Geplanter Vietnam-Kongress des SDS in Westberlin
2. Februar 1968
Einzelinformation Nr. 112/68 über den geplanten »Vietnam-Kongress« des »Sozialistischen Deutschen Studentenbundes« in Westberlin
Zu den offiziell bekannten Absichten des Bundesvorstandes des »Sozialistischen Deutschen Studentenbundes« (SDS),1 in Zusammenarbeit mit Jugendorganisationen Belgiens, Italiens, Frankreichs, Großbritanniens und Hollands am 17. und 18.2.1968 in Westberlin einen sogenannten Vietnam-Kongress der Gegner des USA-Krieges gegen das vietnamesische Volk durchzuführen,2 wurden intern eine Reihe von Einzelheiten berichtet.
In einem Aufruf, der an sämtliche europäische linkssozialistische und kommunistische Jugendorganisationen sowie an verschiedene asiatische, afrikanische und lateinamerikanische Studentenorganisationen versandt worden sei, fordern der SDS und weitere europäische Jugendorganisationen »alle sozialistischen Jugendorganisationen und Gruppen« auf, sich an dem Kongress zu beteiligen. Der Aufruf wird als ein Ergebnis der »Brüsseler Konferenz«,3 eines lockeren Zusammenschlusses europäischer linkssozialistischer Jugendorganisationen, bezeichnet. Im Aufruf wird betont, dass Westeuropa nicht eine ruhige Zone für den Imperialismus werden dürfe, sondern »von einem entschlossenen antikapitalistischen und antiimperialistischen Kampf bestimmt werden« müsste. Die europäische Arbeiterbewegung und die »sozialistische Jugend der Avantgarde« hätten heute entscheidende Aufgaben von »internationalistischer Bedeutung«. Die aktuellen Ziele des Kampfes seien
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der Kampf gegen das atlantische Bündnis und die NATO;
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die Intensivierung des Klassenkampfes, der sich vor allen Formen der Integration der Arbeiterbewegung hüten und sich das Problem der Eroberung der Macht stellen muss;
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die Bekämpfung der sozialdemokratischen Ideologie, die dem Imperialismus in die Hände arbeitet und die Arbeiterbewegung neutralisiert«.
In dem Aufruf wird weiterhin auf die von der OLAS4-Konferenz ausgearbeitete Strategie5 hingewiesen, die in Guevaras6 Worten »Lasst uns zwei, drei, viele Vietnam schaffen«7 zum Ausdruck käme.8
Über den Ablauf des Kongresses liegen folgende Angaben vor:
Am 17.2.1968 sollen unter dem Thema »Die Vermittlung der Lehre Vietnam für Europa« Podiumsdiskussionen stattfinden. Dazu sind folgende Themen vorgesehen:
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Die vietnamesische Revolution
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Lateinamerika und die vietnamesische Revolution
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Die vietnamesische Revolution und die antikapitalistische Strategie in den Metropolen Westeuropas.
Für die Referate und Korreferate sind vorgesehen: Kurt Steinhaus,9 Jeanette Habel,10 ein Vertreter der FNL,11 ein Vertreter des ZK der kubanischen KP Ernest Mandel,12 Gaston Salvatore,13 Rudi Dutschke14 und Vertreter verschiedener ausländischer Delegationen. Man rechnet für jedes der drei Foren mit einer Teilnehmerzahl von ca. 600 Personen. (Für den gesamten Kongress erwartet der SDS nach offiziellen Angaben rund 10 000 Teilnehmer, darunter aus der DDR, aus Polen, der ČSSR, aus Jugoslawien und Kuba.)
Für den 18.2.1968 ist eine Großkundgebung vorgesehen, die – nach letzten offiziellen Meldungen – in der Technischen Universität von Westberlin stattfinden soll.15 Als Redner sollen dort u. a. Jean Paul Sartre,16 L. Basso,17 Peter Weiss18 und ein Mitglied des kubanischen ZK auftreten. Im Anschluss an die Kundgebung ist eine Demonstration zum Amerika-Haus19 und eventuell zum Springer-Hochhaus20 vorgesehen.21 Für diese Demonstration sollen – nach internen Angaben – Plakate und »Wurfgeschosse« in Form von mit Farbe gefüllten Plastebeuteln hergestellt werden. Mit diesen »Wurfgeschossen« wollen die Demonstranten eventuell gegen die Polizei, auf jeden Fall aber gegen das Amerika-Haus und Springer-Hochhaus vorgehen.
Wie weiter intern bekannt wurde, liegen dem Organisationskomitee in Westberlin, Kurfürstendamm 140 (verantwortlich zeichnen Gerhart Rott22 und Gaston Salvatore-Pascal, 1 Berlin 30, Keithstraße 36/38)23 bereits Zusagen von westeuropäischen linken Jugendorganisationen, besonders von chinesisch beeinflussten, vor, ca. 2 000 Jugendliche nach Westberlin zu schicken. Weitere 2 000 Teilnehmer werden aus der Bundesrepublik erwartet. Der Westberliner Landesverband der »Falken«24 sowie die Kölner Organisation der »Falken« haben ihre Teilnahme zugesagt. Einladungen hätten auch der Komsomol,25 der Zentralrat der FDJ26 und die Westberliner FDJ27 erhalten.
Im Zusammenhang mit den Aktionen in Westberlin gegen den Krieg der USA in Vietnam wurde intern bekannt, dass der »Republikanische Club«28 Anfang Februar in der Westberliner Universität eine diesbezügliche Versammlung durchführen will. Im Verlaufe dieser Versammlung sollen Flugblätter ausgegeben werden, die die Studenten später an amerikanische Militärangehörige verteilen sollen. Die Flugblätter rufen zur Desertation für den Fall der Verschickung nach Vietnam auf. Der »Republikanische Club« will in Zukunft die Desertion von USA-Soldaten in Westberlin unterstützen. Daher würden Überlegungen angestellt, ob es möglich sein werde, im Einvernehmen mit staatlichen Stellen der DDR amerikanische Soldaten die Durchreise durch die DDR zu sichern.
Über die weiteren Vorhaben des Bundesvorstandes des SDS 1968 liegen intern folgende Angaben vor:
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Aktionen gegen die Notstandsgesetzgebung,29 gegen das Springer-Monopol30 (Verhinderung der Auslieferung der Springer-Presse für einen Tag im Februar in Frankfurt/M.)31 und zur Hochschulreform (»Streik« in den Universitäten von Frankfurt/M.).
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Durchführung einer Vortragsreihe zu Beginn des neuen Semesters (Mai 1968) über Fragen des NÖS32 der DDR. Dafür soll ein Gesellschaftswissenschaftler der DDR gewonnen werden. Der SDS denke z. B. an Prof. Klein33 von der Humboldt-Universität.
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Entsendung einer Delegation zu den Westfestspielen in Sofia.34 Der SDS ist daran interessiert, gemeinsam mit sozialistischen Jugendverbänden Aktionen gegen den Vietnamkrieg zu organisieren, vor allem solche, die sich unmittelbar gegen die USA-Botschaft in Bulgarien richten.
In diesem Zusammenhang wurde bekannt, dass der Bundesvorstand des SDS an den Zentralrat der FDJ mit dem Vorschlag herantreten will, Anfang Juni 1968 ein gemeinsames Seminar zur Vorbereitung der Westfestspiele durchzuführen. Als Thema will der SDS vorschlagen: »Die Bedeutung der friedlichen Koexistenz in der gegenwärtigen Epoche unter Berücksichtigung der USA-Kriegsstrategie«.