Geplante ökumenische Tagung der Gossner Mission in Berlin
20. August 1968
Einzelinformation Nr. 876/68 über die geplante ökumenische Tagung der »Gossner Mission der DDR« in der Zeit vom 9. bis 13. September 1968 in Berlin
Dem MfS wurde bekannt, dass die »Gossner Mission der DDR«,1 eine Einrichtung der evangelischen Kirche, beabsichtigt, vom 9. bis 13. September 1968 in der Hauptstadt der DDR eine internationale Arbeitstagung mit ökumenischen Gästen durchzuführen.2 Die Veranstaltung soll unter dem Titel »Zur Welteinheit berufen« stehen und die bisher größte im Rahmen des sogenannten Dialogs zwischen Marxisten und Christen sein, die von der »Gossner Mission« organisiert wurde. Organisator dieses ökumenischen Treffens ist der Leiter der Geschäftsstelle der »Gossner Mission«, Pfarrer Bruno Schottstädt3/Berlin. (Schottstädt ist leitender Mitarbeiter der »Prager Christlichen Friedenskonferenz«.)
Im Programm der Tagung sind folgende Vorträge vorgesehen:
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»Die Bedeutung der Weltkirchenkonferenz von Uppsala4 für die Menschengemeinschaft«, Generalsuperintendent Jacob5/Cottbus, Vorsitzender des Kuratoriums der »Gossner Mission«;
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»Mit den Marxisten auf dem Weg zur einen Welt«, Referent ein namentlich nicht bekannt gegebener Teilnehmer aus der ČSSR;
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»Die Bedeutung der technischen Revolution für die Entwicklung der einen Weltgemeinschaft«, Pfarrer Dohrmann6/Wolfsburg (WD), Leiter des Industriepfarramtes Wolfsburg;
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»Auf dem Wege zu einem neuen Weltbewusstsein«, Prof. Dr. Blum7/London;
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»Die Bedeutung der Völker und Nationen auf dem Wege zur einen Menschenfamilie«, Prof. Dr. Winter8/Wien
Zu den jeweiligen Themen sind Gruppengespräche, Aussprachen und sogenannte Situationsberichte vorgesehen. Zu dem Referat des Prof. Dr. Blum/London wurden bereits Thesen verteilt bzw. verschickt. Diese Thesen stellen eine Vermischung zwischen Erkenntnissen des Marxismus mit Bestandteilen der Konvergenztheorie dar. Es heißt dabei u. a.:
- »…7.
Da die Technik der konkreteste Ausdruck der menschlichen Bewusstseinslage ist, stehen gewisse Grundzüge des sich entwickelnden ›welt-einheitlichen‹ allgemeinmenschlichen Bewusstseins mit der neuesten technischen Entwicklung und ihrer wissenschaftlichen Grundlage in enger Beziehung.
- 9.
Das neue Weltbewusstsein bedeutet auch ein neues Stadium in der Entwicklung des Sozialismus und das Ende des Kapitalismus. Der sogenannte ›Wohlfahrtskapitalismus‹ wird als letzte Erscheinungsform des Kapitalismus verschwinden.
- 10.
Eine neue Basis des Gemeinschaftseigentums, das von Marx klar vorausgesehen wurde, wird es möglich machen, die ›feindliche Brüderschaft‹ von Christentum und Marxismus zu überwinden.
- 12.
Das Gebot der Stunde ist, nicht auf die Erfüllung des neuen Weltbewusstseins zu warten, sondern in verantwortlichem Tun das in realistischen Glauben und wahrem Sein verankert ist, an der Verwirklichung der Welteinheit schöpferisch mitzuwirken.«
Von den ausländischen Teilnehmern wurden außer den bereits genannten Referenten noch folgende Personen bekannt:
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René Poterie9/Paris, Leiter der katholischen Bewegung »régional de l’Action catholique ouvrière«10;
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Pfarrer Robert Starbuck/Westberlin, USA-Pfarrer zur Betreuung der Zivilangestellten der US-Garnison in Westberlin;
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Pfarrer Bäumlin11/Westberlin, Schweizer Staatsbürger, ökumenischer Mitarbeiter in der Geschäftsstelle der »Gossner Mission« bei Bruno Schottstädt;
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Pfarrer Hans Mohn12/Hamburg, Leiter des Industriepfarramtes Hamburg;
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Pfarrer Jizzef Adorjan/VR Ungarn, Budapest;
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Pfarrer Gyula Molnár/VR Ungarn, Magyarreges;
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Pfarrer István Sahn/VR Ungarn, Debrecen;
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Prof. Elman Koczis/VR Ungarn, Debrecen, Leiter der Theologischen Fakultät;
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Miroslav Frankovsky/ČSSR, Prag;
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Dr. Ladislav Hejdánek13/ČSSR, Prag, Mitarbeiter am Philosophischen Institut der Akademie der Wissenschaften der ČSSR;
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Ladislav Barot14/ČSSR, Vanovice;
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Josef Čech/ČSSR, Pamětice, LPG-Vorsitzender;
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Luboš Hana15/ČSSR, Veselí;
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Jiří Kabíček16/ČSSR, Klášter nad Dědinou;
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Pfarrer Ján Oslík17/ČSSR, Hrabětice, Pfarrer der Lutherischen Kirche in der Slowakei;
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Jan Šimsa18/ČSSR, Prosetín, Leiter der Teilnehmergruppe aus der ČSSR.
Die genannten ČSSR-Bürger gehören zum großen Teil der Gruppierung »Neue Orientierung«, einer Vereinigung von evangelischen Theologen und Laien in der ČSSR, an. Die »Neue Orientierung« ist mit Unterstützung der »Gossner Mission« geschaffen worden. Zwischen den Vertretern beider kirchlicher Werke bestehen enge Beziehungen. Die Vertreter der »Neuen Orientierung« sind bei den jüngsten Ereignissen in der ČSSR19 aktiv als Anhänger der »Reformer« in Erscheinung getreten. Dr. Hejdánek soll dabei eindeutig revisionistische Thesen vertreten haben.
Die gesamte Tagung soll eine Fortsetzung einer sogenannten »Dialog-Tagung« sein, die vom 8. bis 11.4.1968 in Genf stattfand. Diese Tagung zwischen Christen und Marxisten hatte das Thema »Grundzüge christlichen und marxistischen Denkens über die Humanisierung der technischen und wirtschaftlichen Entwicklung«. Organisator war das Referat »Kirche und Gesellschaft« beim Weltkirchenrat. Zu den Teilnehmern in Genf gehörten solche Personen wie Dr. Machovec20/Prag, Dr. Lochmann21/Prag, Milan Opočenský22/Prag-Genf, Charles West23/USA, Casalis24/Paris und Paul Oestreicher25/London.
Der Charakter der Tagung in der Hauptstadt der DDR vom 9. bis 13.9.1968 steht völlig im Widerspruch zu dem nach außen fortschrittlichen Auftreten von Pfarrer Schottstädt bei Aussprachen im Staatssekretariat für Kirchenfragen, beim Nationalrat der Nationalen Front und beim Friedensrat.
Das MfS schlägt vor zu überprüfen, ob es in Auswertung dieser bekannten Fakten nicht zweckmäßig wäre, eventuell durch das Staatssekretariat für Kirchenfragen mit Pfarrer Schottstädt eine Aussprache zu führen. In dieser Unterredung könnte Schottstädt auf die bisherige enge Zusammenarbeit zwischen ihm (als leitender Mitarbeiter der Prager Christlichen Friedenskonferenz) und dem Nationalrat sowie anderen gesellschaftlichen Organisationen hingewiesen werden. Pfarrer Schottstädt könnte weiter informiert werden, dass die Durchführung der geplanten Veranstaltung sowohl vom Thema als auch von den Referenten her (kapitalistisches Ausland, ČSSR) einer Sanktion solcher Tagungen zur Verbreitung der Konvergenztheorie durch staatliche und gesellschaftliche Organe gleichkomme. Eventuell sollte Schottstädt beeinflusst werden, auf die Durchführung dieser Tagung zu verzichten.