Fahnenflucht eines Hundestaffelführers der Grenztruppen
4. Januar 1968
Einzelinformation Nr. 8/68 über die Fahnenflucht eines Hundestaffelführers der 3. Grenzkompanie Unterbreizbach, Grenzregiment Dermbach, am 30. Dezember 1967
Am 30.12.1967, in der Zeit von 12.30 bis 18.30 Uhr, war der Unteroffizier [Name 1, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1947, wohnhaft Plauen, [Straße, Nr.], NVA seit 1.11.1966 (Berufssoldat), Hundestaffelführer in der 3. Grenzkompanie Unterbreizbach, Mitglied der SED seit 15.6.1967, als Postenführer mit dem Posten Soldat [Name 2] zum Grenzdienst im Abschnitt Philippsthaler Straße eingesetzt. Gegen 17.20 Uhr befanden sie sich am linken Ufer der Ulster, die in diesem Grenzabschnitt über die Staatsgrenze der DDR nach Westdeutschland fließt.
Circa 20 m vor dem Sperrensystem wurde der Soldat [Name 2] plötzlich von dem 4 bis 5 m hinter ihm folgenden Postenführer [Name 1] aufgefordert stehenzubleiben und seine Waffe abzulegen. [Name 1] hatte seine MPi durchgeladen und hielt diese auf [Name 2] gerichtet. Gleichzeitig forderte er ihn auf, mit ihm nach Westdeutschland fahnenflüchtig zu werden. Da [Name 2] dieses Ansinnen ablehnte, zwang [Name 1] ihn durch Bedrohen mit vorgehaltener Waffe, seine MPi abzulegen und 4 bis 5 m zur Seite zu gehen. [Name 2] kam dieser Aufforderung ohne Widerstand nach. [Name 1] nahm anschließend die Waffe des [Name 2] an sich und bewegte sich rückwärts gehend am linken Ufer der Ulster bis zum Sperrensystem. Von da aus rief er dem [Name 2] zu, zur Grenzkompanie zu gehen und Meldung zu erstatten. Danach überwand er die Grenzsicherungsanlagen (Drahtsperren) und begab sich unter Mitnahme von zwei MPi, einer Leuchtpistole und der dazugehörigen Munition sowie eines Dienstfernglases auf westdeutsches Territorium. (In diesem Grenzabschnitt befinden sich keine Minen.)
Begünstigt wurde die Fahnenflucht u. a. durch Mängel und Missstände in der Dienstdurchführung und in der Leitungs- und Führungstätigkeit in der Grenzkompanie, die teilweise zu Missstimmung unter dem Personalbestand führten. In der Grenzkompanie musste bereits im Juli 1967 der damalige Kompaniechef wegen Vernachlässigung seiner funktionellen Pflichten und herzlosen Verhaltens gegenüber seinen Unterstellten abgelöst und von der Linie abgezogen werden. Auch der gegenwärtig eingesetzte Kompaniechef verfügt nicht über die erforderlichen Voraussetzungen für die Führung und Leitung von Menschen. Er hat keinen Kontakt zu seinen Unterstellten, achtet nicht die Meinung des Kollektivs und zeigt gegenüber den Kompanieangehörigen ein herzloses Verhalten. Einer am 11.12.1967 aus der Kompanie Unterbreizbach erfolgten Gruppenfahnenflucht war eine ernsthafte Auseinandersetzung des Kompaniechefs mit einem der Beteiligten vorausgegangen, wobei diesem eine Bestrafung angedroht wurde.
[Name 1] wurde ebenfalls am Tage der Fahnenflucht von seinem Kompaniechef gerügt und eine disziplinarische Bestrafung angedroht, weil er sich bei einem Einsatz als Standortstreife am 29.12.1967 unkorrekt verhalten hatte. [Name 1] war in einer Gaststätte gegen lärmende NVA-Angehörige der Grenzkompanie Unterbreizbach nicht eingeschritten.
Zur Person:
[Name 1] arbeitete bis zu seiner Einberufung zu den Grenztruppen als Umspanner im VEB »Plauener Spitze«. Nach seiner Ausbildung im GAR Eisenach besuchte er einen Lehrgang für Hundeführer. Am 28.4.1967 verpflichtete er sich zum Berufssoldaten. Nach seinem Einsatz als Schutzhundeführer in der Kompanie Kirstingshof erfolgte am 1.11.1967 seine Versetzung als Hundestaffelführer zur Kompanie Unterbreizbach. Im zivilen Sektor war [Name 1] aktiv als VP-Helfer tätig und durch das VPKA Plauen war beabsichtigt, ihn als VP-Kader zu übernehmen. Zu diesem Zweck nahm das VPKA bereits Verbindung zu ihm auf. Über diese Perspektive äußerte sich [Name 1] auch am Tage seiner Fahnenflucht noch positiv gegenüber seinem Posten. Im Elternhaus wurde [Name 1] im positiven Sinne erzogen; es bestand ein gutes Verhältnis zu seinen Eltern. [Name 1] hat keine Verwandten in Westdeutschland, Westberlin oder dem kapitalistischen Ausland. Er unterhielt lediglich postalische Verbindungen zu einem Freund in Karl-Marx-Stadt sowie zu drei weiblichen Personen in der DDR, durch die er teilweise negativ beeinflusst wurde. (Maßnahmen zur näheren Aufklärung dieser Personen und des Charakters der Verbindungen wurden eingeleitet.) In der Zeit vom 23.12. bis 28.12.1967 befand sich [Name 1] bei seinen Eltern in Plauen im Urlaub.
Weitere Untersuchungen über Ursachen und Motive der Fahnenflucht werden durch das MfS geführt.