Geldsammelaktion in der Hauptstadt der DDR für die Westberliner APO
24. April 1968
Einzelinformation Nr. 462/68 über eine Geldsammelaktion in der Hauptstadt der DDR für die Anhänger der außerparlamentarischen Opposition in Westberlin
Wie dem MfS zuverlässig bekannt wurde, findet gegenwärtig in Künstlerkreisen der Hauptstadt der DDR, besonders im Deutschen Theater unter aktiver Mitwirkung der Schauspieler Inge Keller,1 Rolf Ludwig,2 Horst Drinda,3 Ernst Kahler4 und Eberhard Esche,5 eine Geldsammelaktion statt. Diese Kreise planen, etwa 20 000 Mark zu sammeln, um dafür Schutzhelme und Regenumhänge für die Anhänger der außerparlamentarischen Opposition in Westberlin zu kaufen und sie damit für künftige Demonstrationen in Westberlin, z. B. auch am 1. Mai, auszurüsten.
Weiter sind an der Sammelaktion Bildhauer der Hauptstadt der DDR sowie Kreise um Dr. Stephan von Schnitzler6 (Sohn Karl-Eduard von Schnitzlers,7 Gerichtsmediziner an der Medizinischen Fakultät der Humboldt-Universität) beteiligt.
Bei dem Kreis um Stephan von Schnitzler handelt es sich um ehemalige Mitarbeiter der »Neuen Berliner Illustrierten«,8 denen vor etwa zwei Jahren wegen ihrer negativen politischen Haltung gekündigt wurde.
Die Geldsammlung wurde im April 1968 angeregt von den in Westberlin ansässigen Bürgern Biesold, Peter, Westberlin 41, [Straße, Nr.], Inhaber der gleichnamigen Konzert- und Gastspielagentur in Westberlin, [Straße, Nr.], und Rauter, Ernst Alexander,9 Westberlin 15, [Straße, Nr.], Schriftsteller und Kabarettist, österreichischer Staatsangehöriger.
Über Biesold wurden in den letzten Jahren die Silvester-Veranstaltungen in der Westberliner Kongresshalle gemanagt, bei denen DDR-Künstler wie Gisela May,10 Inge Keller u. a. auftraten. Diese Veranstaltungen erfolgten nach Auskunft des Ministeriums für Kultur im Einvernehmen mit der Leitung der SED-Westberlin.11 Kennzeichnend für B. ist dabei sein Vorgehen, als er 1968 die Künstler Inge Keller, Eberhard Esche und Hilmar Thate12 für eine Veranstaltung in Westberlin verpflichtete, ohne dass das MfK oder die Künstleragentur vorher konsultiert wurden. B. hatte diese Künstler in ihren Wohnungen aufgesucht, ihre Zustimmung erwirkt und dann über die Leitung der SED-Westberlin vom MfK anfordern lassen.
B. bewegt sich bei der Ausübung seiner Geschäfte frei in der Hauptstadt der DDR. Durch die Künstleragentur wird eine ständige Zusammenarbeit mit ihm abgelehnt mit der Begründung, er sei ein unseriöser Geschäftspartner. Der Schauspieler Kieling13 wurde aufgrund seiner Erkundigungen von seiner noch in Westberlin wohnhaften Ehefrau vor B. gewarnt. Kieling solle nicht auf dessen Vorschläge eingehen, da es sich bei ihm wahrscheinlich um einen Provokateur handelt.
B. erklärte, man habe in Westberlin die ewigen Solidaritätstelegramme aus der DDR und aus Prag allmählich satt. Man sollte die Solidarität nicht nur zeigen. Die Unterstützung sollte so aussehen, dass möglichst viele Personen aus dem kulturellen Leben der DDR, wie Schriftsteller und Schauspieler, die Initiative ergreifen und einen materiellen Beitrag leisten. Die Übermittlung sei z. B. über Westberliner Privatadressen unter Ausnutzung des Postweges möglich. Biesold gehöre dem SDS-Vorstand in Westberlin an.
Rauter habe enge Beziehungen zur außerparlamentarischen Opposition in Westberlin, besonders zum SDS14 und zum »Republikanischen Club«.15 Er fiel in der Vergangenheit durch seine Verbindungen zum Westberliner Kabarettisten Neuss16 sowie zu den DDR-Bürgern Wolf Biermann17 und Günter Engelmann18 an. Im Dezember 1965 versuchte R. verschiedene Hetzschriften »Neuss Deutschland«19 mit Biermann-Veröffentlichungen) in die Hauptstadt der DDR einzuschleusen. Im Oktober 1966 äußerte er im Lyrik-Club Pankow20/Vinetastraße, er sei besonders angetan vom Sozialismus Ernst Fischers.21
R. befürwortete eine Liberalisierung in der DDR und verurteilte das Vorgehen gegen Biermann. Er gilt als eine zweifelhafte Person. Verschiedentlich äußerte er den Wunsch, in die DDR überzusiedeln.
Nach eigenen Angaben war er früher Angestellter der amerikanischen Militärverwaltung. Jetzt schreibt er literarische Sendungen für den Rias. Im April 1968 brachte er zum Ausdruck, dass er jetzt teilweise von Geldern des CIA lebe. Er zeigt ein anbiederndes Verhalten und lobt in übertriebener Weise die DDR, da er annimmt, dass sein österreichischer Pass nicht mehr verlängert wird und er Westberlin verlassen muss.
Bis zum 23.4.1968 seien bereits in Berlin etwa 6 000 Mark gesammelt worden. Die ursprüngliche Absicht, die Sammelaktion auch auf Prag und Warschau auszudehnen, sei aufgegeben worden.
Der kürzlich in die DDR übergetretene Schauspieler Kieling habe sich von der Aktion zurückgezogen.
Inge Keller brachte in Gesprächen in ihrer Wohnung mit Rauter zum Ausdruck, die Bezirksleitung der SED sei mit der beabsichtigten Übersendung von Schutzhelmen und Regenumhängen nicht einverstanden. Stephan v. Schnitzler erklärte sich bereit, die Aktion trotzdem weiterzuführen. Er vertrat die Auffassung, dass man die Sache falsch angefangen habe. Man hätte konspirativer arbeiten müssen. Er meinte, bis zum 22.4.1968 hätte man die Gegenstände privat und mit dem Einverständnis des Zolls nach Westberlin bringen können. (Es sei vorgesehen gewesen, die Gegenstände durch einen Kameramann des Deutschen Fernsehfunks nach Westberlin zu bringen. Dieser habe jedoch einen privaten Transport abgelehnt.)
Rauter wurde von Inge Keller aufgefordert, sich bei den führenden Vertretern des »Republikanischen Clubs« Meschkat22 und Mahler23 zu erkundigen, ob sie die Übersendung der Schutzhelme und Regenumhänge wünschen oder nicht. Sollte diese Aktion nicht durchgeführt werden, so werde nach Wegen gesucht, um den Westberliner Studenten wenigstens das gesammelte Geld übersenden zu können. Inge Keller schlug vor, dass man Wege finden müsse, das Geld nach Westberlin zu transferieren. Am Donnerstag, 25.4.1968, will Rauter über das Ergebnis seiner Gespräche mit den Vertretern der außerparlamentarischen Opposition berichten.
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