Frühjahrssynoden der Kirchenprovinz Sachsen und in Thüringen
1. April 1968
Einzelinformation Nr. 354/68 über die Frühjahrssynoden der Evangelischen Kirchen der Kirchenprovinz Sachsen und Thüringen
Die Frühjahrssynode der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen fand in der Zeit vom 15. bis 20.3.1968 im Diakonissenhaus in Halle/Saale statt. Auf der Tagesordnung standen neben anderen Problemen – die Berufung des Pfarrers und Dozenten Dr. Werner Krusche1/Leipzig zum Bischof der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen –, Fragen zum Verfassungsentwurf.
Präses Waitz2/Magdeburg verlas nach der Eröffnungsansprache Grußtelegramme, die der Synode von Präses Wilm3/Bielefeld und Oberkirchenrat Herbert4/Darmstadt zugegangen waren. Präsident Hildebrandt5/Berlin begrüßte als Vertreter der Landeskirchen der DDR die Synode und betonte erneut die »Einheit der Evangelischen Kirche in Deutschland« sowie die Brückenfunktion der Kirche über alle Landesgrenzen hinweg. Diese »Einheit« sei jedoch durch inner- und außerkirchliche Kräfte gefährdet.
Im Verlauf der Synode wurde Dr. Krusche, Werner, Pfarrer/Dozent am Theologischen Seminar Leipzig, ehemaliger Studiendirektor am Predigerseminar Lückendorf, zum Bischof der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen berufen. Über die Person Dr. Krusche wird in der Anlage ein zusammenfassender Bericht beigefügt.
Zur Berufung Dr. Krusches heißt es im Rechenschaftsbericht der Kirchenleitung: »Bischof D. Jänicke6 hat die Kirchenleitung offiziell davon unterrichtet, dass er beabsichtigt, mit Vollendung des 68. Lebensjahres mit Wirkung vom 1.11.1968 in den Ruhestand zu treten. Die Kirchenleitung hat daraufhin gemäß Art. 121 Grundordnung das Bischofswahlkollegium einberufen. Dieses ist in der Zwischenzeit zweimal zusammengetreten und hat den Dozenten Pfarrer Dr. Werner Krusche aus Leipzig zum neuen Bischof der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen gewählt. Die Berufung des neuen Bischofs kommt der Synode zu.«
Im Zusammenhang mit dem Ersuchen Bischof Jänickes, in den Ruhestand zu treten, wurde während der Tagung ein Beschluss der Kreissynode Magdeburg vom 3.2.1968 verlesen, in dem die Synode der Kirchenprovinz Sachsen aufgefordert wurde, zu überprüfen, ob die Amtszeit des Bischofs für die Zukunft begrenzt und die Grundordnung entsprechend ergänzt werden solle. Im Antrag zu diesem Beschluss heißt es: »Die Möglichkeit zu einem Wechsel im leitenden Amt muss gegeben sein, weil Umwelt, innerkirchliche Probleme und gesundheitliche Voraussetzung einen Wechsel angeraten lassen können. Dabei wird an eine Amtszeit des Bischofs von acht Jahren gedacht; eine einmalige Wiederwahl für weitere vier Jahre sollte möglich sein. Da niemand vorher weiß, wie die innerkirchliche Entwicklung im Raume eines sozialistischen Staates weitergeht, erscheint es den Antragstellern gut, wenn es zur Wahrung der kirchlichen Freiheit und Unabhängigkeit eine Vorschrift zur Neuwahl bzw. Wiederwahl gibt. Ein befristet gewählter Bischof wird zu lösende Aufgaben zügig vorantreiben. Langfristige Aufgaben werden die Kirchenleitung dazu nötigen, rechtzeitig an einen Nachfolger zu denken. Diese Überlegungen veranlassen die Kreissynode trotz mancher Gegengründe, an die Provinzialsynode heranzutreten. Die Kreissynode ist sich dessen bewusst, dass sie die vielfältigen Gesichtspunkte nicht erschöpfend beurteilen kann, sie hält aber eine eingehende Prüfung durch die zuständige Provinzialsynode für notwendig. Es sei dabei weder daran gedacht, den Titel ›Bischof‹ abzuschaffen, noch das Amt als solches anzutasten.«
Der Antrag wurde als nicht entscheidungsreif zurückgewiesen.
Im Verlauf der Synode brachte der Synodale Superintendent Vosberg7/Freyburg einen Antrag zur Neuwahl des Bischofs in Verbindung mit »Vereinigungsverhandlungen« mit der Landeskirche Anhalt ein, in dem es u. a. heißt: »Die Wahl und Berufung eines neuen Bischofs soll frei sein von der persönlichen und amtlichen Autorität des scheidenden Bischofs, damit der neue Bischof auch aus einem anderen Leitbild gesucht und gewählt werden kann. Ein Ausfall im bischöflichen Amt tritt nicht ein, da nach Art. 120 der Grundordnung der Herr Propst zu Magdeburg stellvertretender Bischof ist … Es bietet sich jetzt Gelegenheit, der Landeskirche Anhalt die Vereinigung mit der Kirche der Kirchenprovinz Sachsen vorzuschlagen. Wir könnten den Herrn Kirchenpräsident Müller8/Dessau zu unserem Bischof erwählen und die Oberkirchenräte im Landeskirchenamt Dessau in das Konsistorium Magdeburg berufen. Damit würde die Landeskirche Anhalt im Prozess des Zusammenwachsens beider Kirchen ihre Erkenntnis, Erfahrung und Eigentümlichkeit christlichen Lebens an bedeutsamer Stelle der nun wiedervereinigten Kirche Sachsen/Anhalt zur Mitgestaltung einbringen können. Die Verhandlungen zu solcher Einigung brauchen einige Zeit, aber sie brauchen nicht mehr als ein Jahr. Die kirchliche Presse, Konvente und Versammlungen in allen evangelischen Kirchentümern Deutschlands sprechen heute, wie seit Jahren, gewichtig über die Einheit der Christen. Unsere Laienmitglieder verstehen schon lange nicht mehr, warum es noch immer die einzelnen verfassten Kirchen mit den In- und Exklaven auf der kirchlichen Landkarte gibt, wo wir doch in einer Evangelischen Kirche in Deutschland und mit Anhalt nun jüngst auch in der Evangelischen Kirche der Union beieinander sind, ohne dass dies auf die Kirchengrenzen und das gemeindliche christliche Leben in der Organisation der verfassten Kirche Wirkung hätte …«
Dieser Antrag wurde von der Synode als ein verfrühter Schritt abgelehnt.
Von der Leitung der Synode wurde als einziger Kandidat für die Neubesetzung des Bischofamtes Dr. Werner Krusche genannt. Der Vorschlag wurde von Bischof Jänicke begründet, wobei er betonte, dass Dr. Krusche besonders zur jungen Generation schnell Kontakt finden würde. Jänicke verlas weiter Empfehlungsschreiben von Prof. Bornkamm9/Heidelberg und Prof. Schlink10/Ziegelhausen, in denen Dr. Krusche als besonders begabter, fleißiger Mensch geschildert wird.
Der Synodale Pfarrer Kramer11/Magdeburg brachte Einwände gegen die Berufung Dr. Krusches zum Bischof ein. Die Diskussion dazu erfolgte unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die Einwände Pfarrer Kramers sollen darin bestanden haben, dass er anzweifelte, ob Dr. Krusche, der bisher keine leitende kirchliche Tätigkeit ausgeübt hat, die entsprechenden Voraussetzungen besitzt.
Dr. Krusche wurde mit 117 Stimmen bei zwei Gegenstimmen und einer Stimmenthaltung zum Bischofsnachfolger gewählt. Er erklärte anschließend, dass er seine ganze Kraft in den Dienst der Kirche in der DDR stellen werde und aus diesem Grunde auch eine Berufung an die Universität Heidelberg abgelehnt habe.
Einleitend zur Diskussion über den 1. Verfassungsentwurf12 wurde dem Gremium mitgeteilt, dass sowohl der Synode als auch der Verfassungskommission Anträge von den Kreissynoden Loburg, Gommern und Barleben sowie von den Synodalen Freitag und Steinwachs zugegangen seien. Die Linie zur Diskussion gab Propst Dr. Münker13/Halle, indem er einleitend u. a. ausführte: Der Artikel 3814 könnte völlig wegfallen. Das wäre besser, als wenn er so bliebe, wie er im Entwurf formuliert sei. Richtiger wäre aber, ihn so zu erweitern, wie es die Bischöfe in ihrem Brief vorgeschlagen hätten.15 Es gehe der Synode bei Ihrer Stellungnahme zum Verfassungsentwurf nicht um Privilegien, Vorrechte und Sonderrechte, sondern um das »Recht der Kirche«. Das Recht der Kirche manifestiere sich in ihrem Gottesdienst im weitesten Sinne des Wortes. Ob die Kirche in der Begegnung mit dem Staat dieses Recht mit Erfolg behaupten könne, stehe nicht in ihrer Hand, aber sie habe es zu behaupten. Das Recht der Kirche sei
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das Recht ihrer Verkündigung, als Recht der freien Gestaltung ihres Zeugnisses, als Recht gegenüber jedermann sowie in ihren besonderen Veranstaltungen, in den vielfältigen Formen ihrer Unterweisung, ihrer Jugendarbeit, ihrer Bibelrüsten, ihrer Kirchfahrten und in der Form der Verkündigung an Menschen in besonderer Situation (Kranke, Alte, Gefangene, Wehrdienstpflichtige).
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das Recht der Kirche auf die Gemeinschaft ihres Glaubens und Lebens. Es schließe die Freiheit zum theologischen Gespräch ein sowie die Kommunikationsfreiheit der Kirche mit anderen Ländern zum literarischen und Studienplatzaustausch.
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das Recht der Kirche sei weiter das Recht ihrer Ordnung. Darum müsse sie diese Ordnung selbst bestimmen. Der Dienst der Leitung in der Kirche vollziehe sich in verschiedenen Organen und von Menschen, die die Kirche berufe. Die freie Selbstbestimmung ihrer Ordnung beziehe sich auch auf die Zuordnung der Kirche zu größeren Zusammenschlüssen in eigener Verantwortung, z. B. in Bezug auf die »Evangelische Kirche in Deutschland«, die »Evangelische Kirche der Union« und dem Ökumenischen Rat der Kirchen. Das sei nicht Machtdenken der Kirche, sondern Ausdruck ihres Glaubens vor dem Herrn.
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das Recht der Kirche sei das Recht ihres Opfers, das Recht auf die Gestaltung des Opferdienstes in der Gemeinde. Die Mitarbeit des einzelnen Gemeindemitgliedes sei Ausdruck der Teilnahme an diesem Opfer. Das Opfer der Kirche, das sie allein zu erbitten und zu verwalten habe, werde von ihr genommen für die Bereitstellung der Mittel, die sie für die Leistung ihrer vielfältigen Dienste benötige.
Propst Dr. Münker führte weiter aus, im Verfassungsentwurf werde die klassenkämpferische Auseinandersetzung aus der innenpolitischen in die außenpolitische Sphäre übersetzt. Er halte es nicht für richtig, wenn in einer Verfassung die Nation und das Nationale so hochgespielt würden. Dagegen wäre ratsam, zu einer »Brückenschlagfunktion« überzugehen. Es wäre »kummervoll«, in welcher Breite das Wort »Sozialismus« im Verfassungsentwurf verwandt werde. Diese Verwendung reiche von der Bezeichnung bestimmter Wirtschaftsformen bis zur Kennzeichnung eines Kulturinhalts und zur Sinngebung eines Menschenlebens. Was als Sozialismus auch den marxistisch-leninistischen Atheismus einschließe, könne für die Christen kein Höchstwert sein. Dadurch werde es schwer, die gute Synthese von Christen und Marxisten zu praktizieren.
Prof. Hoffmann16/Halle erklärte nach den Ausführungen Münkers, man müsse dankbar sein, auch einmal von dieser Seite an den Verfassungsentwurf herangeführt zu werden. Es sei so, dass die Volksaussprache auf betriebliche Einzelbelange herabgesunken sei und die »großen Belange« unberücksichtigt blieben. Was die Menschen wirklich bewege, käme nicht zum Ausdruck.
Besonders reaktionär trat während dieser Verfassungsdiskussion der Synodale Pfarrer Dr. Hamel17/Rektor des Kirchlichen Oberseminars Naumburg auf, wobei er sich gleichzeitig gegen Grundlagen der Politik unseres Staates aussprach. (Über die Haltung Hamels wurde in der Information Nr. 334/68 vom 29.3.1968 ausführlich informiert.)
Die Frühjahrssynode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen fand in der Zeit vom 16. bis 20.3.1968 in Eisenach statt. Als Gast aus Westdeutschland nahm Dekan Weber18/Stuttgart teil. Die Tagesordnung sah folgende Punkte vor:
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Bericht des Bischofs
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Haushaltsplan und Haushaltsgesetz
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Strukturfragen, Zwischenberichte der Arbeitsgruppen
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Staat und Kirche – ein Beitrag zur Aussprache über den Verfassungsentwurf
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aktuelle ökumenische Fragen
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Anträge, Verschiedenes
Der Tagungspunkt Staat und Kirche wurde vorgezogen und zuerst behandelt. Aus dem MfS vorliegenden internen Berichten geht hervor, dass es auf unterer kirchlicher Ebene der Kirche Thüringens in den letzten Wochen lebhafte Auseinandersetzungen zum 1. Entwurf der Verfassung gab, wobei sich eine Reihe von Pfarrern und Synodalen in Einzelfragen oder auch grundsätzlich gegen die offizielle Unterstützung des vorliegenden Verfassungstextes durch Bischof Mitzenheim19 und Oberkirchenrat Lotz20 wandten.
Die Haltung des Landesbischofs und des Landeskirchenrats zum Verfassungsentwurf sei bei Synodalen und anderen kirchlichen Amtsträgern zum Teil auf Unverständnis gestoßen. Das habe sich nicht nur auf dem vor der Synode stattgefundenen Superintendentenkonvent, sondern auch in Eingaben an die Synode und den Landeskirchenrat widergespiegelt. Auf dem Superintendentenkonvent und in den Eingaben waren teilweise massive Angriffe gegen den Landesbischof und Landeskirchenrat sowie Oberkirchenrat Lotz enthalten. Negative Kräfte sollen geplant haben, den Landesbischof eventuell zum Rücktritt zu zwingen.
Die grundsätzlichen Ausführungen durch Oberkirchenrat Lotz zum Verfassungsentwurf während der Synode und die in Vorbereitung der Synode geführten Gespräche mit einer Reihe von Synodalen führten zur Stärkung der progressiven Kräfte. Die Einflussnahme auf bestimmte Synodale während der Synode und in Pausengesprächen trugen dazu bei, dass die gegnerischen Kräfte zurückgedrängt werden konnten.
Von den während bisheriger Synoden aufgetretenen negativen Kräften traten auch auf dieser Synode erneut die Synodalen Pfarrer Grosse und Pfarrer Herden in Erscheinung. Die ebenfalls als negativ bekannten Synodalen Pfarrer Leich21 und Dr. Opitz22 hielten sich zurück.
In seinen einführenden Worten zur Verfassungsdiskussion vor der Synode zog Oberkirchenrat Lotz Vergleiche zu früheren Verfassungen. Er führte aus, dass durch den Art. 38 die Rechte der Kirche nicht geschmälert würden, verwies auf das Interview des Landesbischofs Mitzenheim in der »Neuen Zeit«23 und auf die Ausführungen auf der Bürgervertreterkonferenz in Weimar.24 Auf die Eingabe der evangelischen Bischöfe zur Verfassung25 eingehend erklärte er, dass aus verständlichen Gründen Bischof Mitzenheim sich an dieser Eingabe nicht beteiligt habe. Der Landeskirchenrat habe die Haltung Bischof Mitzenheims gebilligt. Die Landeskirche Thüringen werde den eingeschlagenen Weg weiter gehen und – wenn notwendig – auch im Alleingang für die Lösung bestimmter Fragen eintreten.
In der anschließenden Diskussion erhielten überwiegend progressiv eingestellte Synodalen das Wort.
Nicht einverstanden mit der Formulierung des Artikels 38 des 1. Verfassungsentwurfs erklärte sich der Synodale Pfarrer Grosse, der gleichzeitig die »Alleingänge« des Landesbischofs Mitzenheim verurteilte.
Durch den Synodalen Zollmann wurde provokatorisch die Frage gestellt, ob beabsichtigt sei, eine »Staatskirche« zu schaffen. Die Synodalen aus den Bereichen der Superintendenturen Eisenberg, Rudolstadt, Vieselbach und Sonderhausen traten im Auftrage ihrer Kirchenbezirke mit der Forderung auf, den Artikel 38 des 1. Entwurfes konkreter zu formulieren.
Trotz dieser Einwände wurde im Ergebnis der Aussprache erreicht, eine schriftliche Verlautbarung zu erarbeiten, in der sich die Synode der Landeskirche Thüringen in der Verfassungsfrage hinter ihren Landesbischof stellt. Mit der Erarbeitung dieser Stellungnahme wurde der Öffentlichkeitsausschuss unter Leitung von Pfarrer Blankenburg beauftragt.
Dieses Dokument wurde am 4. Beratungstag vom Öffentlichkeitsausschuss vorgelegt. Nach dreimaliger Abänderung des Textes wurde Einstimmigkeit erzielt. Sinngemäß wird in der Erklärung zum Ausdruck gebracht:
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Die Synode hat sich von den Schritten unterrichten lassen, die der Landesbischof und der Landeskirchenrat in dieser Angelegenheit unternommen haben.
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Die Synode ist von der Sorge und Unruhe der Gemeinden stark bewegt. Anerkannt wird, dass Würde und Freiheit der Bürger als Grundmotiv sichtbar werden.
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Die Synode ist besorgt, ob die Anliegen der Christen im Verfassungsentwurf hinreichend zum Ausdruck kommen (das Recht der Kirche, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln, das Recht der Eltern auf christliche Erziehung der Kinder usw.).
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Die Synode stimmt mit dem Landesbischof und dem Landeskirchenrat überein, neben einer authentischen Interpretation auch eine Präzisierung des Artikels 38 zu erreichen.
Übereinstimmend wurde festgelegt, diese Erklärung am 26. oder 27.3.1968 durch Landesbischof Mitzenheim und Oberkirchenrat Lotz der Kommission zur Ausarbeitung der Verfassung zu übergeben. Gleichzeitig sollte eine Weitergabe an alle Superintendenten und Pfarrer der Landeskirche Thüringen sowie an alle Landeskirchen der DDR erfolgen. Die Synodalen wurden bis zur Übergabe der Erklärung anderen Personen gegenüber zum Schweigen verpflichtet, um – wie die Leitung der Synode begründete – der Westpresse diese Mitteilung nicht zugängig zu machen, bevor sie den Organen der DDR bekannt ist. Einstimmigkeit wurde während der Synode über die Verhaltensweise des Landesbischofs zum Verfassungsentwurf erzielt. (Verweigerung der Unterschrift unter die Eingabe der evangelischen Bischöfe)
Durch die breite Diskussion um den Verfassungsentwurf wurden die übrigen Tagesordnungspunkte nur kurz behandelt. Es kam zu keinen Beschlüssen zu den weiter gestellten Problemen; sie wurden auf die Herbstsynode verschoben.
Dekan Weber von der Landeskirche Württemberg/Westdeutschland, der als Gast an der Synode teilnahm, sprach über die Lage in Westdeutschland, vor allem über die Studentenunruhen. Er stellte diese als eine Gefahr für Westdeutschland hin. Er sagte, dass die jungen Menschen das Recht hätten, auf die Straße zu gehen, weil keine Mitbestimmung im Parlament gegeben sei und der Bildungsnotstand sie dazu zwinge. Es würden noch weitere Proteste zu erwarten sein, zunehmend auch gegen die USA-Aggression in Vietnam. Die Demonstranten würden jedoch von verschiedenen politischen Kreisen für deren Zwecke ausgenutzt. Die Gewerkschaften hätten die Masse der Arbeiter nicht hinter sich. Die Arbeiterschaft bange um ihre Arbeitsplätze. Die Kirche sei noch immer an den Staat gebunden, doch lange könne das aufgrund der Entwicklung nicht mehr dauern.
Diese Information darf aus Gründen der Sicherheit der Quellen nicht öffentlich ausgewertet werden.
Anlage zur Information Nr. 354/68
Auskunftsbericht
Dr. Krusche, Werner, geboren am 28.11.1917 in Lauter, wohnhaft 701 Leipzig, [Straße, Nr.], Beruf: Pfarrer/Dozent, beschäftigt: Evangelische Landeskirche Sachsen, Theologisches Seminar Leipzig, 701 Leipzig, Paul-List-Straße 17/19.
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Krusche wurde als Sohn eines Predigers in Lauter/Erzgebirge geboren.
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1936 – Abitur
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1937–1945 – Wehrmacht und Gefangenschaft, letzter Dienstgrad: Oberleutnant
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nach 1945 – Theologiestudium in Bethel, Göttingen und Basel
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1953 – in Heidelberg promoviert bei Prof. Schlink
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1954 – theologischer Assistent in Heidelberg
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1954–1958 – Hilfsprediger und Pfarrer in Dresden
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1958–1966 – Studiendirektor in Lückendorf (Predigerseminar)
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1966 – Dozent am Theologischen Seminar Leipzig
(Krusche wurde während des Krieges an beiden Händen schwer verletzt, der rechte Mittelfinger ist amputiert, das linke Handgelenk ist steif.) Während des Krieges nahm er das Theologiestudium an der Universität Heidelberg auf, das er nach 1945 in Bethel, Göttingen und Basel fortsetzte. 1954 kam Krusche, obwohl er sehr gute Stellenangebote aus der Schweiz, Westdeutschland und Brasilien hatte, in die DDR, wo er als 3. Pfarrer an der Auferstehungskirche in Dresden tätig war. 1958 wurde er als Nachfolger von Dr. Voigt, Studiendirektor am Predigerseminar Lückendorf, eingesetzt.
1965 erhielt Dr. Krusche eine Berufung an die Universität Heidelberg. Er wurde jedoch seitens der Landeskirche Sachsen gebeten, das Angebot der Universität Heidelberg nicht anzunehmen und im Dienst der Landeskirche zu bleiben. Seit dem 1.3.1966 ist Dr. Krusche Dozent am Theologischen Seminar in Leipzig. Er wurde durch Bischof Noth, Dresden, persönlich in sein neues Amt eingeführt. Nach kurzer Zeit wurde er zum Stellvertreter des Rektors am Theologischen Seminar ernannt und ist verantwortlich für die Studentenangelegenheiten. Krusche tritt für die Schaffung größerer Freiheiten für die Studenten ein. Er setzt sich weiter dafür ein, dass die Studenten das Recht erhalten, ihre Ausbildungsstätte jederzeit zu wechseln.
Die Haltung Krusches kommt in Folgendem zum Ausdruck:
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Vom 13.11. bis 16.11.1966 fand in Leipzig eine evangelische Jugendwoche folgender Themenstellung statt:
»Bin ich ein Spielball der Mächte?«
»Bin ich ein Spielball der Liebe?«
»Bin ich ein Spielball der Tradition?«
»Bin ich ein Spielball des Schicksals?«
Hier erklärte Dr. Krusche vor den Jugendlichen, dass man jede Wissenschaft wissenschaftlich widerlegen könne. Durch die Beeinflussung von Kommunikationsmitteln wie Fernsehen, Rundfunk, Zeitung usw. würde der Mensch zum Spielball der Mächte. Man solle sich jedoch keine Schwarz-Weiß-Färberei vormachen lassen. Wenn man nur einseitig aufgeklärt wird, so wird der Mensch deformiert. Nur eine allseitige Information mache den Menschen »frei«.
Zu Fragen der Wehrdienstpflicht meinte er, die Jugendlichen sollten sich in Baubataillone melden, wenn sie aufgrund ihres Glaubens keine Waffe in die Hand nehmen wollen. Der dort gegebene Eid würde aber nur bis an die Gebote Gottes reichen.
Hinsichtlich der kommunistischen Weltanschauung führte er aus, dass man nur dort mitarbeiten solle, wo eine klare und sachliche Möglichkeit zur Zusammenarbeit mit der kommunistischen Macht bestünde.
Auf jeden Fall solle man den Ungläubigen klarmachen, dass nur der Glaube die Wahrheit sei und nur der Gläubige frei sein könne. Aus diesem Grunde könne man auch die kommunistische Weltanschauung nicht zur künftigen Weltanschauung stempeln.
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In einem Vortrag am 8.3.1967 zum Thema »Die Zwei-Reiche-Lehre Luthers und die Bedeutung für die Stellung der Kirche in der Gesellschaft« erklärte Dr. Krusche, dass die Kirche der Fremdkörper in der Gesellschaft sowie der Störfaktor in der Gesellschaft sei. Musterbeispiele der kritischen Funktion der Kirche wäre die »Vertriebenen-Denkschrift« der »Evangelischen Kirche in Deutschland«26 und die »Handreichung zur Seelsorge an Wehrdienstpflichtige in der DDR«.27
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In einer Wahlversammlung am Theologischen Seminar am 15.6.1967 eröffnete Dr. Krusche nach dem Referat über die »Rolle und die Bedeutung der sozialistischen Demokratie für die Festigung der sozialistischen Menschengemeinschaft« die Diskussion. Er führte aus, dass die Entwicklung der Demokratie bei uns nur im Rahmen des Vorgegebenen stattfinden könne. Eigentlich müsse es jedoch so sein, dass das Volk selbst entscheidet. Nach dem Zusammenbruch – dafür habe er Verständnis – sei eine bestimmte Unterdrückungsfunktion notwendig gewesen. Es sei fraglich, ob es in Zukunft größere Freiheiten geben werde. Bis jetzt dürfe man bei uns verschiedene Dinge nicht sagen und erst recht nicht publizieren.
Diese Diskussion Krusches war für die Studenten der Anlass für weitere provokatorische und negative Diskussionen.
Bei der sozialistischen Umgestaltung der Landwirtschaft hatte Krusche jedoch auf die drei größten und kirchlich gebundenen Bauern in Lückendorf im positiven Sinne eingewirkt, sodass sie der LPG beitraten.
Charakterlich wird Krusche als sehr ehrgeizig geschildert. Ein gestelltes Ziel versucht er rücksichtslos zu erreichen. So versuchte er z. B. am Theologischen Seminar gegen die bestehende Satzung anzukämpfen. Nach seiner Meinung müssten die Dozenten mehr Vollmachten erhalten. Er erarbeitete eine Dozentenordnung, nach der die Dozenten das Recht erhalten sollen, Beschlüsse zu fassen, die dann für alle, auch für den Rektor, Gesetz sind. Dem höchsten Gremium, dem sogenannten Kuratorium, in dem die Bischöfe Noth, Dresden, Beste, Schwerin, und Mitzenheim, Eisenach, vertreten sind, wurde danach nur eine beratende Rolle zugedacht.
Die erste Ehefrau des Dr. Krusche ist am 11.5.1962 verstorben. Sie war aus dem Fenster im zweiten Stock gestürzt, wobei nicht geklärt werden konnte, ob es sich dabei um einen Unfall oder einen Selbstmord handelte. Die Frau soll schwer herzkrank gewesen sein.28
Kurze Zeit danach verheiratete sich der Genannte mit Krusche, Helga, geborene Goldammer, geboren am [Tag, Monat] 1927 in Dresden, Beruf: Buchhändlerin, Fürsorgeerzieherin und Krankenschwester.
Krusche, Helga war als Diakonisse in Borsdorf tätig. Aus dieser Ehe stammen die Kinder Krusche, Anselm, geboren am [Tag, Monat] 1964 und Krusche, Beate, geboren am [Tag, Monat] 1964.
Aus erster Ehe stammen die Kinder Krusche, Andreas, geboren 1952, Krusche, Cornelius,29 geboren 1955, Krusche, Friedemann, geboren 1959.
Dr. Krusche unterhält umfangreiche Westverbindungen, darunter zu
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Prof. Dr. Edmund Schlink, 6904 Ziegelhausen über Heidelberg, [Straße, Nr.];
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[Vorname Name 1], Göttingen, [Straße, Nr.], stud. theol.;
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[Vorname Name 2], geboren am [Tag, Monat] 1946 in Rinteln, wohnhaft Rinteln/Weser, [Straße, Nr.].
Krusche erhielt in den Jahren 1958, 1959, 1962, 1963, 1964, 1965, 1966 und 1967 Besuch aus Westdeutschland. Krusche wurden durch die VP aufgrund seines Verhaltens sämtliche Reiseanträge nach Westdeutschland und dem kapitalistischen Ausland abgelehnt.