gegründeten eigenen Organisationen wurde sichtbar, dass die Versuche der Infiltration und unsichtbaren Steuerung radikaler gesellschaftlicher Strömungen in der Bundesrepublik durch die DDR gescheitert waren. Nur indem man die realitätsfernen Steuerungsabsichten des MfS für die Tat nimmt, lässt sich der trübe Schein einer Unterwanderung erzeugen.
1.3 Prager Frühling
Die im Januar 1968 mit der Wahl Alexander Dubčeks vorläufig beendete Auseinandersetzung innerhalb der Führungsgruppe der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (KSČ) wurde in den Bruderparteien zunächst vorwiegend positiv aufgenommen. Mit der Abwahl Antonín Novotnýs vom Posten des Generalsekretärs hatte sich die KSČ eines Bremsklotzes entledigt, der die seit 1963 auf der Agenda stehenden Wirtschaftsreformen permanent blockiert hatte. Zumal der Wechsel nach außen wenig kontrovers erschien: Novotný blieb Präsident des Landes und wurde vom Plenum ausdrücklich für seine Verdienste gelobt, obwohl es offenbar schwerfiel, diese überhaupt konkret zu beschreiben. Alles schien in geordneten Bahnen zu verlaufen, auch die Biografie des neuen Parteichefs war über jeden Zweifel erhaben.
Das SED-Politbüro nahm den Bericht des DDR-Botschafters über das Plenum kommentarlos zur Kenntnis,79 das Zentralorgan der SED druckte das Kommuniqué80 und am folgenden Tage ein Portrait des bis dahin weitgehend unbekannten neuen Ersten Sekretärs Alexander Dubček.81 Ein Protokoll der Tagung wurde in Prag nicht veröffentlicht und auch den Bruderparteien erst sehr viel später zugänglich gemacht.82 Dennoch schienen deren Ergebnisse mit Erleichterung zur Kenntnis genommen worden zu sein. Dies wurde mittelbar deutlich in einem Artikel des »Neuen Deutschlands«, der aufmerksamen Lesern zur Kenntnis brachte, dass das Januarplenum auf den »Bemühungen, konsequent die Beschlüsse des 13. Parteitages (Juni 1965) zu verwirklichen«, basierte. Nur zwischen den Zeilen konnte man die Zähigkeit der Debatten erahnen, die auf den ZK-Plenen vom Oktober und Dezember 1967 geführt wurden. Im Vergleich zu den üblichen Berichten über interne Diskussionen befreundeter Parteien zeigte sich der ND-Redakteur bemerkenswert offenherzig. Implizit konstatierte er, dass sich das Nachbarland in seinen wirtschaftlichen Arbeitsprinzipien denen des »ökonomischen Systems« der DDR anglich und »allen Kommunisten erneut eindringlich die Einheit von Politik und Ökonomie vor Augen geführt« habe.83 Damit unterstrich er den Kompromiss, der in der SED 1965 zwischen den wirtschaftlichen Vorstellungen Ulbrichts, der 1964 vom Primat der Ökonomie gesprochen hatte,84 und seinen Gegnern, die auf dem Primat der Politik beharrten, auf dem 11. Plenum des ZK der SED geschlossen worden war.85
Diese gleichermaßen parteiamtlichen Erläuterungen sind insofern bemerkenswert, als es keineswegs üblich war, in der täglichen Information Probleme in den verbündeten Staaten und noch weniger in deren herrschenden Parteien zu diskutieren. Nur die Prager Dementis in der »Rudé právo«, das Januarplenum habe Änderungen in der Außenpolitik der ČSSR gegenüber der UdSSR oder in der Deutschlandpolitik zur Folge, wurden daher sofort im vollen Wortlaut vom »Neuen Deutschland« übernommen.86 Nichts schien bis Ende Januar 1968 auf Entwicklungen hinzuweisen, die in den Augen der SED als »besorgniserregend« hätten erscheinen können.
Dieser beruhigende Blick schien auch gestützt durch die Tatsache, dass der Sturz Novotnýs Ergebnis des gemeinsamen Vorgehens von Reformern und Konservativen war. Die politische Differenzierung unter den Spitzenfunktionären der KSČ griff erst in den folgenden Wochen und Monaten Platz, je stärker sich das Profil der Reformpolitik ausprägte.87 Ota Šik, seit 1964 Leiter der Staats- und Parteikommission für die Wirtschaftsreform und seit April 1968 in der neuen Regierung Černík stellvertretender Ministerpräsident, galt auch in der DDR als angesehener kommunistischer Wirtschaftsfachmann. Seine konzeptionellen Überlegungen zur Reform der ökonomischen Lenkungsstruktur wurden genau zur Kenntnis genommen.88 Andrerseits waren auch die meisten Vertreter des konservativen Flügels der KSČ für die Ablösung Novotnýs eingetreten und beabsichtigten in keiner Weise eine Rückkehr zu den Verhältnissen unter dessen Ägide.89 Die Einsicht, dass mit Novotný eine produktive Entwicklung des Landes nicht möglich sei, einigte die Flügel gegen die Anhänger und Günstlinge des Ersten Sekretärs: Einigkeit darüber, welcher Weg stattdessen einzuschlagen sei, bestand indes keineswegs. Dubček entzog sich diesem Dilemma, indem er auf jene innerparteiliche Demokratie verwies, die in kommunistischen Parteien immer nur abstrakt in den Satzungen und Programmen existierte, konkret aber durch das Diktat des Zentrums ersetzt wurde. Er forcierte die diskursive Erarbeitung eines Aktionsprogramms, das bis zur zügig einzuberufenden Tagung des XIV. Parteitages den Kurs der KSČ bestimmen sollte.
Nach wochenlanger Unklarheit war es Josef Smrkovský,90 der das Schweigen über die Diskussionen des Plenums brach. In einem Interview mit der Gewerkschaftszeitung »Práce«, das am 22.1.1968 unter dem Titel »Oč dnes jde?« (Worum geht es heute?) erschien,91 betonte er die Notwendigkeit, die Deformationen des Sozialismus, wie sie die Vergangenheit hervorgebracht habe, zu überwinden. Meinungsverschiedenheiten, sagte er, seien wie in den Statuten der Partei bestimmt, in demokratischer Form, und nicht von der Position der Macht aus zu lösen. Funktionen seien keine lebenslangen Pfründen. Es seien die Bedingungen für das ehrenvolle Abtreten alter Kader zu schaffen, aber auch für die satzungs- und gesetzeskonforme Rückkehr in solche Funktionen, womit Smrkovský vor allem die ausstehende Rehabilitierung politisch Gemaßregelter ansprach.92
Die von Smrkovský angesprochenen Themen wurden sofort als problematisch aufgegriffen und auf dem 4. Plenum des ZK der SED am 29./30. Januar 1968 angegriffen. Herrmann Axen – im Sekretariat des ZK für die internationalen Beziehungen zuständig – gab einen Bericht über die Vorbereitungen zur internationalen Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien, in den er überraschend »einige Bemerkungen zu den jüngsten Vorgängen in der Führung der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei« einflocht. Dort – so Axen – versuche der Imperialismus Schwierigkeiten zu säen und die Vorgänge im »psychologischen Krieg gegen die DDR« auszunutzen:
»Wir gehen also von den Interessen der Sicherung und Stärkung unserer DDR und der ČSSR aus wie der gesamten Gemeinschaft der sozialistischen Staaten. […] Unsrer Auffassung nach besteht die eigentliche Ursache für die Auseinandersetzungen: Es geht offenkundig nicht in erster Linie um die Frage der Person – so wichtig natürlich die Besetzung der Funktion des Ersten Sekretärs ist –, es geht um die politische Linie der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik. Es geht darum: Werden die Prinzipien des Marxismus-Leninismus über den Aufbau der sozialistischen Gesellschaft […] konsequent und schöpferisch angewendet oder wird angesichts bestimmter objektiver und subjektiver Schwierigkeiten, angesichts des Drucks kleinbürgerlicher Kräfte sowie angesichts der Aufweichungspolitik des Gegners von außen eine Liberalisierung zugelassen.«93
Der unspektakuläre Personalwechsel in der Parteiführung ließ dem abgelösten Novotný die Chance, als Präsident gegen den neuen Kurs zu polemisieren. In Prager Betrieben versuchte er die Arbeiter gegen die Wirtschaftsreformen und die Mitstreiter Ota Šiks zu mobilisieren: Die Reformen bedeuteten härtere Normen, verringerte Einkommen und letztlich Arbeitslosigkeit. Diese Konterattacke, in deren Hintergrund der Leiter des Sekretariats des Verteidigungsministers und leitende Sekretär des Hauptausschusses der KSČ im Verteidigungsministerium, Jan Šejna, selbst ein Eingreifen des Militärs zugunsten Novotnýs erwog, zwang den Reformflügel geradezu, die Substanz der Kontroverse öffentlich darzustellen. Gegen Šejna, der überdies ein korrupter Charakter war, wurde vom Parlament eine Untersuchung eingeleitet,94 woraufhin sich der oberste Kommunist der Armee zum Erzfeind USA absetzte und dort um politisches Asyl bat. Dass diese Auseinandersetzungen sich mehr und mehr in aller Öffentlichkeit vollzogen, stellte in den Augen der Verbündeten ein bedenkliches Zeichen des Kontrollverlustes der tschechoslowakischen KP dar. Beunruhigend klangen die Nachrichten des DDR-Botschafters in Prag Peter Florin.95 Sensibel verfolgten Parteifunktionäre des Medienbereiches die Debatten in der ČSSR.96
Als auf dem Höhepunkt der zwangsoptimistischen politischen Kampagne der SED, die sich als demokratische Volksaussprache über die neue Verfassung der DDR darstellte, Josef Smrkovský am 17. März 1968 in einem Interview mit dem »Weltspiegel« des Westdeutschen Rundfunks die öffentliche Diskussion in einer von Zensur befreiten Presse der ČSSR als Ausdruck des Demokratisierungsprozesses pries, sah insbesondere die SED-Führung eine Grenze überschritten. Smrkovský reagierte auf das unterdessen signifikant gewachsene Interesse der westdeutschen Medienöffentlichkeit an der spätestens seit Aufhebung der Pressezensur Anfang März vollkommen veränderten öffentlichen Debattenkultur. Er unterstrich die Notwendigkeit, Änderungen im politischen System anzugehen, die Dringlichkeit des personellen Wechsels in Führungsgremien, die Gewährleistung der Versammlungs- und Reisefreiheit – auch in westliche Länder. Auf die Frage nach der Vorbildwirkung des politischen Systems der UdSSR betonte er, dass jedes Land eigene passende Wege finden müsse, zugleich bezeichnete er die offene Diskussion darüber in der ČSSR als Vorbild eines demokratischen Prozesses für alle Länder des Ostblocks.97
Dieses Interview, das im 1. Programm des westdeutschen Fernsehens ausgestrahlt wurde, war im Wesentlichen das erste authentische Dokument, das Ostdeutsche in ihre Wohnstuben geliefert bekamen. Die westlichen Rundfunkstationen hatten freilich schon Vieles berichtet, doch nicht jede dieser Meldungen und Bewertungen konnte angesichts des west-östlichen Propagandakrieges als über jeden Zweifel erhaben angesehen werden. Daher war es für die SED-Führung weniger das, was Smrkovský im »Weltspiegel« sagte, sondern allein, dass er als Mitglied des Zentralkomitees der KSČ ohne Absprache mit der SED in einem westdeutschen Sender sprach, den außerhalb Dresdens nahezu jeder Mensch in der DDR sehen konnte. Damit brach er ein ungeschriebenes Agreement unter den Kommunisten Europas, dass westdeutsche Medien wegen ihrer Einwirkungsmöglichkeiten in die DDR nicht ohne Abstimmung mit Ostberlin bedient werden durften. Daher betrachtete die SED-Führung Smrkovskýs Interview als eine direkte Einmischung in die inneren Angelegenheiten ihres Machtbereichs, sintemal er gerade auf dem Höhepunkt der DDR-Verfassungsdiskussion eine ganz andere demokratische Kultur als vorbildlich hingestellt hatte.
Ulbricht war erbost: Auf dem Treffen der Parteiführer der KPdSU, der PVAP, USAP, der SED und der KSČ in Dresden am 23. März 1968, auf dem Dubček – der unter dem Vorwand, ökonomische Probleme zu diskutieren, eingeladen worden war – die Leviten gelesen werden sollten,98 verglich er Debattenbeiträge im Nachbarland mit dem Aufstand von Kronstadt 1921. »Ja, liebe Genossen, wenn die Pressefreiheit so ist, […] dann muß das zur Konterrevolution führen.«99
Gab es bei Ulbricht bis dahin durchaus die Bereitschaft, die sich entgrenzende Pressefreiheit bei den Nachbarn als internes Übergangsphänomen hinzunehmen, das von relativ überschaubarer Wirkung auf den eigenen Machtbereich bliebe, offenbarte nicht zuletzt das Dresdner Treffen eine tiefgehende Differenz, die Ulbricht nur als Kontrollverlust der Prager Parteiführung zu deuten in der Lage war: Alexander Dubček berichtete dort über ein Problem bei den turnusmäßig stattfindenden Wahlen der Parteileitungen: Die Abkehr von der üblichen Besetzung verantwortlicher Positionen von oben nach unten, der dann in Parteiversammlungen mehr oder minder offen zugestimmt wurde, belegte Dubček hintersinnig als Abkehr vom »Subjektivismus« – der Kernvokabel in der Begründung der Ablösung Nikita Chruschtschows 1964 – und behauptete kühn, das frühere Verfahren hätte »die führende Rolle der Partei geschwächt und nicht gefestigt«. Nunmehr würden die Parteisekretäre in geheimer Wahl bestimmt, wobei jedoch viele der alten Kader keine Mehrheiten mehr erlangen konnten.
Dubček beschrieb mit diesen Worten nichts Geringeres als die Aufgabe des Nomenklaturprinzips, d. h. der Bestimmung der Besetzung der Kommandohöhen in Partei und Gesellschaft durch das jeweils übergeordnete Parteigremium, und seine Ersetzung durch demokratische Wahlen.100 Ulbricht ging mit Dubček insofern konform als er die Notwendigkeit zur Ablösung der Günstlinge Novotnýs durch junge, fachlich gut ausgebildete Kader als »unvermeidlich« bezeichnete, »aber nicht in dieser Weise, wie das jetzt geschehen ist!«101
Auslöser für die öffentliche Polemik der SED gegen den Prager Frühling waren die Nachrichten, die über dessen gesellschaftlichen Aufbruch in die Demokratie vor allem durch westliche Medien in die DDR drangen. Smrkovskýs Fernsehinterview war Ulbricht ein zweckdienlicher Anlass, die sonst übliche Zurückhaltung bei der öffentlichen Darstellung von Meinungsverschiedenheiten innerhalb des Ostblocks oder zwischen kommunistischen Parteien fallenzulassen. Kurt Hager eröffnete am 26. März 1968 die öffentliche Polemik gegen die tschechischen Kommunisten in seinem Schlusswort auf dem Philosophiekongress der DDR, in dem er Josef Smrkovský direkt beschuldigte, sich an der westdeutschen Kampagne gegen die neue DDR-Verfassung zu beteiligen.102
Die Meldungen aus den verschiedenen Berichtssträngen der SED über das lebhafte Interesse in der Bevölkerung an den Vorgängen beim südlichen Nachbarn wie auch für die Revolte der Studenten und Jungarbeiter in Polen im Februar/März 1968103 ließ bei der SED-Führung die Entschlossenheit zu einer ideologischen Gegenkampagne in der DDR wachsen. Auch in Äußerungen, in denen die neue Verfassung abgelehnt wurde, fanden sich immer wieder Bezüge auf die Entwicklung in der ČSSR.104 Weder die Ulbrichtsche sozialistische Menschengemeinschaft in der DDR noch die sozialistische Völkergemeinschaft waren als Gemeinwesen konstruiert, in denen sich die Menschen als Bürgerinnen und Bürger für die eigenen öffentlichen Angelegenheiten tatsächlich interessieren und engagieren sollten. Nachrichten über die wirklichen Verhältnisse und Probleme, wie sie aus dem eigenen Lande oder anderen Ländern des sozialistischen Lagers hätten durchdringen können, wurden blockiert. Dennoch sah man solche Nachrichten, selbst wenn sie aus den Nachbarstaaten stammten, wo immer sie erreichbar waren, als die eigenen Angelegenheiten betreffend an. Und das, obwohl nur außerordentlich Wenige in der DDR des Tschechischen, Slowakischen oder Polnischen mächtig waren. Der Hunger nach Informationen, die das »Neue Deutschland« vermied zu geben, war unstillbar. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass die ungeliebte russische Sprache selbst in ihrer armseligsten Form – einer Verknüpfung von rudimentärem Russisch (»Kominternrussisch«) und Parteichinesisch – es erleichterte, auch Nachrichten aus den Nachbarländern aufzunehmen und als Botschaften aus einer »imagined community« zu begreifen.105 Nur diese Gemeinschaft existierte im Sinne einer res publica. Und sie existierte im vollkommenen Gegensatz zu der in den offiziellen Verlautbarungen der Herrschenden intendierten als Subkultur heimlicher Sympathie. Es war eine (Leidens-)Gemeinschaft jener Objekte der Herrschaft, die diese Art Kommunismus zu ertragen hatten, eine Gemeinschaft ganz ähnlicher und daher leicht nachvollziehbarer Erfahrungen mit einer undurchdringlichen und sie degradierenden Macht. Aus der gemeinsamen Lebenserfahrung war der Homo sovieticus in seiner Ambivalenz entstanden.106 In der Ablehnung dieser Herrschaft war gewissermaßen eine Grenzen überschreitende osteuropäische Community entstanden, die im Laufe der Jahre eine sogar transnational agierende Opposition hervorbringen sollte.107
Die Ideen, der Enthusiasmus, die Dynamik des Prager Frühlings zogen die Blicke der Bewohner der DDR magnetisch an. Sie setzten Maßstäbe, an denen sich schlicht alles in der DDR ins Bedeutungslose verkleinerte. Die Nähe der Menschen in den Ostblockstaaten war 1968 bei Weitem größer als noch 1953 oder 1956, als die Zeitrechnung noch entschieden vom Jahr 1945 geprägt war. Wenn sich die aufständischen Ungarn 1956 im Ostblock isoliert und verlassen sahen, wie Ágnes Heller es beschrieb, so bewies der Prager Frühling, dass keines der osteuropäischen Völker (mehr) allein stand: die Unruhen in Polen und Jugoslawien, die Solidarität und Anteilnahme in den anderen Staaten, die sich in den unterschiedlichsten Formen niederschlug, zeigten, dass in Prag im Frühsommer 1968 ein Tor zu einer anderen, noch unbekannten historischen Option geöffnet wurde. Diese Option stellte die Herrschaft, wie sie bestand, radikal infrage. Die Kommunisten des Ostblocks mussten reagieren. Sie konnten diese Möglichkeit sich nicht entfalten lassen, wollten sie ihre Herrschaft aufrechterhalten, wie sie war. Der Westen war im Grunde erleichtert, nicht eingreifen zu können und seine Hände in Unschuld waschen zu dürfen.
Die in der Okkupation der ČSSR durch die Armeen der fünf verbündeten Warschauer Pakt-Staaten108 am 21. August 1968 gipfelnde Aggression des Ostblocks richtete sich zwar vordergründig gegen den Prager Frühling, doch selten war ein Akt außenpolitischer Gewalt zugleich so sehr gegen die eigenen Völker gerichtet: Die internationale Balance der Kräfte war nicht gefährdet – dies bewies die Toleranz, mit der Moskau die neostalinistische und nationalistische Restauration durch Ceauşescu in Rumänien tolerierte –, es ging um den gefährlichen Funken, der von Prag überzuspringen drohte. Polen hatte zum Jahresbeginn demonstriert, dass der Boden, auf dem das Regime stand, jederzeit Feuer fangen konnte. In Ungarn versuchte die Regierung, mit allen Mitteln die Reminiszenz an 1956 zu verschütten. Selbst bei der Einführung eines reformierten Wirtschaftssystems wurde jede politische Weiterung im Sinne einer Liberalisierung vermieden.109 Die Studenten in Belgrad vereinten in ihrer Revolte die antibürokratischen und antikapitalistischen Elemente der vielen Bewegungen, die das Jahr 1968 charakterisierten.110 Und in Ostberlin konstatierten SED und das MfS, dass die Studentenrevolte im Westen einer neuen Generation selbstbewusste Ausdrucksformen vorlebte, die in der Befreiung von den Fesseln der kommunistischen Bevormundung in der ČSSR ihren Inhalt fanden.111
Der westdeutschen Studentenbewegung, insbesondere ihrem antiautoritären Flügel stand die SED über den gesamten Zeitraum ihrer Blüte mit skeptischer Distanz gegenüber. Sie suchte Kooperation, wo es gegen einen gemeinsamen Gegner ging, doch wenn die Studenten die Situation im Ostblock kritisierten, wurden sie augenblicklich zum Gegenstand der Repressionsorgane.112 Als Rudi Dutschke Ende März 1968 gleich zweimal auf der III. Allchristlichen Friedensversammlung in Prag sprach, begrüßte er die Fortsetzung des Demokratisierungsprozesses in der ČSSR und forderte die Aufhebung des Fraktionsverbotes innerhalb der kommunistischen Partei als entscheidenden nächsten Schritt.113 Schon in seinem ersten Redebeitrag hatte er erklärt, dass es darum ginge, die kommunistischen Parteien des Ostblocks von innen her aufzubrechen, um, wie das MfS die Genossen Honecker und Verner (nicht aber Ulbricht) informierte, »›linke Gruppen in der DDR zu unterstützen‹, jedoch ›nicht außerhalb der Partei und gegen die Partei‹. In der DDR und den anderen osteuropäischen Ländern gebe es nur die Möglichkeit, ›die autoritären Strukturen zusammen mit einer Fraktion der Partei und den Massen von unten abzubrechen‹.«114 Damit war das Tischtuch zerschnitten. Gegen Dutschke wurde eine Einreisesperre verhängt, die nur deshalb nicht mehr öffentlich spürbar wurde, weil er in der folgenden Woche auf offener Straße in Westberlin niedergeschossen wurde und Ulbricht das Attentat auf »den jungen sozialistischen Studentenführer« als Beleg für die »ernste Gefahr«, in der sich die Bevölkerung Westdeutschlands befände, benutzen konnte.115
Die Bedeutung des Prager Frühlings auch für die Rebellen im Westen war dem entflohenen DDR-Bürger Dutschke rasch klar. Ernst Fischer, zu diesem Zeitpunkt noch Mitglied des ZK der KPÖ, hatte die Perspektive, die der Prager Frühling für den Westen eröffnete, im Mai 1968 klar umrissen:
»Die Neue Linke in der kapitalistischen Industrie-Gesellschaft sucht in der Ferne, was sie in der Nähe vermißt: revolutionäre Dynamik. Dieser Aufbruch ins Exotische ist nicht selten Flucht vor den daheim zu lösenden gesellschaftlichen Problemen. Vietnam, Brandmal der USA, hat Massen bisher unpolitischer Menschen im Westen aufgerüttelt, aber ein zweites, drittes Vietnam ist keine für Europa akzeptable Perspektive. Die im Wohlstandselend verzweifelnden jungen Menschen wünschen keinen gemäßigten Fortschritt im Rahmen der bestehenden Gesetze, sondern radikale Änderungen; sie wünschen Freiheit. Wenn die radikale Erneuerung in der Tschechoslowakei gelingt, wird in nächster Nähe entstehen, wonach sie in die Ferne schweifen: eine in Freiheit sich entwickelnde sozialistische Gesellschaft.«116
Die SED setzte alles daran, Informationen aus den Nachbarstaaten zu blockieren. Am 16. Mai 1968 tilgte sie die »Prager Volkszeitung« von der Liste des Postzeitungsvertriebs.117 Damit war das deutschsprachige Blatt aus der ČSSR weder im Abonnement noch an Kiosken mehr erhältlich. Die Verteilung der Zeitung durch das Kulturzentrum der ČSSR konnte allerdings nicht vollkommen unterbunden werden.118 Sie blieb Gegenstand der Observation. Die Zeitungsspalten in der DDR füllten sich mit unwidersprochenen Lügen über das Nachbarland. Deren schwerwiegendste wurde am 21. August 1968 veröffentlicht: »TASS ist bevollmächtigt zu erklären, daß sich Persönlichkeiten der Partei und des Staates der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik an die Sowjetunion und die anderen verbündeten Staaten mit der Bitte gewandt haben, dem tschechoslowakischen Brudervolk dringend Hilfe, einschließlich der Hilfe durch bewaffnete Kräfte, zu gewähren.«119 Der erste Satz der berüchtigten TASS-Erklärung vom 21. August 1968 war gerade deshalb verlogen, weil es tatsächlich einen Brief gab, in dem fünf Personen in einem privaten Brief ausländische Mächte aufforderten, in der ČSSR die verfassungsmäßige Ordnung umzustürzen. Die Identität dieser Personen wurde sorgfältig geheim gehalten, sie waren weder autorisiert, diesen Brief zu schreiben noch konnte er in irgendeiner Form als Legitimation für die Okkupation des Landes und die Arretierung der legalen Regierung dienen.120
Post festum hielt Hermann Axen fest, dass die aggressive Reaktion der fünf kommunistischen Parteien, die dem Prager Frühling in der Nacht vom 20. auf den 21. August 1968 mit ihren Panzern ein Ende bereiteten, »aus der Position der Schwäche« erfolgte.121 Deshalb mussten Panzer gegen Zivilisten vorrücken. Deshalb wurde in der DDR nicht nur jede Äußerung gegen die Okkupation des Nachbarlandes unterdrückt und verfolgt, sondern nach dem 21. August eine Kampagne eingeleitet, die jede und jeden dazu nötigte, die verbale Unterstützung des Gewaltaktes zu heucheln.122
Die Widerstände, die vielfältigen, manchmal heimlich und anonym, manchmal offen, aber immer aufrecht vorgetragenen Proteste überzogen das gesamte Land: Sie reichten von Armeeangehörigen der NVA123 bis hin zu Schülern und Lehrlingen.124 Keineswegs beschränkten sie sich auf eine kleine Gruppe von Kindern der Nomenklatura, wie durch die Fokussierung der medialen Aufmerksamkeit von 1968 bis zum heutigen Tage suggeriert.125 Diese Verengung des Blickwinkels ist tatsächlich auch ein später Erfolg des MfS, dem es zwar nicht gelang, den Protest zu unterbinden, aber die Akteure so voneinander zu isolieren, ja zu atomisieren, dass sie in der Regel nicht einmal von Aktionen im benachbarten Dorf erfuhren.
Bis Ende Oktober 1968 wurden mehr als tausend Personen verurteilt, drei Viertel von ihnen war unter 30 Jahren, 84,2 % waren Arbeiter, 8,5 % Schüler und Studierende.126 Die Strafverfolgung war zu diesem Zeitpunkt aber noch bei Weitem nicht abgeschlossen. Auch 1970 und 1971 wurden Personen ermittelt und angeklagt, die 1968 Flugblätter hergestellt und verbreitet hatten. Doch im Oktober 1968 waren es bereits so viele Jugendliche, dass sich die SED genötigt sah, zumindest Jugendliche unter 20 Jahren wieder zu entlassen.127 Der Schlag gerade gegen jene nachgewachsene Generation, die in der DDR groß geworden war und sich noch am ehesten mit den politischen Idealen des Sozialismus zu identifizieren vermochte, musste gründlich ausfallen, auch und gerade wo es sich um die eigenen Kinder handelte: Es war die Moral der Antigone, die es zu vernichten galt, weil sie auf der Menschlichkeit, dem Sinn aller Gesetze, bestand, die sich im Handeln der Väter gegen alles und jeden verkehrten, der diesem Sinn folgte: »Vor den Vätern sterben die Söhne« (Thomas Brasch).128
2. Zentrale Themen der Berichterstattung
2.1 Verfassungsdiskussion und die Reaktionen der Kirchen
Die Berichterstattung über Ereignisse in den Kirchen der DDR war regelmäßiger Gegenstand der Einzelinformationen des MfS. Schon der hohe Anteil dieser Berichte spiegelte die politische Marginalisierung der Kirchen in den verschiedenen Formen der inneren Kommunikation der DDR wider. In den meisten Medien wurden ihre Aktivitäten weitgehend ignoriert. Die internen Berichtsstränge der SED und des Staates konnten sich kaum auf verlässliche Informationen aus dem kirchlichen Innenleben berufen. Auf der anderen Seite schloss die interne Kommunikation der Kirchen in der Regel Empfänger im Apparat der SED nicht in ihren Verteiler ein, sieht man vom anlassbezogenen Austausch mit dem Staatssekretariat für Kirchenfragen oder den lokalen Behörden ab. Daher waren die Stasiinformationen, die aus verschiedenen inoffiziellen Quellen schöpften, für die SED-Führung von singulärem Wert.
Die neuen legalen Rahmenbedingungen, mit denen die Kirchen aufgrund der neuen Verfassung und einer Reihe anderer neuer Rechtssetzungen zurechtkommen mussten, unterwarfen sie einem außergewöhnlich hohen Anpassungsdruck. Sie zwangen sie, dem Staat gegenüber die eigenen Interessen und Regularien neu zu begründen. Gleichzeitig mussten sie den eigenen Gemeinden die veränderte innere Ordnung erklären und dabei deutlich machen, dass hier zwar erzwungene Zugeständnisse geleistet worden waren, diese aber keine Veränderung des kirchlichen Selbstverständnisses mit sich brachten.
Für die SED – und damit für das MfS – war es freilich von großer Bedeutung rechtzeitig und im Voraus darüber informiert zu sein, welche Gegenmaßnahmen die Kirchen gegen die Zumutungen des Staates ergreifen würden, auf welchen gesellschaftlichen Druck, den die Kirchen noch immer entfalten konnten, sie sich einstellen musste. So belegen die Informationen des MfS über die Reaktionen der Kirchenleitungen auf den Verfassungsentwurf plastisch dessen Bemühungen, die befürchtete Mobilisierung der Gemeinden bei der Volksabstimmung zu vermeiden,129 indem jene Streitpunkte genau definiert werden konnten, bei denen ein gewisses Entgegenkommen den Kirchenleitungen gegenüber zumindest deren Neutralität sichern half. Eine rücksichtslose Konfrontation hätte durchaus auch direkte oder verblümte Kanzelabkündigungen nach sich ziehen können, denen staatlicherseits nur mit unvergleichlich höherem Einsatz bei der gesteuerten Stimmauszählung hätte entgegnet werden können. Für eine allgemeine Befriedung der Situation im Lande war daher ein Verzicht auf offene Konfrontationen erwünscht. Zugleich sollten die Kirchen aber aus ihrer gesamtdeutschen Verfasstheit herausgebrochen werden – ein Preis, den diese letztlich zu zahlen bereit waren, wenn ihre Handlungsspielräume nicht weiter eingeschränkt wurden. Die Berichte des MfS über die innerkirchlichen Debatten in den Kirchenleitungen und auf den Synoden sind eine besonders dichte Quelle. Offenbar war es dem MfS durch das enge Netz seiner Informanten möglich, die dort stattfindenden Debatten und Überlegungen – und zwar, soweit es die Synoden betrifft, sowohl im Osten als auch im Westen – in großer Detailliertheit zu dokumentieren. Inwiefern es sie auch manipulieren oder gar steuern konnte, lässt sich aus den Quellen des MfS allein freilich nicht ablesen. Hierfür sind die Überlieferungen der Kirchen und anderer Provenienz zwingend hinzuzuziehen.
Während mit der Volksabstimmung vom 6. April 1968 die Diskussion über die Verfassung – und damit das Interesse des MfS an der Haltung der Kirchen und ihrer Gemeinden dazu – abgeschlossen war, setzten sich die Debatten über die erzwungene Anpassung der Kirchenorganisationen fort und zogen sich über das gesamte Jahr bis zur Gründung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR im Juni 1969 hin.
2.2 Äußere Ereignisse
Während in den meisten Jahren die Berichterstattung der ZAIG relativ genau zwischen Inlands- und Auslandsinformationen unterscheidet, weichen einige Jahre von diesem Schema ab. 1968 mag hierfür ein beeindruckendes Beispiel sein. Befassten sich die Inlandsberichte des MfS 1956 kaum mit den Ereignissen in Ungarn oder Polen selbst, sondern in allererster Linie mit deren Reflex in der DDR, berichten Abwehreinheiten des MfS 1968 sehr intensiv über Vorgänge in der ČSSR auch dann, wenn sich in ihnen keine direkte Wirkung innerhalb der DDR niederschlägt. Die Quellen dieser Informationen sind ihnen nicht immer zweifelsfrei zu entnehmen, nichtsdestotrotz kann die Annahme nicht von der Hand gewiesen werden, dass auch verantwortliche Funktionäre der KSČ oder von Staatsorganen der ČSSR interne Informationen beisteuerten. Der explizite Hinweis auf die notwendige Einhaltung des Quellenschutzes am Ende einer Information, der im Grunde nur eine Selbstverständlichkeit im Umgang mit diesen Papiere wiederholte, deutet an, dass ein Durchsickern ihres Inhalts durchaus die Identität dieser illoyalen Personen hätte erkennen lassen können.
Zugleich deutet die Tatsache, dass inoffizielle Informationen über verbündete Parteien und Staaten in diesem Ausmaß Gegenstand der Berichterstattung des MfS an die eigene Partei- und Staatsführung wurden, dass einerseits den offiziellen Kanälen misstraut wurde, dass andererseits aber auch die inneren Angelegenheiten verbündeter Staaten zugleich als innere Angelegenheiten der Sicherheit der DDR angesehen wurden. So wie die Menschen in der DDR sich die Vorgänge in Polen oder der ČSSR als Teile ihres eigenen Lebensbereiches aneigneten, sie nicht als äußere Ereignisse, sondern als unmittelbar ihrer Community zugehörig ansahen, begriff auch das MfS und die DDR diese Vorgänge als Teil der Gefährdung des eigenen Herrschaftsbereiches.
Wo indes den überlieferten Informationen der ZAIG der unmittelbare Bezug zur DDR fehlt, werden sie entsprechend der Prinzipien dieser Edition nicht in diese Veröffentlichung aufgenommen. Das Gleiche gilt auch für die zahlreichen Berichte über die Studentenbewegung in Westberlin, die zumeist auf Informationen der von der HA II geführten inoffiziellen Mitarbeiter beruhten. In anderen Fällen beschränkten sich die Abwehrdiensteinheiten des MfS in ihren Berichten auf jene Informationen, die die Aktivitäten der jeweiligen Staaten oder Parteien innerhalb der DDR wiedergeben. Die Tätigkeiten der Botschaften Chinas oder Rumäniens spiegeln sich daher in den hier edierten Informationen, während die Informationen der HV A über interne Entwicklungen in China außerhalb bleiben müssen. Die an dieser Stelle nicht veröffentlichten Quellen sind nichtsdestotrotz für die Forschung im Archiv zugänglich.130
Die Wirkungen dieser von den Menschen internalisierten äußeren Ereignisse fanden eine außerordentliche Aufmerksamkeit der Staatssicherheit. Die Rezeption der politischen Reformen, der offenen Debatten beim südlichen Nachbarn in der Bevölkerung der DDR wurde genau beobachtet. Dies war bereits der Fall, bevor die öffentliche Polemik zwischen SED und KSČ in den ostdeutschen Medien begonnen hatte: Besorgt konstatierte das MfS, dass sich Studenten über ihre mittelbare Mitgliedschaft im Internationalen Studentenbund – die FDJ war hier korporatives Mitglied – verbilligte Fahrkarten für Reisen ins Nachbarland verschaffen konnten und dies auch in rasch steigender Zahl taten.131
Die Berichterstattung über Bevölkerungsreaktionen gewann nach der militärischen Intervention des 21. August 1968 einen regelmäßigen Charakter.132
2.3 Oppositionelle Aktivitäten
Von einer systematischen Berichterstattung des MfS über oppositionelle Aktivitäten in der DDR kann nur sehr eingeschränkt die Rede sein. Sie erfolgt – zumeist pauschalisierend – immer als Teil von Übersichten über Stimmungen und Meinungen. Abgesehen von den bereits erwähnten Aktivitäten der Kirchen, die im weiteren Sinne insgesamt als systemfremd angesehen werden,133 konzentrieren sich Informationen über Oppositionelle meist auf jene Fälle, in denen Verbindungen ins Ausland und vor allem zu ausländischen Medien bestanden. Das zu erwartende bzw. vom MfS befürchtete Echo, das über elektronische Medien in die DDR zurückhallen konnte, wurde auf diese Weise vorab signalisiert.134
Dem Bericht über eine Geldsammlung für die Westberliner Studenten ist nicht klar zu entnehmen, ob diese Aktivität Ostberliner Intellektueller als Unterstützung revolutionärer Aktionen im Westen oder als Subversion im Osten gewertet wurde. Die Sammlung schien dem MfS Unbehagen zu bereiten, doch fände sie im Einverständnis mit der SED-Westberlin statt.135 Im Kern spiegelt die Information zweifelsohne das Unbehagen der Stasi an dieser unmittelbaren Solidaritätsform in Ostberlin. Sie war spontan und jenseits offizieller Strukturen organisiert, womit sie potenziell Gefahrenmomente für die innere Sicherheit aufwies. Das Interesse an der Sache beschränkte sich sichtbar auf diesen Aspekt. Der Zweck der Sammlung von Ostmark, d. h. von Geld, mit dem Westberliner ohnehin nichts anfangen konnten, bleibt außerhalb der Information: Die Sammlung diente dem Kauf von Regenkleidung und Motorrad- bzw. Bauarbeiterhelmen, um die Westberliner Demonstranten für die Zusammenstöße mit der Polizei zu wappnen.136 Beunruhigt war das MfS auch, weil diese Aktion in denselben Kreisen ausgeführt wurde, die sie in anderen Berichten als oppositionell oder gar staatsfeindlich charakterisierte und in denen die Sympathien für den Prager Frühling deutlich artikuliert wurden. Hierzu zählten gleichermaßen die üblichen Verdächtigen wie Robert Havemann und Wolf Biermann, Werner Tzschoppe, Peter Huchel oder der Kreis, der sich bei der Bildhauerin Ingeborg Hunzinger u. a. mit Westberliner Studenten traf.137
2.4 Sportlerinnen und Sportler
In mehreren Berichten fasst das MfS sein Wissen über die Entwicklung des Sports im Jahr der Olympischen Spiele von 1968 in Innsbruck und Mexiko zusammen. Im Unterschied zu anderen Berichtsjahren konzentrieren sich die Berichte aber vor allem auf die Beurteilung einzelner Sportler. Im Zentrum des Interesses stand die immer wiederkehrende Unwägbarkeit des Verhaltens von jungen Sportlern bei ihrem Aufenthalt im Ausland, insbesondere im westlichen Ausland. Dabei gerieten schon der geringste Anschein politischer Abweichung – etwa eine verspätete Zahlung von Parteibeiträgen –138 und private Kontakte zu Personen im westlichen Ausland in den Fokus des Misstrauens, das offenbar die allgemeine Grundlage des Verhältnisses des MfS zu den »Diplomaten im Trainingsanzug« bildete. Intensiv wurde die Privatsphäre der Sportlerinnen und Sportler von der Staatssicherheit ausgeleuchtet. In den Berichten wurden dann auch hemmungslos Gerüchte, Verleumdungen und Unterstellungen kolportiert, wenn sie den einmal unterstellten Zweifel an der Staatstreue des Objekts der Beobachtung stützen sollten. Einige der Berichte greifen dabei derart tief in die Privat-, ja Intimsphäre der Sportler ein, dass man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, die ZAIG-Informationen erfüllten gleichsam nebenbei die Funktion, das voyeuristische Interesse der Staatsführung am Privatleben ihrer Sportstars zu befriedigen, das mangels einer Yellowpress ungestillt blieb. Doch die Kehrseite dieses allgegenwärtigen Misstrauens war vor allem die Verunsicherung unter den Sportlerinnen und Sportlern, ja die Angst, trotz größter Trainingsanstrengungen am Ende um den Lohn, die Teilnahme an bedeutenden internationalen Wettbewerben, betrogen zu werden.
2.5 Validität der Aussagen
Insbesondere Aussagen über Personen oder einzelnen Personen zugeordnete Aussagen werden von Betroffenen als realitätsfern, tendenziös oder vollkommen verlogen benannt. Das ist kein überraschender Sachverhalt. Die Stasi hat in Berichten nicht nur die Erwartungen der Adressaten antizipiert, sondern ihre Untersuchungen waren stets ihren ideologischen Vorurteilen unterworfen. So war es z. B. selbstverständlich, Menschen, die der DDR den Rücken kehrten, unlautere Motive zu unterstellen, ihnen einen unmoralischen oder gar kriminellen Lebenslauf anzudichten. Es ist im Rahmen dieser Edition nicht möglich, den konkreten Inhalt der ZAIG-Informationen im Einzelfall zu prüfen, den Ursprung der in ihnen verarbeiteten Angaben zu verifizieren oder zu falsifizieren oder gar die Motive festzustellen, aus denen heraus das MfS diese oder jene Aussage wiedergab. So wies der Physiker Hans-Stefan Welzk, über dessen erfolgreiche Flucht die ZAIG informierte,139 vollkommen zurecht darauf hin, dass die vom MfS wiedergegebene Einschätzung seiner Arbeit durch seinen ehemaligen Vorgesetzten allenfalls dessen Absicht dokumentierte, nachträglich Distanz und ideologische Wachsamkeit gegenüber einem Flüchtling zu belegen, als dass sie seine Arbeitsleistung als Wissenschaftler widerspiegele:
Der ZAIG-Bericht »enthält u. a. zutiefst herabwürdigende Beurteilungen und verunglimpfende Äußerungen von Kollegen und dem Direktor der von mir in der DDR verlassenen Arbeitsstelle, dem Geomagnetischen Institut der Akademie in Potsdam, abgegeben nach meiner Flucht gegenüber der Stasi, offenkundig zum Selbstschutz, um sich von uns Republikflüchtigen abzugrenzen […], eine damals ja naheliegende Strategie der Schadensbegrenzung«: ein »Gebräu aus Verunglimpfungen, Rufmord und distanzierenden Bewertungen aus Selbstschutzmotiven«.140
Diese Schilderung sei hier stellvertretend zitiert, da sie sinnfällig den Kontrast zwischen den erlebten Entstehungszusammenhängen dieser Urteile und deren politisch verzerrter Wiedergabe in den ZAIG-Informationen aufscheinen lässt. Es sei daher an dieser Stelle nochmals ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die individuelle Zurechnung der einen oder andern Aussage, die das MfS hier vornahm, mit größter Skepsis zu betrachten ist.
3. Struktur und Entwicklung der ZAIG 1968
Seit der Aufwertung der Zentralen Informationsgruppe zur Zentralen Auswertungs- und Informationsgruppe im Jahre 1965 war insbesondere ihr Aufgabenbereich innerhalb des MfS gewachsen. Neben der Sammlung und Übermittlung von Informationen auf zentraler Ebene war sie nunmehr auch für die Auswertung der Informationen zuständig. Über die Auswertungs- und Informationsgruppen der Bezirksverwaltungen hatte die ZAIG Zugriff bis hinunter in die Kreisdienststellen.
Im Juli 1968 wurde die bis dahin selbstständige Arbeitsgruppe Anleitung und Kontrolle der ZAIG angegliedert.141 Dadurch erweiterte sich der Verantwortungsbereich der ZAIG auch auf die Kontrolle der Diensteinheiten. Die ZAIG wuchs mehr und mehr zum Gehirn des MfS an, wozu im folgenden Jahr nicht zuletzt Mielkes Befehl 30/68 beitrug, der ihr die Verantwortung für die elektronische Datenverarbeitung übertrug und sie zum ihm persönlich unterstellen Funktionalorgan des Ministers erklärte.142
In der 1965 gebildeten Zentralen Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG) waren seit 1961 ca. 13 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen tätig. Geleitet wurde sie seit 1965 durch Werner Irmler. Erst 1967 konnte Irmler die Zahl der Stellen auf 22 erhöhen.143 Durch die Angliederung der Abteilung Auswertung und Kontrolle wurden deren 20 Mitarbeiter 1968 eingegliedert.144
Für die Herstellung der Informationen für die Partei- und Staatsführung war der Stellvertreterbereich 1 der ZAIG zuständig, der unter der Leitung von Heinz Seidel stand. Der Bereich hatte die Aufgabe, nach den Weisungen Mielkes die Informationen anzufertigen, wozu die von den Linien des MfS eingehenden Informationen überarbeitet wurden, bzw. aufgrund der eingehenden Informationen der Diensteinheiten des MfS selbstständig solche Informationen erarbeitet und dem Minister vorgelegt wurden. Über die ausgehenden Informationen hatte die ZAIG genauestens Buch zu führen, deren Rücklauf zu kontrollieren und zu gewährleisten. Zugleich hatte sie die Informationsgruppen der Hauptabteilungen und Bezirksverwaltungen sowie der Abteilung VII der HV A anzuleiten und auch die von diesen an SED- und Regierungsstellen ausgehenden Informationen zu registrieren sowie deren Rücklauf zu kontrollieren.145
Irmler arbeitete an der strategischen Erweiterung der ZAIG und entwickelte Konzepte der auf Prinzipien der Kybernetik beruhenden organisatorischen Effektivität der Abteilung bei der Informationsverwaltung und -analyse, die sich auch zunehmend Mittel der elektronischen Datenverarbeitung zunutze machte.146 Doch erst in den folgenden Jahren gelang es ihm, den Kaderstamm seiner Diensteinheit auszubauen.
4. Berichtsarten, Rezeption und Überlieferung
Von den verschiedenen Berichtarten, die 1960 konzipiert worden waren,147 wurden auch im Jahr 1968 formell nur Einzelinformationen erstellt. Diese unterschieden sich jedoch substanziell. Sie reichten von knappen Ereignismeldungen bis hin zu ausführlichen analytischen Berichten, ohne dass sie durch die ZAIG formell unterschieden wurden. Lediglich eine Information, die »Operativ-Einzelinformation Nr. 276/68«, die auch keinen inhaltlichen Titel trägt, fällt aus dem üblichen Format heraus. Außer der Tatsache, dass sie über jenen Personenkreis berichtete, den die SED zu diesem Zeitpunkt für den zentralen Kristallisationspunkt einer an die Entwicklungen des Prager Frühlings anknüpfenden Opposition hielt, kann indes keine nähere Begründung für die formale Abweichung vom üblichen Format festgestellt werden.
Die von den jeweiligen Empfängern zurückgegebenen Informationen wurden registriert und offenbar in der Regel anschließend vernichtet. In der Ablage der ZAIG sind sie nur in Einzelfällen überliefert. Die auf diesen Rückläufern vorhandenen Paraphen und Lesespuren werden in der Edition dokumentiert. In einer erst jüngst archivalisch erschlossenen Ablage148 wurden gesondert aufbewahrte Rücklaufexemplare aufgefunden, die Vermerke und Paraphen enthalten. Bemerkenswert ist der maschinenschriftliche Vermerk der ZAIG auf einigen 1. Exemplaren darüber, wer außer dem Empfänger dieses Exemplars die Information darüber hinaus empfangen hat (Information Nr. 13/68). Leider lassen die wenigen Exemplare mit diesen Vermerken noch keine sicheren Rückschlüsse darüber zu, welche Mitteilungen über den Empfängerkreis der Informationen welchen Empfängern mitgeteilt wurden. Ungewöhnlich ist in der neu erschlossenen Ablage ein für Honecker bestimmtes 2. Exemplar der Information 72/63: Es enthält keine Information über die anderen Empfänger, aber einen Vermerk Honeckers, der die Information an Kurt Hager weiterleitete. Offenbar wusste Honecker nicht, dass Hager selbst zum Empfängerkreis dieser Information zählte.
Die Information darüber, wer die anderenAdressaten der Berichte waren, stellt selbst einen signifikanten Informationsvorteil dar. Ob Mielke diesen in eigener Machtvollkommenheit nutzen konnte oder nur in Absprache zumindest mit dem Empfänger des 1. Exemplars bleibt ein Forschungsproblem, auf das sich gegenwärtig noch keine klare Antwort geben lässt. Um über das Handling der ZAIG-Informationen genauere Aussagen treffen zu können, sind weitere Befunde und eingehendere Studien notwendig.
Zur Rezeption der Informationen lassen sich kaum valide Feststellungen treffen. Einige Annahmen über ihre mittelbare Wirksamkeit scheinen allerdings aus indirekten Hinweisen möglich. So wurde in der Sitzung des Sekretariats des ZK der Vortrag des kritischen Kunstwissenschaftlers Diether Schmidt in Karl-Marx-Stadt verhandelt, der Gegenstand der ZAIG-Information 302/68 vom 15. und 330/68 vom 22. März 1968 war.
Am 20. Februar beschloss das Politbüro, eine »interne Information« zu den von den Kirchen aufgeworfenen Fragen im Verfassungsentwurf herauszugeben, die für die Ersten Sekretäre der SED-Bezirksleitungen bestimmt war. In diese Information sind auch Inhalte der ZAIG-Informationen über die verschiedenen Beratungen von Kirchenleitungen eingeflossen – allerdings in einer Art und Weise, die ihren Ursprung natürlich nicht erkennen ließ.149
5. Druckauswahl und Formalia
Sämtliche 278 ZAIG-Berichte des Jahrganges 1968, die hier ediert werden, umfassen ca. 1 125 Seiten. Vollständig stehen sie auf der Website www.ddr-im-blick-1968.de in Form einer Datenbank zur Verfügung, die eine komfortable Volltextrecherche ermöglicht. Die Auswahl im Buch versucht einerseits, möglichst das gesamte Spektrum an Typen der Berichte und Informationen abzubilden. Andrerseits wurden inhaltlich bedeutsame Dokumente aufgenommen, die für das Jahr 1968 aber auch darüber hinaus von historischem Gewicht sind.
Die Wiedergabe der Dokumente folgt grundsätzlich dem Original. Die Rechtschreibung ist den heute gültigen Normen angeglichen. Offensichtliche Schreibfehler wurden stillschweigend korrigiert, wobei der Lautstand beibehalten wurde. Auffällige Fehlschreibungen wurden im Text korrigiert, in der Fußnote die Schreibweise des Originals aber dokumentiert.
Zum Schutz von Persönlichkeitsrechten der Personen, über die das MfS berichtete, wurden ihre Namen, wo kein Einverständnis zur öffentlichen Nennung vorlag, anonymisiert. Um die Lesbarkeit des Dokumentes dennoch zu gewährleisten, wurden die Anonymisierungen derselben Personen mit eindeutigen Nummern innerhalb eines Dokumentes versehen. Gegebenenfalls wurde diese eindeutige Nummerierung über mehrere inhaltlich zusammenhängende Dokumente aufrechterhalten, worauf im Dokumentenapparat hingewiesen wird. In Einzelfällen wurden Sachverhalte getilgt, um die Persönlichkeitsrechte davon betroffener Personen zu schützen. Diese Tilgungen sind im edierten Text mit [Passage mit schutzwürdigen Interessen nicht wiedergegeben] gekennzeichnet.
Gemäß § 32a des Stasi-Unterlagengesetzes (StUG) wurden Personen der Zeitgeschichte und Funktionsträger öffentlicher Institutionen vor der Veröffentlichung von Dokumenten, die Informationen über sie enthalten und die über ihre Funktionstätigkeit hinausgehen, benachrichtigt. Einige Betroffene, die nicht zu diesen Personenkreisen gehören, wurden darüber hinaus um eine Einwilligung zur Publikation der in den Berichten zu ihrer Person enthaltenen Daten gebeten. In den betreffenden Antworten wurden teilweise wichtige und interessante inhaltliche Anmerkungen zu den in den Quellen thematisierten Sachverhalten gemacht, die ganz oder auszugsweise in den Fußnoten dokumentiert sind.
6. Schlussbetrachtungen
1968 ist zweifelsohne kein durchschnittliches Jahr. Es war eine Wegscheide in der Geschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Vielleicht hätte der Prager Frühling eine Entwicklung eröffnen können, über deren Konsequenzen wir heute nur zu spekulieren vermögen. Doch er wurde erdrückt durch das Unvermögen jenseits der bestehenden Machtkonstellation liegende Chancen zuzulassen. Der konservative Flügel der kommunistischen Parteien verstand sich selbst als Exponent der »gesunden Kräfte«. Das Unbekannte galt ihm als krank, es stellte keine politische Herausforderung dar, an der es sich zu messen galt, sondern es galt als etwas, das es zu vertilgen, auszumerzen galt, um die Situation zu normalisieren. Es mag ein Zufall sein, dass auf der Tagesordnung des Politbüros vom 7. Mai 1968 auch die Frage der Zwangshospitalisierung psychisch Kranker stand. In den Zweifeln des Politbüros,150 ob die vorgeschlagene Gesetzesvorlage die preußischen Polizeivorschriften aus dem 19. Jahrhundert ersetzen sollte, mag eine Ahnung davon enthalten gewesen sein, dass es jenseits der allmächtigen Wissenschaft, von der die Kommunisten ihr Handeln geleitet zu wissen glaubten, eine vielfältige Wirklichkeit gab, die sich ihr verweigerte. Die Hybris, den Gang der Geschichte durchschaut zu haben und allein im Besitz der Kenntnis über ihren korrekten, »gesunden« Verlauf zu sein, ließ sie alles Abweichende als krank, als abartig bekämpfen. Wenige Monate vor der nächsten historischen Fehlleistung der SED, der Ausbürgerung Wolf Biermanns im November 1976, beschrieb dessen Freund, der Dichter Günter Kunert dieses Phänomen in seinem Essay über Heinrich von Kleist, »daß erst einer erkranken muß an der Welt, um sie diagnostizieren zu können als das Heillose schlechthin«.151
Die Ideologen der SED sahen das Übel aus den unbotmäßigen Gedanken kritischer Intellektueller erwachsen. Nicht zufällig verwiesen sie immer wieder auf die Kafka-Konferenz von 1963 als frühes Symptom jener Krankheit, die 1968 in Prag ausbrechen sollte. Gegen diese schickten sie ihre Büttel, von denen das MfS sicher einer der übelsten war. Kafka hatte dessen Triumph vom 21. August 1968 geschildert. Doch er hatte ihm auch den menschlichen Überlebenswillen entgegengehalten: »Die Logik ist zwar unerschütterlich, aber einem Menschen, der leben will, widersteht sie nicht.«152
Anhang
Tabelle 1: Adressaten der Berichte 1968 außerhalb des MfSName, Vorname, Funktion | Information Nr. | Anzahl |
---|---|---|
Axen, Hermann (Jg. 1916) SED-Politbüro (Kandidat), ZK-Sekretär für internationale Beziehungen | 74, 178, 307, 511, 778, 781, 840, 892, 909, 949, 952, 959, 966, 1024, 1052, 1066, 1235, (1322) | 17 (18) |
Barth, Willi (Jg. 1899) ZK-Mitglied, Leiter der Arbeitsgruppe Kirchenfragen des ZK | 33, 61b, 126b, 151, 159, 165, 173, 179, 334, 354, 357, 370, 375, 510, 533, 567, 578, 676, 720, 728, 729, 776, 827, 876, 908, 920, 921, 927, 944, 1002, 1021, 1031, 1033, 1049, 1054, 1059, 1072, 1092, 1112, 1146, 1147, 1211, 1248a, 1289, 1299, 1376, 1391, 1393 | 48 |
Bochmann, Manfred (Jg. 1928) Staatssekretär für Geologie | 1 | |
Borning, Walter (Jg. 1920) Leiter der Abteilung Sicherheit des ZK, Generalmajor | 101, 178, 212, 217, 273, 275, 461, 596, 599, 754, 978, 1182, 1192, 1197, 1223 | 15 |
Dickel, Friedrich (Jg. 1913) ZK-Mitglied, Generalleutnant, Minister des Innern und Chef der Deutschen Volkspolizei, Mitglied des NVR | 5 | |
Ewald, Georg (Jg. 1926) SED-Politbüro (Kandidat), Minister, Vorsitzender des Rats für Landwirtschaftliche Produktion und Nahrungsgüterwirtschaft | 9 | |
Ewald, Manfred (Jg. 1926) ZK-Mitglied, Präsident des DTSB | 4 | |
Fröhlich, Paul (Jg. 1913) SED-Politbüro, 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Leipzig | 5 | |
Füst Oberst, bis Sommer 1968 Stabschef der 11. MSD, dann als militärpolitischer Mitarbeiter des Vorsitzenden des Staatsrats zu Ulbricht versetzt | 1 | |
Gießmann, Ernst-Joachim (Jg. 1919) Minister für das Hoch- und Fachschulwesen | 3 | |
Grüneberg, Gerhard (Jg. 1921) SED-Politbüro, ZK-Sekretär für Landwirtschaft | 36, 122, 353, 417, 425, 585, 591, 598, 892, 909, 1045, 1089, 1150, 1160, 1194, 1213 | 16 |
Grünstein, Herbert (Jg. 1912) 1. Stellv. Minister des Innern, Generalleutnant der Deutschen Volkspolizei | 1 | |
Hager, Kurt (Jg. 1912) SED-Politbüro, ZK-Sekretär für Wissenschaft und Kultur | 34, 275, 294, 301, 317, 330, 352, 434, 462, 481, 490, 491, 510, 874, 955, 1043, 1071, 1155, 1247, 1322 | 20 |
Hellmann, Rudolf (Jg. 1926) Leiter der Abteilung Körperkultur und Sport des ZK | 5 | |
Hochmuth, Arno (Jg. 1930) Leiter der Abteilung Kultur des ZK | 1 | |
Hoffmann, Heinz (Jg. 1910) ZK-Mitglied, Minister für Nationale Verteidigung, Mitglied des NVR | 5 | |
Honecker, Erich (Jg. 1912) SED-Politbüro, ZK-Sekretär für Sicherheit, Mitglied des NVR | 7, 8, 13, 14, 17, 33, 36, 34, 49, 61a, 68, 74, 90, 104, 108, 112, 122, 126a, 127, 128, 130, 135, 146b, 177, 178, 179, 208, 247, 275, 276, 294, 301, 302, 307, 317, 330, 337, 338, 340, 344, 345, 352, 355, 356, 357, 363, 371, 379, 381, 389, 458, 510, 511, 512, 522, 542, 552, 561, 562, 567, 575, 577, 578, 595, 598, 641, 642, 643, 648, 651, 653, 696, 776, 784, 820, 831, 836, 840, 848, 855, 858, 866, 874, 875, 876, 879, 886, 887, 908, 916, 921, 926, 949, 952, 959, 966, 977, 978, 988, 991, 1002, 1005, 1024, 1031, 1038, 1052, 1053, 1054, 1059, 1066, 1070, 1072, 1077, 1083, 1088, 1112, 1184, 1191, 1193, 1235, 1247, 1248b, 1299, 1332, 1342, 1351, 1364, 1383, 1393 | 129 |
Honecker, Margot (Jg. 1927) ZK-Mitglied, Ministerin für Volksbildung | 1 | |
Jahn, Günther (Jg. 1930) ZK-Mitglied, 1. Sekretär des Zentralrats der FDJ | 2 | |
Jarowinski, Werner (Jg. 1927) SED-Politbüro (Kandidat) ZK-Sekretär für Handel und Versorgung | 2 | |
Junker, Wolfgang (Jg. 1929) ZK-Kandidat, Minister für Bauwesen | 1 | |
Keßler, Heinz (Jg. 1920) ZK-Mitglied, Generaloberst, Stellv. des Ministers für Verteidigung und Chef des Hauptstabes der NVA | 2 | |
KGB (Komitee für Staatssicherheit der UdSSR, Berlin-Karlshorst) | 34, 112, 212, 542, 641, 642, 643, 648, 651, 653, 649, 703, 909, 949, 952, 959, 966, 977, 991, 1024, 1049, 1066, 1092, 1146, 1235, 1351 | 26 |
Kiesewetter, Wolfgang (Jg. 1924) Stellv. Minister für Auswärtige Angelegenheiten | 1322 | 1 |
Kohl, Michael (Jg. 1929) Staatssekretär beim Ministerrat | 1 | |
Kohrt, Günter (Jg. 1912) Staatssekretär im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten | 8 | |
Krolikowski, Herbert (Jg. 1924) 1963–67 stellv. Minister für Auswärtige Angelegenheiten, 1967–69 Aspirant an der Hochschule des MfAA der UdSSR, 1969–72 Botschafter der DDR in der ČSSR | 1322 | 0 |
Lamberz, Werner (Jg. 1929) ZK-Mitglied, ZK-Sekretär für Agitation und Propaganda | 178, 275, 359, 440, 488, 511, 517, 542, 585, 591, 641, 642, 643, 648, 653, 661, 649, 722, 778, 783, 831, 892, 909, 916, 978, 1156, 1389 | 27 |
Markowski, Paul (Jg. 1929) Kandidat des ZK, Leiter der Abteilung Internationale Verbindungen des ZK | 4 | |
Mittag, Günter (Jg. 1926) SED-Politbüro, ZK-Sekretär für Wirtschaft | 69, 180, 299, 383, 405, 443, 598, 636, 757, 846, 852, 873, 1030, 1045, 1069, 1088, 1123, 1183, 1212, 1276, 1342, 1383 | 22 |
Neumann, Alfred (Jg. 1909) SED-Politbüro, 1. Stellv. des Vorsitzenden des Ministerrats | 405, 440, 443, 488, 636, 757, 776, 806, 818, 819, 832, 840, 846, 852, 873, 952, 959, 966, 1024, 1123, 1276, 1383 | 22 |
Neumann, Alfred Bruno (Jg. 1927) Vorsitzender des Staatlichen Komitees für Körperkultur und Sport | 2 | |
Norden, Albert (Jg. 1904) SED-Politbüro, ZK-Sekretär für Agitation | 7, 112, 178, 419, 434, 440, 443, 462, 481, 488, 490, 491, 542, 642, 643, 648, 653, 676, 649, 720, 728, 729, 757, 778, 781, 806, 827, 848 | 28 |
Renckwitz, Fritz (Jg. 1921) Sektorenleiter MfS der Abteilung Sicherheit des ZK, Oberstleutnant | 5 (6) | |
Stoph, Willi (Jg. 1914) SED-Politbüro, Vorsitzender des Ministerrates, Mitglied des NVR | 33, 36, 34, 51, 61a, 69, 122, 126a, 179, 180, 208, 212, 226, 299, 307, 330, 352, 355, 357, 363, 567, 636, 641, 642, 643, 648, 653, 676, 728, 729, 750, 757, 778, 781, 827, 846, 876, 886, 908, 921, 949, 952, 959, 966, 1002, 1024, 1031, 1054, 1059, 1062, 1066, 1069, 1072, 1088, 1089, 1112, 1183, 1191, 1212, 1235, 1248b, 1299, 1342, 1351 | 64 |
Teller, Günther (Jg. 1925) Vorsitzender des Zentralvorstandes der GST, Generalmajor | 1 | |
Ulbricht, Walter (Jg. 1893) SED-Politbüro, 1. Sekretär des ZK der SED, Vorsitzender des Staatsrates der DDR, Vorsitzender des NVR | 179, 208, 275, 276, 302, 307, 330, 357, 440, 567, 642, 643, 648, 651, 653, 729, 781, 927, 949, 952, 959, 966, 1024, 1066, 1193, 1235, 1248b, 1299, 1351, 1393 | 30 |
Verner, Paul (Jg. 1911) SED-Politbüro, 1. Sekretär der SED-BL Berlin | 17, 33, 61b, 112, 126b, 151, 159, 165, 173, 178, 179, 275, 302, 334, 354, 357, 370, 371, 375, 381, 405, 462, 481, 488, 490, 491, 510, 511, 522, 533, 542, 567, 578, 585, 591, 597, 641, 643, 648, 676, 649, 720, 728, 729, 776, 827, 876, 908, 920, 921, 927, 944, 1002, 1021, 1031, 1033, 1049, 1054, 1059, 1072, 1088, 1092, 1112, 1146, 1147, 1193, 1211, 1248a, 1289, 1299, 1376, 1391, 1393 | 73 |
Wansierski, Bruno (Jg. 1904) Stellv. Leiter der Abteilung Sicherheitsfragen des ZK, Konteradmiral | 2 (3) | |
Weiss, Gerhard (Jg. 1919) ZK-Kandidat, Mitglied des Ministerrats, Ständiger Vertreter der DDR im RGW | 1322 | 1 |
Weißig, Roland (Jg. 1918) Vorsitzender des Staatlichen Komitees für Körperkultur und Sport | 1 | |
Winzer, Otto (Jg. 1902) ZK-Mitglied, Minister für Auswärtige Angelegenheiten | 10, 14, 34, 74, 146a, 307, 363, 379, 419, 781, 949, 952, 959, 966, 1024, 1184, 1351 | 17 |
Wyschowsky, Günther (Jg. 1929) ZK-Mitglied, Minister für chemische Industrie | 1 |
Name, Vorname | Funktion |
---|---|
Beater, Bruno | 1. Stellv. des Ministers, Kandidat des ZK |
Carlsohn, Hans | persönlicher Referent des Ministers |
Damm, Willi | Leiter der Abteilung X |
Großer, Karl | Arbeitsgruppenleiter, ZAIG |
Heinitz, Walter | Leiter der HA IX |
Kistowski, Erich | Leiter der HA VII |
Kleinjung, Karl | Leiter der Hauptverwaltung I |
Kraus, Alfred | Leiter der BV Rostock |
Kühne, Heinz | Stellv. Operativ des Leiters der BV Magdeburg |
Kuschel, Horst | Mitarbeiter im Büro der Leitung |
Maye, Johannes | Mitarbeiter der HA XVIII |
Mielke, Erich | Minister für Staatssicherheit, ZK-Mitglied |
Mittig, Rudi | Stellv. des Ministers für Staatssicherheit |
Oertel, Werner | Operativ-Dienststelle beim 1. Stellvertreter des Ministers |
Opitz, Kurt | Leiter der Arbeitsgruppe Sicherung des Reiseverkehrs |
Scholz, Alfred | Stellv. Minister für Staatssicherheit |
Schorm, Ursula | Mitarbeiterin der ZAIG |
Schröder, Fritz | Stellv. Minister für Staatssicherheit |
Sgraja, Franz | Stellv. Abteilungsleiter der HA XX/4 |
Stange, Rudolf | Stellv. Leiter der HA XX (im Mai 1968 auch im Einsatzstab Turnfest) |
Tannhäuser, Dieter | Mitarbeiter der ZAIG |
Thiele, Manfred | Stellv. Leiter der Arbeitsgruppe Sicherung des Reiseverkehrs |
Wichert, Erich | Leiter der Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin |
Wilke, Erhard | Leiter der AIG der HA Passkontrolle und Fahndung |
Wolf, Markus | Stellv. Minister für Staatssicherheit, Leiter der HV A |